Читать книгу Meine Seele will endlich fliegen - Hermine Merkl - Страница 12

Оглавление

6

Es muss zwischen Himmel und Erde etwas geben, das Heilung bewirkt!

Meine ersten Schritte hinein in ein bewussteres und gesünderes Leben

Eines Tages hörte ich einen Vortrag von Neale Donald Walsch. Sie kennen ihn vielleicht als Autor der Bücher Gespräche mit Gott. Da auch ich inzwischen immer mehr das Gespräch mit Gott suchte und meine Fragen an ihn richtete, kam eine erste Antwort von Gott mittels dieses Vortrags zu mir. Ich kann den genauen Wortlaut nicht mehr wiedergeben, aber N. D. Walsch erzählte in diesem Vortrag seine eigene Geschichte. Berichtete davon, wie er seine persönliche Situation Gott hinhielt, und dass ihm Jesus das sogenannte Gesetz der Gegensätze erklärte, das besagt: „Wogegen du kämpfst, das bleibt.“ – „Die Energie des Widerstandes sorgt dafür, dass die Dinge nicht miteinander verschmelzen können.“ – „Hör auf zu kämpfen, steige ein in das, was zu dir kommt. Es gilt, die Dinge willkommen zu heißen.“ Bis zu diesem Vortrag hatte ich ehrlich gesagt noch nie etwas von einem Gesetz der Gegensätze gehört. Doch wie gebannt von diesen Worten hörte ich dem Vortrag weiterhin zu. Hörte einfach nur zu und öffnete mich für das, was da berichtet wurde. Ohne Bewertung. Ohne Widerstand. Ich erinnere mich noch daran, dass im weiteren Gespräch zwischen Jesus und N. D. Walsch davon gesprochen wurde, dass es keinen Zufall gibt: „Es gibt keinen Zufall. Du hast dich an die Verabredung mit deiner Seele gehalten. Du erinnerst dich daran. Du musst deinen Verstand hinter dir lassen und dich für deine Seele entscheiden. Du hast dein Versprechen gegeben – Nun lebe es! – Nun lebe es!“ …

Da war sie also: eine erste Antwort von Gott. Mit diesem Vortrag lernte ich, dass ich statt zu „kämpfen“ mich meiner Realität einfach „hinzugeben hatte“. Klingt leicht, aber wie mache ich das? – Nun, es dauerte seine Zeit, aber ich habe es gelernt. Heute weiß ich, dass der allererste Schritt tatsächlich genau darin besteht, sich voll und ganz der Situation hinzugeben mit all dem, was ist. Damit meine ich aber nicht ein sich Hingeben im Sinne von Selbstmitleid und sich bedauern und beweinen. – Das hatte ich lange genug gemacht und es hat mir nicht geholfen. Darauf hatte ich beim besten Willen keine Lust mehr. Was ich stattdessen lernen sollte, war, dass es am besten weitergeht, wenn ich den Weg des Selbstmitgefühls gehe. Und Selbstmitgefühl hat mit Selbstmitleid rein gar nichts zu tun. So übte ich mich Schritt für Schritt darin, mich dem Fluss des Lebens voller Vertrauen hinzugeben. Dazu musste ich aber erst in die Annahme all dessen gehen, was ich in irgendeiner Art und Weise zu beweinen, zu beklagen und zu betrauern hatte. Musste lernen, meine Angst vor dem Schmerz abzulegen, ja mehr noch, meine Angst immer wieder und wieder zu umarmen und gemeinsam mit ihr mitten durch den Nebel, die Finsternis und die Dunkelheit zu gehen.

Heute, mit neu entstandener Zuversicht und viel Abstand auf all diese Zeit meines Lebens zurückschauend, fällt mir folgendes Bild dazu ein. Das Bild wie ich in einem Kajak sitzend einen langen Fluss entlangfahre. Einen Fluss, der sich mal vorbei an Blumenwiesen und dann wieder vorbei an steinigeren Flussabschnitten durch eine wunderschöne Landschaft schlängelt. Da ich eine begnadete Träumerin und eine sehr romantische Seele bin, hatte ich mir natürlich erwartet, dass mir diese Flussfahrt natürlich auch weiterhin nur die schönsten Bilder der Natur zeigt. Ich stellte mich folglich auf einen gemächlich dahinfließenden Flussverlauf ein, der sich gleichmäßig und unaufgeregt durch dieses Tal schlängelt. Der mit Mutter Natur auf ideale und harmonische Art und Weise verbunden ist. Ein Gewässer, das sich sanft und leicht dahinplätschernd in die Natur dieses Tales einschmiegt. … Doch an irgendeiner Kehre meines Flusslaufes war ich unaufmerksam und unbedacht. Und habe dabei völlig übersehen, dass sich diese Bilderbuch-Landschaft um mich herum inzwischen völlig verändert hatte. Ich war so auf mein Paddeln (Arbeit und Funktionieren) und in all diesen Zauber der Natur vertieft, dass ich NICHT mitbekam, dass ich geradewegs auf Stromschnellen zufuhr. Die aber waren so schnell da und in all ihrer Dynamik so aggressiv, so brachial, dass ich leider nicht mehr die Kraft zum Gegensteuern hatte. Das donnernde und tobende Wasser hatte mich schon so fest in seinem Griff, dass es da kein Ausweichen mehr gab. Noch dazu hatte ich in einem unaufmerksamen Moment auch noch das Ruder meines Kajaks verloren. Irgendwann wurde das Toben und Rauschen der Stromschnellen für mich insgesamt zu viel. Irgendwann war eine Grenze überschritten. Eine Grenze, an der ich mich vielleicht noch mit letzter Kraft hätte retten können. Irgendwann hatte ich so etwas wie meinen natürlichen „Schutz-Instinkt“ verloren. War nicht mehr in mir, sondern nur noch in einer wilden und unfreundlichen Außenwelt. Und hatte dabei gänzlich mein Gleichgewicht, meine Balance verloren. Ich konnte gar nicht mehr anders als mich dieser unbändigen Naturgewalt hinzugeben. – Ja, so seltsam es klingt, ich hatte mich dieser ureigenen Kraft hinzugeben. Intuitiv wusste ich: Wollte ich mich retten und irgendwie überleben, so musste ich mich diesem Strudel, diesem „Wildwasser“ hingeben.

Doch es dauerte, bis ich all dies immer mehr begriff. Bis ich aus einem anderen Verständnis heraus wieder auf mein Leben schauen und das Geschehene annehmen konnte. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich mit all dem ausgesöhnt hatte, was ich mir bewusst wie unbewusst an Lernaufgaben in dieses Leben geholt hatte. Es dauerte seine Zeit, bis ich im Frieden war mit dem, was mir von meinem bisherigen Leben geblieben war. Versöhnt mit all diesen Lebens- und Lernsituationen, beruflich und privat. Versöhnt mit den Menschen, die mir meiner damaligen Überzeugung und ersten Interpretation nach so viel Herz-Schmerz zugefügt hatten. Versöhnt mit all diesen „Spiegelpartnern“, die ich mir als „Lernpartner“ ausgesucht hatte. Und ganz wichtig!!! – Versöhnt mit mir selbst!

Zum Glück bin ich ein sehr neugieriger und wissbegieriger Mensch. Und da ich mir nun schon einmal diese Realität im Außen so erschaffen hatte, wollte ich wenigstens um die Ursachen wissen, die letztendlich zu diesem „Crash“ geführt hatten. Ich wollte diese unbändige Kraft dahinter verstehen. Wollte wissen, wann genau ich von meinem Weg abgekommen war. Dem Weg, von dem ich so lange geglaubt hatte, dass er der richtige für mich ist. Ich wollte mir dies alles Stück für Stück ansehen, denn ich wusste, nur so kann ich über kurz oder lang meinen Frieden mit all dem machen. Nur so kann ich meine innere Ruhe und mein Gleichgewicht wiederfinden. Und so machte ich mich – zunächst unfreiwillig und ungewollt – auf meinen Weg. Einen sehr steinigen und unbequemen Weg. Auf einen Weg durch viel Geröll. Doch wie heißt es so schön? – Es gilt, Krisen und Konflikte als Chancen zu sehen.

„Neue Wege: Ein neuer Weg ist immer ein Wagnis.

Aber wenn wir den Mut haben loszugehen,

dann ist jedes Stolpern und jeder Fehltritt ein Sieg

über unsere Ängste, unsere Zweifel und Bedenken.“

Verfasser unbekannt

Der Weg ist das Ziel

Mit Krise und Krankheit in meinem Gepäck machte ich mich mit den Kräften, die ich noch hatte, auf einen neuen Weg. Auf meinen ganz persönlichen „Pilgerweg“, der direkt vor meiner Haustüre begann. Der mich aber nicht nach Santiago de Compostella, nach Assisi, nach Rom oder sonst wohin führte, sondern zunächst in den Klinikalltag. Und erst danach wieder Schritt für Schritt zurück in eine andere Lebenswelt, fernab von Schule, fernab von Familie, fernab von Partnerschaft, fernab von Freundschaften. Es begann eine Reise, eine Wanderschaft, die mich tagaus, tagein ziemlich forderte. Deren Strapazen nicht in gelaufenen Kilometern zu bemessen waren. Manchmal wusste ich nicht einmal mehr ob ich mich überhaupt nur einen Millimeter von der Stelle bewegt habe. Ja, es gab sogar etliche Momente, in denen ich glaubte, dass ich nicht vorwärts, sondern rückwärts ging. Es war eine Zeit, in der ich die Welt nicht mehr verstand. Ich war nur noch auf Rückzug von dieser „Schein-Welt“ gepolt, die mich umgab. Ich konnte nicht mehr. Wusste mit all dem nichts mehr anzufangen. – Unten war oben! Oben war unten! – In allen Bereichen meines Lebens knisterte es. Alles war nur noch das reinste Chaos. Ein heilloses Durcheinander. Und ich selbst hatte dabei jegliche Ordnung, Struktur und Sicherheit verloren.

Das, was mir die Therapie brachte, war, dass ich wenigstens insoweit wieder in mein Leben zurückfand, dass ich mit mir alleine im Alltag klarkam. Dass ich wieder so etwas wie einen Tages-Rhythmus fand. Dass ich wieder ein Fünkchen „Hoffnung“ am Horizont aufblitzen sah. Dabei erinnerte ich mich an Worte, die ich während meiner Kindheit des Öfteren von meiner Mutter gehört hatte: „Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her!“

Da ich die Zeit der Krankschreibung für mich persönlich bestmöglich (da ist er wieder der „Leistungsgedanke“, mein bester Freund J) nutzen wollte, begann ich mich diesem „Puzzle meines Lebens“, das so heillos durcheinandergeraten war, mit viel Hingabe, Sorgfalt, Wertschätzung und Liebe zuzuwenden. Und mit jedem Tag, an dem mir dies gelang, konnte ich nach und nach wieder so etwas wie Lebenswillen und Kraft generieren. Was ich vorfand war manchmal oft nur ein Häufchen Elend. Dann musste ich aufpassen, dass mich die Welle des Selbstmitleids nicht übermannte, denn diese Gefahr schwang natürlich immer noch mit. Sie war Tag und Nacht potentielle Begleiterin. Doch ich versuchte ihr zu trotzen, ihr zu widerstehen, so oft ich sie erkannte und so gut ich konnte. Das Wichtigste für mich war, meinem Alltag wieder eine Struktur zu geben und mir selbst den Glauben an mich zurückzugeben. Den Glauben, sowie das Vertrauen in mich, das ich so sehr verloren hatte. Doch das war eine gewaltige Herausforderung für mich, denn es gab urplötzlich ja keine „To-Do-Liste“ mehr, die ich „schön brav abarbeiten“ konnte, und an der ich meine erbrachte Leistung für diesen Tag bemessen konnte. Es gab stattdessen nur Fragen über Fragen. Und die meldeten sich. Sie drängten nach einer Antwort. So begann für mich eine Zeit, in der ich eine „Suchende“ war. Manchmal eine sehr verzweifelt Suchende. Gefühlter maßen drehte ich jeden Stein um, der sich mir in den Weg legte, um darunter nach einer Antwort zu suchen. Mein Rettungsanker war, dass ich sehr viel Zeit hatte. Zeit für mich. Diese Zeit war purer Luxus. Diese Zeit war ein unglaubliches Geschenk für mich. – Doch ich musste erst lernen, gut, klug und weise mit diesem Geschenk an Zeit umzugehen. Musste lernen, sie effektiv zu nutzen. Sie für mein Wohlergehen und meine Heilung einzusetzen. – Und das tat ich. Was mir dabei half, war die Liebe zur Literatur und zum Schreiben. – Beides meine ultimativen Rettungsanker! – Mit beiden konnte ich mir Halt geben. Mit beidem konnte ich meinem Tag Struktur geben. Mit beiden konnte ich mir Raum geben. Mit beiden konnte ich diese neu gewonnene Zeit für mich auf das Beste ausfüllen und nutzen. Mit beiden konnte ich mich auf den Weg machen, um meine Seelen-Landschaft zu ergründen, meine Schatten zu entdecken und sie mir bewusst und vertraut zu machen. Beides war Balsam für mich. Balsam für mich und meine Seele.

Lehr- und Studienjahre

Und so begann für mich die Zeit meines „Selbststudiums“. Dabei habe ich mir aus den Lehrjahren der Krise, des Burnouts, der Depression und des PTBS etc. sogenannte Studienjahre gemacht und begann mehr denn je Fragen zu stellen. Fragen wie: Was ist die Botschaft dahinter? – Was habe ich bislang versäumt? – Was habe ich zu lernen? – Was will mich das Ganze lehren?

Die entsprechenden „Dozenten“ kamen dabei sehr oft in Gestalt von Büchern zu mir. Sie kamen wie „rettende Engel“ zu mir. Jeder Griff ins Regal war wie ein „Volltreffer“ für mich. Und ob Sie’s glauben oder nicht: jetzt half mir sogar mein „kritischer Verstand“. Er zeigte mir eins ums andere bestimmte Schatten-Themen auf. So fing mein Selbststudium an. In erster Linie waren es Bücher aus den Bereichen der Psychologie und Pädagogik, der Neurowissenschaften, der Epigenetik, der Philosophie, der Spiritualität und der Persönlichkeitsentwicklung. Hier entdeckte ich so vieles, was so spannend und neu für mich war. – Und all dieses Neue, das tat mir richtig gut. Das alles zu lesen erforderte so sehr meine Aufmerksamkeit, dass ich dadurch von meiner eigenen Geschichte abgelenkt war. Und das war letztlich meine allerbeste Therapie. Das Schönste an der Lektüre dieser Bücher war, dass ich nicht mehr länger ohnmächtig blieb, sondern dass ich mit dem Studium dieser Bücher wieder in ein Handeln kam. – Da gab es mitunter so viele gute Impulse, so viele gute Ratschläge, so viele gute Hinweise und Empfehlungen. Und so erschloss sich mir mittels der Lektüre mitunter eine ganz andere Welt. – Ich hatte meine Liebe zu den Selbsthilfe-Büchern entdeckt. – Und an dieser Stelle danke ich all den Psychologen, Therapeuten, Medizinern, sowie all den spirituellen Autoren und Lehrern, die mir in all dieser Zeit zu wichtigen Lebensbegleitern wurden (siehe Literaturliste).

Mit Hilfe der Lektüre dieser Bücher fing ich an, mich selbst durch meine Lebensthemen zu coachen. Und habe nebenbei geschrieben, geschrieben und geschrieben. Neben dem Lesen wurde das Schreiben zu einer immer größeren Leidenschaft für mich. Ich habe zwar immer schon viel und gerne geschrieben, doch jetzt nahm dieses Schreiben noch einmal ganz andere Formen an. Es wurde für mich eine Art von „Selbst-Therapie“. Dies alles hat mich inzwischen zu der Person gemacht, die ich heute bin. Und so begann die bisher aufregendste und spannendste Reise meines Lebens. Eine Reise, die mich mitunter extrem gefordert hat. Doch heute sage ich: Sie hat mir auch unendlich viele kleine und große Geschenke gebracht. Geschenke, die ich zunächst gar nicht sehen konnte, weil ich viel zu sehr in meiner anfänglichen Situation verhaftet war. Doch mit der Zeit entdeckte ich sie. Eines nach dem anderen. Und ich darf sagen: Das, was sich mir heute zeigt, ist wieder schön. Und diese ganzen Umstände lehrten mich: Wir leben zwar unser Leben vorwärts, doch die „Lehren“, die wir aus all den Herausforderungen und Erfahrungen ziehen, können wir sehr oft erst im Nachhinein verstehen. Und genau so ist dies auch mit den Geschenken. Auch sie zeigen sich uns erst hinterher. – Sind wir direkt im Prozess des Erlebens, sind wir in aller Regel „blind“ für sie. Die Geschenke zeigen sich uns erst im Nachhinein.

Von der Heilkraft des Schreibens

Eines dieser Geschenke war für mich, dass ich die intensive Heilkraft des Schreibens entdecken konnte. Wenn ich dem Papier meine Gefühle anvertraute, dann entlastete das nicht nur meine Seele. Schreibend lernte ich mich selbst besser kennen. Schreibend befreite ich mich aus meinen Grübel-Schleifen. Wenn mir Familie, Freunde, der kommunikative Austausch mit anderen fehlte, dann wurde für mich das Papier zu meinem Zuhörer und besten Freund. Und das Schöne daran ist, dass das Papier ein sehr geduldiger Zuhörer ist. Ein Zuhörer, vor dem ich keine Angst haben muss, dass ich mit dem, was ich schreibend sage, auf irgendeine Art und Weise bewertet werde. Ich kann mich einfach dem Fluss des Schreibens hingeben. Ganz egal wie sich dieser gerade gestaltet. Holperig, flüssig, stockend – ganz egal. Es ist immer richtig, so wie es ist.

Anfangs notierte ich mir einfach nur meine Gedanken und spürte schon bald, dass ich so dem heillosen Durcheinander in meinem Kopf wieder etwas mehr an Struktur geben konnte. Dabei wurde es immer wichtiger für mich, meinen Geist vom Grübeln zu befreien. Das geschriebene Wort, das dann auf dem Papier stand, war erst einmal geduldig. Es wurde zur Kenntnis genommen. Es fühlte sich damit bereits wertgeschätzt und gehört an. – Begonnen habe ich anfangs mit 30 Minuten täglichem Schreiben. Musste aber schon bald feststellen, dass es damit nicht mehr getan war. Die Worte strömten nur so aus mir heraus. Und je mehr sie strömten, umso leichter wurde mir. – Setzte ich mich anfangs oft mit verweinten Augen vor mein Notizbuch, so trat mit der Zeit durch das automatische Schreiben eine immense Erleichterung bei mir ein. Ich schrieb und schrieb. Und schreibend „befreite“ ich mich nach und nach von meinen Gedanken. Irgendwann – meist nach circa 10–15 Minuten – verspürte ich so etwas wie einen Switch.

Dann spürte ich, wie sich die Worte veränderten, wie meine Sprache klarer wurde. Wie ich zusehends positiver in meiner Ausdrucksweise wurde und mir Botschaften notierte, als hätte mir da gerade eine gute Freundin, ein guter Freund geantwortet. Und mit der Zeit begriff ich: Ja, es gibt diesen inneren Freund. Und ich muss dafür nicht einmal zum Telefonhörer greifen, eine Nummer anrufen oder gar das Haus verlassen, um Freund „A“ oder Freundin „B“ aufzusuchen. Und ein ganz großer Vorteil von diesem Gesprächspartner war, dass ich ihn Tag und Nacht aufsuchen konnte. Er war immer für mich da. Dieser „Freund“ wurde ein weiterer Rettungsanker für mich, mit dessen Hilfe ich meine Gedanken sortieren konnte. Meist war die erste Phase des Schreibens noch sehr tränenreich, weil hier der Schmerz seinen Platz bekam. Doch je mehr Raum ich den so lange unterdrückten Gefühlen gab und mich schreibend durch sie hindurchfühlte, entstand so etwas wie ein geschützter Raum um mich herum. Ein Raum, in dem Schniefen und Weinen genauso erlaubt war wie wütend und patzig sein. In dem ich schreibend meine Stimme erhob. Mal ganz laut, mal ganz leise. So, wie mir gerade danach war. Und je mehr ich mich dieser zweiten Phase des Schreibens hingab, umso klärender, umso befreiender fühlte sich das Ganze an. Nach und nach konnte ich mich immer besser in den Prozess hineinfallen lassen und mir so meine Wut, meine Enttäuschung, Bitterkeit, Groll etc. von der Seele schreiben und mir die Themen anschauen, die hinter meiner Diagnose standen. Ich lernte die Dinge aus verschiedenen Perspektiven heraus zu betrachten und ließ es in aller Ruhe auf mich wirken. Dabei hatte ich stets das Gefühl, als ob mich eine „innere Stimme“, ein „innerer Coach“ durch den gesamten Prozess führt. Mein „innerer Heiler“, mein „innerer Therapeut“.

Wofür ich unendlich dankbar bin: Die Lektüre der Bücher, sowie das automatische Schreiben schenkten mir eine gelassenere Sicht auf die Themen. So manche Lektüre brachte mir wichtige wissenschaftliche Erklärungen, mit denen sich dann auch mein Verstand zufriedengab. Und mit Hilfe der neuesten Bücher aus den Bereichen der Neurowissenschaften und Psychologie wurde mir nach und nach klar, dass dies alles nicht mein Einzel-Schicksal ist, sondern dass dies die Lebens- und Entwicklungsthemen von uns allen sind, die sich uns früher oder später zeigen. – Jedem zu seiner Zeit.

Und immer mehr erkannte ich, dass es sehr wohl die Möglichkeit gibt, nicht nur den Körper, sondern auch den Geist selbst zu heilen und dass es hier nur der Disziplin, sowie eines mentalen Trainings bedarf. Also wurden Meditation, Achtsamkeit und „Gedanken-Hygiene“ wichtig für mich. Und schon bald stellte ich fest: Mein Stresslevel ließ tatsächlich nach. Das passierte zwar nicht von heute auf morgen, sondern bedurfte regelmäßigen Trainings. Und natürlich gab es auch Zeiten, in denen es wieder Rückfälle gab. Doch sie wurden immer weniger, weil ich inzwischen wusste, wie ich mir helfen kann ein solches Tal der Tränen auch wieder zu überwinden. Das Wichtigste und Befreiende hierbei war, dass ich wieder handlungsfähig wurde. Das Schreiben half mir, mir das Erlebte noch einmal in meinem Tempo und auf meine Art anzuschauen, daraus zu lernen und es letztlich als eine Erfahrung anzunehmen. Ich entdeckte, wie wohltuend es war, Dinge in Worte zu kleiden, von denen ich ursprünglich annahm, dass es dafür keine Worte gibt. Während des Schreibens war ich plötzlich nicht mehr allein. Das Gefühl der Einsamkeit veränderte sich. Ich brauchte schmerzvolle Gefühle nicht mehr länger wegzusperren. Hatte endlich einen geduldigen Zuhörer gefunden. Dem Papier konnte ich einfach alles anvertrauen. Es sprach nicht mit anderen Personen über mich. Es verletzte mich nicht. Mit dem Schreiben bekam ich Abstand zu meiner eigenen Geschichte. Konnte mich besser aus meinem „Grübelzwang“ befreien. Schreibend erleichterte sich mein Herz. Mein Innerstes bahnte sich einen neuen Weg. Im Prozess des Schreibens kam ich mir wieder nah. War ich fürs Erste unfähig und blockiert meine Gedanken und Gefühle (Trauer, Schmerz, Wut, Ärger etc.) sprachlich auszudrücken, so fand ich über die Schriftsprache Unterstützung und Halt. Hier konnte ich mich sicher fühlen. Im Grunde genommen gab mir Schreiben meine Stimme wieder. – Schreiben besitzt eine immense „Heilkraft“ für mich.

„Die letzte Freiheit, die ein Mensch besitzt,

ist die Entscheidung, die Dinge anders zu sehen.

Jedes Leben hat sein Maß an Leid.

Manchmal bewirkt eben dies unser Erwachen.“

Viktor Frankl

Viktor Frankl, der es in der schlimmsten Situation seines Lebens vermochte, aus einem anderen Blickwinkel heraus auf all das zu schauen, was ihm im Holocaust widerfuhr, hat mich zusätzlich inspiriert, ebenfalls aus einer ganz anderen Perspektive heraus auf all meine Lebensthemen (beruflich wie privat) und die Symptomsprache meines Körpers zu schauen.

Sein Buch … trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, Kösel Verlag, half mir wieder neugierig und offen zu werden für das, was mir die Lektionen meines Lebens mitzuteilen hatten. Und da uns wichtige Botschaften meist nie allein erreichen, kamen gleichzeitig mit der Lektüre dieses Buches folgende Worte Buddhas in mein Leben. Und so kristallisierte sich nach und nach mein neuer Denkansatz heraus:

 Okay, die Situation ist, wie sie ist. Du kannst augenblicklich nichts daran ändern.

 Nimm die Gegebenheiten so an, wie sie sind, und mache das Beste daraus.

 Nutze die Zeit und frage dich stattdessen: Wann hat es angefangen anders zu werden? – Was war das auslösende Moment?

 Welche Menschen waren daran beteiligt? – Was hat es mit dir gemacht? – Wie hast du reagiert? – Wie hast du dich dabei gefühlt?

 Welche Konsequenzen hast du daraus gezogen? – Hast du konsequent danach gehandelt oder nicht? – Was hat dich daran gehindert konsequent zu sein?

 Was hält dich in der Situation? – Wovor hast du Angst?

 Wo warst du dir selbst gegenüber untreu? – Wo hast du dich verloren?

 Gehe in diese Zeit, in diese Situation zurück und schau dir an, was zeitgleich, aber auch in den Jahren davor bereits an Veränderung geschah.

 Notiere dir alles, was kommt, sowohl beruflich als auch privat. Benenne die Fakten.

 Erkennst du bestimmte Zusammenhänge?

 Gibt es ein bestimmtes Verhaltensmuster bei dir, bei anderen?

 Was würdest du deiner besten Freundin raten, wenn nicht du, sondern sie in dieser Situation wäre? – Welche Hilfestellung würdest du ihr geben?

 Was kann ein erster Schritt sein? – Welche Schritte sollten folgen?

 Was brauchst du, um lösungsorientiert zu denken?

 Was will dich das Ganze lehren? – Was gilt es zu begreifen?

 Was ist das Positive daran? – Lerne dich darauf zu konzentrieren.

 Wie kannst du deine Aufmerksamkeit so lenken und deine Gedanken so beeinflussen, dass du etwas Gutes in allem siehst?

 Erlaube dir Fragen, Fragen, Fragen. Auch dann, wenn die Antwort nicht sofort kommt.

Und um irgendwann wieder wie Phoenix aus der Asche aus der „alten“ Lebenssituation herausgehen zu können, wollte ich verstehen: Was sagen mir Burnout, Depression und Posttraumatische Belastungsstörung bzw. all die anderen Symptome? – Was habe ich zu begreifen? – Was habe ich zu lernen?

Meine Seele will endlich fliegen

Подняться наверх