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Was sagen mir Burnout, Depression und Posttraumatische Belastungsstörung?
Welche Botschaft steht hinter einem Burnout, einer Depression und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (= PTBS)? – Wenn ich diese Diagnose schon hinzunehmen hatte, so wollte ich doch wenigstens in Erfahrung bringen, was die tieferen Ursachen für Burnout, Depression und PTBS sind, bzw. was ich anhand meiner Thematik und Symptomatik über mich selbst zu lernen habe. Im Rahmen meiner Ausführungen werde ich aber bei weitem nicht auf alle meine Themen eingehen. Das würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Ich konzentriere mich vornehmlich auf die Themenbereiche, von denen ich glaube, dass sie auch für Sie als Leser von Interesse sein könnten. Egal ob Sie selbst Betroffener/Betroffene sind, oder einer Ihrer Familienmitglieder, Freunde, Arbeitskollegen, Schutzbefohlenen …
Lassen Sie mich anhand der von mir gewählten Ausführungen Beispiele dafür geben, dass nichts in unserem Leben umsonst geschieht. – Nichts ist einfach so. Hinter allem verbirgt sich ein höherer Sinn. In allem steckt mehr oder weniger sichtbar eine wichtige Lernaufgabe, die es anzunehmen, zu begreifen und zu lösen gilt. Eine erste wichtige Hilfestellung, um den Sinn, die Sprache des Lebens bzw. ihre Symbolik besser zu verstehen, erhielt ich durch die beiden Bücher von Dr. Ruediger Dahlke Krankheit als Symbol, ein Handbuch der Psychosomatik, Symptome, Be-Deutung, Einlösung, C. Bertelsmann Verlag. Sowie weitere tiefe Einblicke durch sein Buch Krankheit als Sprache der Seele, Be-Deutung und Chance der Krankheitsbilder, 2. Auflage 2008, Goldmann Arkana Verlag, München.
Was sagt mir das Burnout?
Was gilt es zu wissen, zu begreifen, zu verstehen, damit Heilung geschieht? Burnout hat viele Gesichter und – wie in meinem Fall – liegt oft eine versteckte Depression dahinter. Burnout und die tiefe Traurigkeit der Seele gehören zusammen wie Geschwister. Viele Menschen suchen Grenzerfahrungen, indem sie sich nicht erlauben, schwach zu sein. Sie halten durch, obwohl ihr Akku schon lange „ROT“ blinkt. Doch sich selbst aus den Mühlen des Alltags herauszunehmen und Lebensveränderungen anzugehen, die mitunter schon längst überfällig sind, kostet sehr viel Mut. – Mut, den ich damals so nicht hatte. Doch diesen Mut zur Verbesserung der eigenen Situation aufzubringen und lebensverändernde Maßnahmen anzustreben, ist sehr wichtig, hat dies letztlich doch auch sehr viel mit Selbstrespekt, Selbstwertschätzung und Selbstliebe zu tun. Wenn wir spüren, dass unsere Seele weint, tut sie dies nicht erst seit gestern. In aller Regel haben wir dann schon viel zu lange versucht, Stärke zu zeigen, obwohl wir uns innerlich schwach fühlten. Sich leer und ausgebrannt zu fühlen ist ein Zeichen der Frustration und Erschöpfung. Meistens verursacht durch zu viel Stress.
Warnzeichen von Burnout sind z. B. eine hohe Arbeitsaktivität, wobei man sich immer mehr zwingen muss, die Erwartungen (die eigenen und die der anderen) zu erfüllen, weil die Kraftreserven schnell erschöpft sind, bis man irgendwann nicht einmal mehr Energie für die eigenen Bedürfnisse hat. Rastlosigkeit, das Gefühl, nie Zeit zu haben, Vernachlässigung von privaten Dingen, Versagensängste, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, ein gesteigertes Aggressionspotential bis hin zu Symptomen wie Herzstörungen, hoher Blutdruck, Kopfschmerzen oder Tinnitus. Um nur einige Symptome von Burnout zu nennen. Man fühlt sich nur noch unendlich schwach und hat dennoch keine andere Chance, als diese Schwäche im Außen nicht zu zeigen, denn gerade hier befürchtet man ja, dass das Zeigen von Schwäche von Nachteil sein könnte. – Irgendwann habe auch ich gemerkt, dass dieser Kreislauf meiner verschiedensten Beschwerden aus eigener Kraft nicht mehr durchbrochen werden kann. Aufgrund meines Versuchs durchzuhalten, obwohl ich tief in mir bereits ahnte, dass ich bald nicht mehr kann, kam es erst recht zu einem inneren Konflikt zwischen der „Ich muss stark sein, aber ich kann nicht mehr“-Präsenz in mir und meiner Seelenebene.
Wut, Ärger, Frust, Groll: Ich unterdrücke alles und schlucke viel zu viel. Immer wieder versäume ich es, meine Bedürfnisse durchzusetzen und meine Wahrheit auszusprechen. Viel zu oft unterlasse ich es klare Grenzen zu setzen und entschieden „Nein“ zu sagen. Ich definiere mich im Grunde genommen nur noch über die Anerkennung und Wertschätzung meiner Leistung. Lebe ich um zu arbeiten, oder arbeite ich um zu leben? – Verwirkliche ich mich mit all dem denn eigentlich selbst? – Lebe ich überhaupt mich selbst? – Mein wahres, authentisches Selbst? Warum habe ich so viel Angst davor, außerhalb meiner Arbeit ein Nichts zu sein, dass ich mit panischer Angst an allem festhalte, obwohl Loslassen das Mittel der Wahl zu sein scheint? Begehe ich mit all dem einen Verrat an meinem Herzen, einen Verrat an meiner Seele, weil mir der Wert meiner selbst viel zu wenig bewusst ist? – Was habe ich zu lernen?
„So sehr du auch suchst, du wirst in diesem
grenzenlosen Universum niemanden finden,
der deine Liebe so sehr verdient wie du selbst.“
Buddha
Was lehrt mich die Depression?
Befinden wir uns in einem gesunden, natürlichen Zustand, fließt eine Menge Energie, Lebenskraft, Chi durch uns hindurch. Positive, freudvolle, lichtvolle, liebevolle Gedanken halten unsere Energiebahnen offen und ermöglichen es so, dass unsere Energie ungehindert fließt. Werden unsere Energiebahnen hingegen durch vermehrt negative Erfahrungen und die damit einhergehenden Gefühle wie Wut, Hass, Neid, Kummer, Groll etc. blockiert, fühlen wir uns mit der Zeit immer lustloser, hilfloser, vor allem aber auch machtloser. Hält dieser Zustand von negativen Gefühlen dann auch noch über einen längeren Zeitraum hinweg an, öffnen wir uns nach und nach unbewusst immer mehr den schweren und düsteren Gedanken und verfallen so in die Depression. Was wir während der Depression dann vor allem spüren, sind, neben der Angst und den Sorgen, vor allem Gefühle von tiefer Verzweiflung, von Ohnmacht, von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit. Auch bei mir war es diese Mischung aus Ängsten, Sorgen, emotionaler Anspannung, eine tiefe Einsamkeit, der Verlust von Geborgenheit und Sicherheit, das Gefühl nicht mehr geliebt zu sein, das Gefühl von Ohnmacht und Scham, die Schmach und Schande des Betrogen-Worden-Seins, sowie eine Vielzahl körperlicher Symptome, die meine Gesundheit nach und nach untergruben und mir sehr viel meiner Lebens-Energie raubten.
Alles schien mich einfach nur noch zu erdrücken. Die nervliche Anspannung aufgrund all der Lebensthemen, die sich mir in den letzten sieben Jahren zeigten, war so groß, dass ich nachts wach lag und grübelte und grübelte und grübelte und infolgedessen nicht mehr entspannt und gelassen in den Tag gehen konnte. Im Grunde genommen stand ich über einen sehr langen Zeitraum hinweg unter Dauerstress. Körperlich und nervlich war ich vollkommen am Ende. Spürte nur noch tiefste Verzweiflung. Zum einen ob meiner eigenen, ganz persönlichen Situation. Zum anderen aber auch, weil ich wie ein Schwamm zusätzlich auch noch so viel schwere Energie anderer Menschen in meiner Umgebung aufgenommen hatte und deren Sorgen und Probleme irgendwie mit zu den meinen machte. Ich konnte zu all dem nicht mehr auf Abstand gehen. Es dauerte seine Zeit, bis mir überhaupt bewusstwurde, dass ich die Energie, die Schwingungen, die Stimmungen und Gefühle anderer Menschen sehr stark wahrnahm und dass ich auf diese Fremd-Energien zusätzlich reagierte, so dass ich zu manchen Zeiten allein schon dadurch „erschöpft“ war, dass ich mich mit diesen Menschen in einem Raum aufhielt. – Doch später dazu dann mehr.
Zeiten der Unruhe und des Umbruchs bieten Gelegenheit zu wachsen und zu lernen.
In der Zeit meiner Genesung lernte ich, dass ein Mensch, der seine Gefühle ständig unterdrückt, oft in tiefe Depression verfällt, weil er sich letztlich seinen Problemen und den Gefühlen daraus nicht stellt, weil er sie nur unterdrückt und versteckt. Mit Hilfe der Depression drücken wir dann aus, dass es uns sicherer erscheint, bestimmte Dinge auf sich beruhen zu lassen. Doch „aufgeschoben“ ist nicht „aufgehoben“. Nur weil die Probleme nicht mehr zu sehen sind, heißt das nicht, dass sie nicht mehr da sind.
Unsere Probleme – zum Beispiel die unterdrückten Gefühle des Verletzt-Seins, der Aggression, der Wut – lösen sich nur dadurch auf, dass wir sie anschauen und offen darüber kommunizieren. Ob wir es wollen oder nicht, aber im Laufe unseres Lebens erhalten wir vom Leben immer wieder Gelegenheit, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und zu erkennen, was wir bis dahin in unser Unterbewusstsein verdrängt haben, denn die Probleme führen im Unterbewusstsein so lange ein Schattendasein, bis wir sie uns bewusst anschauen und in unser Leben integrieren. – Und sobald wir das Problem einmal gelöst haben, ist es für immer verschwunden.
Werden also Emotionen und die mit ihnen einhergehenden Energien nicht gelebt, so bauscht sich all das Unterdrückte in uns auf. Es raubt uns alle Energie. Saugt uns förmlich aus und führt uns auf direktem Weg in ein schon sehr früh erlerntes Opfer-Bewusstsein. In Folge davon leben wir leider nicht ausbalanciert. Soll heißen: Die weiblichen und männlichen Aspekte in uns sind nicht im Gleichgewicht. Wir leben vielleicht zu viel die linke Seite, unsere weibliche Seite (die angepasste, liebe, brave Eva). Es kann aber sein, dass bestimmte Lebenssituationen von uns verlangen, dass wir mehr die Kraft des starken Mannes bzw. der starken Frau (die Kriegerin, die Lilith, die Amazonin) in uns aktivieren sollten, um so besser aus dem Opfer-Modus auszusteigen und uns kraftvoll für unsere eigenen Bedürfnisse und Interessen einzusetzen. Erst wenn kein Teil (weiblich wie männlich) unterdrückt wird, lenken wir unser Leben auf eine autonome Weise. Dann können wir uns in allem, was da ist, selbst erleben und können unser Leben und unsere Liebe mit anderen teilen. Es bedarf einer stabilen Basis in uns selbst. Es bedarf des Glaubens an uns selbst. Erst dann können wir unsere innere Sonne für uns selbst und andere strahlen lassen.
Wenn wir so leben, dann lassen wir uns nicht länger von Gefühlen, Emotionen und Einflüssen von außen umwerfen. Wir erkennen frühzeitig, ob andere unsere Gefühle manipulieren. Und wir leben kraftvoller und machtvoller, denn wir investieren in unseren Glauben anstatt in unsere Ängste! – Doch wie finde ich nun von der Dysbalance, der Depression wieder zurück zu einem Mehr an Lebensfreude, Harmonie, innerem Frieden, Gleichgewicht und Balance? – Was gilt es hier zu begreifen, zu verstehen?
Reduziere ich die Phase der Depression auf eine kurze Formel, dann verstehe ich heute darunter eine Zeit des Umbruchs, des Aufbruchs. Was ich gelernt habe, ist, dass die Depression ein deutliches Signal dafür ist, dass es notwendig ist, im Leben etwas grundlegend zu verändern, auch wenn wir uns zunächst noch so sehr dagegen wehren. Mit der Depression gilt es zu erkennen: Jetzt ist die Zeit, all das Alte loszulassen, was nicht mehr dem persönlichen Wachstum dient, und sich stattdessen für die persönliche Weiterentwicklung zu entscheiden. Und es ist Zeit, um in mehr Vertrauen und Liebe in sich selbst zu investieren und für sein Leben voll und ganz die Verantwortung zu übernehmen.
Außerdem gilt es zu erkennen, dass nichts im Leben einfach nur so geschieht. Alles – und damit auch unsere Vergangenheit ganz genau so wie sie war – hat seine Bedeutung und unterliegt einem höheren Sinn. Selbst die unangenehmsten Situationen und Erfahrungen, all die „dunklen“ Dinge, die eventuell geschehen sind, ziehen wir unbewusst an, damit wir aus ihnen lernen können. Ob es uns gefällt oder nicht: Jeder Mensch, jede Krankheit, jede Situation, die in unser Leben kommt, hat immer mit uns zu tun und dient letztlich unserem persönlichen Wachstum, auch wenn uns das nicht bewusst ist. Die Schule des Lebens will uns stets zu Diensten sein. Will uns in welcher Person und Gestalt auch immer „Lehrer/Lehrerin“ sein. Das Leben funktioniert auf diese sonderbare und gleichzeitig doch auch „wunderbare“ Weise. Es verhilft uns so zu unserer persönlichen Weiterentwicklung. Und dient letztlich damit unserer persönlichen Evolution. Unsere Seele lernt sehr viel durch den Schmerz der Erkenntnis. Ohne Schmerz keine Auseinandersetzung mit einem Problem. Ohne Auseinandersetzung mit dem Problem keine Phase der Reflexion. Ohne Reflexion keine Phase der Bewusstmachung. Ohne Bewusstmachung keine Phase der Erkenntnis. Ohne Erkenntnis keine Phase der Annahme des vermeintlichen Problems, das im Grunde genommen eine „Lernaufgabe“ ist. Ohne Annahme dieser Aufgabe keine Möglichkeit zur Transformation. Ohne Transformation keine weitere Phase in unserer Selbstentwicklung und Evolution.
Es gilt daher, uns der Aufgabe, die in einer bestimmten Herausforderung begründet ist, bewusst zu werden, uns unsere Probleme, Sorgen, Ängste, Krankheiten und Traumata anzuschauen, sie zu verarbeiten und sie loszulassen. Somit auch ein tradiertes und uraltes Opfer-Bewusstsein loszulassen. Sich mit unterdrückter Trauer und Wut bewusst auseinanderzusetzen. Sich mit der eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen. Die Reise in die eigene Unterwelt zu wagen und bewusst in die Angst hineinzugehen. Sich vom Alltagsdruck zurückzuziehen, um Zeit für sich selbst zu haben. Viel gesünder, achtsamer und bewusster zu leben. Nicht mehr bloß zu funktionieren, sondern den eigenen wahren Kern zu leben.
Das ungeheure Potential unseres eigenen Schöpfergeistes zu erkennen. Zu begreifen, dass wir mit unserem Denken, unseren Worten und unserem Fühlen im Innen wie im Außen genau die Realität erschaffen, in der wir letztlich leben. Zu erkennen, dass wir mit der Art und Weise wie wir gelernt haben zu denken, zu fühlen und etwas zu bewerten, uns den Zustand von Disharmonie, Frust, Zerrissenheit und Krieg genauso selbst erschaffen wie ein Leben in Harmonie, Frieden, Wertschätzung, Respekt und Liebe.
Es gilt, an sich selbst zu glauben und mit der Liebe in Resonanz zu treten. In Harmonie und Frieden mit sich selbst zu sein. Mit jeder Faser des Seins anzuerkennen, dass es gut ist, dass ich bin wie ICH BIN, weil mich Gott genau so gemeint hat wie ich bin. Nicht länger irgendeine Kopie von „…“ zu sein, sondern sich auf die ureigene Individualität, auf das „Göttliche“ in uns selbst zu besinnen und so den Weg der Individuation zu gehen. Es gilt sich selbst Farbe und Struktur zu geben und damit dem Leben wieder mehr an Leuchtkraft und Leichtigkeit zu verleihen. Seinen eigenen individuellen Lebenssinn und Lebensinhalt zu finden und dabei den Weg der Seele zu gehen. Nicht mehr länger an sich selbst zu zweifeln, sondern ganz und gar aus dem Bewusstsein und Gefühl heraus zu leben: Ich kann das, denn ich bin ich selbst!
Es liegt allein an uns, Herr/Herrin, Gebieter/Gebieterin über unser Leben zu sein.
Werden wir dergestalt zum Meister/zur Meisterin über unser Denken, Fühlen, Sprechen, Handeln, so können wir bewusst jegliche Art von Veränderungen in unserem Leben, unserem Wirken und Sein herbeiführen. Können letztlich dann auch die entscheidenden Wandlungs- und Prozessabläufe ganz tief in unserem Selbst-Kern „aufrufen“, so dass bis in unser Zell-Bewusstsein und genetisches System hinein positive Veränderungen stattfinden können. Nur so können eine wirklich tiefe Heilung und Transformation geschehen.
Was hat mich die Depression noch gelehrt? Bei all der Literatur, die es zur Depression gibt, kommen die Ausführungen von Dr. Ruediger Dahlke am Treffendsten an die Beschreibung der Symptomatik heran, wie ich sie erlebt habe. Dr. Ruediger Dahlke schreibt in seinem Buch Krankheit als Symbol (S. 246 ff), dass bei einer Depression alle Körperebenen betroffen sein können. „Speziell das Gehirn im Sinne einer überzogenen Schutzreaktion in scheinbar aussichtsloser (Stress-)Situation.“ Auf der Symptomebene nennt er unter anderem das Thema der unterdrückten Aggression; Lebens-Energie, die gegen sich selbst gerichtet als Selbstmordtendenz, in Schuldgefühlen oder maskiert in Form verschiedener Symptombilder (larvierte Depression) zutage tritt; ein Mangel an Sinn und Inhalt im Leben bzw. ein fehlender Gefühlsbezug zum Leben; unterdrückte Trauer, ein Blockiert-Sein zwischen Wut und Trauer; Unterdrückung der Lebens-Energie an einem Wendepunkt des Lebens; Flucht vor dem Druck (De-pression im Sinne von De-kompression); die Unfähigkeit zu leben und zu sterben; eine unerlöste Form der Beschäftigung mit dem Sterben (Selbstmordgedanken) und mit dem „dunklen“ weiblichen Archetyp.
„Das Ja zu den eigenen Schwächen
ist der Königsweg zum Glück.“
Raphael Bonelli
Posttraumatische Belastungsstörung (= PTBS)
Ich bin schon lange nicht mehr ich selbst.
Ich kann andere besser fühlen als mich selbst.
Ich verliere mich in den Beziehungen zu anderen Menschen.
Ich kümmere mich zwar um andere, aber was ist mit mir?
Was macht mich überhaupt aus? – Wer bin ich?
Ich sehne mich danach, einfach nur noch ich selbst zu sein.
Jetzt habe ich auch noch die Diagnose Burnout, Depression, Posttraumatische Belastungsstörung. – Wo kommt letztere denn überhaupt her?
Bereits von Geburt an haben wir ein starkes biologisches Bedürfnis nach der Bindung zu unseren Eltern, vor allem zur Mutter. Nur dank ihrer Unterstützung, Feinfühligkeit und Verlässlichkeit können sich unser Urvertrauen, sowie unsere spätere Beziehungsfähigkeit ausreichend entwickeln. Verfügt die Mutter über eine feine Wahrnehmung hinsichtlich der Bedürfnisse des Kindes, sowie über Empathie (= Einfühlungsvermögen bzw. die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen), kann sich das Kind ungestört entwickeln.
Anhand von Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass postnatale Trennungserlebnisse eine erhöhte Sekretion von CRH (Corticotropin-releasing Hormon), ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) und Cortisol bewirken, da die Endorphinausschüttung im Gehirn durch Verlust des Körperkontaktes zur Mutter unterbrochen ist. Ähnliche Messergebnisse finden sich auch bei depressiven Patienten. Dieser damit einhergehende frühkindliche Stress führt – je nachdem wie langanhaltend die Trennung ist – im unreifen Gehirn des Säuglings zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, sowie zu einer verminderten Ausbildung des Hippocampus durch erhöhte Glucokortikoidspiegel. Damit bedingen frühkindliche Traumata oder Stress eine Dysfunktion in der Ausbildung von Synapsen, Störungen bei sich entwickelnden Nervenzellen oder es kommt zu Beeinträchtigungen in der Ausdifferenzierung funktioneller Neuronenverbände (Amygdala, Hippocampus, anteriorer Gyrus cinguli, präfortaler Kortex). Vermutet wird eine spezifische Vulnerabilität im Bereich des limbischen Systems und des Hirnstamms der rechten Hirnhälfte, da Funktionen wie Bindungs- und Beziehungsverhalten, Affektregulation und Stressmodulation primär rechtshemisphärisch gesteuert werden. Sichere Bindungserfahrungen gelten demzufolge als Voraussetzung für eine effiziente neuronale Vernetzung und für die Balance der Stressachse im kindlichen Gehirn.1
In der Psychopathologie (= Lehre von den Leiden der Seele) können somit Bindungsdefizite eine mögliche Ursache für eine Erkrankung beim Erwachsenen sein. Neurowissenschaftliche Studien belegen heute, dass frühkindliche Erfahrungen an der Ausbildung des Netzwerkes an Neuronen im Gehirn maßgeblich beteiligt sind und unsere Persönlichkeit formen. Wird zum Beispiel ein zweijähriges Kind durch seine Bezugsperson des Öfteren lautstark getadelt, so wird dieser Reiz direkt in der Großhirnrinde verarbeitet. Ähnlich einer „Narbe“ schreibt sich diese Wahrnehmung unlöschbar im impliziten Gedächtnis fest (Priming) und führt unter Umständen selbst noch im Erwachsenenalter zu einer Angststörung oder zu einer unsicheren sozialen Kompetenz, ohne dass die betreffende Person um die eigentliche Ursache für eine solche Störung weiß. – Hat das Kind jedoch einen engen Körperkontakt zur Mutter, die sich ihm empathisch zuzuwenden vermag, entwickelt sich ein Beziehungsverhalten, das vom Kind positiv verinnerlicht wird. Diese inneren Gedächtnisinhalte (Repräsentanzen) durch frühe Beziehungserfahrungen sind so stark, dass ihre unbewusste Festschreibung in der Großhirnrinde unmittelbar über den Grad an Wohlbefinden, sowohl beim Kind als auch beim Erwachsenen, entscheidet. Heute ist bekannt, dass die ersten drei Lebensjahre und die mit ihr erfahrene Sozialisation maßgeblich mit der Ausbildung unseres neuronalen Netzwerkes im Gehirn zusammenhängen. Diese Struktur bestimmt letztlich sogar, wie wir unsere Beziehungen (Partnerschaften, Freunde …) suchen und gestalten. Ein Kind wird somit nur dann zu einer starken Persönlichkeit, wenn ihm seine Bezugspersonen immer wieder vermitteln, dass es gehört, gesehen und wahrgenommen wird, dass es nicht allein ist. Dass es gut ist, so wie es ist, weil es in seiner Art wertvoll und einzigartig ist. Dass es geliebt ist.
Nicht gelebte Gefühle und seelischer Schmerz
Geben wir unseren Gefühlen nicht den gebührenden Raum, drücken wir Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Zorn, Ärger, Verbitterung und Groll über einen Verlust, Schmerz, eine bestimmte Erfahrung, eine erlittene Verletzung usw. nicht aus und sammeln wir diese unter Umständen über Jahre/Jahrzehnte gar in uns an, bewegen sie sich immer mehr in Richtung Körper und drücken sich dort dann über Erschöpfungszustände, Stress-Symptomatik und diverse Krankheiten aus. Ähnlich körperlichen Verletzungen und den daraus resultierenden Schmerzen können auch seelische Verletzungen sehr schmerzhaft sein. Werden sie nicht wahrgenommen und gefühlt, zeigen sie sich meist in Form chronisch entzündlicher Prozesse. Seelischen Schmerzen liegt oft ein Gefühl von tiefer Kränkung, Demütigung, Erniedrigung oder Misshandlung zugrunde. Sie entstehen vornehmlich dann, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt wurden, bzw. wenn unsere Grenzen von unseren Mitmenschen überschritten bzw. von uns selbst nicht gewahrt wurden. Oft fühlen wir uns dann ohnmächtig und schutzlos. Haben wir unsere Gefühle und unseren seelischen Schmerz viel zu lange unbeachtet gelassen und verdrängt, dann bringen sich diese Empfindungen noch Jahrzehnte später wieder in unser Bewusstsein, weil sie endlich wahrgenommen, empfunden und aufgelöst werden wollen. In aller Regel zeigen sie sich uns Jahre später über körperliche Symptome. Ihre Sprache ist dann meist der Schmerz.
Wir können all die alten Gefühle und den Seelenschmerz nicht abschütteln, bestenfalls in Schach halten, abspalten und verdrängen, so dass wir glauben, sie sind nicht mehr da. Doch ihre nicht gelebte Energie bleibt in unserem Feld. Kommen dann neue belastende Faktoren, angstauslösende Momente oder gar ein Auslöser dazu, der ein ganz bestimmtes altes Gefühl (= Emotion) aktiviert, dann zeigen sich uns diese mit all ihrer bis dahin nicht gelebten Kraft und entwickeln so eine Wucht, dass dies meist auf Kosten unserer Beziehungen geschieht, denn fehlt uns die Beziehung zu uns selbst, können auch im Außen keine wahrhaft glücklichen Beziehungen entstehen. Gibt es in uns selbst bzw. innerhalb unserer Herkunftsfamilie Blockaden, kann sich die Liebe niemals frei ausdrücken und fließen. Auch wenn wir die frühzeitige Auseinandersetzung mit beängstigenden Gefühlen noch so sehr scheuen, kommen wir nicht umhin, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in unser Leben kommen. Unser Unterbewusstsein hat diesbezüglich alles schön brav und sorgfältig aufbewahrt und archiviert. Es wartet nur auf die entsprechend günstige Zeit, um uns dann mit unserer „Lernaufgabe“ herauszufordern, und erschafft uns so lange Situation um Situation, bis wir unsere „Hausaufgaben“ gemacht haben und uns die ursprüngliche Situation mit all den Gefühlen sowie dem Schmerz, der daran gebunden ist, noch einmal bewusst gemacht haben. Nur so hat dieser die Gelegenheit, dass wir ihn und damit uns selbst aus unserem selbsterschaffenen emotionalen Gefängnis befreien.
Die Geschichte meines größten Seelenschmerzes
Freitag, 29. November 2017 – 03.15 Uhr: Bin schon seit gut einer Stunde wach. Liege im Bett und versuche wieder Schlaf zu finden, doch es soll nicht sein. Wiederholt empfange ich die Botschaft von Erzengel Michael: „Drücke deine authentischen Gefühle auf eine kreative Weise aus, um sie freizugeben und anderen zu helfen, denen es genauso geht.“
Ich beginne zu beten: Immer und immer wieder die gleichen Worte, die uns Jesus gelehrt hat: Vater unser. – Ein Wort reiht sich an das andere. Kaum habe ich ein Vater unser beendet, beginne ich schon mit dem nächsten. Ich suche Ruhe und Geborgenheit im Gebet. Doch beides stellt sich nicht ein. Ich suche Schlaf und finde ihn nicht. Zwischendurch kommen mir immer wieder Michaels Worte in den Sinn. Ich bete weiter. Irgendwann muss ich doch wieder einschlafen. Es ist mitten in der Nacht. – Warum finde ich die Ruhe nicht mehr?
„Authentische Gefühle“ – Was sind denn meine authentischen Gefühle? – Was nehme ich denn gerade wahr, was mich so sehr am Schlafen hindert? – Was will sich mir zeigen? – Was lasse ich nicht zu? – Was versuche ich zu verhindern? – Welche Gefühle, welchen Schmerz?
Noch wehre ich mich dagegen, um diese Tageszeit etwas fühlen zu wollen. Jetzt ist Schlaf angesagt. … Das muss doch klappen, aber es klappt nicht. – Ich werfe mich von einer Seite auf die andere. … Macht alles keinen Sinn … Okay, Michael, du hast gewonnen. Dann sag mir bitte, was ich mir anschauen soll. Führe mich bitte geradewegs dorthin. – Was genau ist es, das bereits seit mehr als einer Stunde derart an meiner Aufmerksamkeit zieht, dass ich im Schlaf keine Ruhe finden kann? – Ich fühle mich unsicher. Bin irritiert. Einerseits beherrscht mich ein Gefühl tiefer Traurigkeit, doch andererseits komme ich nicht so recht hinein in dieses Gefühl. Da sind Tränen, die geweint werden wollen, doch da ich das Gefühl nicht wirklich benennen kann, können die dazu gehörigen Tränen auch nicht fließen. Sie sitzen mir im Hals, lassen mich nur schwer atmen und auf meinem Herzen verspüre ich einen gewaltigen Druck.
Im Grunde genommen ist es wie ein dicker Nebel, der sich mir vor etwas Undefinierbarem zeigt. So gut ich kann versuche ich mich auf dieses schwammig neblige Etwas einzulassen, um die Gefühle dahinter wahrzunehmen. Überrascht stelle ich fest:
Es ist Angst. – „Existenzangst – Lebensangst.“ – Angst hält mich in dieser Umklammerung fest. Tiefe, unbändige Angst, die sich meiner bemächtigt. Die wie ein Blitz durch meinen Körper schießt. Die mich aufschrecken lässt. Die mich verzweifeln lässt. – Wie wird es wohl weitergehen? Stelle ich mich jetzt nachts um diese Zeit dieser Angst? Das ängstlich trotzige Kind in mir sagt „Nein!“. Der erwachsene Anteil in mir sagt „Ja!“. Okay, ich gebe nach. An Schlaf ist ohnedies nicht mehr zu denken. Alle Mühe vergebens. Ich stehe auf und stelle mich dem, was nicht länger zu vermeiden ist. „Dann, lieber Michael, bitte hilf mir diesen Schmerz anzunehmen, ihm nicht länger auszuweichen, vor ihm nicht länger davonzulaufen, sondern ihn mir direkt anzusehen. – Worum genau geht es? – Zeig mir die Ursache von alledem? – Bring mich bitte dahin und lass mich „erleben“, was „gesehen“ werden will.“
Ich bitte Michael, mich ohne Umwege hineinzuführen, direkt hinein in den Kern, in den immer wiederkehrenden Schmerz. Es dauert nicht lange, und ich verstehe, warum ich mich seit fast einer Stunde davor drücke, mir dies anzusehen. Was ich wahrnehme, ist eine Übermacht an Gefühlen, die ich nicht begreifen und schon gar nicht benennen kann. Diese Gefühle, sie springen mich wie aggressive, wütende und verletzte Tiere an. Sie beißen sich an mir fest. Ich versuche mich gegen sie zu wehren, sie abzuschütteln, doch es gelingt mir nicht. Sie fressen sich wie „Würmer“, wie „Maden“ tief hinein in mein ganzes „System“. – Und ich? – Ich verspüre nur Panik. – Und neben all dieser Panik, da existiert dieser tiefe und endlose Schmerz.
Es ist so dunkel. Ich zittere am ganzen Körper. Mir ist kalt. Es schauert mich. So hilflos wie ich bin versuche ich mit Schreien und Weinen auf mich aufmerksam zu machen, doch weit und breit ist keiner da. Keiner, der nach mir schaut. Keiner, der sich für mich interessiert. Keiner, der auf mein Weinen reagiert. Meinem Gefühl nach schreie ich mir die Seele aus dem Leib. Doch ich bleibe ungehört. Bleibe einfach ungehört. … Un-ge-hört!
Was ist los? – Warum bin ich so allein? – Warum ist da keiner, der mich wahrnimmt, der mich hört? – Ich komme mir vor wie irgendwo in einem Zimmer abgestellt. Unerreichbar für Gott und diese Welt. – Fühle mich so unglaublich allein. – Fühle mich von allen verlassen und mutterseelenallein. … Nach und nach bekomme ich zu diesen Gefühlen ein Bild. Ich sehe mich als Baby, als ein noch ganz kleines, unschuldiges Kind. Bin genau genommen erst drei oder vier Tage alt. Doch warum ist keiner da? – Wo bin ich? – Was ist los? – Alles ist auf einmal so anders. – So fremd ist mir diese Welt. – Wo überhaupt ist meine Mama? … Und mein Geschwister? – War das gerade eben nicht noch da?
„Allein, allein, allein! – Mutterseelenallein!“ – Diese „vier Worte“ haben sich mir wie ein „Mantra“ unbewusst als „Begleiter“ für dieses Leben eingeprägt. Sie ziehen sich wie ein „roter Faden“ durch mein Leben. Sind scheinbar tief verankert und verwurzelt in meiner kleinen Welt. Im Grunde genommen geben sie eine Situation wieder, in der ich mich wenige Tage nach meiner Geburt befand. Diese Gefühle, die ich damals bereits als Baby erlebt habe, diese Gefühle tiefer Ohnmacht, des Nicht-Gehört-Werdens, des Nicht-Gesehen-Werdens, des Allein-Seins, diese Gefühle des Ausgesetzt-Seins, Gefühle tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, sie haften wie Kaugummi an mir. Diese Gefühle, diese Wunden – sie haben mich geprägt. Sind sie doch wie „Brandmale“. Wie „Feuermale“ mir tief ins Herz eingeprägt. Wie werde ich sie nur los? Die „Geister“, die ich damals anscheinend schon rief. …
Es gibt Verletzungen und Wunden, die keiner sieht. – Wunden der Seele, die keiner versteht.
Inzwischen bin ich – wenn ich mir mein Alter ansehe – zwar erwachsen. Und im nächsten Moment dann auch wieder nicht. Bin anscheinend irgendwo stecken geblieben und fühle mich seitdem in den entscheidenden Momenten meines bisherigen Lebens im Grunde genommen immer allein. Kennen Sie das Gefühl unter Menschen zu sein und dennoch so allein? Das Gefühl zu haben, keiner versteht sie, keiner hört sie, keiner sieht sie? Sie sind zwar eingebunden in ein soziales Gefüge, in eine Familie, in eine Partnerschaft, in einen Beruf, aber dennoch fühlen Sie sich im Grunde genommen doch immer nur allein. Mit all diesen Ängsten und Gefühlen allein. Doch warum allein? – Weil ich für diese Erinnerung mit all ihren Gefühlen bis gerade eben keine Worte gefunden hatte. Ich konnte sie nie wirklich benennen, mich damit anderen gegenüber auch nicht mitteilen. Sie verstehen lassen, was da an mir klebt. Es ist ein Gefühl wie stigmatisiert zu sein.
Warum habe ich mir dies so ausgesucht? – Wo verbirgt sich da der Sinn? Wie erschließt sich mir der Sinn? – Werde ich auf all dies Antworten finden? – Muss es überhaupt Antworten geben? Wieder einmal Fragen über Fragen. Lässt mich denn dieser „Kopf“ (Geist) so gar nie nicht los? Da ist dieser bohrende Geist, der so übermächtig ist und der wieder einmal mein Leben zu bestimmen versucht: Kopf – Geist – Denken – Haare … – Interessant, diese „Leidenschaft des Grübelns“. Mit ihr kam ich wohl schon in diese Welt. Doch damit ist es nicht getan. Die scheinbar stillen, aber Kraft zehrenden Wunden der Seele zeigen sich mir: Enttäuschung – Verrat – Betrug – mangelnde Wertschätzung – Verlust – eine frostig eisige Kälte – … und was für mich im Augenblick gerade das Schlimmste ist: dass da keiner da ist, der mich wahrnimmt, hört, nach mir sieht, mich tröstet oder gar einfach nur liebt. Im Grunde genommen zeigen sich mir bereits mit meinem Start in mein Leben die Wunden meiner Seele. – Endlich kann ich sie mir ansehen. Wie heißt es so schön? Besser spät als nie.
Symbiosetrauma – Können wir durch Verbundenheit belastet sein?
Ist der Begriff „Symbiose“ in der Biologie positiv besetzt, haftet ihm in der Psychologie durchaus etwas Negatives an, denn hier wird die Symbiose nur dann als positiv angesehen, wenn sie eine Beziehung beschreibt, in der Personen zusammenleben, die miteinander in einer guten, sich gegenseitig ergänzenden und nährenden Beziehung sind. Sind diese jedoch entweder gegenseitig voneinander abhängig oder besteht eine einseitige Abhängigkeit, dann läuft der Einzelne Gefahr, sich zu sehr im anderen zu verlieren. Leben wir als kleine Kinder noch sehr stark in einer Symbiose mit unseren Eltern, baut sich diese mit dem Älterwerden in der Regel immer mehr ab. Tut sie das nicht, spricht man sogar von einer krankhaften Symbiose. Vor allem dann, wenn wir als Erwachsene unser Wohlbefinden allzu sehr von anderen Menschen abhängig machen, bzw. so auf andere fixiert sind, dass wir uns selbst dabei übersehen. Dabei versucht die abhängige Person den anderen an sich zu binden und tut viel um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Wenn es sein muss sogar mit Selbstaufopferung.
In der Beziehung zwischen Mutter und Kind entspricht die Symbiose einer ganz normalen und vor allem sehr wichtigen Entwicklungsphase während der Schwangerschaft und frühen Kindheit. Für die ersten neun Monate sind wir – was unsere Entwicklung angeht – über die Nabelschnur bestens versorgt und müssen uns um nichts kümmern. Unsere Bedürfnisse scheinen somit gestillt. Wir sind mit der Mutter zu einer Einheit verschmolzen und alles, was sie erlebt, erleben auch wir. Alle positiven, aber auch alle negativen Gefühle und Erfahrungen der Mutter gehen in dieser pränatalen Zeit über die Nabelschnur ungefiltert auf das Ungeborene über. Somit fühlen wir, was sie fühlt und teilen mit ihr Empfindungen der Freude und des Glücks, aber auch ihre Erwartungen, Ängste und Sorgen oder gar ihren Schmerz. – Was auch immer geschieht, wir teilen alle diese Erfahrungen mit ihr. – Spätestens nach neun Monaten kommt dann der Tag, an dem aus unserer anfänglich so perfekten Symbiose ein erstes Symbiosetrauma entsteht. Jetzt gilt es, den wohltuenden, kuscheligen Raum der Geborgenheit für immer aufzugeben. Wird die Nabelschnur durchtrennt, erleben wir diesbezüglich unseren ersten Schock, denn die Sicherheit und Geborgenheit, die vorher noch da waren, sind plötzlich für immer weg.
Auch wenn wir mit unserer Geburt den ersten entscheidenden Schritt in die Selbstständigkeit unseres Lebens gewagt haben, bleiben wir vor allem in der Zeit nach der Geburt und in den ersten drei Jahren noch sehr stark davon abhängig, dass uns die Mutter auch weiterhin gut und liebevoll umsorgt. Erleben wir in diesen ersten Jahren eine gute symbiotische Phase zwischen Eltern und Kind, entwickelt sich daraus eine gute, gesunde kindliche Autonomie und die Phase einer gesunden Ablösung beginnt. – Doch was geschieht, wenn diese lebensnotwendigen Bedürfnisse nach Verbundenheit und Liebe in der Beziehung zwischen Mutter und Kind aus welchen Gründen auch immer nicht ausreichend gesichert und gewährleistet waren? – Als Säugling und Kleinkind brauchen wir einen Erwachsenen (v. a. unsere Mutter) als Spiegel, der uns unsere Gefühle und ersten Erfahrungen erklärt und reflektiert. Nur so können wir uns selbst als eigenständiges Wesen immer mehr und immer besser erfahren. Uns selbst kennenlernen und einen guten Bezug zu uns selbst, sowie ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln. Zudem geben uns die Zuwendung und Liebe der Mutter, sowie ein intensiver Körperkontakt mit ihr vornehmlich die Sicherheit und den Halt, die wir brauchen, um im Sinne einer ganzheitlich gesunden Entwicklung immer mehr auf unsere eigene Entdeckungsreise „Leben“ zu gehen.
Nicht immer ist eine derart gesunde Autonomieentwicklung des Kindes möglich, v. a. dann, wenn es während der Schwangerschaft oder vor bzw. nach der Geburt zu diversen Komplikationen kam. Liegen solch schwierige Startbedingungen vor, die eine sichere Bindung zwischen Mutter und Kind behindern, laufen die Bedürfnisse des Kindes im Hinblick auf Körperkontakt, Zuwendung und Liebe ins Leere, fühlt sich das Kind nicht wertgeschätzt, nicht (ausreichend) geliebt und ist emotional unterernährt. – Kommt dann noch ein Gefühl von Unsicherheit dazu bzw. bleiben im Verlauf der späteren Entwicklung die Bedürfnisse des Kindes weiterhin unerfüllt, so kommt es nicht zur vollständigen Abnabelung von den Eltern und wir entwickeln uns nur unzureichend zu einem autonomen, selbstsicheren und selbsterfüllten Menschen. In uns bleiben unerfüllte Bedürfnisse zurück, die wir scheinbar damit befriedigen, dass wir uns vermehrt um die Bedürfnisse anderer kümmern. So entstehen jedoch Verstrickungen und Abhängigkeiten, die mehr schaden als nützen. Gibt es bei den Eltern selbst auch unerfüllte Abhängigkeiten und Strukturen, weil sie aufgrund ihrer eigenen Biografie an Liebe und Zuwendung durch ihre Eltern ebenfalls zu wenig bzw. gar „nicht satt geworden“ sind, ist es ihnen nicht möglich, das Kind in die Selbstständigkeit zu entlassen. Aus eigener Bedürftigkeit binden sie so ihre Kinder wiederum an sich, um die damit einhergehenden ungelösten Gefühle nicht spüren zu müssen.
Derartig „frühkindliche Verstrickungen“ sowie die frühe Traumatisierung durch eine solch symbiotische Liebe bezeichnet der Psychotraumatologe Professor Dr. Franz Ruppert aus München als „Symbiosetrauma“2. Hat ein Kind derartige Verletzungen oder Traumata erfahren, kann das – je nach Sensitivität des Kindes – unter Umständen gravierende Folgen für die weitere Entwicklung der Persönlichkeit und Psyche haben. Übertragen auf den Bereich der Beziehung kann das zum Beispiel bedeuten: Da wir auf eine bestimmte Art und Weise hinsichtlich eines intensiven Kontakts mit der Mutter unerfüllt und somit auch „hungrig“ geblieben sind, suchen wir selbst noch als Erwachsene ständig nach ihrer Bestätigung, um uns ja endlich sicher und daseinsberechtigt zu fühlen. Bekommen wir diese Rückmeldung jedoch nicht, fühlen wir uns nicht angenommen, nicht gesehen. In diesen Fällen manifestiert sich nur allzu leicht der Glaubenssatz in uns: „Ohne eine Bestätigung von dir bin ich nicht wertvoll genug. Bin nicht gut genug. Kann meinen eigenen Wert weder wahrnehmen, noch fühlen.“ …
In uns bleibt diese unerfüllte Beziehung zurück, die wir dadurch zu kompensieren versuchen, indem wir uns vermehrt um die Bedürfnisse anderer kümmern, um uns selbst auf diese Art eine Daseinsberechtigung zu geben. Doch in uns selbst bleiben wir „unfrei“ und mit der Mutter verstrickt. Sind ewig Suchende nach dieser Liebe. Wer diese sucht, der findet sie nicht. Je mehr er sucht, umso mehr entzieht sie sich ihm, denn sie will nicht im Außen gefunden werden, sondern erst in der Person selbst, die nach ihr sucht. Erst dann stehen wir sozusagen mit beiden Füßen in der Welt und können endlich nach der physischen Geburt – die mitunter schon Jahrzehnte zurück liegt – auch psychisch geboren werden. Erst mit der Liebe zu uns selbst sind wir wirklich beseelt und können ein Leben in wahrem Glück mit viel Leichtigkeit und Freude leben. Ruhen in uns, fühlen uns erfüllt und können wahrhaft gesunde Beziehungen pflegen, weil wir endlich in der Beziehung zu uns selbst angekommen sind. Sie ist der Schlüssel für ein in jeglicher Hinsicht erfülltes Leben.
Gelingt uns dies nicht, suchen wir uns im Außen solange Partner und Freunde, von denen wir uns erwarten, dass sie zumindest zu einem Teil die Leere, die wir in uns fühlen, ausfüllen können. Im Grunde genommen wählen wir unbewusst die Freunde und Partner, die sich genauso verhalten wie unsere Mütter und halten an diesen Beziehungen fest, auch wenn sie uns nicht oder viel zu wenig erfüllen. Unbewusst leben wir mit ihnen all die Programme, die wir uns als Abwehr-, Anpassungs- und Überlebensstrategien bereits in jungen Jahren angeeignet haben, um bloß nicht alleine zu sein, denn sonst müssten wir unsere eigene Leere fühlen und bewusst durch den Seelenschmerz und die damit verbundenen Gefühle tiefer Traurigkeit, die wir bislang verdrängt haben, gehen. Allzu leicht wählen wir nach einer Phase des ersten Verliebt-Seins und der daraus resultierenden Euphorie beseelt von dem Glauben, den richtigen Partner gefunden zu haben, unbewusst Beziehungsarrangements, die uns immer und immer wieder aufs Neue erleben lassen, dass da auch weiterhin ein unerfüllter Hunger nach der wahren Liebe in uns lebt.
Solange es beide Partner vermögen, sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse zu ergänzen bzw. einen für beide guten Mittelweg (Kompromiss) zu gehen, kann eine solche Partnerschaft sehr harmonisch und durchaus auch erfüllend sein. Doch der nach wahrer Liebe Suchende bleibt genauso ein Suchender wie ein Träumer ein Träumer bleibt. Und wenn die Seifenblase der Illusion von einer gesunden Beziehung zerplatzt, dann wird die traurige Wirklichkeit Realität. – Dann erkennen wir, dass sich beide Partner gefunden haben und zusammengeblieben sind, um immer und immer wieder ihr Symbiosetrauma unbewusst zu re-inszenieren, denn jeder von uns hat sein ganz eigenes Thema mit seiner Mutter. Jeder von uns hat ihre Präsenz in seinem Leben auf eine ganz eigene Art erfahren, erlebt und gefühlt. In diesem Prozess des Erlebens ähneln sich nicht einmal die Geschwister. Je nach Persönlichkeit und psychischer Standfestigkeit des Einzelnen wird es sehr unterschiedlich erlebt. Doch indem ich diesen Prozess so beschreibe, will ich keineswegs die Mütter anklagen, enttäuschen, kränken oder gar verbittern. – Ganz im Gegenteil. – Ich will unser aller Bewusstsein vielmehr dahingehend schärfen, wie wichtig die Aufgabe ist, Mutter zu sein, und an dieser Stelle betonen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass jede Mutter stets ihr Bestes gegeben hat bzw. gibt, denn auch sie ist wiederum ein Kind ihrer eigenen Mutter, trägt ihre eigene Biografie in sich, sowie auch die Geschichte unserer Ahnen.
Nach Prof. Dr. Ruppert Frank lässt sich Trauma definieren als „ein Erlebnis, das das Ich des Betroffenen zum Verschwinden und seinen Willen zum Erlahmen bringt. Trauma bedeutet Aufgabe und Verlust des gesunden Ichs und des klaren Willens. Es führt zur Unterordnung unter ein „Wir“, das einem mehr schadet als nutzt, oder zur blinden Rebellion dagegen. Es führt zu endlosen symbiotischen Verstrickungen zwischen Menschen, die alle traumatisiert sind und den Weg daraus nicht mehr von alleine finden können.“
Transgenerationales Trauma – Generationsübergreifendes Trauma
Menschen, die Traumata aus der Eltern- oder Großelterngeneration in sich tragen, haben es neben ihren eigenen Erlebnissen und Gefühlen zusätzlich mit einer Flut von Gefühlen und Ereignissen zu tun, die nicht die ihren sind. Auch wenn wir versuchen diese irgendwie zu verarbeiten, so können wir dies nicht, denn wir können immer nur unsere eigenen Gefühle lösen. Diese fremden Gefühle, die wir da in uns aufgenommen haben, verhalten sich anders als unsere eigenen. Man könnte auch sagen: Sie führen unter ihren eigenen Vorzeichen ihr eigenes Leben in uns.
Woran lassen sich Trauma-Folgestörungen erkennen?
man kommt nicht mehr zur Ruhe, kann nicht mehr entspannen, innerer Stress
das Nervensystem ist permanent in Alarmbereitschaft
ausgebrannt-Sein und Erschöpfung
körperliche Schmerzen, chronische Entzündungen, schwaches Immunsystem
Gefühle tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
Schlafstörungen, erhöhte Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit
Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Reizbarkeit
undefinierbare Ängste, Ärger und Wut
Zukunftsängste und Sorgen, pessimistische Haltung
Selbstvorwürfe, negatives Selbstbild
Schuld- und Schamgefühle
Alpträume und u. U. Lebensmüdigkeit
innere Antriebslosigkeit, zu keiner großen Entscheidung mehr fähig
…
In Wahrnehmungen und Gefühle übersetzt heißt dies, wie zum Beispiel bei mir: Warum habe ich immer wieder diesen Traum, in ein tiefes, schwarzes Loch zu fallen? – Was ist dieses Undefinierbare, dieses Schwarze, Düstere, Schwere in meinem Leben? – Was ist das für ein zähes Erbe, mit dem ich da angetreten bin? – Warum ist es mir nicht möglich von Grund auf glücklich zu sein? – Wo kommt sie her, meine tiefsitzende Angst vor dem Leben? – Was haftet ihr an? – Lebe ich denn überhaupt oder bin ich mehr ein Schatten meiner selbst? – Warum scheint mir Lebensfreude und Glück nicht einfach ebenso in die Wiege gelegt zu sein wie den anderen? – Warum habe ich das Gefühl mir alles so hart „erkämpfen“ zu müssen? – Ich bin so müde vom Kämpfen. – Ich mag nicht mehr. – Kämpfen, kämpfen, kämpfen! – Warum empfinde ich mein Leben als einen solchen Kampf? – ???
Ich trage in mir einen Schmerz, der meiner ist und doch nicht meiner. Er begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Genau wie die Gefühle von tiefer Traurigkeit, Ohnmacht und ein starkes innerliches Aufgewühlt-Sein. – Bloß nicht schwach sein. Bloß keine Gefühle zeigen. Das kommt nicht gut. Gefühle müssen kontrolliert werden. Mein Weinen, meine Schwäche. – Bloß nicht auffallen, nicht laut sein, sich am besten gar nicht zeigen. Funktionieren ist wichtig. – Schon als Kind und Jugendliche fühlte ich mich oft sehr einsam und allein. Die Einsamkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich kann mitten unter Menschen sein und fühle mich dennoch so allein. Manchmal ist meine Ohnmacht so groß, dass ich nicht sprechen kann. So konnte ich zum Beispiel meinen Eltern, aber auch meinem Ex-Mann, nie wirklich sagen, was mich beschäftigte. Ihre Welt war nicht wirklich meine Welt. Und ihnen erging es mit mir wohl ebenso. So war ich stets viel mit meinen Gedanken allein. Auch heute noch. …
„Die Seele ist nicht grenzenlos belastbar.“
Bettina Alberti
Die Seele ist nicht grenzenlos belastbar. – Dass dem so ist, das habe ich leider zu spät gemerkt. Solange ich denken kann, war eine gewisse Härte mir selbst gegenüber an der Tagesordnung. Bloß nicht zu weich und nachsichtig mit sich selbst sein. Möglichst keinen Stress machen. Angesagt sind Funktionieren und Disziplin! Das hatte ich gelernt. Das war mir vertraut. Was ich jedoch meiner Seele damit antat, das war mir nicht bewusst. Für mich war es ein ganz normaler Wahnsinn, so unsanft mit mir selbst zu sein. Ich war der Überzeugung, das gehört so zum Erwachsensein dazu. Doch das Leben wollte mich anderes lehren. Irgendwann – genau genommen mit dem Tod meines Bruders – kam ich mit allem nicht mehr zurecht. Schließlich kam meine Seele gemeinsam mit ihm in dieses Leben und gemeinsam mit ihm wollte sie auch wieder zurück. Für begrenzte Zeit konnte ich noch ganz gut funktionieren, dann aber kollabierte meine Seele. Ich fühlte mich nur noch leer. Eine leere menschliche Hülle. Ein Körper ohne Leben. Sich bloß im Außen nichts anmerken lassen. Stärke zeigen …
Oft haben wir die Traumata unserer Eltern und Großeltern schon so früh in unserer Kindheit aufgenommen, dass wir uns ihrer gar nicht bewusstwerden, weil sie schon von Anfang an in unserem System heimisch geworden sind. Mitunter versuchen wir vielleicht schon seit Jahren/Jahrzehnten ihrer habhaft zu werden, sie irgendwie auszugleichen und zu kompensieren, nur gelingt uns dies nicht. Stattdessen nehmen wir sie als Energieräuber, als Angst auslösend oder gar depressiv machend wahr und haben immer wieder ein Gefühl, als würden wir über einem dunklen Abgrund hängen. Die unverarbeitete übernommene Trauer kann sich uns zum Beispiel auch dadurch zeigen, dass wir zwar viel weinen, aber nicht wie üblich nach dem Weinen eine Erleichterung verspüren, sondern eher noch das Gefühl haben, noch tiefer in eine nicht enden wollende Traurigkeit abzurutschen. – So sehr uns diese Gefühle belasten und in die Knie zwingen, sind sie dennoch kaum greifbar für uns. Gelingt es uns nicht, ihrer trotz innerer Arbeit und Reflexion habhaft zu werden und sie aufzulösen, dann ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass es die Energien und Traumata unserer Eltern und Ahnen sind, denn wären es unsere eigenen Belastungen und die daraus resultierenden Energien, dann könnten wir sie uns bewusst machen und lösen.
Sind wir uns der eigenen Probleme und der damit verbundenen Gefühle, die der Klärung bedürfen, bewusst geworden, können wir diese ausreichend betrauern und somit auch lösen. Tragen diese dann nicht länger als unnötigen Ballast mit uns herum, sondern empfinden Frieden und Liebe. – Die Traumata unserer Eltern und Ahnen können wir jedoch nicht lösen. Sie sind zäh, haften uns an und bestimmen so lange unsere Gefühle, unser Denken und Handeln, bis wir sie an die Menschen zurückgeben, von denen sie gekommen sind. Und das sind in aller Regel genau die Personen, die uns wiederum unbewusst auf Abstand halten, um sich selbst vor ihren eigenen unbewussten Gefühlen zu schützen.
Für uns Betroffene ist es wichtig, diesen ganzen Ballast „fremder“ Energien zurückzugeben, denn erst wenn wir wirklich frei davon sind, können wir in unsere eigene Lebenskraft und Lebensfreude finden. Erst dann kommen wir bei uns selbst an und erfahren nun neben der körperlichen auch die seelische Geburt. Fühlen uns gehimmelt und geerdet, stehen mit beiden Füßen im Leben und können nun endlich erleben wie schön es ist, aus einem freien Herzen heraus zu leben.
Mehr Verständnis für mich und meine Situation bekam ich erst so richtig, als ich 2018 begann an Systemischen Aufstellungen teilzunehmen. Sie brachten Licht ins Dunkel und halfen mir vieles besser zu verstehen. Bei einer Systemischen Aufstellung werden die für ein bestimmtes Thema wichtigen Mitglieder eines Systems (z. B. Familie) aufgestellt und innerhalb eines Raumes zueinander in Beziehung gestellt. Auf diese Art kann im Hinblick auf das Thema bewusst gemacht werden, wie es um die Interaktion zwischen den Mitgliedern der Familie steht. Sind sie sich zu- oder abgewandt? – Blockieren sie sich? – Welche unbewussten Energien (positiv/negativ) zeigen sich zwischen Person A, B, C …? – Da wir Menschen uns gegenseitig Spiegel sind, hat jeder von uns innerhalb dieser Systeme einen ganz bestimmten Platz, der letztendlich wiederum mit ganz bestimmten Lernaufgaben sowohl für den Einzelnen als auch für das gesamte System verbunden ist. Das Wertvolle an den Systemischen Aufstellungen ist, dass sie Klarheit und Bewegung in festgefahrene Systeme bringen. Der Sinn solcher Aufstellungen ist es, immer wieder auftretende Schwierigkeiten oder Konflikte in einem größeren Zusammenhang zu sehen. So können zum Beispiel biografische Muster und generationsübergreifende Problemstellungen sichtbar gemacht und integriert werden. Dabei führt ein geschulter Therapeut oder Coach die beteiligten Systemvertreter/Stellvertreter durch den Prozess. Den Grundstein für diese Methode, unbewusste Strukturen, Beziehungen und Dynamiken von Systemen sichtbar zu machen, legte die amerikanische Familientherapeutin Virginia Satir.
Über mehrere solcher Systemischen Aufstellungen hinweg wurden wir als Stellvertreter immer wieder konfrontiert mit der Thematik von Krieg, Tod und unverarbeiteter Trauer und konnten uns so darüber bewusstwerden, wie sich die ungelösten Energien, deren Ursache meist in dem unverarbeiteten Schmerz von damals lag, auch heute noch als Blockade innerhalb der Beziehung zwischen Eltern und Kind zeigen. So erlebten wir immer wieder einmal Situationen, wo wir erkennen konnten, dass uns die Eltern als Kinder mit unseren Bedürfnissen nach Wertschätzung und Liebe gar nicht wirklich wahrnehmen und fühlen konnten. – Ganz im Gegenteil. – Wir überforderten sie zusätzlich, indem wir jetzt auch noch bedürftig nach ihrer Liebe und Zuwendung waren. Zum Teil waren sie mit ihrem Schmerz wie zu einer Salzsäule erstarrt, da in ihnen so viel an Angst, Traurigkeit und anderen Emotionen war, die ein Fühlen und Wahrnehmen des eigenen Kindes gar nicht möglich machten. Wie ein Schatten lebten diese Energien in ihnen fort und blockierten unbewusst die Beziehung zu ihrem eigenen Kind. – Und über allem konnten wir immer und immer wieder sehen, dass es in aller Regel an der Kommunikation zwischen den beteiligten Personen fehlte. Man hatte schon viel zu lange das Tuch des Schweigens über alles gelegt und wollte mit dem eigenen Seelenschmerz, sowie der Angst und Ohnmacht, die sich dadurch zeigen können, nicht konfrontiert werden. … Wie sollten uns die Eltern also das geben, wonach sie selbst bereits in ihrem Leben suchten, ganz egal wie bewusst oder unbewusst sie dies taten?
Erst mit der Lektüre der Bücher von Frau Bettina Alberti und Frau Sabine Bode (siehe Literaturverzeichnis) konnte ich nach und nach eine andere Perspektive einnehmen und mehr Verständnis für die Situation meiner Eltern aufbringen und verstehen, warum sie waren, wie sie waren bzw. sind (meine Mutter lebt noch). Sie sind im Grunde genommen selbst zutiefst verletzte und traumatisierte Kinder, die es sich ihr Leben lang untersagt hatten, Schmerz, Trauer und andere Gefühle zu verarbeiten. Sie erschufen sich stattdessen eine Welt, in der es so zu sein hatte, wie es wichtig und richtig für sie war. Dabei konzentrierten sie sich bewusst wie unbewusst sehr oft noch auf die alten Werte, nach denen sie selbst erzogen wurden, als da sind: Härte gegen sich selbst – Weitermachen trotz Weh und Ach – Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Geboren war der Mensch, der scheinbar nahezu „bedürfnislos“ funktionierte und mit ganz wenig zufrieden war.
Wir leben schon in der dritten Generation (Eltern, Großeltern, Urgroßeltern) in einer Welt, die in den Erinnerungsfeldern unseres Unterbewusstseins noch viel aus Schutt und Asche, seelischen Trümmern, Not und Verzweiflung usw. besteht. Drei Generationen Ahnen, die sich – was ihre persönliche Entwicklung angeht – hauptsächlich den Wiederaufbau auf die Fahnen schrieben. Ihre Rettung war ihre Art von „Flucht“ in diverse Abwehrmechanismen, um entsprechend ihrer Lebensbedingungen möglichst gut zu funktionieren und das auszublenden, was für Schmerz, Trauer, Kummer, Angst, Sorgen etc. stand. – Für das, was sie aus dem Nichts heraus geleistet haben, gebühren ihnen größte Anerkennung, Wertschätzung, Achtung, Respekt und Dank. – Durch die Aufarbeitung meiner eigenen Vergangenheit und der Geschichte der Ahnen wurde mir immer mehr klar, dass sie im Grunde genommen stets ihr Bestes gegeben hatten, auf der Grundlage dessen, was sie selbst erfahren und erlernt hatten.
Die Welt unserer Eltern und Ahnen konnte nicht aus Träumen bestehen. Da waren harte Fakten (Skills) gefragt. Für die weicheren Skills sind jetzt wir, die nachfolgenden Generationen, gefragt. Da, wo unsere Eltern mit dem wirtschaftlichen Aufbau einer Gesellschaft gefordert waren und die entsprechenden Werte lebten, sind jetzt wir gefragt, uns unserer eigenen Werte und Ziele bewusst zu werden und vermehrt nach diesen zu leben, damit sich ein struktureller Wandel vollziehen kann. Jetzt ist die Zeit, um neue Ideale, Werte und Ziele ins Leben zu bringen. Ein Auftrag, vor dem wir im Kleinen wie im Großen weltweit alle stehen.
In ihrem Buch Seelische Trümmer (S. 132ff) gibt uns Bettina Alberti dazu Fragen an die Hand, deren Beantwortung wichtige erste Schritte in der emotionalen Selbstführung und Bewusstwerdung eigener Bedürfnisse sind:
Welche Werte hatte und hat die Herkunftsfamilie? – Kann ich diese Werte auf den inneren Prüfstand stellen, einige ablehnen und andere annehmen?
Was habe ich von der Eltern- und Großelterngeneration gelernt?
Wie kann ich meinen Frieden mit der Vergangenheit machen?
Gibt es alte, unbewusste Aufträge aus der Herkunftsfamilie, die mich binden?
Welche Werte kann ich selbst ins Leben bringen? – Was braucht meine Seele?
Was bringt mich weg von mir und was führt mich zu mir hin?
Kann ich mit anderen darüber kommunizieren, was mich wirklich bewegt?
Was braucht einen Platz in mir, einen Hort der Geborgenheit?
Kann ich lernen, das Hier und Jetzt wahrzunehmen?
Was ist mir wichtig, was spricht mich an?
Welche Menschen erreichen durch welche Werte die Tiefe meiner Seele?
Um die Ressourcen, die in der Vergangenheit liegen, zu sehen, ist es wichtig, die eigene Vergangenheit zu reflektieren. Unseren Frieden damit zu machen. Noch viel mehr in die Verantwortung für den Umgang mit sich selbst und mit den anderen zu gehen. Unsere Schwächen genauso anzunehmen wie unsere Stärken. Den eigenen Gefühlen zuzuhören. Alle Gefühle zu leben und authentisch zu sein. Sich für andere zu öffnen, auch wenn es heißt die eigene Verwundbarkeit zu zeigen. Die Beziehung zu sich selbst liebevoll auszubauen und zu gestalten, um frei zu werden für ein Mehr an gesunden Beziehungen mit anderen.
1 Dr. Jürgen Wettig. Eltern-Kind-Bindung. Kindheit bestimmt das Leben; Deutsches Ärzteblatt 2006; 103(36): A 2298–2301. Abrufdatum 06. 01. 2021, von https://www.aerzteblatt.de/archiv/52567/Eltern-Kind-Bindung-Kindheit-bestimmt-das-Leben
2 Prof. Dr. Ruppert Frank. Symbiosetrauma und symbiotische Verstrickun-gen. Abrufdatum 06.01.2021, von https://docplayer.org/18729030-Sym-biose--trauma-und-symbiotische-verstrickungen.html