Читать книгу Deutscher Novellenschatz 16 - Hermann Schmid - Страница 5

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Am oberen Ende eines Tisches, auf welchem das Frühstück geordnet stand, saß Herr Steffano, einer der angesehensten Kaufleute in Frankfurt. Wie nach dem Namen zu erwarten, südlicher Abkunft, sprach sich diese auch in den Formen des Antlitzes, in dem Schnitte und der Farbe des Augenpaares deutlich genug aus, wenn gleich seine Voreltern schon vor beinahe zweihundert Jahren aus Italien nach Deutschland eingewandert sein mochten. Sein lebhafter und doch ruhiger Blick beurkundete die wohlbenutzten Erfahrungen eines der Tätigkeit und dem Nachdenken gewidmeten Lebens; der etwas streng geschlossene Mund deutete auf Ernst und Entschlossenheit, während in dem Lächeln, wenn dieses seine Züge belebte, herzgewinnende Freundlichkeit sich aussprach. Ihm zur Rechten befand sich ein junger Mann, mit hellbraunem Lockenkopfe, mit bedeutenden, ausdrucksvollen, wenn gleich nicht eben schönen Zügen, der dem Äußeren nach mehr erust als fröhlich, mehr gedankenvoll als beglückt sich darstellte. Zur Linken des Hausherrn, neben dem Kaminfeuer, hatte in einem bequemen Lehnsessel und in fast liegender Stellung der Neffe desselben, Herr R., sich hingestreckt, welchen man sogleich an der Familienähnlichkeit als Verwandten des Hauses erkannt haben würde. — Im Allgemeinen glich seine Gesichtsbildung der des Oheims, obwohl diese jugendlichen Züge einen durchaus verschiedenen Ausdruck zeigten. Herrn Steffanos Augen deuteten Güte, Milde und Nachdenken an, zuweilen tiefen Ernst, niemals Härte; aus den herrlich gebildeten Augen des Neffen blickten dagegen im lebendigen, oft verletzenden Wechsel Geist, Neigung, Stolz, Misstrauen, Strenge und Verachtung; auch der Ausdruck seines Mundes war bezeichnend, auch in seinem Lächeln war gewinnende Anmut verborgen, aber öfter noch zeigte sich um seine Lippen ein Zug von Spott, Trotz und Missvergnügen. Neben ihm saß ein junges Mädchen, deren blühendes, blendendes Colorit den angenehmsten Abstand zu seiner südlichen Gesichtsfarbe bildete. Man hatte oft scherzweise von diesem reizenden Wesen gesagt, dass sie ein Blumengesichtchen habe, und in der Tat kein Ausdruck konnte richtiger sein. Ihr blondes Haar war in reichen Flechten zierlich geordnet, und ihre fröhlichen, schalkhaften braunen Augen machten umso tieferen Eindruck, als man darauf hätte schwören mögen, diesem Gesichtchen könne nur ein blaues Augenpaar inne wohnen. Es gewährte ein liebliches, tröstliches Gefühl, so viel glückselige Jugend zu betrachten, und auch ihr Nachbar widerstand diesem Zauber nicht immer, obwohl er demselben nur dann nachzugeben pflegte, wenn Niemand ihn seiner Meinung nach beachtete. — Neben dieser anmutigen Blondine erblickte man die Tochter des Hauses, welche wiederum als Gegenstück ihrer Nachbarin betrachtet werden konnte. Sophie Steffano hatte das schwarze Haar, die edle Gestalt, welche ihre Familie auszeichnete, aber unter der schönen Stirn blickten tiefblaue Augen hervor, deren Ausdruck zugleich lebhaft und rührend war. Sie sah zuweilen zu ihrem Vetter hin, der ihr gegenüber saß, und dessen Augen sie oft mit Blitzesschnelle trafen, aber in diesem Anblicken lag nichts von der zutraulichen Unbefangenheit verwandtschaftlichen Verhältnisses.

Diese fünf Personen bildeten das Gemälde, den Rahmen dazu ein Zimmer, dessen schöne Anordnung auf Geschmack und die gediegene Eleganz wohl angewendeten Reichtums deutete. — Herr Steffano hatte die Zeitung flüchtig durchgesehen und sagte jetzt, nicht ohne leisen Anflug von Ironie und mit Hinblick auf seinen Neffen, der eine unangezündete Zigarre spielend zwischen den Fingern bewegte: Ich freue mich zu sehr, wie mehr und mehr die Gesinnung der Damen sich dir beifällig zuwendet, denn schwerlich würde Sophie früher an die Möglichkeit geglaubt haben, dass man in ihrem Heiligtume rauchen dürfe. Sophie errötete, ihr Blick begegnete flüchtig dem ihres Vetters, welcher die Hand über die Augen legte und nach einer kleinen Pause mit seltsamem Lächeln erwiderte: Da man mir so viele Güte beweist, wäre vielleicht anzunehmen, ich sei derselben nicht völlig unwert. — Die kleine Blondine lächelte schalkhaft, der Oheim sah ernst vor sich hin. Der junge Mann zu seiner Rechten war gleich zu Anfange dieses Gespräches aufgestanden, verbeugte sich jetzt schweigend und verließ das Zimmer.

Nach minutenlanger Pause begann Herr Steffano von Neuem: Ich habe gestern die Bekanntschaft des Grafen von N. gemacht und freue mich dir sagen zu können, wie er ein höchst angenehmer, humaner und aufgeklärter Mann zu sein scheint.

Der Neffe schwieg. Für dich, fuhr Jener fort, kann dieses alles nur von höchster Bedeutung sein.

R. blickte empor und entgegnete misslaunig: Ich wüsste in der Tat nicht, warum mir das anders als gleichgültig vorkommen sollte.

Eine geistreiche Antwort belebt kluge Personen, selbst dann, wenn sie ihren Ansichten und Wünschen entgegen ist, eine ihrer Meinung nach unverständige pflegt sie aus aller Fassung zu bringen. Herr Steffano schwieg eine Weile, wie um sich zu sammeln, und entgegnete: Gleichgültig? — Das ist eine großartige Ansicht, die wenigstens mir nicht einleuchten kann, da deine Anstellung in Staatsdiensten größtenteils von dem Grafen und seinem Einfluss abhängig sein wird.

Düstre Wolken zogen über R's Stirn. Es tut mir leid, sagte er, dass dieser Gegenstand eben jetzt zur Sprache kommt, Zeit und Stunde mögen wenig günstig sein. Mir gilt aber der Grundsatz, dem scheinbar Unabwendbaren nie aus dem Wege zu gehen; überdies, was man den Mut hat zu wollen, muss auch entschlossen ausgesprochen werden, gleichviel, ob es mit Gunst oder Ungunst aufgenommen werden mag. Ich bin sehr entschieden, in den nächsten Jahren noch keine Anstellung zu suchen.

Herr Steffano schwieg abermals, die kleine Blondine schlüpfte behände aus dem Zimmer, Sophie erhob sich ihr zu folgen, aber ein ernster Blick des Vaters bewog sie zu bleiben. Ich verstehe dich nicht, lieber Neffe, begann er endlich; sei daher so gütig, dich deutlicher zu erklären. Wenn man gleich dir acht Jahre auf Universitäten zugebracht hat, wenn man achtundzwanzig Jahre alt ist, dann, scheint mir, ist in ihrer vollen Reife die Zeit da, wo man eines ernsten Lebenszweckes bedarf und auf alle Weise ihn suchen muss. Du hast dir vollkommen Zeit gelassen, das Leben zu genießen, so hoffte ich würdest du jetzt daran denken, dich demselben nützlich und tätig einzubürgern.

Der Neffe lächelte: Ihre Güte kommt mir sehr unerwartet zu Hilfe, denn eben diese Idee des Einbürgerns in die kleinlichen und etwas platten Lebensverhältnisse, die mir bevorstehen würden, machte jede Annäherung vorläufig zur Unmöglichkeit.

Du willst also vom Zivilfach dich gänzlich abwenden? —

Keineswegs, nur hinausschieben will ich die Sklaverei , welche mir bevorsteht. Ich kann meinen Nacken einem solchen Joch noch nicht beugen. Nur die höheren Staatszwecke haben von jeher mein Interesse erregt, alle diese ängstlich-beschränkten Verhältnisse kleiner Beamten sind mir stets durchaus zuwider gewesen.

Höhere Staatszwecke, entgegnete der Oheim, haben immer außer dem Bereiche meines Wirkens gelegen, aber sie sind, nach meiner Ansicht, in der weisen Aufrechthaltung des bestehenden Guten, in zweckgemäßer Verbesserung des Mangelhaften zu suchen. Diesem Streben liegt die einfachste und deshalb oft schwierigste Weisheit zum Grunde: nur gemeinsames Wirken führt zu solchem Ziele. Der geringste Beamte eines Staates kann dazu beitragen und für sein Herz, seine Eitelkeit, seinen Ehrgeiz volle Befriedigung finden. Das richtige Streben eines geistreichen Mannes wird nie übersehen werden, selbst der beschränkte Wirkungskreis dient ihm zur Hebung, und umso mehr wird daraus der Geist hervorleuchten, welcher es verstand, seine Strahlen wohlbegründeter Ordnung einer oft mechanischen Tätigkeit zuzuwenden. —

Es mag sein, wie Sie sagen, erwiderte der Neffe nachlässig, aber mir wenigstens fällt es schwer, mich durch so kümmerliche Verhältnisse durchzuarbeiten nach einem möglichen Ziele. Meine Aufmerksamkeit ist von Anbeginn auf die mangelhafte Justizverwaltung meines Vaterlandes gerichtet gewesen, auf die seltsame Verkehrtheit, Gesetze noch jetzt in ihrer Kraft bestehen zu lassen, welche durch die Fortschritte der Zeit und der Kultur als durchaus unzulässig erscheinen müssten. In mir ist seit lange der sehr begreifliche Wunsch rege, die Verwaltung, die Stimmung in andern Ländern mit der im Vaterland zu vergleichen. Ich wünsche zu dem Zwecke England, Frankreich und, was Ihnen vielleicht seltsam erscheinen mag, Holland zu bereisen und kennen zu lernen. Italien werde ich später besuchen, aber eigentlich nur zu einer, ich möchte sagen, poetischen Belehrung, denn in staatswissenschaftlicher Beziehung möchte ich dort schwerlich viel lernen, vielleicht nur, als insofern auch das Mangelhafte unterrichtend sein kann.

Herr Steffano lächelte. Dein Wille mag vortrefflich sein, lieber Neffe, aber wäre es nicht heilsamer für dich, wenn du, unbekümmert um die Vorteile oder Nachteile, deren andere Länder teilhaftig sind, im Vaterlande eine Anstellung suchtest und derselben mit Umsicht und Pflichttreue vorständest? Der Begriff des Besseren und Zeitgemäßeren bleibt insofern stets abhängig, als selbst das Gute dieser Art nicht auf alle Menschen und auf alle Zustände anwendbar ist. — Man findet überall einen National- und doch auch wieder, möchte ich sagen, einen Ortscharakter, und um dieser letzteren Ursache willen wird es eine ewig unauflösbare Aufgabe bleiben, die Gesetzgebung irgendeines Landes auf die Individualität der Bewohner mit Genauigkeit anzuwenden. Was für die Mehrzahl als richtig erkannt wird, muss in der Beziehung als das Bessere gelten; nicht Alles ist so verkehrt, wie der Anschein uns glauben machen möchte. Ich habe mein Nachdenken solchen Betrachtungen oft zugewendet. Die Verschiedenheit der Gemütsanlagen, ja selbst der äußern Persönlichkeit, welche man häufig in zwei einander nahe gelegenen Dorfschaften, häufig zwischen Städter und Vorstädter antrifft, mag der früher stattgehabten Einwanderung von Kolonisten zuzuschreiben sein. Wenn hier ein ganzer Menschenschlag gutmütig, lenksam und tätig erscheint, so findet man oftmals ganz in der Nähe ihn trotzig, auffahrend, verschlagen und untätig. Nach dem Besseren zu streben ist unerlässlich, aber selbst das anscheinend Mangelhafte mag oft nützlich sein, daher würde ich mich an deiner Stelle darüber beruhigen. Bedenke wohl, was es heißt, zwei Jahre seines Lebens einem ungewissen Zwecke opfern, indessen der gewisse notwendig und durchaus erforderlich erscheint. Du bist nicht reich, lieber Freund, kaum wohlhabend zu nennen, und folglich darf deine Wahl auf kein kontemplatives Leben gerichtet sein, wenngleich ein solches dir am meisten zusagen dürfte. Für dich ist ein weiser Haushalt mit Zeit und Leben dringendes Bedürfnis, du sollst dir selber verdanken, was du einst sein wirst. Dein Verstand, deine schnelle Auffassungsgabe, deine Gewandtheit, ja selbst deine Fehler, welche ich unberührt zu lassen wünsche, werden dir zur Erreichung deiner Zwecke förderlich sein, wenn du nicht an Zersplitterung so wünschenswerter Gaben scheiterst. — Leider ist in dir keine Einheit; verworren liegen die schönsten Blüten verstreut, hier Knospen, dort Blätter, hier Blumen, alles der verschiedensten Art, nichts aneinander gereiht, nichts gesammelt. Die Menge staunt die phantastische Verworrenheit an, der Kenner beklagt sie. Es ist ein Chaos, aus welchem das Wünschenswerteste dem Blicke sich darbietet; nur du vermagst es zu ordnen. Nur wer völlig mit sich einig ist, mag im Stande sein, ein vernunftgemäßes Urteil über fremde Menschen und Zustände zu fällen. In vollkommener Einheit liegt einzig sicheres Fortschreiten. Eine weitere Ausbildung durch Reisen scheint mir für dich nun völlig überflüssig. Die Welt, in ihren guten und verderblichen Beziehungen, hat schon genug an dir gebildet. Die glänzende, äußere Hülle ist vorhanden, nach dem inneren Kern wage ich manchmal nicht zu fragen. — Wie seltsam hast du dich selber gestellt! Deinen Gewohnheiten, deinem unabhängigen Sinne, deiner Gutherzigkeit nach, würdest du ganz für das bürgerliche Leben passen; dein Hochmut, deine Eitelkeit und zu verfeinerte Bildung ziehen dich unablässig in einen Kreis, der dich beengt, unbefriedigt lässt, und doch dir unentbehrlich erscheint. Auch hier ist Zwiespalt, denn nicht selten gefällst du dir auch in geringeren, deiner völlig unwerten Kreisen. Der Wunsch zu gefallen, zieht dich hier, zieht dich dorthin; das Ende sehe ich leider voraus: du willst Alle und besonders die Frauen für dich einnehmen und wirst Eine vielleicht sehr unglücklich machen.

Der Neffe warf einen finsteren Blick auf Sophie und sagte, indem er die Spitze seiner Zigarre auf eine Weise abbiss, die auf einen tiefen inneren Unmut deutete: Was Sie mir sagen, ist ohne Zweifel wohlgemeint, wenn es gleich mir keinen wohltuenden Eindruck geben kann. Es ist eine eigene Sache darum, Tadel anhören zu müssen, ich gehöre namentlich nicht zu den Menschen, die Solches mit Gelassenheit ertragen können. Wir wollen es dahin gestellt sein lassen, wie richtig oder verkehrt meine Ansichten sein mögen, helfen sie mir nur wohl oder übel durch die Welt. Ich werde das Gute zu erkennen, das Schlimme zu ertragen wissen. Was meine schwankenden Ansichten anbelangt, so hoffe ich, mit Recht sagen zu können, dass nur ihre Abweichung von denen anderer sie als unsicher erscheinen lassen dürfte. Ich bin mir einer festen Grundlage und des allertiefsten Eindringens bewusst. — Eine Hinneigung zu schlechter Gesellschaft darf ich mir wenigstens in keinem höheren Grade vorwerfen, als auch andere junge Leute diese, ab und an, nicht ganz von sich abzulehnen im Stande sind. Natürlicher Hang zieht mich nicht dahin; Eitelkeit, das ist möglich. — Ich gestehe, fügte er schelmisch lächelnd und mit einem unsicheren Blick auf seine Kusine hinzu, dass es mir augenblicklich Reiz gewährt hat, zu beobachten, wie man bei allen Ständen und in allen Verhältnissen nur durch eine etwas anders gestellte Phraseologie genau dieselben Zwecke zu erreichen im Stande ist. — Was eine weitere Ausbildung durch Reisen anbelangt, so habe ich umso eher geglaubt, daran denken zu müssen, da eine solche in unsern Zeiten eine durchaus gewöhnliche zu nennen ist, ja, da selbst Sternheim sich diese hat erwerben dürfen.

Es betrübt mich, lieber Freund, dass du stets Sternheim als dir untergeordnet betrachtest; ihr steht nicht auf gleicher Höhe, das gebe ich zu, und doch — wer möchte gewinnen beim Tausche, wenn ein solcher überall denkbar wäre. Durch euch wird der Begriff des praktischen und ideellen Lebens aufs Anschaulichste versinnlicht. Nie sah ich zwei ungleichere Menschen. Was äußere Annehmlichkeit anbetrifft, wirst du ihn stets weit überstrahlen; nimm dich in Acht, dass er durch wahren Gehalt nicht dich überflügeln möge! In dir sind Genius-Blitze, in ihm ist bewusste Klarheit des Verstandes. Sein Fehler ist, mit zu schweigsamer Ruhe die Eindrücke in sich aufzunehmen, welche Welt und Menschen auf ihn hervor bringen, indessen du mit sprudelndem Ungestüm, mit unüberlegter Erregung, von jedem Einwirken äußerer Verhältnisse Rechenschaft ablegen zu müssen glaubst, obwohl wiederum Offenherzigkeit nicht als Grundzug deines Charakters betrachtet werden mag. Bei dir ist Vieles zweckwidrig und doch planvoll, bei ihm Alles überdacht und einfach. — Sein Verhältnis als Kaufmann machte ihm Reisen zur Notwendigkeit, durch seine Tüchtigkeit als Mensch zog er Nutzen daraus, auch in Beziehung auf Kunst und Literatur. — Absichtlich habe ich dir dieses Alles in Sophies Gegenwart gesagt, sie ist deine liebe, nahe Verwandte, so besprich jetzt mit ihr deine Zukunft. Bedenke, lieber Freund, ob du nach zwei Jahren geeigneter sein möchtest, dich in das Joch der Abhängigkeit zu begeben; bedenke, dass du dann damit erst beginnen würdest, was längst als der erste Schritt hinter dir liegen müsste.

Herr Steffano verließ das Zimmer, sein Neffe stützte den Kopf in die Hand und sagte endlich, mehr misslaunig als bewegt: Es tut mir leid, schmerzlich leid, dass du dieses alles auf solche Weise hast erfahren müssen. Gewiss, Sophie, es war meine Absicht, dich zuerst mit meinem Entschlusse bekannt zu machen. Deiner lieben Billigung wollte ich vor jeder andern sicher sein. Vergib mir, was gleichwohl nicht mein Verschulden war. Warum weinst du? fügte er nicht ohne Härte hinzu.

Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann, zu ihm hinsehend: Wäre es dir lieb, wenn der Gedanke an eine Trennung mich nicht erschütterte? —

R. stand auf und näherte sich ihr. Trennungen, sagte er, sind Bedingungen des Daseins, wer getrennt ist, darf darum nicht geschieden sein. Der Geist einer innigen, unnennbaren Liebe vereint nur umso fester, wo äußere Verhältnisse entfernen. Oh Sophie, möchtest du gleich mir empfinden, dass es eine Liebe gibt, welche in ihrer unerschöpflichen Tiefe über das gewöhnliche Leben sich erhebt! Als du mir deine Neigung schenktest, musstest du dir sagen, dass du fortan keinem gewöhnlichen Manne angehören werdest. Du hast dich genugsam zu überzeugen Gelegenheit gehabt, dass ich nicht denke, nicht handle wie die Mehrzahl; diese Betrachtungen haben deine Neigung nicht zurückgeschreckt, so habe denn auch jetzt die Kraft, mit der Hingebung mein zu sein, welche ich begehren darf. Kommt ein Gedanke in deine Seele, dass mein Tun und Wollen ein unrichtiges sei, so hast du mich nie geliebt, denn die Liebe erkennt weder Zweifel noch Fehler an. In ihr ist nur Glaube und Zuversicht. Einst, ich weiß es, dachtest du so, lass mir die Hoffnung, dass du es noch tust, oder hätte ich an Einfluss auf dich eingebüßt, seit ich das Geständnis meiner Neigung aussprach? —

Sophie blickte ihn mit einem edlen Ausdruck an, aber sie schwieg.

Mag denn, fuhr er nicht ohne Unmut fort, jetzt Alles zur Sprache kommen, was in der letzteren Zeit zwischen uns getreten ist; ich rechne dazu deine völlig grundlose Eifersucht, die wirklich, ganz nutzlos, nur dazu gedient hat, mich zu plagen.

Sophie sah ihn ruhig an: Hast du je einen Vorwurf von mir gehört?

Er lächelte: Und habe ich nicht jeden Tag einen Vorwurf von dir gesehen? Bedarf es dazu der Worte, und verstehe ich nicht selbst in deinen niedergeschlagenen Augen zu lesen? — Wie sehr, wie innig hatte ich gehofft, du werdest zu einer großartigeren Ansicht dich erheben können, als solche den Frauen im Allgemeinen eigen zu sein pflegt. Müsstest du nicht mit Bestimmtheit fühlen, dass Nichts mich wahrhaft von dir entfernen kann, dass jeder anziehende Reiz mich an dich erinnert, die so viel reizender ist, als alle anderen? Nie, nie noch hat ein fremdes Wesen mir das Gefühl eingeflößt, welches ich stets in deiner Nähe empfinde, das Gefühl, verstanden, gewürdigt, geliebt zu werden. Ist denn das alles noch nicht hinreichend?

Sophie errötete und entgegnete sanft: Mit dir streiten kann ich nicht, ich kann nur eines sagen, Eines wünschen: oh möge dir, wenn du einmal dein ganzes Lebensglück auf ein Herz setzest — möge dir dann ein besseres Geschick zu Teil werden, als mir geworden ist. —

Erschüttert wollte R. sie umfassen. Sophie! sagte er bewegt.

Sie bog sich zurück und fuhr fort: Ich weiß, du würdest die Fehlschlagung eines fest gehegten Wunsches nie verschmerzen, sie mir nie vergeben; so reise denn, aber sei dann auch glücklich; gönne mir den Trost wenigstens für so viel Entsagung! Hörst du? setzte sie mit weicher Stimme hinzu.

R. fuhr heftig mit der Hand über die Stirn und verließ rasch das Zimmer. —

Sophie blickte schmerzlich empor: Warum, oh warum! sagte sie leise und hielt dann wie erschrocken inne: Nein, nein, fügte sie hinzu, nie will ich bereuen, ihm mein ganzes Herz gegeben zu haben. Sie setzte sich und stützte den Kopf mit geschlossenen Augen an die Lehne des Sessels; nur an den Tränen, welche langsam über ihre bleichen Wangen rollten, sah man, dass sie lebe und leide.

Deutscher Novellenschatz 16

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