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1.1.4 Geschichte der Frauenliturgiebewegung.
Überblick über Entstehung und zentrale Inhalte

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Mit der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hat sich die katholische Kirche eine Basis gegeben, um mit den Pluralitäten in ihrem Innern wie der Gesellschaft umzugehen. Dies wird nicht zuletzt im neuen Pastoralbegriff dieses Konzils zum Ausdruck gebracht. „Pastoral ist auf dem II. Vatikanum ein Gesamtbegriff für das evangeliumsgemäße Handeln der Kirche in der Gegenwart“ (Bucher 2004b, 35 f.). Es handelt sich dabei „um pastorale Solidarität, die der Glauben in den Problemen und Visionen der Menschen von heute einnehmen kann und in der er eine Autorität unter ihnen gewinnt“ (Sander 2005b, 610). Dazu bedarf es einer deutlichen Ortsbestimmung. Die Kirche soll „sich in den Zeichen der Zeit und damit unter den Menschen, oder genauer: in Liebe und Achtung der Menschen und deshalb mitten in ihren Nöten und Erwartungen, positionieren. Das ist der Vorgang der Pastoral. Sie hebt die Kirche nicht ab von der Zeit, sondern gibt ihr inmitten der Probleme und Entwicklungen der Zeit einen Ort“ (ebd., 701).

Betrachtet man jedoch die Realität, dann muss festgestellt werden, dass es an deren Umsetzung in der Praxis vielerorts mangelt bzw. die Realisierung nur unzureichend versucht wurde. In der Regel waren es Versuche und Unternehmungen der gemeindlichen Reform (vgl. Wess 1996). „Die gemeindetheologische Modernisierung der Nachkonzilszeit wollte freigeben (‚mündiger Christ‘) und gleichzeitig wieder in der ‚Pfarrfamilie‘ eingemeinden. Sie wollte Priester und Laien in ein neues gleichstufiges Verhältnis bringen – bei undiskutierbarem Leitungsmonopol des priesterlichen Gemeindeleiters. Sie wollte eine Freiwilligengemeinschaft sein, die aber auf ein spezifisches Territorium bezogen sein sollte, sie wollte für alle da sein, war es aber doch für immer weniger […]. Die Gemeindetheologie 1970 formulierte ein spezifisches innerkirchliches sozialtechnologisches Projekt. Sie versprach Vergemeinschaftung jenseits der Repression einer unverlassbaren Schicksalsgemeinschaft und doch diesseits der unheimlichen und ungebändigten Freiheit des Einzelnen“ (Bucher 2010, 314–316). Aber auch diese Versuche haben nicht verhindern können, dass kirchliche Sozialformen wie die Pfarrgemeinde unter Druck geraten sind und die Kirche ihr Monopol als „Anbieterin“ von geistlicher Begleitung und Ritual verloren hat. Ein nüchterner und analytischer Blick zeigt, dass sich die Kirche heute mehr denn je in die Konkurrenz mit anderen Religionen, mit Sufi-Meister/-innen, Göttinnenreligionen und weisheitlichen Lehren gestellt sieht.8

Die Pluralität der Mitglieder des Volkes Gottes anzuerkennen und sie als Orte der Theologie zu begreifen, ist noch immer ungewöhnlich und fällt schwer. Denn das bedeutet für das pastorale Handeln: „Wir müssen permanent versuchen, Sinn und Bedeutung des Evangeliums auch aus der Perspektive der anderen zu entdecken. Es genügt nicht, die alten Formeln des Glaubens nur zu wiederholen, selbst wenn sie für uns tatsächlich etwas bedeuten – was allerdings weder selbstverständlich noch ein für alle Mal gesichert ist. Ohne diese Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ist in Zukunft und auch heute schon keine Pastoral mehr möglich. […] Der Kontrast zwischen diesen vielen Welten und unserer (durchaus vielleicht gerne bewohnten) kirchlichen Welt braucht nicht versteckt zu werden: Es gilt, ihn vielmehr kreativ werden zu lassen. […] Das aber ist die Aufgabe der Kirche und aller Pastoral: Kirche wird das Volk Gottes, wenn sie in Wort und Tat das Evangelium vom Leben der Menschen her eröffnet und das Leben vom Evangelium her begreift“ (Bucher 2004b, 40).

Für die Kirche in ihrem Verhältnis zu Frauen würde eine Umsetzung dieses zentralen Gedankens bedeuten, dass die, die sich im Innen der Kirche engagieren, nicht mehr wie ein Außen behandelt werden können. Sie stellen ein Potenzial einer veränderten Kirche dar, die mit der Zeit mithalten könnte. Aber sie sind es nicht, weil sie z. B. im rituellen Kernbereich unterrepräsentiert sind. Sie kommen am wenigsten vor: Die Sprache, die Bilder und der Erfahrungsrahmen der meisten kirchlichen Vollzüge sind männlich geprägt. Frauen sind vielfach Unerhörte in der Kirche (vgl. Wustmans 2001). Dies zu erleben schmerzt Frauen. Sie erfahren dies in besonderer Weise auch in der rituellen Praxis der Kirche. Denn diese scheint weitgehend den Status quo zu stabilisieren und ihr Potenzial der Veränderung, der Überschreitung, der Heilung mehr und mehr einzubüßen. Dabei sollten religiöse Rituale immer eine doppelte Funktion haben: einerseits den Menschen helfen, in die Ordnung der Gemeinschaft hineinzuwachsen und sich in ihr sicher zu fühlen. Sie bieten einen Ort und eine Möglichkeit, Erfahrungen im Leben von Menschen zu deuten und Sinn zu vermitteln. Diese Seite von Ritualen bildet die Ordnung der Dinge in der Kirche ab und sie stabilisiert die Machtverhältnisse in der Kirche. Andererseits helfen Rituale, Ordnungen zu überschreiten, heilvollere Zustände vorwegzunehmen, gegen Missstände zu protestieren, Hoffnungen lebendig zu halten, zu trösten und aufzurichten. Rituale dienen demnach auch dazu, soziale Übergänge und die Not mit diesen Übergängen zur Sprache zu bringen. Für ihre stabilisierende Form brauchen Rituale Wiederholungen, eine feste Ordnung, feststehende Rollen und vertraute Worte.

Im Rahmen der kirchlichen Ordnung der Dinge gibt es davon viel. Aus der Sicht von Frauen betrachtet fällt dabei jedoch auf, dass diese selten den Schatz ihrer Erfahrungen und die Nöte ihres Lebens zum Gegenstand haben. Ihre spezifischen Nöte und Sorgen, Freuden und Hoffnungen finden kaum einen adäquaten Ausdruck. Die allgemeinen rituellen Formen der Kirche und ihre Sprache verlangen von den Frauen vielmehr eine dauernde Übersetzungsarbeit in ihren Kontext. Dieses Erleben ist vielfach der erste Schritt, nach Wegen und Formen zu suchen, wie Frauen ihren Glauben ausdrücken und feiern können. Die Erfahrung, die Frauen in der Kirche als Unerhörte machen, führt nicht zwangsläufig in die Depression oder in den Auszug aus der Institution, sondern sie kann auch Kreativität und Energien freisetzen (vgl. Federmann 2000, 149–155). So haben Frauen an unterschiedlichen Orten angefangen, nach Worten, Liedern und Tänzen zu suchen, die ihren Glauben zum Ausdruck bringen. Frauen begeben sich auf den Weg, in selbst gestalteten Liturgien/Ritualen die „Wunden ihres Lebens zu heilen und Feste der Befreiung zu feiern“ (vgl. Ruether 1988). Sie erobern Räume, suchen Orte auf, an denen sie ihre Spiritualität leben, neu entdecken und feiern.

Liturgie ist ein wesentlicher locus theologicus des Glaubens (vgl. Klinger 1978; Sander 1998; Körner 1994). An diesem Ort zeigt sich, woran die Gemeinschaft glaubt und worauf sie hofft. Es wird erfahrbar, wie sie ihren Glauben deutet und ihm Ausdruck verleiht. Lex orandi und lex credendi sind ummittelbar aufeinander bezogen. „Wie geglaubt wird, so wird gebetet, und die Forme(l)n des Gebets prägen den Glauben“ (Prüller-Jagenteufel 1999, 78). An den unterschiedlichen Orten in der Welt werden glaubende, suchende Menschen herausgefordert, die Sprache ihres Glaubens zu finden. Diese Herausforderung ist nicht neu, auffallend ist aber seit den 80er Jahren, dass immer mehr Frauen sich aufgemacht haben, nach einer Sprache für ihren Glauben zu suchen und diesen auch in von ihnen entwickelten Liturgien zu feiern. Insofern kann man „die Frauenliturgiebewegung als eine liturgische Erneuerungsbewegung“ verstehen (vgl. Enzner-Probst 2008, 41; Müller 2000, 343 f.). Diese Bewegung ist weltweit aktiv und weist „einerseits charakteristische Merkmale ihrer liturgischen Praxis auf, andererseits aufgrund ihrer kontextuellen Bezogenheit so viele Unterschiede, dass es nicht leicht fällt, sich einen Überblick zu verschaffen“ (Enzner-Probst 2008, 71). Es ist problematisch, diese Bewegung und die Inhalte genau festzulegen, weil Frauen sich in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen und Settings zusammenfinden. In der Definition des Begriffs „Frauenliturgie“ folge ich Enzner-Probst, die mit Frauenliturgie ebenfalls rituelle Formen von Frauen innerhalb der christlichen Tradition bezeichnet: „Als Bezeichnung für die innerhalb christlicher Tradition angesiedelten liturgischen Gestaltungen wähle ich im Folgenden den Terminus ‚Frauenliturgie‘“ (Enzner-Probst 2008, 64). Mit ritueller Praxis werden jene Ausdrucksformen bezeichnet, die in postchristlichen Kontexten entwickelt und gefeiert werden (vgl. ebd.). Diese Unterscheidung ist angebracht, auch wenn die Übergänge vielfach fließend sind (vgl. Enzner-Probst 2001, 79–135). Neben notwendigen Unterscheidungen und fließenden Übergängen ist aber noch auf etwas zu verweisen, was die verschiedenen Stränge eint: Sie alle suchen nach Ausdrucksformen von Spiritualität. Und was die christlichen Gruppierungen betrifft, lässt sich sagen, dass sie „auf der Suche nach Wegen [sind], wie die christliche Botschaft gelebt werden kann. Die dabei beschrittenen Wege sind nicht immer die gewohnten, aber deswegen noch lange nicht per se schrecklich, abschreckend oder glaubensfeindlich“ (Jeggle-Merz 2000, 356).

Der Ursprung für die Frauenliturgiebewegung liegt bei jenen Frauen, die innerhalb der Frauenbewegung ihr politisches Engagement und die religiöse Begründung miteinander verbinden wollten (vgl. Enzner-Probst 2003, 203 f.). Sie haben nach Formen und spirituellem Ausdruck für ihr (frauen)politisches Engagement gesucht. In der Realisierung dieses Wunsches sind sich viele Frauen in einem ersten Schritt der Bemächtigung durch die androzentrisch-christliche Tradition bewusst geworden. Im Kreis christlicher Frauen führte dies zu einer verstärkten Suche und Auseinandersetzung mit Frauen in der eigenen Tradition. Frauen in der Bibel und in der Kirchengeschichte sind und waren ein wichtiges Thema. Ein Teil dieser Frauen ist (nach wie vor) in bestehende Gemeinde- und Liturgiepraxen eingebunden und ist bestrebt, diese zu reformieren. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Bemühen, auch im Rahmen von Gottesdienst und Verkündigung eine inklusive Sprache zu sprechen. Seit den 80er Jahren ist eine vermehrte Kritik von Frauen an der Sprach- und Bilderwelt in der Liturgie zu verzeichnen. Frauen fühlen sich oftmals ausgeschlossen. Sie sind nicht sichtbar und nicht hörbar. In den Liedern und Texten ist von den „Brüdern“ und den „Söhnen“ die Rede. Und auch die Gottesanrede ist an den „Herrn“ adressiert. Diese Sprach- und Bilderwelt verstärkt das Gefühl des Ausgeschlossenseins bei Frauen. „Das ist besonders schmerzlich, da Liturgie ein heiliges Spiel ist, das an die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen erinnert und die Heilsaussage Gottes feiert“ (Rieger-Goertz 2003, 315). Inzwischen wird in vielen Predigten darauf geachtet, dass Frauen nicht nur mitgemeint, sondern auch angesprochen und erwähnt werden. Für die evangelische Kirche ist zu sagen, dass in besonderer Weise die Homeletik die Frauenfrage in den Blick genommen hat. Predigthilfen und Perikopenbücher für frauengerechte Predigten sind entstanden (vgl. Korenhof 1996; Korenhof/Stuhlmann 1998, 1999). In diesen Vorschlägen für Predigten werden die unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Männern und Frauen thematisiert und die Glaubenserfahrungen von Frauen zur Sprache gebracht. Ein besonderes Projekt in diesem Kontext ist auch der jährlich stattfindende ökumenische Weltgebetstag der Frauen. Er wird jeweils von Frauen in einem Land der Welt vorbereitet und in den Materialien zu diesem Tag werden die Situation der Frauen, ihre Perspektiven und Hoffnungen thematisiert und in der Liturgie mit der Rede von Gott verknüpft (vgl. Bechmann 2002).

Mit zunehmender Annäherung von Frauen aus den christlichen Kirchen an die Frauenbewegung wurden auch die Impulse feministischer Spiritualität aufgegriffen und weiterentwickelt (vgl. Berger 1999a, 109–149). In den USA waren in diesem Zusammenhang die Aktivitäten der Gruppe WATER (Women’s Alliance for Theology Ethics and Ritual) wegweisend, die sich insbesondere um einen liturgischen Ausdruck befreiungstheologischer Aspekte bemüh(t)en. „Eine frauenspezifische Form des ‚lex orandi – lex credendi‘ wurde gesucht und in unterschiedlichen Gruppen umgesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Liturgiegruppe WATER, die, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gegründet, bis heute kontinuierlich Liturgien gestaltet, feiert und dokumentiert“ (Enzner-Probst 2008, 80).

In dem Konzept von Women-Church sollen Glaube, Ethik und Liturgie aus der Sicht von Frauen gestaltet werden9 (vgl. Neu 1982; Hunt 1990).

„‚Frauenkirche‘ bedeutet kirchenpolitisch und liturgiepraktisch die Erkenntnis, dass Frauen nicht zusätzlich etwas zu einer an sich bestehenden Kirche beitragen, sondern selbst ‚Kirche sind‘. Dies kann als ‚feministischer Wendepunkt‘ im Bewusstsein vieler Frauen bezeichnet werden, die sich innerhalb der Kirchen engagierten. Diese Frauen verstanden sich als kritisch-innovative Erneuerungsbewegung innerhalb der traditionellen Kirche (‚Ekklesia der Frauen‘, Schüssler Fiorenza) oder als Exodusgemeinschaft innerhalb und an den Rändern der Kirchen (Ruether). ‚Frauenkirche‘ wandte sich kritisch gegen eine ‚herr‘schende ‚Männerkirche‘, die Frauen aus liturgischer Leitung und theologischer Diskussion ausschloss. Die in Women-Church engagierten Frauen wollten Kirche anders leben und feiern, eine Kirche bauen, in der Frauen ihrem Subjektsein und in ihrer spirituellen und liturgischtheologischen Verantwortung ernst genommen wurden“ (Enzner-Probst 2008, 79).

Vor diesem Hintergrund definiert Teresa Berger die Frauenbewegung in der Kirche u. a. auch als eine liturgische Bewegung, deren Ziel die „Inkulturation“ der Liturgie in die Lebenswirklichkeit von Frauen ist (vgl. Berger 1990, 55–64).

Neben der Women-Church sind auch jene Gruppen zu erwähnen, die unter der Bezeichnung „Women-Spirit“ firmieren (vgl. Enzner-Probst 2008, 86). Letztere sind nicht an einer Reform der Institution interessiert, sondern darum bemüht, „ihre Spiritualität als Frauen authentisch“ auszudrücken (ebd.).

Besondere Impulse gingen in Nordamerika von Starhawk10 und Naomi Goldenberg11 aus, die Psychoanalyse und feministische Rituale zu verbinden suchen. Sie und andere haben den Grundstein für eine kritische rituell-feministische Bewegung gelegt (vgl. Goldenberg 1979; dies. 1988, 165–189; dies. 1986, 39–49; Hunter Roberts 1998, 33–49; Winter 1994; Cady/Ronan/Taussig 1986; Schulenburg 1993). In dieser Bewegung wurde auch die Bindung an eine Göttin stark und kontrovers diskutiert (vgl. Starhawk 1986; dies. 51991, Stone 1976; Adler 1979). Daneben wurden und werden Rituale im Jahreslauf oder entlang des weiblichen Lebenslaufes entwickelt. Darüber hinaus waren und sind die Frauen bestrebt, politisches Engagement und rituelle Praxis miteinander zu verbinden, was sich u. a. im Engagement gegen Atomkraft und Umweltzerstörung und der Friedensbewegung zeigte und zeigt (vgl. Starhawk 2003).

Andere Frauen hingegen suchten und suchen in der matriarchalen Kultur eine Möglichkeit der Verankerung. Aber es können auch spirituelle Formen und Traditionen, wie etwa aus der indianischen Kultur, aus anderen Religionen, wie dem Buddhismus, der neopaganen Szene, eine Rolle spielen. Mit einer großen Selbstverständlichkeit werden heute Elemente aus ganz unterschiedlichen historischen und geografischen Bereichen verbunden, wobei für die Auswahl die eigene Neigung und die persönlichen Bedürfnisse eine große Rolle spielen (vgl. Pahnke 2000, 225).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aufgezeigten Gruppen sich im Grunde in zwei Strömungen formieren. „Auf der einen Seite gibt es spirituell und rituell arbeitende Frauengruppen, die trotz aller Defiziterfahrungen an christlich-kirchlicher Tradition festhalten wollen. Sie definieren sich über ein alternatives ekklesiologisches Konzept, sind in der Anfangsphase stark von kirchenreformerischen und befreiungstheologischen Impulsen geprägt und verstehen sich als Women-Church, als Erneuerungsbewegung in der Kirche. Hier liegt die Wurzel der Frauen-Liturgie-Bewegung im engeren Sinn. Frauen, die sich Women-Spirit anschließen, haben dagegen Kirche als einer unreformierbar androzentrischen Institution den Rücken zugekehrt. […] Die Beziehung zur Natur, zum eigenen Körper, zum Symbol ‚Göttin‘ als Ausdruck selbstbestimmter Spiritualität treten an die Stelle ekklesiologischer Verortung. Diese Gruppen können als Teil einer postchristlichen Frauen-Ritual-Bewegung bezeichnet werden. Allerdings sind die Berührungspunkte zwischen beiden vielfältig, die Grenzen fließend. So spielt etwa der Körper in beiden Ausrichtungen von Spiritualität eine zentrale Rolle“ (Enzner-Probst 2008, 87 f.).

Für die Frauenliturgiebewegung in Deutschland ist zu sagen, dass wichtige Impulse vom bereits erwähnten Weltgebetstag ausgingen. Ein weiterer Impuls war sicherlich auch das II. Vatikanum. Auf einmal war auch die aktive Beteiligung von Frauen in der Liturgie möglich. Jedoch zeigte sich schon bald, dass die in das Konzil gesetzten Hoffnungen sich nicht erfüllten. „Die Frauenliturgiebewegung speist sich deshalb zu einem großen Teil aus der Enttäuschung über nicht realisierte Versprechen, Visionen und Hoffnungen. Im Bewusstsein, selbst Kirche zu sein, begannen Frauen mit eigener liturgischer Praxis, ohne um die kirchliche Erlaubnis zu fragen“ (Enzner-Probst 2008, 113).

In Bezug auf die Frauenliturgiebewegung in Deutschland ist, im Unterschied zu der in den USA oder den Niederlanden, zu sagen, dass diese von Beginn an und nach wie vor eine basisnahe Bewegung ist. „Frauen, die in der Kirchlichen Frauenbewegung engagiert waren, begannen vielmehr, auf unterschiedliche Weise und an verschiedenen Orten diese neuen Ansätze in die liturgische Gestaltung einzubringen. […] Die lose Vernetzung über jährliche Tagungen (Bad Boll), persönliches Kennenlernen, der Austausch von liturgischen Büchern, Dokumentationen auf Frauenbörsen, der informelle Charakter also einer Bewegung, hat sich bis heute erhalten“ (Enzner-Probst 2008, 116).

Neben den Frauenverbänden und den Frauenreferaten in den Diözesen sind nicht zuletzt die Zusammenschlüsse von Studentinnen an Hochschulgemeinden ein Ort der liturgischen Praxis von Frauen (vgl. Hojenski/Hübner u. a. 1990; Baumann u. a. 1998). Eine wesentliche Motivation für den Zusammenschluss waren auch hier die Entfremdungserfahrungen der Frauen und so verwundert es nicht, dass nicht zuletzt die Befreiungstheologie wesentliche Impulse beisteuerte (vgl. Enzner-Probst 2008, 118). Daneben gibt es natürlich auch jene Zusammenschlüsse von Frauen, die sich in Liturgiegruppen vor Ort, in der Pfarrgemeinde oder auf regionaler Ebene treffen (vgl. ebd., 123).

Frauen, die sich für Frauenliturgien interessieren und in das Leben von Gemeinden integriert sind, ringen in ihren Feiern jeweils neu mit der Tradition. Sie sind bestrebt, deutlich zu machen, dass die jüdisch-christliche Tradition nicht auf ihre patriarchalen Aspekte zu verkürzen ist. Sie wollen jene Gesichtspunkte stark machen, die zeigen, dass die jüdischchristliche Tradition gerade auch aus der Verheißung eines Lebens in Fülle (Joh 10,10), in Gerechtigkeit und Erlösung besteht. „Diese Suche ist kein rein kognitives Geschehen, im Gegenteil, feministische Liturgien zeichnen sich durch Kreativität und Sinnenhaftigkeit aus“ (Rieger 1999, 103). Die Kreativität und der Prozesscharakter sind bei den Ritualen und Liturgien der Frauen zentral. „Wenn Frauen sich in der Absicht, Rituale zu feiern, zusammenschließen, geschieht dies aktiv und kreativ. Es ist ein aktives Prozessgeschehen. Rituale feiern bedeutet mehr, als einfach [zu] beobachten oder an einem festgeschriebenen überlieferten Ritual teilzunehmen“ (Northup 1998, 394). Rituale gestalten und feiern unterscheidet sich von dem „zur Messe gehen“, „das Wort hören“, es ist ein erfinderischer Prozess (vgl. Northup 1998, 395). Jedoch ist es schwierig, bisweilen problematisch, Frauenrituale zu definieren, „weil Frauen Rituale in vielen unterschiedlichen Kontexten und nach diversen Mustern durchführen. Frauen feiern Rituale innerhalb institutionalisierter Religionen oder ganz bewusst außerhalb dieser; allein oder in Gemeinschaft; zu Hause oder öffentlich; nach alten Formen oder innovativ. Dennoch, wo immer Frauen sich versammeln, um Rituale zu feiern, benutzen sie gemeinsame Quellen, Bilder und Praktiken, die charakteristisch sind“ (ebd., 391).

Das Erarbeiten eines Rituals ist ein Akt ritueller Konstruktion, der selbstbewusst beschritten wird“ (vgl. Grimes 1993, 5). In den Gruppen von Frauen, die Rituale und Liturgien gestalten, gibt es eben auch jene, die bewusst und sehr entschieden neue und eigene Wege gehen wollen. Diese feministischen Liturgiegruppen finden sich in christlichen und postchristlichen Zusammenhängen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihr vitales Interesse darin besteht, neue Rituale hervorzubringen. Sie suchen nicht (mehr) nach Möglichkeiten und Formen, in den „alten“ Ritualen ihren Platz zu finden.

Die Frauenliturgie- und ritualgruppen bewegen sich oftmals am Rand und an den Schwellen der Kirche. So verwundert es nicht, dass z. B. in Deutschland die ersten Frauenliturgiegruppen an Hochschulgemeinden einen Ort gefunden haben. Dieser Ort befindet sich jenseits der „normalen“ Pfarreistruktur und garantiert eine prinzipielle Offenheit für neue Formen und Themen. Andere Gruppen treffen sich in Frauenbildungshäusern und damit ebenfalls an Orten, die einen Schwellencharakter haben. Es handelt sich jeweils um Orte mit Freiraum und eigenen Mustern kirchlicher Repräsentanz (vgl. Grimes 1990, 10).

Die Erfahrung der Marginalisierung in Kirche und Gesellschaft kann für spirituell interessierte Frauen zum Ausgangspunkt werden, sich einer Frauenliturgie- oder ritualgruppe anzuschließen. Folgende Aspekte sind dabei für Frauenliturgiegruppen kennzeichnend:

• Es handelt sich um liturgische Feiern von Frauen für Frauen (vgl. Feldmann 1998, 27).

• Persönliches Angesprochensein ist den teilnehmenden Frauen wichtig und die Feier findet meist in einem kleinen und vertrauten Kreis statt (vgl. ebd., 23).

• Die Lebensgeschichten und Erfahrungen der Frauen sind zentral und werden zum Ausgangspunkt für die Liturgien (vgl. ebd., 23–25).

• Das eigene Leben wird in Beziehung zu den anderen Teilnehmerinnen und zu Gott gebracht. Entfremdungserfahrungen werden benannt (z. B. die Bedeutung und Wirkung männlicher Gottesanreden) und überwunden. Das Glaubenszeugnis von Frauen rückt in den Mittelpunkt (vgl. Baumann 1998, 58–66).

An diesen Punkten wird sichtbar, dass diese Orte in besonderer Weise von Intimität, Vertrautheit und dem direkten Bezug zur eigenen Erfahrungswirklichkeit der Frauen gekennzeichnet sind. Im meist kleinen und bekannten Kreis erfolgen die Begegnung und Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz und die Bezugnahme zum Glauben. „Frauenliturgien zu feiern bedeutet:

• aufbrechen,

• das (spirituelle) Leben selber in die Hand nehmen,

• auf eigenen Füßen stehen, tanzen und auf den Boden zu stampfen,

• neue Wege zu entdecken,

• kritisch sein,

• nicht nur mitspielen,

• mündig sein,

• etwas verändern,

• unsere Schätze ausgraben,

• auf mich selber achten,

• Alternativen schaffen,

• ehrlich sein zu mir selber,

• viel möglich machen,

• Angst verlieren und Mut gewinnen“ (Dommers 1998, 16).

In dieser Auflistung von Punkten, die die Beutung von Frauenliturgien für Teilnehmende herausstellt, wird gerade auch der persönliche Aspekt betont. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass die Frauenliturgien als ein Ort in den Blick kommen, an dem die einzelne Frau ihre Spiritualität entwickeln kann. Es handelt sich bei den Frauenliturgiegruppen um Orte, die eine Alternative zu dem darstellen, was viele Frauen in der Kirche kennen und erleben. Die Differenz zur gottesdienstlichen Praxis wird durch die folgenden Merkmale weiter unterstrichen, wie sie von Angelika Botz definiert werden:

• „Frauenliturgien gehen von der Lebenswelt der Frauen aus

Die Frauen, die die Liturgie vorbereiten, bestimmen das Thema aufgrund eigener persönlicher Prioritäten. Die Themen entspringen dem Lebensalltag von Frauen und werden in einer Form in der Liturgie präsentiert, die besonders von Frauen verstanden wird. Wir erleben, dass es eine Beziehung zwischen unserer Lebenswirklichkeit als Frauen und Gott gibt.

• Jede Frau besitzt spirituelle Kompetenz

Jede Frau kann zur religiös Handelnden werden und eine Beziehung zum Göttlichen für sich und andere herstellen. Sowohl in der Rolle als Leiterin wie auch als Teilnehmerin einer Liturgie ist sie aktiv am religiösen Geschehen beteiligt.

• Jede Frau ist zur Leitung der Liturgie ermächtigt

Es gibt kein ausdrückliches ‚Leitungsamt‘. Die Leitung wechselt von Liturgie zu Liturgie und ist zeitlich auf eine Liturgie beschränkt. Die Leiterin wird durch das Vertrauen der Gruppe und das eigene Zutrauen für ihre Aufgabe ermächtigt. […]

• Offene und ehrliche Begegnung wird möglich

Jede Frau hat die Möglichkeit, sich frei zu einem Thema zu äußern. […] Die Gesprächsatmosphäre ist durch Offenheit und Ehrlichkeit geprägt. […] Jede Frau kann für sich entscheiden, inwieweit sie sich einbringen oder zurückhalten möchte.

• Wir erleben uns ganzheitlich

Die Themen der Frauenliturgie werden nie allein kognitiv behandelt, sondern immer mit kreativen Elementen zugänglich gemacht. […] Wir nehmen uns selbst, die anderen und die Inhalte mit allen Sinnen wahr und verleihen unseren Gefühlen auch körperlich Ausdruck.

• Wir entwickeln eigene Formen der Liturgiegestaltung

Die Liturgien haben kein festes, vorgeschriebenes Schema. Die einzelnen Ausgestaltungen werden immer wieder neu, in Bezug auf ein bestimmtes Thema, erdacht. Dennoch gibt es wiederkehrende Elemente, in deren Entwicklung viele Ideen einzelner Frauen einfließen. […]

• Das Gottesbild der Frauenliturgie bleibt offen

Uns geht es darum, uns als Frauen im Göttlichen und das Göttliche in uns wiederzufinden. Dabei wollen wir kein für alle verbindliches Gottesbild festlegen. Vielmehr nehmen wir jede Frau als Beziehungspartnerin Gottes ernst. […] Dabei entdecken wir alte Bilder unserer AhnInnen und entwickeln neue.

• Frauenliturgien dienen der Ermutigung

Die Liturgien ermutigen und unterstützen uns Frauen in der Bewältigung unseres Alltags. Die Gemeinschaft mit den anderen Frauen trägt und bestärkt uns“ (Botz 1998, 21 f.).

Den christlichen wie den postchristlichen Gruppen ist das Anliegen zentral, die eigene Spiritualität zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen. Dies geschieht aus der Erfahrung und dem Empfinden heraus, dass die bekannten Formen und Bilder aus dem christlichen Kontext als unpassend, zu eng und ohne Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit wahrgenommen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass es die eine feministische Spiritualität gibt. Es ist vielmehr so, dass es innerhalb der feministischen Spiritualität ganz unterschiedliche Strömungen gibt. Im nordamerikanischen und westeuropäischen Kontext lassen sich jedoch vor allem drei Richtungen feministischer Spiritualität ausmachen (vgl. Franke/Leicht 2003, 328–329):

1. Feministisch-christliche Spiritualität

In dieser Strömung geht es vor allem um die Integration weiblicher Aspekte in Gottesbild und Glaubensauffassung. „Dabei gewinnt der Bezug zur Weiblichkeit des Heiligen Geistes (Ruach) große Bedeutung, die Fortsetzung der Weisheit/Sophia-Tradition des Ersten Testamentes in der Jesu-Gestalt, die Präsenz weiblicher Anteile des Göttlichen in Maria, die als ehemalige Göttin/Himmelskönigin gesehen werden kann, und die Betonung biblischer Bilder vom Göttlichen, die sich auf weibliche Erfahrungen beziehen. In der religiösen Praxis wird dies z. B. in Frauengottesdiensten und feministischen Liturgien sichtbar, die sich ebenso eng an den Erfahrungen der beteiligten Frauen und den Zyklen der Natur orientieren“ (Franke/Leicht 2003, 329).

2. „Spirituell orientierte therapeutische und Selbsterfahrungs-Gruppen“ (Franke/Leicht 2003, 328)

In dieser Richtung haben Göttinnen und Mythen eine besondere und herausgehobene Bedeutung. Sie werden als Spiegelbild der Psyche und von Persönlichkeitsaspekten verstanden und es ist das Ziel, bislang unterdrückte Anteile bewusst zu machen und zu integrieren. Vor diesem Hintergrund sollen Frauen zur Ganzheitlichkeit geführt werden (vgl. ebd., 328 f.).

3. Feministische Ritual- und Hexengruppen verorten sich bewusst jenseits der etablierten Religion. In diesen Ritualgruppen ist der Bezug auf eine (dreifaltige) Göttin zentral: „der weißen Göttin (= junges Mädchen und Frühling; z. B. Artemis), der roten Göttin (= reife Frau und Sommer; z. B. Aphrodite) sowie der schwarzen Göttin (= alte Weise und Herbst bzw. Winter; z. B. Hekate)“ (Franke/Leicht 2003, 328). Die Feste und Rituale orientieren sich u. a. am Jahreslauf (Sommer-/Wintersonnenwende) (vgl. ebd.).

Die „modernen“ Hexengruppen sind weniger eindeutig und teilen sich wiederum in mehrere Richtungen auf. „Einige darunter sind dezidiert nicht-feministisch, andere verehren keine Göttin oder sehen in einer solchen lediglich den mütterlichen Part eines weiblichmännlichen Götterpaares, alle aber gründen ihre Rituale auf einer langen Geschichte der Hexenpraxis“ (Northup 1998, 393). Auch wenn es zum Teil Überschneidungen von Göttinnenglauben und Hexengruppen gibt, unterscheiden sie sich in der Praxis doch sehr (vgl. Crowley 1998; Stein 1990).

Es kommt aber auch vor, dass Elemente aus allen drei Strömungen das spirituelle Leben von Frauen prägen und in „einzelnen Biografien zeigt sich zudem im Lauf der Entwicklung ein Wechsel von einem zum anderen Zugang. […] Trotz aller Unterschiede in Formen und Inhalten feministischer Spiritualität steht insgesamt die Verbundenheit der beteiligten Frauen, ihre Nähe zur Natur, aber auch die ‚Heiligung‘ und Würdigung weiblicher Vorfahren, Göttinnen und weiblicher Lebenserfahrung im Vordergrund“ (Franke/Leicht 2003, 329 f.).

In den christlichen Gruppen stehen dabei die Auseinandersetzung mit Gottesbildern, die Suche nach einer inklusiven Sprache und der Ausdruck in Ritualen im Mittelpunkt. Viele Frauenliturgien sind von Tanz und Gesang geprägt, „so dass auch der Körper verstärkten Anteil hat an der heiligen Feier. Gegenseitig sprechen Frauen sich Segen zu oder salben sich gegenseitig, um sich ihre Würde und Gottesebenbildlichkeit auch handgreiflich zu bezeugen“ (Rieger-Goertz 2003, 318; vgl. Grün 1997, 97–102; Enzner-Probst 2008, 202–204).

Oftmals gewinnen Rituale an den Lebenswenden und in prekären Situationen von Frauen eine besondere Bedeutung. Sie helfen bei den erforderlichen Übergängen und zugleich in der Verarbeitung von Schmerz, Trauer, Verlust, Gewalt wie aber auch von Freude, Hoffnung und Gemeinschaftserfahrungen. Rituale verändern Wirklichkeit, indem sie eine neue Wirklichkeit schaffen. Eine rituelle Handlung ist eine Reaktion auf konkrete Umstände: einen Zeitpunkt, ein Ereignis, ein Problem, eine (Ohn-)Macht. Zugleich werden in den rituellen Handlungen wieder Ereignisse und Orte geschaffen, Möglichkeiten bereitgestellt, mit dem Problem der (Ohn-)Macht umzugehen. Rituelle Handlungen schaffen Realitäten und sie sind eine Antwort auf den Ausgangspunkt (vgl. Ammicht-Quinn 2003, 154).

„In religiösen Ritualen können Menschen ihre individuelle Situation oder das, was bevorsteht, in einem anderen, vertrauensvollen Rahmen durchleben und, unterstützt von Mitfeiernden, Segen erbitten. In Symbolen und rituellen Handlungen äußern sich Gefühle und Gedanken, die nicht an der Oberfläche des Bewusstseins verankert sind. Trennungen in Beziehungen, Gewalterfahrungen, eine frohe Geburt oder eine schmerzliche Fehlgeburt können z. B. Gegenstand eines Rituals sein; Themen, die in traditionellen Liturgien fehlen, aber das Leben von Frauen eminent beeinflussen. Heilendes, mutmachendes Geschehen soll hier ganzheitlich erfahren und nicht lediglich zugesprochen werden. […] Die Frauen in feministischen bzw. geschlechtergerechten Liturgien sind auf der Suche nach dem, was sie am meisten angeht, nämlich nach sich selbst in Verbindung mit Gott und anderen“ (Rieger-Goertz 2003, 318 f.).

Bei einer näheren Betrachtung der Praxis und der Publikationen, die im Kontext von Frauenliturgien und Frauenritualen erschienen sind, fallen die Bedeutung und Betonung des Körpers auf. Immer wieder ist davon die Rede, Gottesdienst mit allen Sinnen feiern zu wollen. Erfahrungen und Körper verbinden, dies ist ein Ziel der Frauenliturgien. „Der Körper feiert mit“ (vgl. Feldmann 1998, 25 f.; Berger 1999). Grundlage der Feiern ist die positive Bewertung des Frauseins.

Mit der Hervorhebung und Akzentuierung des Körpers und des Bestrebens nach Ganzheitlichkeit entsteht der Eindruck, als gäbe es diese Verbindung in Glaube und Liturgie der Kirche nicht. Das ist ein Trugschluss. Gerade auch die Sakramente sind „Einbruchstellen des Körperlichen in das religiöse Leben. Da wird gereinigt und gesalbt, berührt und genährt, und noch das Bußsakrament in seiner klassischen Ausprägung schafft eine intime Verbindung von Mund und Ohr. Diese inhärente Sinnenhaftigkeit des sakramentalen Handelns drohte und droht immer wieder verloren zu gehen, weil weder in der theologischen Reflexion noch in der religiösen Praxis das Fokussieren auf den Körper legitim zu sein scheint“ (Ammicht-Quinn 2003, 163). Der Körper erscheint aber als ein eher unerhörter Anteil des liturgischen Geschehens, dies wird auch darin deutlich, dass die Körperbewegungen in der Liturgie vielfach unbedacht und unbewusst vollzogen werden. An einer Liturgie kann man nicht unkörperlich teilnehmen. Wir stehen, wir sitzen, wir knien. Wir wenden uns beim Friedensgruß einander zu. Zum Empfang der heiligen Kommunion verlassen wir unsere Plätze und gehen nach vorne. Aber die Körperlichkeit in der Liturgie scheint nicht von der Art zu sein, wie sie immer wieder von Frauen gewünscht wird. Sie sehen Spiritualität und Religiosität in enger Verbindung mit dem Körper. Der Körper wird als eine wichtige Erfahrungsquelle für die Spiritualität verstanden, und zwar vor dem Hintergrund seiner Vitalität und seiner Gebrechlichkeit, der Lust und dem Begehren. Die Rituale, die Frauen entwickeln, sind immer auch „eine Schule der Liebe zum eigenen Körper. Sie machen uns bewusst, dass wir Körper sind, zusammen mit anderen Körpern […]“ (de Lima Silva 2000, 593).

Dieser Spur des Körpers folgen die Frauen in den Ritualen und Liturgien, schenken ihr Beachtung, weil sie vom Leben spricht, vom Leben in seiner Vitalität und auch in seiner Verletzlichkeit. Dieses Fokussieren auf den Körper klagen die Frauen nicht nur ein, sie praktizieren es auch in ihren Liturgien. Körperlichkeit und Gefühle werden nicht nur anerkannt, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Liturgien. „Wir können uns selbst annehmen lernen. Im Gespräch mit anderen Frauen werden eigene Erfahrungen bestärkt und neue Einstellungen angeregt. Frauen entdecken in ihren Eigenheiten ihre Stärke“ (Feldmann 1998, 27).

In den Frauenliturgien und -ritualen werden deshalb Fühlen und Berühren betont und rituell inszeniert. Fühlen und Berühren werden zu einem Teil des Verstehens, der aktiven Teilhabe an Liturgie und Ritual (vgl. Enzner-Probst 2008, 202). In diesem Punkt bilden die Liturgien und Gottesdienste der Frauen nicht selten einen starken Kontrast zu den visuellen und auditiven Formen in traditionellen Liturgien. Gesten und Gebärden, Tanz und Bewegung spielen in den Frauenliturgien eine große Rolle und nicht selten ist dies Teilnehmenden zunächst fremd.12 Es ist ungewohnt. „Kaum ein Ritual, kaum eine Liturgie, in der nicht in irgendeiner Weise der bewegte Körper der Feiernden zu einem zentralen Medium der Gestaltung der spirituellen Erfahrung und der religiösen Botschaft wird. Dabei werden Anleihen aus ethnischen Traditionen aller Art gemacht. Der bewegte Körper und der fühlende Körper in Beziehung sind für das Verständnis der rituellen Praxis von Frauen offensichtlich unverzichtbar“ (ebd., 82).13

Zusammenfassend können folgende Kennzeichen von feministisch-christlichen Frauenliturgien festgehalten werden:

„1) In den feministischen Liturgien sind Frauen Subjekte der Liturgie. […]

2) Von Frauen gestaltete Gottesdienste stehen in einer ständigen Spannung zwischen Tradition und Freiheit. […]

3) Feministische Liturgien sind geprägt von einer intensiven Vorliebe für Symbole […].

4) Inhaltlich richten sich feministische Liturgien primär darauf, die weitgehende Unsichtbarkeit der Frauen – und das heißt ihrer Geschichte, ihrer Anliegen, ihrer Bedeutung, ihrer Person – in der traditionellen Liturgie aufzuheben. […]

5) Frauen feiern die Befreiungsgeschichte ihrer Schwestern als ihre eigene (gottesdienstliche) Geschichte – eine Geschichte, die lange Zeit für sie unsichtbar war. […]

6) Innerhalb dieses neuen Horizontes kommt es auch zu einer veränderten Sicht des traditionellen Sündenverständnisses und damit liturgisch des Sündenbekenntnisses. […]

7) Die Zukunftsvisionen, die entworfen werden, verbinden oft das Thema der Befreiung der Frauen mit dem einer geheilten und geheiligten Schöpfung. […].

8) Charakteristisch und typisch für Frauengottesdienste und feministische Liturgien ist darüber hinaus, daß sie die traditionellen Gottesbilder und Gottesanreden erweitern, um nun auch feminine Bilder und Anreden aufzugreifen, die es ja in Schrift und Tradition durchaus gibt […].

9) Feministische Liturgien sind fast immer ökumenisch orientiert: Trennungslinien zwischen den einzelnen Kirchen verblassen vielfach vor der Trennungslinie in allen christlichen Gemeinschaften zwischen Patriarchat und Frauenbefreiung“ (Berger 1995, 262–264).

Im Kontext von Frauenliturgien und -ritualen sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen erschienen, die ritualtheoretische wie liturgietheoretische Reflexionen enthalten oder als Praxisbücher Hilfestellungen für die Umsetzung in Gruppen bieten (vgl. Aeberli 1987; Reuschel 1989; Altwegg u. a. 1990; Hojenski u. a. 21992; Ferner 1993; Baumann u. a. 1998; Spendel 2002; Bundschuh-Schramm 1998; dies. 2004; Enzer-Probst/Felsenstein-Roßberg 1993; Jost/Schweiger 1996; Stierle 2002; Strecker 2000; Pahnke/Sommer 1995; Igelhart 21988; Löffler 1996). Diese Vielzahl der Bücher macht deutlich, dass es einen Bedarf in der Praxis an diesen unterstützenden Materialien gibt. Die Veröffentlichungen aus christlich-kirchlichem Kontext geben Anleitungen und Hilfestellungen für die Gestaltung von Gottesdiensten, Andachten, Besinnungstagen in Gemeinden und Verbänden.

Der andere Teil von Veröffentlichungen richtet sich an Frauen in postchristlichen Kontexten und bietet Gestaltungsvorschläge und Beispiele für die Entwicklung und Durchführung von Ritualen an Lebenswenden und im Jahreskreis (vgl. Walker 1998; Folkerts 2000; Kiss 1999; Schindler 1998; Winter 1987). Darüber hinaus finden in Frauenbildungshäusern immer wieder Angebote im Bereich von Ritualen statt.

Ein Blick auf das Spektrum der Orte zeigt, dass es dabei jene Frauen gibt, die Liturgien und Rituale im Rahmen institutionalisierter Religion feiern. Andere Frauen hingegen wählen ihren Ort bewusst außerhalb der verfassten Kirche und schaffen für sich Orte in privaten Bezügen. Es gibt geschlossene und offene Gruppen. In der Fülle der Unterschiede lassen sich gleichwohl Gemeinsamkeiten entdecken. Wo immer Frauen Rituale feiern, benutzen sie Bilder und Metaphern, Symbole und Formen, die in einem genealogischen Bezug zu ihrem Leben, ihren Nöten und Sorgen, Freuden und Hoffnungen stehen. Sich in einen genealogischen Bezug zu anderen Frauen zu stellen bedeutet, aus den Beziehungen zu anderen Frauen Kraft und Energie für die Realisierung der eigenen Existenz zu schöpfen (vgl. Botz 1998, 22; Telgenbüscher 1998, 48). Dabei werden die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, die verschiedenen Erfahrungen zu einem Ort, wo die Frauen Bestätigung und Mut, Anregung und Herausforderung für den eigenen Lebensentwurf finden.

Bei Betrachtung, Analyse und Einordnung der Vielzahl von Veröffentlichungen im Bereich christlicher und postchristlicher Frauenliturgien und Rituale fällt jedoch auf, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in pastoraltheologischen oder liturgiewissenschaftlichen Diskursen bislang kaum stattgefunden hat (vgl. Enzner-Probst 116). Es handelt sich bestenfalls um ein Randthema. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Problemlage als solche noch gar nicht wahrgenommen wird. Allerdings sehen (einige) Frauen dieses Problem schon, so etwa Barbara Baumann, die in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Gottesbildern fragt: „Hat Kirche überhaupt ein Interesse an diesen Bildern? Ist sie bereit, nur zu hören, sich erzählen zu lassen, unvoreingenommen anzunehmen, wie Menschen, Frauen und Männer, Gott offenbaren? Lässt Kirche Gott in Beziehung geraten zu Menschen oder versucht sie, ihn/sie abzuschotten, abzusichern? Eine Menge von Fragen, die erahnen lassen, dass der hier beschriebene Weg Konsequenzen hat, für die Frau, die Kirche und Gott. […] Kirche täte gut daran, diesen Weg mitzugehen, denn nur so entsteht eine Gemeinschaft von BeziehungspartnerInnen Gottes, die auf die Frage Jesu ‚Für wen aber haltet Ihr mich?‘ nicht nur Erlerntes, Gehörtes und Wiederholtes antworten können“ (Baumann 1998, 65 f.).

Es ist noch weiter zu fragen: Was bedeutet es für die Kirche, wenn Frauen die Orte der gemeindlichen Liturgien verlassen und sich eigene Orte der spirituellen und rituellen Auseinandersetzung schaffen? Welche Konsequenzen haben solche Prozesse langfristig für das Verhältnis von Frauen und Kirche? Auf welche Probleme im Innern der Kirche weist dieser Exodus der Frauen hin?

Die bisherige Darstellung lässt die Behauptung zu, dass sowohl die Frauen wie die Kirche vor einem Ausschließungs- bzw. Trennungsproblem stehen. Die Rituale der Frauen schließen die Kirche aus. Und Frauen fühlen sich ihrerseits in den liturgischen Formen der Kirche nicht adäquat repräsentiert. An diesem Punkt ist eine deutliche Differenz zwischen Frauenliturgiegruppen und verfasster Kirche feststellbar. Beide Größen stehen unverbunden nebeneinander und sind in Bezug auf den jeweils anderen Ort sprachlos. Die Kirche ist angesichts der Frauenliturgien sprachlos und die Frauenliturgiegruppen sind über ihre kirchliche Bedeutung sprachlos. Diese Anfragen zeigen, dass die Differenz von Frauen und Kirche kein nebensächliches Thema ist. In diesem Thema stecken indessen Macht und verändernde Kraft. In den verschiedenen Ortskirchen der Welt gibt es Frauenliturgien. Sie sind insofern verschieden, als sie auf den jeweiligen Ort und Kontext reagieren und auf dieser Basis Liturgien entwickeln und feiern. „There is also by now a distinctive Feminist Liturgical Movement in the so-called Third World. Obviously, emphases differ according to geographical and social location. Latin American Feminist liturgies are developed in the context of a strong tradition of Liberation Theology done by male theologians. African women have a particular interest in cultural factors, for example, African tribal rituals and their significance for women. Asian Feminist theologians work in the context of Christianity as a tiny religion. Their particular interest is focused on non-Christian religious traditions, myths and stories and their importance in, or usability for, Christian Feminist Liturgies“ (Berger 1999a, 115 f.). Vor diesem Hintergrund kommen im empirischen Teil der Arbeit Frauen zu Wort,14 die

• Frauenliturgien im Rahmen institutionalisierter Religion öffentlich feiern,

• Frauenliturgien und Rituale bewusst außerhalb von institutionalisierter Religion entwickeln und feiern,

• Rituale für sich alleine an markanten Punkten ihres Lebens entwickeln,

• Frauenliturgien und Rituale in einem geschlossenen, privaten Kreis feiern,

• Frauenliturgien in einer Metropole Brasiliens feiern,

• Liturgien in einer kontemplativen Ordensgemeinschaft feiern.

Diese Auswahl ist als Stichprobe in einem äußerst pluralen Feld zu verstehen. Dennoch lässt das Sample der Arbeit signifikante Aussagen über die Differenz von Frauen und Kirche, ihre gegenseitigen Ausschließungsmechanismen und die wechselseitige Sprachlosigkeit zu. An diesen unterschiedlichen Orten und in den verschiedenen Kontexten stecken gleichwohl Aspekte von grundsätzlicher Bedeutung, denn sie verweisen auf die Sehnsüchte und Hoffnungen von Frauen in der Kirche und an ihren Rändern.

Balancieren statt ausschließen

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