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Was hat mich in diese Situation gebracht?
Mehr oder weniger un-bewusste Weg-Gefährten
Da ist sie wieder, diese Stimme, die sich immer wieder meldet. Diese innere Kritikerin. Dabei habe ich ihr schon so oft gesagt, dass ich bestens auf ihren Kommentar verzichten kann. Doch anscheinend glaubt sie mir das noch immer nicht. – Mein Unterbewusstsein scheint wieder mal klüger und vor allem schneller zu sein als mein bewusstes Ich. Schließlich habe ich ersteres über Jahrzehnte hinweg internalisiert. Somit konnten sich Glaubenssätze wie „Du bist nicht gut genug!“ – „Du kannst das nicht!“ – „Du verdienst weder Wertschätzung, noch Erfolg!“ bestens einnisten in meinem System. – Das Entscheidende ist jetzt nur:
Wie diese falschen Muster wieder loswerden, wenn „Frau“ ihr halbes Leben damit zugebracht hat, diesen Botschaften immer wieder Glauben zu schenken? – Woher rührt dieses Problem? – Wann hat das angefangen? – Woher kommen diese Selbstzweifel? – Warum immer wieder diese das Selbst sabotierenden Gedanken? – Wer hat sie verursacht? – Wem dienen sie? … Diese und noch viele weitere Fragen lassen sich hier stellen.
Viele Fragen – viele Antworten. Im Grunde genommen ist ihnen allen eine Botschaft wichtig: „Hör endlich auf, dir mit all diesen alten Mustern und Glaubenssätzen ständig den Boden unter den Füßen wegzuziehen! – Hör endlich auf, dich mit Sätzen wie „…“ fertig zu machen. Du verdienst etwas Besseres. Du verdienst anderes. Du verdienst es glücklich zu sein. Es ist dein Geburtsrecht glücklich zu sein. Und du bist gut, ganz so wie du bist!“ Wenn es doch nur so einfach wäre, meinen Geist umzulenken auf diese letztgesagten Worte. Wenn dies doch nur so einfach wäre. Gott, wäre ich froh! – Froh, dankbar, glücklich und zufrieden zugleich.
Inzwischen gibt es auf dem Literaturmarkt eine Flut von Lebensratgebern, und im Internet reiht sich ein Blog an den anderen. Vielen von ihnen liegt das Thema „Selbstwert, Selbstakzeptanz und Selbstliebe“ am Herzen. Jeder Autor, jeder Seminarleiter, jeder Blogger geht dabei mehr oder weniger auf der Grundlage seiner beruflichen wie privaten Erfahrungen an die Themen heran. Immer mehr von ihnen teilen ihre Erfahrungen und Lernprozesse mit, was diese Berichterstattungen für den Leser dann umso ehrlicher und authentischer erscheinen lassen. Denn im Grunde genommen trifft das übergeordnete Thema „Selbstwert und Selbstliebe“ auf jeden Einzelnen von uns zu. – Ganz egal ob Frau oder Mann.
Wenn wir ehrlich sind, hat jeder von uns früher oder später sein Thema damit. Ausnahme vielleicht die Kinder und Erwachsenen, die Eltern haben, die Eltern hatten, die wiederum Eltern hatten, die Eltern hatten, die … ihre Kinder im Hinblick auf ihr Selbstbild bereits so gesund und bewusst erziehen konnten, dass sich überwiegend lebensbejahende und optimistisch denkende junge Seelen daraus entwickeln konnten. Wenn dem nicht so war, dann haben die Eltern in der Erziehung ihrer Kinder zwar dennoch stets das Beste gegeben. Doch können Eltern auch nur geben, was sie selbst an positiver Lebenseinstellung, gesundem Selbstwert und Selbstliebe zu geben haben. Mangelte es ihnen selbst aufgrund ihrer eigenen Erziehung, die sie erfahren haben, daran, wie sollen sie es dann ihren Kindern geben? Doch wer ist nun schuld daran, dass viele von uns sich selbst ein Leben lang mehr kritisieren als lieben?
Eine interessante Frage. Lassen Sie mich fürs Erste zwei wichtige „Erziehungsideale“ unserer Zeit gegenüberstellen, ohne dass ich Ihnen eine weitere Erläuterung dazu gebe.
Achten Sie einfach auf die Worte. Hören Sie auf die jeweilige Botschaft. – Spüren Sie die Energie, die hinter diesen Aussagen steht?
Variante I
Was ein Kind gesagt bekommt
„Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit, die kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.“
Nach diesem „Erziehungsideal“ von Bertolt Brecht wurden wohl die meisten unserer Eltern erzogen, weil ihre Eltern selbst nach diesem Muster erzogen worden waren. – Sie kannten es folglich nicht anders und haben von daher diesen Erziehungsstil mehr oder weniger ebenfalls übernommen. Entsprach er doch einem ganz bestimmten Zeitgeist, auf den ich später noch zu sprechen komme.
Eine andere Art ein Kind zu erziehen, zeigt Variante II. Lassen Sie sich von diesen Worten inspirieren. Spüren Sie auch hier in die entsprechende Botschaft der Worte hinein. Wie fühlen sich diese Aussagen an? – Was schwingt für Sie in diesen Ratschlägen mit? – Was ist das Besondere an dieser Art zu erziehen?
Variante II
Was ein Kind lernt
„Ein Kind, das wir ermutigen, lernt Selbstvertrauen.
Ein Kind, dem wir mit Toleranz begegnen, lernt Offenheit.
Ein Kind, das Aufrichtigkeit erlebt, lernt Achtung.
Ein Kind, dem wir Zuneigung schenken, lernt Freundschaft.
Ein Kind, dem wir Geborgenheit geben, lernt Vertrauen.
Ein Kind, das geliebt und umarmt wird,
lernt zu lieben und zu umarmen
und die Liebe dieser Welt zu empfangen.“
(Verfasser unbekannt)
Was sagen Sie dazu? – Lassen Sie beide Erziehungsstile einfach auf sich wirken. Nehmen Sie ihre Botschaft mit. Ganz besonders die Energie, die sich „unausgesprochen“ zwischen den Worten verbirgt. – Wie sehr sich der graduelle Unterschied in unser aller Leben auswirken kann, das werden wir an geeigneter Stelle noch sehen. Wunderschön finde ich, was bereits Johann Wolfgang von Goethe zur Erziehung von Kindern zu sagen wusste. Seine Kernbotschaft zum Wesen einer idealen Erziehung lautet: „Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“
Doch nach diesem kurzen Exkurs in die Welt der Erziehung wieder zurück zum Thema des Buches. Sie werden hier und da selbst immer mehr merken, unbewusst schwingen diese Erziehungsvarianten mit. – In welcher Art, das werden Sie noch sehen.
Und in der Lebensmitte senkte sich eine dunkle Wolke herab
Wenn ich es genau betrachte, war es nicht nur „eine dunkle Wolke“, die sich herabsenkte, für mich fühlte es sich so an, als hätte sich der ganze Himmel gegen mich verschworen. Immer mehr, immer unnachgiebiger, immer kompromissloser wurde ich in ein tiefes „Schwarz“ gehüllt. Schwere Wolken, beängstigende Wolken, Unwetterwolken, Gewitterwolken … – sie alle umgaben mich. Hüllten mich immer mehr ein. Nach und nach bemächtigten sie sich meiner Sinne und raubten mir die Luft zum Atmen. Schließlich und endlich nahmen sie mir die Sicht auf das, was ich noch „Leben“ nennen konnte, und wie so oft schon hatte ich wiederholt diesen „Traum“. Nun, eigentlich ist es kein Traum, sondern ein äußerst beängstigendes „Erleben“. – Bin jedes Mal völlig verstört und verschreckt daraus aufgewacht. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd. Wenn ich „fiel“, war da immer dieses Gefühl einer grenzenlosen Ohnmacht. Jetzt war es wieder da, nur mit einer gravierenden Ausnahme: Es war kein Traum-Erleben. Es war Realität. – Brutale Realität. – Bittere Realität. Und ich habe es irgendwie selbst zu meiner Realität gemacht. – Eine Realität, in die ich mich im Verlauf der letzten Jahre immer mehr verloren hatte. Nur bemerkt hatte ich dies leider nicht.
Wann das Ganze begann? – Ich kann es nicht genau sagen. – Hätte es mir auffallen müssen? Und warum zeigt sich mir dies alles so gnadenlos? – Was war passiert? – Was habe ich falsch gemacht? – Was ist falsch mit mir, sodass ich immer wieder in dieses „schwarze Loch“ fallen musste? – Hätte ich zu gegebener Zeit dieses Schicksal abwenden können?
Fragen über Fragen kamen mir in den Sinn. Doch all dies half nichts. Das, was passieren sollte, konnte nicht gestoppt werden. Ich war dem Ganzen einfach ausgeliefert. Und all die Dinge, sie ergaben sich. – Immer mehr. Immer tiefer. Immer unaufhaltsamer. Immer radikaler. – Ich hatte keine Kraft mehr um gegenzusteuern. Ich konnte den Verlauf weder stoppen, noch kontrollieren. Ich konnte nichts mehr beeinflussen. Ich konnte mich nur noch fallenlassen. Mich hingeben und dem ergeben, was da mit mir passieren sollte.
Mein ganzes System schrie, brüllte. Brüllte unaufhörlich. Brüllte ohne Unterlass. Brüllte Tag und Nacht. – Mein ganzer Körper rebellierte. Zeigte eine Vielzahl von Symptomen. Doch nicht nur er meldete sich. – Die Stressrezeptoren in meinem Gehirn waren auf Dauerbetrieb geschaltet. – Und was das Schlimmste für mich war: Sie ließen sich mit nichts mehr beruhigen. – Was mir blieb, war nur noch der freie Fall und dieses Nicht-Wissen, wo und wann ich aufschlagen werde. Als ich wieder zu mir kam, stand die Diagnose fest:
Burnout – Depression – Posttraumatische Belastungsstörung (= PTBS).
Mehr oder weniger bewusste Weg-Gefährten
Vielleicht ist die Summe der Teile wichtig, um die Diagnose und den Zusammenbruch besser zu verstehen. Vielleicht ist es aber auch nur mein Hang zum Perfektionismus und zur Vollständigkeit, der mich auflisten lässt, was die „Lernthemen“ der letzten Jahre für mich waren. Egal.
Im Januar 2016 starb mein Zwillingsbruder nach einer schweren Herz-OP. – Als Familie hatten wir natürlich gehofft, dass er diese schwere Operation überstehen möge. Doch aufgrund diverser Vorerkrankungen war sein Körper bereits so geschwächt, dass er entschied, bereits im Alter von 54 Jahren von uns zu gehen. Und obwohl ich mich in den Wochen zuvor durchaus mit der Möglichkeit seines Sterbens vertraut gemacht hatte, fiel es mir unwahrscheinlich schwer, ihn letztlich gehen zu lassen. Da war dieser tiefe, dieser unendlich tiefe Schmerz. – Doch neben all der Trauer und dem Schmerz war noch so viel mehr. Mir war, als wäre mit seinem Tod auch ein ganz wesentlicher Teil von mir selbst mit ihm gestorben. Da war urplötzlich auch so viel von meinem Leben weg. – Jetzt gab es nur noch die Erinnerung an ihn und einen unaussprechlich tiefen Seelenschmerz. Jetzt gab es kein Gespräch mehr, keinen Austausch mehr an Worten, an Gedanken. Es gab keines seiner Konzerte mehr. Es gab seine Musik nicht mehr. – Wie konnte Gott ihn einfach gehen lassen? – Wie konnte er ihn so früh schon wieder zu sich holen? – Hatte mein Bruder sein Lebenswerk hier auf Erden tatsächlich schon zu einem Ende geführt? – Sollte er nicht noch etwas länger sein Leben hier auf Erden genießen können? – Wieder einmal Fragen über Fragen.
Doch der Tod hat seine eigene Zeit. Hat seine eigenen Gesetze. Er nimmt nicht Rücksicht auf unsere menschlichen Bedürfnisse und Belange. Heißt es nicht, wenn die Seele ihre Lebensaufgabe erfüllt und gelebt hat, dann will sie wieder heim zu unserem himmlischen Vater? Dass dies für meinen Bruder so gelten sollte, das hatte ich zu akzeptieren. Auch wenn meine Trauer und der Schmerz um den Verlust sehr groß waren. Ich selbst hatte – nach all den Vorkommnissen der letzten Jahre und nach dieser erneuten Auseinandersetzung mit dem Thema „Tod“ – noch genau genommen für drei Monate die Kraft, meinen eigenen Aufgaben zu entsprechen, ihnen nachzukommen. Doch dann war auch für mich eine Art von „Ende“ gekommen. Um Schmerz und Trauer nicht allzu sehr an mich heranzulassen, entschied ich mich für den mir altbekannten und vertrauten Weg, mich auch weiterhin hinter meiner Arbeit zu verstecken. Dass ich mir selbst damit mehr geschadet als genützt habe, das sollte ich alles erst viel später erfahren. Zu dieser Zeit war es einfach meine Überlebensstrategie, mich hinter möglichst viel an Arbeit und Übernahme diverser Pflichten zu verkriechen. Nach dem Motto: Arbeit befreit. Arbeit heilt die Wunden. Arbeit macht frei. – Ein Glaubenssatz, wie ich ihn wohl unbewusst im Elternhaus gelernt hatte. Zumindest habe ich es für mich so in Erinnerung, dass meine Eltern viele ihrer Sorgen und Probleme mit der Strategie „Arbeit“ irgendwie „weg-gearbeitet“ haben.
Ob diese Art des Umgangs mit Problemen, Trauer und Schmerz gut war oder nicht, das entzog sich sowohl als Kind als auch als erwachsene Frau meinem Wissen. Ich hatte nur die kindliche Lernerfahrung gemacht, dass „Arbeit (anscheinend!) befreit“. Erst durch meine Therapie und das Lesen zahlreicher psychologischer Fachbücher erkannte ich, dass diese Einstellung bestenfalls als Ersatzhandlung zu bezeichnen ist. Sozusagen als eine Art Überlebensstrategie, die uns letztlich als ein Ablenkungsmanöver dient. Genau genommen ist es ein Abwehrmechanismus, um sich mit all den traurigen und belastenden Gefühlen bzw. mit der Thematik „Tod“ (in meinem Fall!) an sich nicht auseinandersetzen zu müssen. Wir spalten dann mehr oder weniger bewusst das uns Unangenehme ab, packen es ein und stellen es weg. Doch all der Schmerz und all die betäubenden Gefühle bleiben so lange bestehen und kehren – ausgelöst durch andere vergleichbare Situationen – so lange immer wieder zurück, bis wir es gelernt haben, den Schmerz, die Trauer, all die Gefühle von Verzweiflung, Angst, Wut etc. anzunehmen. Sie wahrzunehmen, sie zuzulassen, sie genau genommen zu „durch-leben“. So lange, bis wir diese Lebenserfahrung bewusst angenommen und integriert haben. Doch es war nicht nur diese Konfrontation mit dem Tod als einem „Weg-Gefährten“ von uns Menschen, der mein Leben so nachhaltig und so sehr auf den Kopf stellte. Der Tod meines Bruders war für mich letztlich so etwas wie das letzte Mosaiksteinchen, dessen es noch bedurfte, um in der Mitte meines Lebens meine bisherige Existenz einer radikalen „Prüfung und Neuausrichtung“ zu unterziehen. Ob ich wollte oder nicht, es hieß: Schau dir dein Leben einmal an. Schau es dir genau an. Achte dabei auf all die Vorzeichen, unter die du dein Leben und deine Beziehungen bisher gestellt hast. Werde dir dessen bewusst, was gut daran ist. Doch werde dir vor allem auch all der Anteile bewusst, die der Veränderung bedürfen, wenn du wirklich gesund und wahrhaftig glücklich werden willst. Vielleicht sollten Sie Folgendes über mich wissen, um mich und meine Geschichte letztendlich besser zu verstehen:
Durch die Art und Weise wie ich lebte und arbeitete, sowie durch ein mir bis dato ziemlich „unbewusstes“ Handeln und eine extreme Harmoniesucht im zwischenmenschlichen Bereich war ich so etwas wie eine Meisterin in der Verdrängung unangenehmer Situationen und Dinge geworden. – Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. – Unsere „Lebensthemen“, die wir uns als Seele selbst erwählt haben, begleiten uns unaufhörlich. Sie zeigen sich uns immer wieder in neuem Gewand so lange, bis wir ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit schenken und uns der Tatsache stellen, dass es bedeutend besser wäre zukünftig bewusster zu handeln. Sie sind so etwas wie unser „individueller Lehrplan“ für dieses Leben. Doch da ich mich lange Zeit von den Herausforderungen des Alltags nur allzu gut ablenken ließ, habe ich im Verlauf meines bisherigen Lebens (bis ins Jahr 2016) bildhaft gesprochen so manche „Rote Ampel“ überfahren, die sich mir im Grunde genommen schon früh genug gezeigt hatte. Ich war nur zu blind dafür. – Nachfolgend erzähle ich Ihnen in Auszügen davon, sofern diese Themen mit meinem Zusammenbruch und der Diagnose im Zusammenhang stehen, und sie für ein Gesamtverständnis meiner Situation meiner Meinung nach wichtig sind.
Doch bevor ich mit dem Thema der „Roten Ampeln“ beginne, lade ich Sie ein, die ersten zwanzig Jahre meines Lebens etwas mit mir zu erkunden. Keine Angst! Ich gehe dabei nicht allzu tief in die Details, sondern zeige im Wesentlichen die Kernbereiche auf, die MICH, meine Person ausmachen. Als Pädagogin war mir bewusst, dass vor allem die ersten zehn Lebensjahre prägend dafür sind, dass wir werden, was wir sind. Und auch die Zeit der Pubertät spricht Bände und hilft zu verstehen, warum wir genau die Person sind, die wir aufgrund unserer Herkunft, Erziehung und Lebensumstände geworden sind. Und so möchte ich Sie zunächst vertraut machen mit mir als Neugeborenem, als Kindergarten-Kind, als Jugendliche im Alter zwischen dem vierzehnten und achtzehnten Lebensjahr. Diese Zeit hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin, und erklärt Ihnen mitunter auch, warum ich so viele Jahre lang eine wahre „Meisterin“ darin war, „Rote Ampeln“ nahezu magisch in mein Leben zu ziehen und sie dann auch noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu überfahren. Doch lesen Sie selbst. – Das, was Sie dabei vielleicht ein wenig irritieren wird, ist, dass ich mit Ihnen hierbei auf eine Reise gehe, die immer und immer wieder die Stimme meiner Seele zu Ihnen sprechen lässt. Vor allem wenn es darum geht, überhaupt erst einmal Mensch zu werden. Vielleicht ist das sehr ungewöhnlich für Sie. Für mich auch ein Experiment, das ich so zum ersten Mal wage, doch es ist auch interessant, die Dinge mal aus einer anderen Warte zu sehen. Und weckt vielleicht auch bei Ihnen bestimmte Erinnerungen.
Wie alles begann
(Einmal aus einer ganz anderen Perspektive heraus betrachtet! J)
Sie sind es. – „JA!“ – Diese Frau und dieser Mann. Sie beide. Ich erkenne sie wieder. Sie habe ich mir ausgesucht. Sind sie nicht genial? Genau die Eltern, um als Seele hier auf der Erde zu inkarnieren und in einem menschlichen Körper geboren zu werden. Sie sind perfekt. Bei ihnen bekomme ich alles, was ich brauche, um ein Menschenkind zu werden. Um mich sicher und geborgen zu fühlen, um heranzuwachsen und um all das zu lernen, was ich als Seele lernen will.
Und schon geht die Reise los. – Grandios! – Da ist sie auch schon, die perfekte Eizelle meiner Mutter. Wunderschön. Sie wird ganz und gar ihrer Aufgabe gerecht. Sie bietet mir alles, was ich brauche, um heranzureifen. Ist kräftig und gesund. Eingebettet in ein wunderschönes Klima. Beste Startbedingungen. Schwimmt in einem Milieu, das mich auf das Beste ernährt. Besser hätte ich es mir gar nicht aussuchen können. Dieser Ort gefällt mir. Hier geht’s mir gut. Hier fühle ich mich wohl. – Und tausende von Samenzellen um sie herum. Bin gespannt, welche von ihnen den Treffer landet. – Und schon hat’s „PENG“ gemacht. Der Sieger steht fest. Und sobald er die Eizelle besamt hat, verdickt sich die Zellwand der Eizelle meiner Mutter, um all die anderen Samenzellen abzuwehren, die nicht mehr gebraucht werden, denn die Befruchtung ist bereits geglückt. Jetzt beginnt das Wunder meines Lebens.
Doch im Grunde genommen hat das Wunder Leben schon damit begonnen, dass sich meine Eltern genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Stimmung für dieses lebensspendende Abenteuer zusammengefunden haben. Ei- und Samenzelle haben zueinander gefunden. Haben sich in Harmonie vereint und beginnen nun gemeinsam den bunten Reigen der Zellteilung, der „Wachstum Leben“ heißt und mich nach neun Monaten als ein wunderbares kleines Menschenkind in den Tanz des Lebens entlässt. Doch ich bleibe nicht allein. Bereits nach kurzer Zeit stelle ich fest: Da hat es sich ja noch jemand gemütlich gemacht und ist als Sieger der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle in dieses Abenteuer Leben gestartet.
Wir sind zu zweit! – Hurra! – Wir sind zu zweit! – Ich bin nicht allein! – Wir sind zu zweit! Gemeinsam schlagen wir Purzelbäume, reichen uns die Hand. Lutschen an unseren Daumen. Freuen uns über die Anwesenheit des anderen. Führen Gespräche, lernen uns kennen, tauschen uns aus. Und immer wieder kuscheln wir ganz nah zusammen in der Gebärmutter in Mutters Bauch. Und dann kommt es, wie es kommen soll. Nach neun Monaten ist es bereits viel zu eng für uns. Doch irgendwie will keiner von uns so richtig auf die Reise gehen. Wir haben es uns viel zu gemütlich eingerichtet. – Und da keiner von uns den Anfang machen will, werden wir, weil vom eigentlichen Geburtstermin her bereits über der Zeit, eines schönen Tages von einem Ärzte- und Schwestern-Team mit einem Skalpell zur Welt gebracht. Sie nennen diesen nicht natürlichen Geburtsvorgang Kaiserschnitt. – Und schon sind wir da! Ich zuerst. …
Doch schon nach zwei Tagen war für mich der Spaß vorbei. Ich wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt und somit von meiner Mutter und meinem Bruder getrennt. Eine schwere Darmentzündung – eventuell als Folge einer Fruchtwasser-Vergiftung bzw. einer Unverträglichkeit der Ersatzmilch, mit der ich in der Geburtsklinik ernährt wurde, machte es erforderlich, dass ich für einen längeren Zeitraum in ein anderes Krankenhaus verlegt werden musste, wo man mir zwar half wieder zu gesunden, aber ich war in diesen zwei Monaten entsetzlich allein. Und für mich war dies gleich ein doppelter Schock, denn: bruderlos und mutterlos. Da gab es kein Kuscheln, kein Vertraut-Sein mehr mit meinem Bruder und meiner Mutter. Weder konnte ich ihre vertraute Stimme hören, noch gab es Liebkosungen und Streicheleinheiten für mich. Was mir entschieden fehlte, war das geherzt, umsorgt und geliebt werden durch meine Mutter, nach der ich mich so sehr sehnte. Ein verdammt herber Verlust für mich. Eine bittere Enttäuschung, eine frühkindliche Wunde, die mich mehr oder weniger durch mein Leben begleiten wird. – Was für ein Herz-Schmerz. – Habe ich mir das so ausgesucht? – Habe ich mir das tatsächlich so ausgesucht? – Wenn ja, dann geht das ja schon ziemlich interessant los. Da kann ich ja gespannt darauf sein, was da noch so alles kommt. Meine ersten Tage und Wochen in dieser Welt waren somit alles andere als schön für mich. Ich habe es zwar überlebt, und man könnte sagen: Was hat die bloß? Es gibt bedeutend schlimmere Schicksale als dies. – Stimmt! – Und dennoch hat jeder im Verbund mit seiner ganz eigenen Geschichte, die ihn prägt, seine Art mit derartigen Situationen klar zu kommen. Wie sich dieser nachgeburtliche Schmerz in meinem Leben immer wieder mal zeigen wird, darüber später dann mehr. In der anderen Klinik kämpfte ich um mein Leben und schrie mir nach Mutter und Bruder die Seele aus dem Leib. Ärzte und Schwestern taten das Ihre für mich. So hab ich’s mit deren Hilfe dann ja auch geschafft. Was für eine Erleichterung, doch was bleibt sind unbeantwortete Fragen für mich: Scheute ich damals vor dem Leben zurück? … Wie geht es weiter? – Wo geht es weiter? – Wann geht es weiter? – Und wenn ja, wie? – Gute zwei Monate blieb ich gänzlich unfreiwillig von denen getrennt, die ich liebte und nach denen ich mich unwahrscheinlich sehnte. Die Personen, mit denen ich bis dahin in tiefer Harmonie und Liebe verbunden war. Meiner Gefühlswelt und Erinnerung nach kämpfte ich meinem Gefühl nach „mutterseelenallein“ um mein Ankommen in dieser Welt. Kein ganz so glücklicher und liebevoller Start. Doch als Seele wollte ich anscheinend unbedingt und bereits so kurz nach meiner Ankunft auf Erden diese sehr bittere und tief nachwirkende Erfahrung eines Verlust- und Trennungsschmerzes machen, mit all der Angst, Panik und Traurigkeit darüber, mit dem Gefühl von „Ich fühle mich soooo entsetzlich allein!“. Und da waren sie auch schon, die ersten Fragen: „Warum bin ich so mutterseelenallein?“ – „Warum sollte meine Reise ins Leben gleich so hart beginnen?“ – Dieses Erleben zieht sich mehr oder weniger stark wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich werde dieser Angst, dieser Panik, diesem Gefühl des Alleinseins und der Ohnmacht im Verlauf meines Lebens noch in den verschiedensten „Gewändern“ begegnen. Dass es sich so früh und so vehement zeigt, damit hatte ich nicht gerechnet. Oder doch?
Hierzu ein kleiner Exkurs zu unserer Seele
Als Seele sind wir hoch motiviert zu lernen. Wollen spirituell wachsen. Wollen uns weiterentwickeln. Stehen bei Gott und dem Karmischen Rat in der Warteschlange, um zu denen zu gehören, die sich zu einer bestimmten Zeit, vielleicht sogar zu einer historisch ganz besonders interessanten Zeit (Wechsel vom Fische-Zeitalter ins Wassermann-Zeitalter) und für eine gewisse Lebensspanne einen Körper als Mensch erwählen, denn nur mittels dieser Menschwerdung können wir entsprechende Situationen durchleben und menschliche Erfahrungen machen. Wir wollen immer wieder die „Schulbank Leben“ drücken, um im weiteren Prozess der persönlichen Entwicklung und Evolution mit dabei zu sein. Doch dazu bedarf die Seele der „Schul-Uniform“ menschlicher Körper. Doch was wissen wir als Seele nach der Geburt noch von alledem, was wir uns mit Hilfe unserer Seelenfamilie in unser Lebensskript geschrieben haben? Sind wir nur hier um zu genießen, Spaß zu haben und uns gut zu unterhalten? – Nein! Nein! Und nochmals nein!
Unsere Seele will lernen. Sie wünscht sich von Leben zu Leben ein Mehr an Wachstum und Bewusstsein. Sie ist an ihrer Weiterentwicklung interessiert. Wenn wir geboren werden, treten wir zum einen mit den Lernaufgaben an, die wir im vorherigen Leben noch nicht zur Gänze gemeistert haben, plus all die neuen Herausforderungen, die wir uns als Seele für dieses Erdenrund NEU ausgesucht haben. Doch dass wir dies alles selbst so geplant haben, daran erinnern wir uns nach der Geburt nicht mehr. Durch den Geburtsprozess wird dieses Wissen gelöscht, denn nur so können wir in die Welt der Dualität eintreten und für die Zeitspanne dieses neuen Lebens lernen und uns als Seele entwickeln. Und im Grunde genommen ist es ganz gut, dass wir nicht wissen, was genau morgen unser Schicksal sein wird, denn vielleicht käme es uns so gerade gar nicht zu pass. Würden uns der Erfüllung der Aufgabe vielleicht sogar verweigern. – Die Einzige, die die Übersicht über unser Lebenskonzept behält, das ist unsere Seele. Sie weiß genau, wo es lang geht. Sie weiß, was wir lernen wollen. Sie weiß, weswegen wir genau zu dieser Zeit, in diesem Land, an diesem Ort, mit diesen Eltern, mit dieser Familiengeschichte usw. und mit genau diesen „Hausaufgaben“ angetreten sind. Sie weiß, dass wir all diese Erfahrungen nur in einem menschlichen Körper machen können. Und weil sie dies weiß, meldet sie sich immer wieder und erinnert uns an unseren ursprünglich geplanten Weg. Denn sie will, dass wir unser Ziel „Entwicklung“ erreichen. Dabei will sie uns behilflich sein.
Doch da uns Gott, unser Schöpfer, die Quelle, wie auch immer wir ihn nennen wollen, als Mensch den freien Willen mitgegeben hat, können wir als Seele in diesem menschlichen Körper frei entscheiden, ob wir hinsichtlich einer bestimmten Situation (Lernaufgabe) den Weg unserer Seele gehen, oder ob wir den Weg unserer Ego-Anhaftung gehen. Fühlen wir uns im Ergebnis mit einer bestimmten Erfahrung nachhaltig gut, stellt sich auf Dauer ein Glücksgefühl ein, spüren wir, dass wir von dieser Sache erfüllt und begeistert sind, sind wir im Frieden damit, fühlen wir uns gut, sind positiv gestimmt, dann sind wir den Weg der Seele gegangen. Dann sind wir dem Weg unseres Herzens gefolgt und waren in Verbindung mit unserem Höheren Selbst. Stellen sich hingegen Gefühle des Zweifels, Ängste oder gar Sorgen ein, meldet sich Unbehagen, fühlen wir uns unausgeglichen, unter- oder gar überfordert, zweifeln wir etc., dann sind wir – in aller Regel unbewusst – den anstrengenderen, steinigen, mühevollen Weg des Egos gegangen, um zu sein. Doch auch auf diesem Weg werden wir – wenn auch über Umwege – letztlich in die Auseinandersetzung mit unseren Seelen-Hausaufgaben geführt.
***
Nachdem ich dank der Hilfe der Ärzte gesundet war, kehrte ich in den so lang ersehnten Schoß meiner Familie zurück. Meine Mutter begrüßte mich mit den Worten: „Jetzt gehörst du zu mir.“ – An die Zeit danach kann ich mich nicht erinnern. Und mit den nächsten Bildern, derer ich mir bewusst bin, bin ich dann schon 5 Jahre alt. Ich sehe meinen Bruder und mich, wie wir Hand in Hand in den Kindergarten gehen. An einer Stelle wechseln wir immer die Straßenseite, weil da ein Bauernhof ist, mit einem Maschendrahtzaun und einer Hecke zur Straße hin abgegrenzt. Doch jedes Mal, wenn wir diese Stelle zu passieren haben, erschreckt uns ein ziemlich großer Hund, der fürchterlich aggressiv bellt, so dass unsere Herzen bis in die Kniekehlen rutschen vor lauter Angst davor, dass er uns eines Tages erwischt. Wer von uns beiden mehr Angst hat, darüber denken wir gar nicht erst nach. Reflexartig reagieren wir, drücken uns gegenseitig die Hand als wollten wir uns auf diese Art Mut zusprechen und flüchten vor dem Ungetier. Sind immer wieder froh, wenn wir unser Ziel Kindergarten erreichen. – Und auf dem Rückweg noch einmal das gleiche „Spiel“. Was mir aus dieser Kleinkind-Zeit aber mehr als diese kleine Geschichte im Gedächtnis blieb, war ein ganz wichtiges Gefühl für mich. Das Gefühl von inniger Vertrautheit, Zusammenhalt und Schutz. Und wenn ich an diesen Händedruck meines Bruders zurückdenke und diesen in Worte übersetze, dann sagt er mir: „Wie gut, dass ich diesen Bruder an meiner Seite habe. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam schaffen wir es. Gemeinsam erreichen wir unser Ziel.“
Und auch wenn da auf Seelenebene diese innige Vertrautheit und Verbundenheit zwischen uns war, so wurde auf der Bühne unseres Lebens die Rollenverteilung zwischen uns schon früh festgelegt. Ohne dass wir uns dessen bewusst waren, bekam er die Hauptrolle und ich eine Nebenrolle. – Und so erschuf ich mir unbewusst mit meinen Gedanken und Gefühlen meine Realität, und mein Bruder mit seinen Gedanken und Gefühlen seine Realität. Denn was es hierbei zu beachten gilt, ist, dass wir uns mit unseren Gedanken und Gefühlen, die mit bestimmten Ereignissen im Zusammenhang stehen, die Welt im Kleinen wie im Großen erschaffen. Und auch wenn ich lange dazu brauchte, um die entsprechende Einsicht zu gewinnen, so lernte ich für mich: Er muss eine ganz andere Seelenaufgabe haben als ich. Wo ihm die Herzen, die Aufmerksamkeit und Bewunderung anderer zuflogen, da lautete die Seelenaufgabe, mit der ich angetreten bin: Lerne dich selbst wertzuschätzen, dann werden dich auch die anderen wertschätzen. Lerne dich selbst mit allem, was dich ausmacht, wahrnehmen und sehen, dann werden dich auch die anderen sehen. Lerne dich selbst erst zu lieben, dann werden und können dich auch die anderen lieben.
Das erklärt dann natürlich die gänzlich unterschiedlichen Vorzeichen, mit denen wir in dieses Leben gestartet sind. Aber jeder von uns wird seinen Grund gehabt haben, warum er sich diese Aufgaben so erwählt hat und nicht anders. Und im Sinne unserer Aufgaben, die wir uns als Seele gestellt hatten, sollte uns unsere Welt (Eltern, Geschwister, Freunde, Partner, Arbeitskollegen etc.) im Außen spiegeln, was es innerhalb dieser Inkarnation als Seelenlektion zu erkennen und zu lernen gilt.
Das Problem ist nur, dass wir zwar noch mit diesem Seelenwissen unsere Reise in die irdische Welt angetreten sind, doch vergessen wir mit unserer Geburt alles und müssen dann erst nach und nach wieder herausfinden, welche Lektion gelernt sein will. Und so bestach mein Bruder bereits im Kindergartenalter die Erzieherinnen mit seinem Charme, während ich ziemlich ängstlich, zurückgezogen, verhalten, in mich gekehrt, ruhig und unscheinbar war. – Hier zeigte ich mich ganz anders als zuhause, wo ich eher ein Wildfang war. – Was aber auch an meiner Wesensart liegt, denn ich brauche immer eine gewisse Zeit um sozusagen „aufzublühen“. Betrete ich neues Terrain, bin ich erst einmal sehr verhalten und schau mir das Ganze aus einer sicheren Entfernung und mit viel Distanz an. Die Rollenverteilung zwischen meinem Zwilling und mir setzte sich über die ganze Schulzeit hinweg fort, denn von der ersten Klasse an waren wir bis zum Abitur immer in der gleichen Klasse. Ob dies für uns von Vorteil war? – Im Nachhinein betrachtet sage ich nein!
Ich würde es keinem Zwilling raten in die gleiche Klasse wie das Geschwister zu gehen.
Von der ersten bis zur achten Klasse war es okay. Während dieser Zeit konnten wir gut damit umgehen. Schulisch gesehen waren wir gleich gut. Es tat keinem weh, dass auch der andere ein Teil des Klassenverbunds war. Wir machten uns keine Gedanken über ein Wer? – Was? – Wie? In diesen Jahren konnte so vieles noch auf leichte und spielerische Art und Weise geschehen. Erst während der Gymnasialzeit – und auch hier erst mit Ende der achten und Beginn der neunten Klasse und der fragilen Zeit der Pubertät – begann der stete Vergleich mit ihm sich für mich immer mehr zum Nachteil auszuwirken.
Auf einmal fing es an, dass ich schwächer wurde als er. Latein – sein Lieblingsfach – wurde für mich trotz anfänglicher Begeisterung immer mehr zu meinem „Hass-Fach“. Die Punischen Kriege und so manch anderer Text machten es mir zunehmend schwer. – Die ersten drei bis fünf Sätze übersetzte ich noch schön brav so, wie es von mir gefordert war, doch dann ging in aller Regel meine Phantasie mit mir durch und führte mich – was die historischen Fakten und Daten betraf – immer mehr auf Abwege. Diese Art zu übersetzen machte mir so zwar „Spaß“, so lange sie un-bewertet blieb. Doch die Freude darüber hielt nie lange an, denn mein Lateinlehrer teilte diese Freude leider nicht.
Auch mein Englischlehrer setzte mich – statt mich angesichts einer guten Note zu loben – immer wieder mal und dies mehr als es mir lieb war mit den „galanten“ Worten eines Pädagogen schachmatt: „Denk dir nichts, Merkl. – Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“ – Dieser Satz klingt mir heute noch in den Ohren nach. Hat sich mir vehement in jede einzelne meiner Zellen eingebrannt. – Pädagogisch gesehen ein besonders „hochwertiger“ Kommentar. Dass ich mich in der Folge davon für Englisch als Sprache „brennend“ interessierte, versteht sich nach diesen „liebreizenden“ Worten von selbst.
Interessant war für mich, dass es immer nur die männlichen Pädagogen waren (jedoch zum Glück nicht alle), die meine Eltern an den Eltern-Sprechtagen des Öfteren damit konfrontierten: Arbeiterfamilie – zwei Kinder, Gymnasium und Abitur? Reicht es da nicht, wenn der Junge studiert? Wozu braucht das Mädel das Abitur? – Und so kam mindestens einmal im Jahr – darauf konnte ich wetten – meine Mutter vom Elternabend heim und erklärte mir, dass Herr X und Herr Y dringend dazu raten, dass ich mich als Mädchen (!) doch besser für den Mittleren Bildungsweg entscheide. – Die „wohlmeinenden“ Worte von Herrn X klingen noch heute in meiner Erinnerung nach: „Es reicht doch, wenn Ihr Sohn das Abitur macht. Für das Mädchen wäre es bedeutend sinnvoller, dass sie einen guten Realschulabschluss macht. Sie kann dann ja Krankenschwester werden, einen Arzt heiraten, Kinder bekommen und auch so Karriere machen.“
„Brrrrr!“ – Diese Worte haben mich sowas von verletzt. Was glaubt der Mann? – Nur weil ich ein Mädchen bin? Nie und nimmer lasse ich mich darauf ein. Und so hat er mit seinen Worten genau das Gegenteil erreicht. Mein Kampfgeist war geweckt. Auch wenn es mir nicht immer leichtfiel, aber so nicht! – Es begann zwar eine harte Zeit. – Mein Spaß an der Schule war größtenteils vorbei, aber einfach nur so die Segel streichen, das wollte ich definitiv nicht. Die Frage stellte ich mir erst gar nicht. Ein weiterer „Lieblingssatz“ einiger Lehrer während meiner eigenen Schulzeit war: „Warum kann es dein Bruder, warum kannst du es nicht?“ – Gemeint war hier die Bühnenpräsenz meines Bruders. – Sein Selbstbewusstsein. Sein Selbstwertgefühl. Die Sicherheit, mit der er sich zeigte und musikalisch brillierte.
Für ihn war es selbstverständlich, sich hinzustellen und einfach zu musizieren. Anders bei mir. Obwohl ich bei jedem Mal Vorsingen wusste, dass ich die Bestnote bekam, war es ab der Pubertät kein Leichtes für meinen Lehrer, mich zum Vorsingen zu bringen. Alphabetisch vorgehen und mich dann unter „M“ für Merkl aufrufen, das ging ganz und gar nicht. Bereits beim Buchstaben „E“ schlug mein Herz so sehr, dass ich glaubte, irgendwo im Raum eine Trommel zu hören. Doch dieser Lehrer – ihm dankt noch heute mein jugendliches Herz – war äußerst einfallsreich. Für ihn kam einfach schon nach dem „D“ das „M“, was dann dazu führte, dass ich vollkommen irritiert war, weil ich das Alphabet im Geiste runterbetete und nicht verstand, warum jetzt schon das „M“ zum Singen aufgerufen war. Doch nach diesem anfänglichen Schreck entspannte ich mich und sang. Was für eine glorreiche Idee. – Zum Glück hatte ich also auch Pädagogen dieser Art. Ging es schulisch gesehen also nicht nur darum, was ich für mich alleine in dem einen oder anderen Fach zu leisten vermochte, so wurde ich schon von Anfang an mehr oder weniger bewusst stets mit den Leistungen meines Zwillings verglichen. Und das war für mich kein Spaß. Egal, was ich tat: Er war mir immer eine Nasenlänge voraus. Wo ich bestenfalls den Fleiß und den Ehrgeiz besaß, hatte er das von Gott gegebene Talent und einen Charme, mit dem er sämtliche Frauen- wie Männer-Herzen bestach. Ich hingegen fühlte mich nur über all die Jahre hinweg (das waren immerhin neunzehn Jahre) als zweite Garnitur.
Was für mich damals ebenfalls schwer war, dessen war ich mir aber lange Zeit nicht bewusst: Mit den Jungs in einer Klasse zu sein beschämte mich. Ich wollte mich den Jungs gegenüber anders zeigen. Nicht so einfältig, dumm, naiv, weniger begabt usw. – Mein Problem mit Beginn der Pubertät war, dass ich mich nun auch in meinem Denken und Fühlen ganz und gar nicht mehr verstand. Unten war oben – oben war unten! Bei mir war alles irgendwie komplett durcheinandergeraten. Doch das Schlimmste für mich war, dass da niemand war, mit dem ich über alles hätte reden können. Und so fing ich bereits sehr früh an auf die Stimme meines inneren Kritikers und Richters zu hören und ich erlaubte ihnen Urteile über mich, die sehr schmerzhaft waren. So wurde diese „empfindliche Zeit“ im Leben eines Teenagers für mich zur Tortur. Für manche von Ihnen als Leser mag sich das Ganze gar nicht so dramatisch lesen wie es meinem Empfinden nach war. Sie können vielleicht gar nicht verstehen, warum ich auf all dies so hochsensibel reagierte. Und ehrlich gesagt verstand ich mich ja selbst auch nicht. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich konnte all diese Gedanken und Gefühle nicht verstehen. Und ich wusste nicht, wie ihnen beizukommen war. Und am meisten ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich in diesem Gefühlschaos gefangen war und mich wie festgenagelt fühlte. Und „hungrig“ und neidisch schaute ich auf all die anderen, die es vermeintlich besser hatten als ich. Heute bin ich mir dessen bewusst, wie sehr ich im Selbstmitleid versunken war, weil ich kein ausreichendes Feedback von anderen hatte und nicht verstehen konnte, warum mein Leben so war wie es war. Im Grunde genommen sah ich nicht wirklich einen Sinn in meinem Leben. Eine der Fragen, die ich mir bereits sehr früh und immer und immer wieder stellte, war: Was soll bzw. was kann ich der Welt schon geben?
Auf der Suche nach einer Antwort, heillos überfordert mit diesen „Schwergewichten“ an Gefühlen und gefangen in einem Gedanken-Karussell, das sich unablässig drehte, hing ich in einer Art von Wiederholungsschleife fest. Und die CD, die darin abgespielt wurde, hatte stets die gleiche Melodie. Doch leider nicht in Dur, sondern in Moll. Das waren Gedanken wie: „Ich gehöre gar nicht hier her.“ – „Hier fühle ich mich nicht wohl.“ – „Was soll ich hier?“ – „Wer interessiert sich denn überhaupt für mich?“ – „Warum fühle ich mich unter den Menschen so fremd?“ Und irgendwie hasste ich mich auch dafür, dass ich meinem Leben nichts abgewinnen konnte und so undankbar war. Dass ich mich weniger gefördert und geliebt sah als ich es bei meinem Bruder beobachten konnte. Ich hasste mich dafür, dass ich so neidisch auf ihn war, jedoch diesen Groll und die Bitterkeit nicht zur Sprache bringen konnte. Dass ich keine Worte finden konnte, um mich mitzuteilen, um wahrgenommen zu werden. Manchmal hasste ich mich so, dass ich mich am liebsten ausradieren wollte, um zu sehen, ob den anderen dann wenigstens auffällt, dass ich fehle. Ich fand es ungerecht, dass er alles mit einer gewissen Leichtigkeit bekam und ich meiner Meinung nach um alles so zu kämpfen hatte. Von Menschen, die fröhlicher und wohlgelaunter sein konnten als ich, hörte ich Sätze wie „Du musst dir halt einfach eine dickere Haut zulegen.“ oder „Du musst zum Lachen wohl mal in den Keller gehen.“ bzw. „Werde doch endlich mal lustiger!“ usw. – Ehrlich gesagt halfen mir diese ganzen wohlgemeinten Ratschläge nichts. Hatte sich in mir doch schon so viel „Gedanken-Müll“ angesammelt, nur wusste ich nicht, wohin damit. Und je fordernder meine Welt im Außen war, umso mehr zog ich mich immer noch mehr in meine angstbesetzte Welt des Schweigens und des Träumens zurück.
So aber wurde ich erst recht eine Gefangene meiner Gedanken und Gefühlswelt. Dass dies alles andere als gesund war, das wusste ich jedoch nicht. Ich ging vielmehr davon aus, dass das Leben einfach nur anstrengend und beschwerlich ist. Dass es nur sehr wenig Freudvolles gibt. Und dass es für Menschen wie mich nicht wirklich etwas zu lachen gibt. Für mich gab es neben den Kategorien „reich und arm“, sowie „begabt und unbegabt“ noch eine weitere Kategorie Mensch. Die „vom Glück Geküssten“. Zu dieser Gruppe gehörte mein Bruder. Zumindest meiner Meinung nach. Und das Pendant dazu in der „Gruppe der Verlierer“ spielte ich, da ich mich vom Wohlwollen Gottes als weniger beschenkt sah. Meine religiöse Erziehung lehrte mich, dass Gott unser „oberster Richter“ ist und dass diesem Gott auch nicht das kleinste Fehlverhalten entging. Doch was habe ich irgendwann einmal getan, dass dieser Gott mich anscheinend nicht so liebte wie meinen Bruder? – Hätte er mir sonst nicht auch ein Mehr an Intelligenz und Begabung gegeben? – Was bitte sind die Fähigkeiten, auf die ich als Mädchen/Frau zuversichtlich schauen kann? – Was sind die Fähigkeiten, die ich aus mir selbst heraus entwickeln kann? – Ich wusste es einfach nicht. Ich sah diese Fähigkeiten nicht. Und es fehlte mir ein Gegenüber, das mir half, dieses Potential, das in mir ruhte, Schritt für Schritt zu entwickeln. – Stattdessen spürte ich immer und immer wieder nur diesen unendlich tiefen Seelenschmerz. Fühlte mich weder gesehen, noch verstanden, sondern einfach nur überfordert mit all den Gedanken, mit all den Gefühlen, mit all den Hormonen. Überfordert mit mir und der Welt. Das Schlimmste jedoch war, dass ich über all dies nicht sprechen konnte. Mir war, als hätte mir jemand meinen Mund zugeklebt, versiegelt. Als hätte mir jemand gesagt: „Du bist sehr, sehr undankbar. Solche Dinge sagt man nicht. Solche Dinge denkt man nicht. Solche Dinge fühlt man nicht.“
Was für eine verrückte Welt, was für eine innere Zerrissenheit, in der ich lebte. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen dem Guten und dem Bösen. Zwischen Himmel und Hölle. Mal war ich unten, mal war ich oben. Es war ein ständiges Kräftemessen. Und sobald ich mich entschied in meinem Denken, Handeln und Sein nur noch die „Gute“ sein zu wollen, konnte ich fast schon darauf wetten, dass sich mir im Außen wieder eine Situation zeigte, die ich zu bewältigen hatte. Und schon meldete sich ungefragt und unerwünscht erneut das „Böse“ in mir in Form meiner Gedanken und Gefühle, obwohl ich doch beschlossen hatte sie zu besiegen. Doch so einfach, wie ich mir das dachte, war dies nicht. Ganz im Gegenteil. Und da ich aufgrund meiner Harmoniesucht und der ewigen Suche nach Anerkennung und Liebe eine panische Angst vor Sanktionen und Ablehnung hatte, lebte ich die ganze „Frust-Energie“ nicht nach außen hin, sondern gewöhnte mir stattdessen ein ziemlich ungesundes Verhalten an, indem ich die ganze zerstörerische Energie gegen mich selbst richtete. Nach außen hin vermied ich es jedoch, meine negativen Gefühle zu zeigen. Stattdessen versteckte ich mich in meinem Schneckenhaus und redete mir dort ein: „Hier kann mich keiner finden. Hier kann mich keiner sehen.“ So richtete ich mir nach und nach mein Leben in einer Art von Rückzug, innerer Rebellion und partieller Wut ein. Was mir aber nicht klar war, war, wie viel Lebensfreude und Lebenskraft ich dadurch verlor. Heute erst weiß ich, dass ich mir mit der Kraft meiner Gedanken diese ganzen Situationen selbst erschaffen hatte. Egal ob in der Schule oder in der Familie. Mit so viel Zerrissenheit und negativer Energie, die ich in mir trug, vermochte ich es weder mich meinem Leben ganz hinzugeben, noch mit den Menschen vertraut zu werden, nach deren Liebe ich mich so sehr sehnte. Wer mir dabei am meisten fehlte, war meine Mutter. Und da ich stets auf der Suche nach dieser Liebe war, konnte ich mich auch nicht wirklich von ihr abnabeln und trennen. Stattdessen habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn du derart nach Liebe suchst, dann bleibst du ewig das Kind, das dürstet und hungrig ist. Dann kannst du nicht wirklich erwachsen werden. Dann bleibst du selbst als erwachsene Frau in diesem „hungrigen Kind-Bewusstsein“ stecken. Und jedes Mal, wenn du dieser Mutter begegnest, dann suchst du und suchst und suchst. Du kannst dieses Angenommen-Sein, diese Wertschätzung, sowie das Geliebt-Werden auch bei deinem Partner/deiner Partnerin, deinen Freunden, Arbeitskollegen suchen, doch du wirst es vergeblich suchen. Du bleibst so lange hungrig und bedürftig, bis du eines Tages beschließt, dir selbst beste Mutter, bester Vater, bester Partner/beste Partnerin, bester Freund/beste Freundin zu werden. Bis du dich mit der Vergangenheit ausgesöhnt hast und beginnst, dich selbst liebevoll um dich und deine wahren Bedürfnisse zu kümmern. Bis du die Liebe und alles, was dazu gehört, dir selbst zu geben vermagst. Immer und immer wieder. Letztlich so lange, bis du dich wohl-genährt und gesättigt fühlst.
So suchte ich als Teenager und junge Frau oft sehr verzweifelt meinen Weg. Und da ich mit so viel Frust, den ich in mir trug, davon überzeugt war, auch in Gott keine wirkliche Hilfe und Unterstützung zu finden, tat ich das, was ein verletztes Kind tut, wenn es sich vernachlässigt und ungeliebt fühlt, ich wandte mich immer mehr von ihm und „Mutter Kirche“ ab, weil ich so sehr mit meinem Schmerz beschäftigt war. Letztlich wurde ich so immer mehr zu einer Gefangenen in mir selbst. Mit meiner kindlichen Wut, meinen Gedanken und nicht gelebten Gefühlen hatte ich mir selbst Fesseln angelegt. Und diese Fesseln trugen sogar Namen. Sie hießen Schuld und Scham. So hatte ich mir mein eigenes Drama, das Drama eines scheinbar weniger begabten und ungeliebten Kindes kreiert. Und dies lebte ich sowohl zuhause als auch in der Schule. – Soweit zu meiner Biografie.
Als ich anfing, darüber nachzudenken und zu schreiben, zeigten sich mir noch einmal der ganze alte Schmerz sowie die Gefühle von Schuld und Scham. Oft war mir, als wollte mein Herz zerspringen, doch inzwischen hält es dem Schmerz dieser Geschichten tapfer stand. Es gibt zwar noch Tage, an denen die Tränen mal wieder fließen. Doch dann halte ich inne und sage mir: „Wie interessant! – Heute ist also mal wieder so ein Tag.“
Johann Wolfgang von Goethes Faust zitierend kann ich sagen: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, denn auch Goethes melancholischer Doktor Faust fühlt sich zerrissen zwischen den Mächten seiner Innenwelt. Auch in ihm wirken diese gegensätzlichen Kräfte und fordern ihn heraus, sich für eine dieser Mächte zu entscheiden, womit letztlich dann auch sein „Reigen im Tanz des Lebens“ beginnt, der nicht nur ihn zu Fall bringt, sondern auch die Person, die er aus ganzem Herzen liebt. Ist das nicht verrückt? Es ist dieses ewig währende „Spiel“, diese Kraft-, Mut- und Zerreißprobe zwischen den hellen und dunklen Mächten in uns. Das Prinzip der Dualität. Das Geistige Gesetz von Ursache und Wirkung, das hier zum Tragen kommt. Diese Kräfte gehören zu uns, so lange wir leben. Sie wirken mehr oder weniger bewusst und unbewusst in uns. Sie formen und prägen unser Menschsein und stellen uns letztlich vor die Frage, wie wir unser Leben mit diesen Kräften bewusster gestalten können. Das Problem ist nur: Solange wir diese widerstrebenden Kräfte in uns als gut und schlecht beurteilen, solange wir sie als positiv und negativ bewerten, wird sich die von uns als negativ definierte Kraft immer und immer wieder melden. Sie kämpft und ringt mit uns um ihre Daseinsberechtigung. Und solange wir sie ablehnen und versuchen sie zu negieren, erzeugt sie in uns eine innere Spannung, die sich so lange immer und immer wieder mit den verschiedensten Lernsituationen zu Wort melden wird, bis wir diesen Aspekt in uns nicht mehr länger leugnen und ablehnen, sondern ihn uns bewusst machen und integrieren. Erst durch die Annahme, die Integration, erst durch die Akzeptanz all der Schatten-Anteile in uns, ziehen sich diese „Dämonen“ nach und nach langsam zurück. Sie verlieren an Kraft, an Vehemenz. – Lehnen wir sie hingegen ab, werden sie größer und mächtiger, blähen sich auf. Versuchen uns zu bestimmen. Fordern uns heraus und ringen mit uns. Werden sie hingegen bewusst wahrgenommen und gefühlt, bzw. fragen wir sie gar nach ihrer Botschaft für uns, fühlen sie sich gesehen und wertgeschätzt. Dann beruhigen sie sich. Sie werden verständlicher und zahmer. Sie zeigen sich verhaltener. Sie kämpfen nicht länger um ihre Vorherrschaft in uns. Und so wie sie sich beruhigen, löst sich dann auch diese gewaltige Spannung in uns auf, und wir finden wieder leichter zurück in unser Gleichgewicht. In einen Zustand von innerer Ausgeglichenheit und Balance. Indem wir uns für alle Aspekte in uns öffnen, werden wir gelassener, geduldiger, mitfühlender, bewusster und weiser. Wir erkennen: Dies alles macht unser Menschsein aus. Dies alles gehört zu uns. Und was das Schönste von all dem ist: Wir lehnen uns selbst nicht mehr länger ab, sondern finden endlich den erwünschten Frieden in uns. Werden ausgeglichener, entspannter, großzügiger gegenüber unserer eigenen Wesensart, aber auch toleranter, mitfühlender, respektvoller und wertschätzender gegenüber anderen Menschen. Wir öffnen uns für alles, was ist, und erkennen, dass es sich nicht lohnt irgendetwas abzulehnen. Wir öffnen uns für das Dunkle ebenso wie für das Helle. Für den Schatten und das Licht. Für Angst und Liebe. Für Traurigkeit und Freude. Wir erkennen, dass alle Gefühle wertvoll sind, dass sie uns je nach Situation etwas ganz Bestimmtes lehren wollen, dass sie gelebt sein wollen, dass sie uns und unserer persönlichen Weiterentwicklung dienen. Sie zeigen uns all die verschiedenen Qualitäten, die Anteile, die Aspekte unseres Seins. Wir schließen sie aber nicht mehr aus, sondern wir umarmen sie.