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Von der Kunst, so viele „Rote Ampeln zu übersehen“

Von der Liebe – Wie habe ich sie gelebt?

Eine der ersten „Roten Ampeln“, die ich in meinem Leben „übersehen“ habe, zeigte sich mir mit dem Ende meiner ersten Partnerschaft, meiner sogenannten „ersten großen Liebe“. Unsere Beziehung hielt fast neun Jahre. Ging dann aber nahezu „wortlos“ auseinander. – Will damit sagen, dass mir nicht so wirklich bewusst war, warum die Trennung zum unabwendbaren „Muss“ wurde. Doch inzwischen ist mir klar, dass diese damalige Trennung unter den nahezu gleichen Vorzeichen verlief wie zwanzig Jahre später die Trennung von meinem Mann. – Von daher komme ich überhaupt auf die Idee, Ihnen davon zu erzählen.

Die ersten Jahre standen – wie könnte es anders sein – unter dem Glücksstern der „Liebe“. Wir teilten viele schöne Momente und erlebten eine sehr schöne Zeit. Unsere Studienjahre gingen dahin. Und je mehr wir uns dem Ende unserer Studienzeit näherten und jeder von uns entsprechend seiner Fachrichtung in die ersten Berufsjahre eintauchte, umso mehr spürten wir, dass gleichzeitig auch das Ende unserer „gemeinsamen Zeit“ gekommen war. Nach und nach trifteten die gemeinsamen Interessen auseinander. Wir sahen uns immer seltener. Und da wir beide an unterschiedlichen Orten beruflich tätig waren, trennten sich unsere Wege.

Auch wenn mir vom Verstand her klar war, dass diese Trennung unausweichlich war, hing ich emotional noch sehr lange an diesem Menschen und hielt mein „Klammern“ und meine Gefühle nach wie vor für Liebe. Doch wusste ich damals überhaupt schon, was Liebe ist? – Was es wirklich heißt zu „lieben“? – Worauf „Liebe“ gründet? – Woraus sie resultiert?

Für mich war bereits das Zusammensein, das mit-jemandem-in-Beziehung-Sein ein wesentliches Merkmal für Liebe. Wichtig waren für mich das „Vertraut-Sein“, das „Verbunden-Sein“. Unbewusst wichtig war mir jedoch: bloß nicht „getrennt“ sein, bloß nicht „alleine“ sein. Woher dieses Gefühl der wahnsinnigen Angst vor dem Alleinsein kam, wusste ich so viele Jahrzehnte nicht. Doch diese Angst in mir war unermesslich groß. Und sie war immer da. Ich bedurfte jetzt erst der Zeit meiner Seelen-Therapie um herauszufinden, warum diese Angst für mich so unermesslich groß war und sich auch derart dramatisch in meinem Leben auswirken sollte. Im Nachhinein betrachtet kann ich sagen, dass sie auf ungesunde Art und Weise alle meine Beziehungen beeinflusste. Wenn ich heute mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten vier Jahre auf mein Leben und vor allem auf meine Beziehungen schaue, dann war es jedes Mal nach der anfänglich romantisch verträumten Phase der Liebe, in der wir den anderen mit der „rosaroten Brille“ wahrnehmen, letztlich mehr eine „geschwisterliche“, eine „freundschaftliche“ Liebe. Und auch eine sehr „bedürftige“ Liebe. Eine Liebe mit dem Tenor „Ich brauche dich. – Du fehlst mir. – Ich fühle mich ohne dich nicht ganz.“

Mit einem mir lieben Menschen an meiner Seite verbunden zu sein, war mir so wichtig, dass ich den Partner so sein ließ, wie er es für sich haben wollte. War er da, waren wir in Beziehung. Dann war ich der glücklichste Mensch der Welt und fühlte mich endlich „ganz“. Fühlte mich allein schon durch seine Anwesenheit gesehen und geliebt. Mein Leben bekam im Grunde genommen erst durch den Partner eine Farbe und damit letztlich auch einen Sinn. – Nur mit einem Partner fühlte ich mich ganz. – Endlich nicht mehr leer. – Ich gehörte zu jemandem, und dies fühlte sich gut an. – So gut, dass ich es „Liebe“ nannte. Doch was ich über so viele Jahre hinweg „Verliebt-Sein“ und „in Liebe und gegenseitiger Wertschätzung verbunden Sein“ nannte, war in Wahrheit mehr (m)eine Flucht vor der Einsamkeit. Flucht vor dem Alleinsein. Flucht in die Hände eines Mannes, dem ich unbewusst mehr Rechte zugestand, als ich sie mir selber gab. Flucht in die Hände eines Mannes, dem ich treu ergeben war. In die Hände eines Menschen, von dem ich überspitzt gesagt irgendwie „abhängig“ war. Abhängig, weil ich nicht mit mir alleine sein konnte. – Abhängig, weil ich nicht mit mir alleine sein wollte. – Weil ich gar nicht wirklich wusste, was fängt „Frau“ so alleine mit sich an? Mein Rollenverständnis sowie mein Selbstverständnis als Frau war, dass man zwar – wir leben ja im Zeitalter der Emanzipation – auch einen eigenen Beruf und darin sogar Erfolg haben kann. Dass es aber überwiegend immer noch mehr im Aufgabenbereich der Frau liegt, zu kochen, zu backen, zu waschen, zu bügeln etc. Kurz gesagt: Den anderen, den Partner, umsorgen und verwöhnen. Sich um den anderen, um die Familie kümmern. Sich auf die Bedürfnisse des anderen einstellen. Diese Bedürfnisse und Wünsche am besten sogar noch erahnen, bevor sie ausgesprochen sind. Und diese Hingabe, diese „Selbstaufgabe“, dieses „für den anderen da-Sein“, das war für mich der Beweis an „Liebe“. Dass Liebe hingegen aus vielen verschiedensten Facetten besteht, das kam mir nicht in den Sinn. Schließlich wurde ich zu einer braven, anständigen und sittsamen Tochter erzogen, die folglich auch als Frau in dieser Rolle bestach. Entsprechend meiner Erziehung waren die Werte und Glaubenssätze, nach denen ich Partnerschaft lebte: „Treue bis in den Tod!“ – „Ich werde immer für dich da sein!“ – „Ich werde immer hart arbeiten und mein Bestes geben, damit es uns gut geht.“ – „Ich werde mich immer zuerst um andere kümmern.“ – „Ich werde meinem Partner immer mehr zugestehen und geben als mir selbst.“

Erst während der Zeit meiner Selbst-Therapie erkannte ich, dass diese Werte ein ziemlich selbstaufopferungsvolles und selbstzerstörerisches Muster in sich trugen. Sie waren alles andere als gesund für mich. Doch warum lebte ich mit der Last derartiger Werte? – Waren dies denn überhaupt meine Werte? – Habe ich sie mir zu meinen Werten gemacht, weil ich mit diesen Wertvorstellungen aufgewachsen bin? Mit der Zeit erkannte ich: Das waren mehr die Werte meiner Eltern und die Werte unserer Großeltern. Ich bin nur die Tochter, die Enkelin einer Nachkriegsgeneration, die sich mit Haut und Haar einem besseren Leben, dem sogenannten „Wiederaufbau“ verschrieben hatte. In mir lebte diese Ahnen-Energie. Diese gewaltige Überlebensangst, sowie eine übermächtige Angst vor dem Alleinsein mehrerer Generationen von Frauen, die den Ersten und Zweiten Weltkrieg erlebt hatten. Diese Ängste haben anscheinend nur den „Fahrersitz“ gewechselt. Sie springen von Generation zu Generation so lange weiter, bis diese Angst angenommen und verwandelt wird.

In unser aller Leben wird es immer ups and downs geben, doch worauf es ankommt, ist letztlich die Art und Weise, wie wir mit diesen Lebenskrisen und Lebenserfahrungen umgehen. Sehen wir das „halb leere Glas“ oder das „halb volle Glas“? – Akzeptieren wir dieses stete Auf und Ab in unserem Leben? – Nehmen wir diese Zeiten als „Lern-Chancen“ wahr oder verwehren wir uns dagegen und verfallen stattdessen in Selbstmitleid? – Die Entscheidung darüber liegt letztlich ganz bei uns. Je nach Familiensystem, nach familiärem Erbe, in dem wir aufgewachsen sind, gelingt uns das aufgrund frühkindlicher Prägungen und Erfahrungen besser oder weniger gut. Doch uns allen ist die Chance gegeben, unser Bewusstsein zu wandeln, unseren Horizont zu erweitern und damit den Blick zu ändern, mit dem wir auf die zahlreichen Herausforderungen und Situationen in unserem Leben schauen. Uns allen ist die große Chance zur Verwandlung alter Muster gegeben. Wir müssen nicht steckenbleiben in alten Verhaltensweisen, Überzeugungen, Glaubenssätzen oder gar Dramen. Sie wiederholen sich so lange in unserem Leben, bis wir bereit für die Veränderung sind. Erst wenn wir uns mutig und beherzt diesen „alten Geistern“ stellen, befreien wir uns von ihnen. Doch nicht nur uns, sondern auch unser ganzes Familiensystem.

Alleinsein = „Angst essen Seele auf!“

Um dieser Angst zu entfliehen tat ich viel, um mir die jeweilige Beziehung zu erhalten. Ich machte die Beziehung zu meinem „Rettungsanker“, um nur ja nicht allein durch diese Welt zu gehen. Was mir damit aber nicht klar war, war, dass ich damit unbewusst meinem Partner so viel mehr an Einflussnahme und Macht über mich gab, bis ich für mich selbst immer mehr an eigener Substanz, Farbigkeit und Persönlichkeit verlor. Über die Zeit hinweg verschmolz ich förmlich mit meinem Partner. Man könnte auch sagen, wurde immer mehr zu einer „un-selbst-ständigen“ Person. Einer Person, die sich selbst immer weniger wahrnahm, geschweige denn ihre Bedürfnisse und Wünsche überhaupt noch kannte. Aufgefallen ist mir dies allerdings erst als ich alleine war und so gut wie nichts mehr mit mir selbst anzufangen wusste, weil mir mein Gegenüber fehlte, das mir bis dato in meinem Leben Halt und Orientierung gegeben hatte. Nach meinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen befragt, wusste ich lange Zeit keine Antwort zu geben. So weit war ich von mir selbst weg, dass ich für mich selbst erst wieder „das Laufen lernen musste“.

Das Lebensmotto, dem ich mich in meinen Beziehungen verschrieben hatte, lautete: „Geht es dem Partner gut, geht es mir gut.“ Also sorge ich dafür. Und für die Erfüllung dieses „ungeschriebenen Gesetzes“ tat ich viel. Mitunter sehr viel sogar. – Eigentlich der blanke Wahnsinn. Denn ich verlor dabei völlig den Bezug zu mir selbst. Ich hatte das Gefühl, dass es meine oberste Pflicht als Frau ist, die Wünsche des Partners zu erfüllen. Und wo immer es ging, sie ihm nach Möglichkeit sogar noch unausgesprochen von den Augen abzulesen.

Mit dieser mir unbewussten Handlungsmaxime war ich ganz und gar die „brave Eva“, begab mich privat in die „Falle“ von Unselbstständigkeit und Überangepasstheit. Man kann fast schon sagen einer Art von „Unterwürfigkeit“, denn im Grunde genommen gab ich so einen wesentlichen Teil von mir selbst auf. Und aufgrund meiner Harmoniesucht versäumte ich es, auch einmal die rebellische, die kraftvolle, die wilde und vor allem auch eine trotzige und streitbare Amazonin, ein „Lilith“, zu sein.

In meinen Partnerschaften gab es zwar dieses anfängliche Verliebt-Sein, dieses die Welt durch eine rosa Brille-Sehen, diese Schmetterlinge im Bauch und noch so manches mehr. Doch ist diese Zeit dann irgendwann vorbei, dann stehe ICH da, und weiß nicht recht, wie ich mir die Liebe erhalten kann. Statt mich gemeinsam mit meinem Mann einer gesunden Beziehungsarbeit zu widmen, versank ich immer mehr in den alltäglichen Dingen, die unser Dasein bestimmten, sodass unsere Beziehung und unser Leben immer mehr nur noch zu einem bloßen Funktionieren wurden.

Mein Partner – mein Spiegel

Meine allerbeste Projektionsfläche für alle meine Gefühle und auch für die unbewussten Themen, Probleme und Stimmen der Vergangenheit.

Was meinen wir wirklich, wenn wir dem anderen sagen, dass wir ihn/sie „lieben“?

Gebrauchen wir diese Formel „Ich liebe dich!“ nur, um den anderen unbewusst (!?) wissen zu lassen: „Ich brauche dich, weil ich mich sonst alleine fühle, weil ich sonst einsam bin, weil ich sonst nicht ganz bin!“

Was heißt es, jemanden wirklich zu lieben? – Was bedeutet es, sich im anderen zu entdecken? – Kann ich jemanden zu viel lieben? – Was meint die Liebe wirklich? – Wofür will sie uns öffnen? – Was hat sie uns zu sagen? – Was hat sie uns zu lehren?

Aus meiner heutigen Sicht würde ich im Ergebnis sagen, dass ich die Situation als Kind und Jugendliche innerhalb der Familie und der Jahre mit meinem Ex-Mann genau so erfahren musste, um endlich zu begreifen, wo ich mit der Liebe zu mir selbst überhaupt stand. Und ich muss sagen: Das Ergebnis war sehr ernüchternd, wenn nicht sogar absolut erschütternd. Es hat mich zutiefst betroffen gemacht, mehr noch, zutiefst schockiert, erkennen zu müssen, dass ich mich selbst ja gar nicht liebte. Ich funktionierte einfach nur. Über die Liebe zu mir selbst nachzudenken, das kam mir gar nicht in den Sinn.

Selbstliebe – allein das Wort war irgendwie schon verpönt. Dafür hatte ich keine Zeit und keinen Sinn. Stattdessen gab es da diese Vielzahl negativer Gedanken und Gefühle, die ich gegen mich hegte, die begleitet waren von Sätzen wie: „Du bist nicht gut genug.“ – „Du bist es nicht wert, geboren zu sein.“ – „Du bist nicht erwünscht.“ – „Du bist nur eine Frau.“ – „Du bist viel zu anstrengend.“ All diese Gedanken zeigten mir, dass ich mich selbst und damit auch mein Frau-Sein ablehnte. Alles, was ich tat, konnte in den Augen der anderen noch so sehr als gut befunden werden, doch ich selbst war NIE wirklich zufrieden mit mir. Die Kritikerin in mir war ständig präsent. Und ich wusste nicht, wie ich sie besänftigen bzw. abschalten konnte. Kurzum: Ich genügte mir nicht. – Die meiste Zeit über war mein Blick auf mögliche Fehler sowie auf meine Defizite gerichtet. – Können Sie sich in etwa ausmalen und vorstellen, wie sich dies auf das Lebensgefühl auswirkt? – Grausam! Fatal! – Sie sind ständig defizitorientiert und haben das Gefühl, dass Ihnen etwas Entscheidendes fehlt. Und danach suchen Sie Ihr Leben lang und sind dabei getrieben von der Hoffnung, es irgendwann einmal zu finden. Und zu alledem war da diese Angst, mir selbst meine Daseinsberechtigung zu geben bzw. mir selbst gegenüber überhaupt in Liebe zu sein, bzw. mir selbst wohlwollend und wertschätzend zu begegnen.

Das Gottesbild der Kindheit darf sich wandeln

Jesus lehrte uns „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ – Das Problem bei mir war nur, dass ich diesem kleinen Wörtchen „WIE“ überhaupt keine Bedeutung beigemessen hatte. Ich hörte nur „Liebe deinen Nächsten!“. Den Rest gab’s für mich nicht. Warum? – Kann und darf sich ein schwarzes Schaf denn lieben? – Ja, Sie lesen richtig. Ich bezeichne mich hier als das „schwarze Schaf“, denn als solches habe ich mich die ganze Zeit gefühlt. – Weshalb?

Ich komme aus einem sehr religiösen Haushalt. Römisch-katholische Erziehung. – Erinnere ich mich an die Kindheit, waren das Einhalten der Zehn Gebote, regelmäßige Gottesdienstbesuche und die Einhaltung der Familienregeln oberstes Gebot. Ich ging regelmäßig zum Gottesdienst und zur Beichte. Sang im Kirchenchor und nahm auf diese Art und Weise an all den Kirchenfesten und Traditionen teil, die das Jahr so mit sich bringt. Nur tief in mir war ich irgendwie anders religiös als der Rest der Familie. Ich interessierte mich für Gott, aber anders als es der Tradition in meiner Familie entsprach. Ich wollte Gott freier begegnen, anders als mit dem wöchentlichen Diktat von „Du musst sonntags in die Kirche gehen.“ Ich glaube, der nicht gelebte Rebell in mir lebte genau hier sein Trotzverhalten gegenüber den Gepflogenheiten meiner Familie aus. Und so kam es, wie es kommen sollte, dass ich während meiner Studienzeit und auch in den Jahren danach immer weniger zu den Gottesdiensten und damit in die Kirche ging. Doch wenn ich bei der Familie zu Besuch war und mich meine Mutter auch nur ganz harmlos fragte, ob ich denn überhaupt noch zur Kirche gehe, dann wurde in mir sofort eine Erinnerung aus Kindertagen wach, die ich mir als ein Muster eingeprägt hatte im Sinne von: „Gott sieht alles. Gott hört alles. Gott weiß alles. Gott straft alles.“

In Sekundenschnelle war das Gefühl da von „Ich bin nicht gut. Ich habe mein Leben als Christin, als gute Katholikin, als gottesfürchtiger Mensch verwirkt.“ Ich fühlte mich zum einen schlecht und schuldig, zum anderen trotzte ich, denn ich wollte endlich frei sein von irgendwelchen Reglementierungen. Wollte meine eigenen Entscheidungen darüber treffen, wie ich meinen Glauben leben will und mir dies nicht vorschreiben lassen. Wenn es für mich um Religion und Glaube geht, dann hat das – völlig frei und unabhängig von einer kirchlichen Lehre – ganz viel zu tun mit der „religio“, der Rückverbindung zu Gott. Mit dem klaren Wissen darum, dass Gott immer für mich da ist. Dass ich mit ihm und durch ihn lebe. Er freut sich, wenn ich ihm von mir erzähle. Er hört mir zu, wenn ich Sorgen und Probleme habe. Er liebt es, wenn ich mich ihm anvertraue und wenn ich ihm mit allem, was da ist, vollkommen vertraue, da er am besten weiß, was meine Seele braucht um zu lernen und zu wachsen. Für mich war es dringend notwendig das Bild eines strafenden Gottes – so wie ich ihn aus der Kindheit heraus kannte – zu wandeln, hin zu einem Gott, der uns alle bedingungslos liebt. Da ich mich aber als junge Frau jahrelang vor dem scheinbar „strafenden Gott“ versteckt hatte, musste ich mich erst wieder auf die Suche nach ihm machen und mir dabei selbst eingestehen, dass ich mich allein aus kindlichem Trotzverhalten heraus von ihm getrennt hatte. Er war immer für mich da. Nur mein Blick auf ihn war falsch, weil unbewusst von dieser kindlichen Angst geprägt. Und nicht nur mein Blick. Auch mein Denken darüber, dass Krankheiten, Unfälle, Widrigkeiten in unserem Leben Gottes scheinbare Strafe für ein nicht gottgefälliges Leben sind.

Es dauerte seine Zeit, bis ich wieder zu Gott fand. Anfangs habe ich ihm seitenweise Briefe geschrieben und ihm alles erzählt, wie es um mich steht. Erst nach und nach fing ich dann an, mit ihm zu sprechen, so wie man sich mit dem besten Freund unterhält. Irgendwann bemerkte ich dann immer mehr, dass er mir auf alle meine Fragen eine Antwort gab und mich nie alleine ließ. Er war sogar rund um die Uhr für mich da. Gott erklärte mir, dass es zwar schön ist, wenn ich ihn in der Kirche aufsuche um zu beten, zu meditieren oder mit anderen Gläubigen Gottesdienste zu feiern, dass er sich aber genau so sehr darüber freut, wenn ich ihn an anderen Orten besuche. Auf meinem Weg zurück zu Gott lernte ich immer mehr, dass er einfach überall ist. In jedem Menschen, denn er wohnt in unseren Herzen. Dort hat er sich einen Platz reserviert, um mit uns – wenn wir dies wollen – gemeinsam durch unser Leben zu gehen. Außerdem wohnt er in jedem Tier, in jeder Pflanze. In der belebten wie der unbelebten Natur. Gott verkörpert die Schöpfung und ist somit alles. Somit ist er für mich fühlbar und lebendig in allem, was da ist.

Heute bin ich mir der Präsenz meines Gottes so bewusst wie noch nie und kann aus ganzem Herzen sagen: „Gott wohnt in mir. Ich bin sein Kind.“ Heute beginne und beende ich den Tag im Gespräch mit Gott. Und dass das so ist, ist wunderschön und tut unwahrscheinlich gut. Ich kann jeden Tag mit Gott meine Gedanken klären. Teile mit ihm Freud und Leid. Gehe ich abends aus irgendeinem Anlass heraus mit Traurigkeit, Schmerz, Sorgen oder Ängsten zu Bett, die ich vorher Gott anvertraut habe, dann spüre ich morgens bereits beim Aufwachen, dass sich Gott dieser Probleme angenommen hat, dass er bereits wieder um eine Lösung weiß. Er liebt mich so sehr, dass er sich in allem stets nur das Beste für mich wünscht. Und er lässt mich im Kleinen wie im Großen jeden Tag aufs Neue so viele seiner Wunder erleben. Ich musste nur selbst erst lernen, diese Wunder zu sehen. Ich musste erst von zuhause weg und mich als Frau der Aufgabe widmen, mit Gott auch mal zu streiten, zu zürnen, mit ihm zu ringen, mir ein anderes, mein eigenes Gottesbild zu erschaffen. Und dieses neue Bild erlaubt mir heute zum Glück ein ganz anderes Denken, Fühlen, Sehen und Erleben von und mit Gott.

Heute weiß ich, dass Erwachsenwerden auch bedeutet, dass sich das Gottesbild unserer Kindheit wandeln darf, ja mitunter sogar wandeln muss. Und dabei ist es wichtig, dass wir uns erlauben, dass wir selbst wissen, was Gott für uns ist und wie wir ihm im Leben begegnen. Und Gott hat mir erklärt: Es ist wichtig, dass wir aus einem ganz anderen Blickwinkel heraus auf all die Ereignisse und Begebenheiten in unserem Leben schauen. Denn dann stellen wir fest, dass all die Dinge, die in unserem Leben geschehen, nicht irgendwelche „Richter-Sprüche“ eines strafenden Gott-Vaters sind. Sondern dass alles, was wir in unserem Leben an diversen Herausforderungen, ja sogar an Krankheiten, sogenannten Schicksalsschlägen und Krisen erleben, einzig und allein ausschließlich Lernaufgaben sind. Lernaufgaben, die uns als Menschen ereilen, weil wir Seelen sind, die immer wieder in menschliches Leben inkarnieren, um diese Erfahrungen überhaupt machen zu können, da wir sie nur in einem menschlichen Körper machen können. Deswegen sind wir hier. Und ja, manchmal sind diese Erlebnisse wunderbar. Dies nennen wir dann die „guten und schönen Zeiten“ in unserem Leben.

Doch es gibt auch Ereignisse und Krisen, wo wir das Gefühl haben, als könnten wir im Hinblick auf diese Herausforderungen nicht bestehen. Das nennen wir dann die „schlechten Zeiten“, über die wir alle nicht gerne reden. Und trotzdem sind für uns auch diese Zeiten bestimmt. Für den einen früher, für den anderen später. Für so manchen scheinen sie eine „Dauergabe“ zu sein. Je nachdem wie viel wir uns zu lernen für dieses Leben vorgenommen haben. Ganz gemäß der Regie unseres Lebensplans. Gemäß dem Lebensentwurf, den wir vor unserer Inkarnation mit Gott-Vater so besprochen haben. Nur haben wir durch den Prozess unserer Geburt und durch den Eintritt in dieses Leben die Erinnerung an die mit Gott getroffenen Vereinbarungen vergessen. „Vergessen“ hier gemeint als ein natürlicher Schutz-Reflex, weil wir uns sonst im Gewahr-Sein all dessen, was wir uns als Lebensaufgabe ausgesucht haben, unter Umständen mehr in der Angst als in der Hingabe an unser Leben befinden würden.

„Die Seele nährt sich von dem, worüber sie sich freut.“

Augustinus

Ein schleichender Prozess

In den letzten dreizehn Jahren sollte ich so viel Wandel und Neuerung in meinem Leben erfahren, dass ich aus heutiger Sicht nur sagen kann: Gut, dass wir nicht wissen, was morgen unsere Realität oder Lernaufgabe ist. Wir würden uns viel zu viele und manchmal auch viel zu unnötige Sorgen machen. So gesehen gut, dass uns die Dinge vielmehr überraschen, auch wenn sie uns – wie in meinem Fall – mitunter aus der Bahn werfen. Kaum war eine Herausforderung vorbei, war die nächste auch schon da. Dabei hatte ich die aus den Jahren davor noch gar nicht ausreichend reflektiert, verarbeitet oder gar verinnerlicht. Alles nahm noch mehr an Tempo, an Geschwindigkeit, an Fahrt auf. Ich glaubte zwar nach wie vor, noch selbst am Steuer meines Autos, sprich meines „Lebens“ zu sitzen, doch anscheinend hatte bei mir das Unbewusste mehr die Regie, die Führung übernommen. Und so kam immer mehr eines zum anderen. Im Laufe der letzten Jahre gab ich jeder meiner „Roten Ampeln“ eine Jahreszahl und einen Namen, damit Sie sich in etwa vorstellen können, was das Thema, die Lernaufgabe dahinter war. 2007 beruflicher Standortwechsel und damit zusammenhängend jede Menge neuer Herausforderungen: neues Aufgabengebiet, neue Kollegen, neue Klassen … 2008 bedurfte ich einer Operation. Die Operation selbst verlief gut, doch ich brauchte relativ lange, bis ich insgesamt wieder zu Kräften kam, was wohl mitunter auch daran lag, dass mein Immunsystem seit meiner Hodgkin-Erkrankung, die ich zehn Jahre zuvor hatte, doch noch mehr in Mitleidenschaft gezogen war als ich mir das hatte eingestehen wollen.

2010 wurde das Ganze für mich beruflich gesehen zum Glück zwar wieder etwas leichter, doch dafür ergab sich auf der privaten Bühne meines Lebens eine ganz andere herausfordernde Situation. Und die hatte letztlich sehr fatale Auswirkungen, vor allem für mich als Frau. Worin diese Herausforderung bestand? Mit 49 Jahren verlor ich meine ganzen Haare. – Diagnose: Alopecia totalis. Innerhalb von nur drei Monaten verlor ich büschelweise meine Haare. Anfangs noch an Stellen, die über das Deckhaar noch einigermaßen geschützt waren. Doch schon bald musste ich mich der traurigen Realität stellen und bedurfte letztlich einer Perücke, denn den Mut zu einem Kahlkopf hatte ich nicht. Dieser Tatsache ins Auge zu sehen, war für mich mehr als schockierend. Es war, als breche eine Welt auseinander. Und das tat sie auch. Diese Alopezie beraubte mich eines Teils meiner weiblichen Attribute. Ich verlor nicht nur die Haare, sondern auch die Augenbrauen und die Wimpern. Meinem Selbstbild nach war ich gänzlich entstellt. Ich erlebte die Alopezie wie eine Amputation. Mit dem Verlust meiner Haare war für mich ein wesentlicher Teil meines Frau-Seins, meiner Ausstrahlung dahin. Mein Schönheitsideal bekam einen gewaltigen Riss. Doch das Schlimmste daran war für mich diese Ohnmacht, wie dieser Krankheit zu begegnen ist. – Diese tiefe Ohnmacht.

So begann für mich neben der Schule in den darauffolgenden Jahren eine zusätzliche und vor allem auch emotional sehr anstrengende Odyssee von Arzt zu Arzt, von Heilpraktiker zu Heilpraktiker, um zum einen mögliche Ursachen für diese Alopezie ausfindig zu machen und zum anderen Wege zu finden, diese Diagnose eventuell wieder rückgängig zu machen. Doch das, was mir die Ärzte sagen konnten, war in den meisten Fällen immer nur das Gleiche. In aller Regel war die Antwort zunächst ein Achselzucken bzw. ein Kopfschütteln, dann der Verweis auf die Wechseljahre. Die Ärzte gaben sich alle Mühe meine Schilddrüse auf die richtige Medikamentengabe einzustellen, bzw. meinen Hormon-Status wieder besser in den Griff zu bekommen. Doch die Hoffnung darauf, dass diese Symptomatik vielleicht nur vorübergehender Natur war, schwand mit der Zeit immer mehr. Keiner konnte mir letztlich sagen, worin dieser Haarausfall ursächlich begründet war. Vermutungen gab es viele, doch sie haben mich im Ergebnis nicht weiter- und dem Wunsch auf Heilung leider nicht nähergebracht. Was ich immer wieder gesagt bekam, war letztlich, dass dieser extreme Haarverlust wohl eine Spätfolge der Bestrahlung meines Hodgkin war, und dass ich lernen müsste mit dieser gesundheitlichen Situation zu leben. – Was für ein Schock diese Diagnose für mich als Frau war, das konnte leider niemand nachvollziehen. Für mich selbst war sie so niederschmetternd, dass ich damals bereits einen Großteil meiner Lebensfreude verlor und mich stattdessen tiefe Trauer und ein Gefühl von grenzenloser Ohnmacht ereilte. Wie sehr sich mir dieser psychische Schmerz in den folgenden Jahren noch zeigen sollte, das konnte ich damals noch gar nicht vollständig erahnen. Körperlich so „gezeichnet“ suchte ich noch mehr Ablenkung in meiner Arbeit. Suchte dort etwas wie Trost und Halt. Doch im Grunde genommen versteckte ich mich nur hinter all den beruflichen Aufgaben und war froh, dass es sie gab. Denn je mehr an Arbeit es gab, umso weniger musste ich über mich nachdenken. Welch schwacher Trost. – Kein guter Trost. – Im Grunde genommen war es nur Flucht. Eine Flucht, die mich letztlich zwar mein berufliches Lebensziel erreichen ließ. Doch was war der Preis dafür? – Ein viel zu hoher Preis, den ich dafür zu zahlen hatte.

2010/11 erkrankte mein Vater und verstarb 2012 an den Folgen diverser Erkrankungen, die sich in den letzten zwei Jahren immer mehr bei ihm gezeigt hatten. Diese erste tiefere Begegnung mit dem Tod eines mir lieben Menschen, der mir so etwas wie Sicherheit gegeben hatte, war schon damals nicht leicht für mich zu verkraften und forderte mich heraus. 2012 wurde ich dann zur Schulleiterin ernannt und hatte somit das Ziel meiner beruflichen Träume erreicht. Was dieser neue Schul- und Standortwechsel für mich im Einzelnen bedeutete, ist Ihnen schon bekannt. Und so gut ich es vermochte und konnte, schritt ich auch weiterhin mutig voran. Schließlich wollte ich so etlichen meiner Visionen von einer gesunden und in die Zukunft weisenden Schule aus dieser Position heraus Leben geben und somit meinen Werten, Idealen und Träumen nach und nach Substanz geben.

2013 war ich dann wie vom Donner gerührt, als ich eines Abends im Mai von meinem Mann gesagt bekam, dass er sich von mir trennen werde. Das war nun eindeutig zu viel. Mit so einer Hiobs-Botschaft hatte ich in meinem Leben nicht auch noch gerechnet. – Wir hatten zwar seit geraumer Zeit gemerkt, dass unsere Beziehung eine andere Qualität bekam, doch bevor es zwischen uns überhaupt zu einem klärenden Gespräch kam, war mein Partner bereits eine andere Beziehung eingegangen. 2014 wurde unsere Ehe dann geschieden, trotz insgesamt zwanzig Jahren intensiver Verbundenheit und vieler glücklicher Stunden. Doch das Glück entzieht sich uns, wenn wir vergessen, es regelmäßig zu hegen und zu pflegen. – Und an diesem Vergessen waren wir leider beide beteiligt. Jeder von uns auf seine Art.

2015 lernte ich dann einen anderen Mann kennen. Ich war mal wieder bis weit über beide Ohren verliebt. Und dieser Partner erwiderte diese Liebe. Ich hatte mit solch intensiven Gefühlen nach all dem Trennungsschmerz von meinem Ex-Mann gar nicht mehr gerechnet. Doch da ich beruflich sehr stark eingebunden war, und es mir aufgrund der Trennung so lange Zeit überhaupt nicht gut ging, war ich mehr als dankbar für diese sich neugestaltende Beziehung, denn dieser Mann kam zu einer Zeit in mein Leben, als ich dieses schon fast aufgeben wollte. Ich war folglich nicht nur verliebt, sondern auch dankbar, dass er mich von diesem Vorhaben abhielt. – Sollte es mir tatsächlich wieder möglich sein, dieses verletzte Herz zu öffnen? – Sollte ich vom Leben eine neue Chance bekommen, sodass die alten Wunden der Trennung wieder heilen können? – Wie ein „Backfisch“ war ich verliebt bis über beide Ohren. Und so gab ich mich den Träumen von einer wunderschönen neuen Liebe und Partnerschaft hin. Schade nur, dass diese Beziehung, die für mich so vielversprechend begann, 2016 ein äußerst tragisches Ende dadurch nahm, dass dieser Mann mit all seinem Bemühen nicht wirklich mich meinte, sondern nur an meinem Geld interessiert war. So wurde dieser „Traum von einer neuen Liebe“ für mich zu einem reinsten Horror-Szenario. Wie sich leider herausstellte, hat er mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um sehr viel Geld betrogen. Was für eine erneute Demütigung. – Was für eine Verletzung. – Was für ein Schock. – War ich denn überhaupt noch bei Sinnen? – Wie konnte das denn überhaupt geschehen? – Warum hat sich mein Verstand in all der Zeit nicht gemeldet? – Warum vertraute ich so sehr einem Gefühl von Verliebt-Sein? Ich könnte mir an dieser Stelle noch viele Fragen stellen, doch letztlich wozu? – Das Drama war bereits geschehen.

Durch diese Geschichte habe ich letztlich ganz das Vertrauen in mich selbst, in meine Gefühle und in all mein Handeln verloren. Mein Geist, mein Verstand, meine Vernunft hatte so was von ausgesetzt. Im Nachhinein scheint mir, war ich damals, was diese Geschichte anging, nicht mehr Frau meiner Sinne. Wer da am Werk war mit Denken, Handeln, Reagieren und Tun, diese Frau kannte ich nicht. Diese Frau war mir so was von fremd. Und was das Schlimmste war: Ich konnte nicht wirklich darüber sprechen, weil ich mich so unwahrscheinlich schämte. Dass mir so etwas passieren sollte, das konnte und wollte ich einfach nicht glauben. In mir sträubte sich alles ob einer solchen Realität. Und doch wurde genau dies meine Realität. Eine weitere sehr traurige Realität. Und für mich das „i-Tüpferl“ an persönlichem Leid kennen Sie bereits: Der Tod meines Zwillingsbruders. – Mir war, als sei mit seinem Tod auch ein großer Teil von mir gestorben. – Einfach mit ihm fort gegangen. Unauffindbar und unerreichbar weggegangen. Können Sie sich vorstellen, dass ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch dachte: Warum er? – Warum nicht ich? – Warum musste ich bleiben? – War das fair?

Meine Seele will endlich fliegen

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