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R. an Sophie.

Halb beschämt bekenne ich den Empfang deiner Briefe und nehme, gewohnt von dir übertroffen zu werden, dankbar das Gute entgegen, ohne an eine genügende Nacheiferung zu denken. — Die Zeit ist mir hier gleich einem Traume vergangen, aber wie ein Traum, dessen Eindrücke bewusst in meiner Seele ruhen. Was man sieht und hört, fast möchte ich sagen, was man denkt, ist großartig. Gewiss, dass es einen äußern Maßstab gibt, der seinen Einfluss auf die Reden und Handlungen, selbst auf die Denkkraft geltend macht! Die Verhältnisse bilden den Menschen, gleich wie sie ihn beherrschen. Mir sind hier, in dem nebelumhüllten London, Gedanken gekommen, die ich daheim auf den Rebenhügeln meines Vaterlandes nie gefasst haben würde. Hier sind alle Betrachtungen mehr auf das reelle Interesse des Lebens und einer geistvollen Industrie gerichtet, dort lebt man der Gegenwart, die man nimmt und genießt, wie sie sich darbietet. An dauernde Bevorteilung durch zweckgemäße Einrichtungen und Umwälzungen denkt eben Niemand. Ein wahrhaft geistig befähigter Mensch steht in meinem Vaterlande vereinzelt, gleich der Palme, die in dem ihr nicht zusagenden Boden das Leben fristet, ohne frisch und kräftig die ganze Fülle der inneren Natur zu entwickeln. Sie heißt noch Palme, ohne es zu sein, ihr kümmerliches Dasein gibt eine schwache Vorstellung dessen, was sie unter günstigen Verhältnissen hätte werden können. Alles ist hier großartig, selbst die Sorglosigkeit, mit welcher man sich um das Zusammenrotten von Tausenden nicht kümmert, indessen zwanzig exaltierte Köpfe hinreichen, ganz Deutschland in Bewegung zu bringen. Freilich hat hier auch die Emeute einen andern Charakter, sie ist ganz volkstümlich, roh, kräftig, zerstörend, aber ohne feinere und tiefer demoralisierende Zwecke. —

Über die Dauer meines hiesigen Aufenthaltes ist noch nichts ausgemacht, es kann sein, dass ich die Hochlande und Irland bereise, möglich wäre aber auch ein ungesäumtes Aufbrechen nach Italien, wohin doch eigentlich ein innerer Sinn mich zu ziehen scheint. — Durch Steinbergs Empfehlung, der früher lange in England reifte, bin ich mit verschiedenen angesehenen und vornehmen Familien bekannt geworden, namentlich in dem Hause Mr. Wards, eines vortrefflich gebildeten Mannes. Er hat zwei Töchter, welche, reizend und einnehmend, an dich, an Emmy erinnern. Auch hier ist die jüngere blond, auch sie hat den ganzen Frohsinn unbefangener Jugend, aber man merkt es ihr an, dass sie von Anbeginn der feinsten Bildung teilhaftig geworden ist. Emmy ist ohne Zweifel sehr niedlich, aber ihr mangelt der Blütenhauch, den nur das Leben in den auserwähltesten Kreisen zu verleihen scheint. Immer, selbst in ihrem Mutwillen weiblich, flößt sie gleichwohl die Scheu nicht ein, welche man da empfindet, wo ein gewisses vornehmes Zurückziehen sich eigentlich mehr ahnen als bemerken lässt. — Vielleicht würde es dir gelingen, solchen Mangel ihr bemerkbar zu machen. Vieles in der Art lässt sich erwerben. — Die anmutige ältere Schwester erinnert mehr an dich, teure Sophie; auch aus ihrem Benehmen leuchtet übrigens das Gepräge einer Bildung, wie solche leider nur die Zirkel gewähren, in welchen diese beiden Damen aufgewachsen sind. Sie hat die schönsten Augen, welche ich jemals sah, Augen wie man sie überhaupt nur in diesem bevorzugten Lande erblickt, und deren eigentlicher Ausdruck ebenso wohl wie ihre Färbung sich schwer angeben ließe. Es liegt Alles darin, was zu rühren, zu beschäftigen und anzuziehen vermag. Diese angenehme Familie bewohnt einen Landsitz am Ufer der Themse, den man in jedem Lande der Welt beneidenswert nennen würde. Die Wohnung verdient den Namen einer Villa, in dem erfreulichen Sinne, welchen wir Nordländer damit verbinden, und ein vortrefflich eingerichteter Park, der zu den Ufern des schönen Flusses führt, erfreut die Lustwandelnden durch die Überlegung, womit man bei dessen Anpflanzung zu Werke gegangen. Das Wachstum, die Höhe und Ausbreitung jeglicher Baumart, ihr helleres oder dunkleres Grün, Alles scheint berücksichtigt worden zu sein; Alles gedeiht neben, miteinander in schönster Verbindung und Übereinstimmung. Nahe am Hause bewundert man den herrlichsten Rasen, die prachtvollsten Blumen und Gesträuche in glücklichster Mischung und Auswahl. England ist in Wahrheit die Heimat der Schönheit und der Blüten. — Dazu die Behaglichkeit der Wohnungen; überall gediegener, auf Bequemlichkeit berechneter Luxus und die größtmögliche Reinlichkeit. In solcher Beziehung habe ich hier zuerst Befriedigung empfunden. Bei uns fällt jede Nachahmung der Art traurig und kleinlich aus, was umso beklagenswerter ist, da geistige Befähigungen sich nur vollkommen da auszubilden pflegen, wo alle äußeren Eindrücke harmonisch auf dieselben einzuwirken im Stande sind. Not mag die Mutter der Erfindungen und der mehr materiellen Interessen des Lebens sein, aber nur im angenehmen Überfluss gedeiht das Schöne, das fein Geistige. Steinberg schreibt mir, dass er auf seiner Reise nach Österreich dich in Frankfurt aufzusuchen gedenke. Nimm ihn freundlich auf, ich wünsche sehr, dass du ihm gefallen mögest, dein Lob aus seinem Munde würde mich erfreuen. Er ist ein höchst angenehmer, durchaus geistreicher Mann, auf dessen Urteil ich den größten Wert lege. —

Lebewohl, teure, geliebte Sophie, und glaube es deinem Freunde, dass er an dich denkt, wie an den Engel seines Lebens. —

Deutscher Novellenschatz 16

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