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Einleitung

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In den letzten Jahrzehnten ist es zu epochalen Veränderungen der Geschlechterrollen, des Verhältnisses der Geschlechter zueinander und der Wertehaltungen und Einstellungen gekommen, die das ganze Leben betreffen. Für die Bereiche der Lebensformen, der Erwerbsbiografien, die Einstellungen zum anderen Geschlecht, zu Familie, Kinder und Beruf gibt es keine eindeutigen Richtlinien mehr. Die Veränderungen sind gravierend. Sie machen auch vor der Kirche nicht halt. Insbesondere neue Frauenbiografien sind Anfrage und pastorale Herausforderung für die Kirche gleichermaßen. Frauen sind ein eigener pastoraler Ort. Im Rahmen der Habilitationsschrift kommt dieser pastorale Ort in den Blick. Die Wahrnehmungen und Positionen von Frauen zur Religionsgemeinschaft Kirche und zu ihrer religiösen und spirituellen Praxis werden erfragt und analysiert. Die Erfahrungen von Frauen, die oftmals am Rand der Kirche gemacht werden, stehen im Zentrum der Befassung und es wird zugleich ein Weg aufgezeigt, wie sie produktiv für die Kirche zu nutzen sind. Es soll aufgezeigt werden, in welcher Weise die religionsgemeinschaftliche Form der Kirche mit den pastoralgemeinschaftlichen Gruppen der Frauen in eine Balance zu bringen ist. Auf dieser Basis wird dann das Konzept einer balancierten Pastoral entwickelt, die über das Verhältnis von Frauen und Kirche hinausreicht und auch für andere pastorale Orte Perspektiven und Orientierung bietet. Mit der Habilitationsschrift soll eine Sprache angeboten werden, die vor den religiösen Erfahrungen der Zeit besteht.

Noch immer gestalten und tragen Frauen in weiten Teilen das gemeindliche Leben mit. Aber sie stehen der Religionsgemeinschaft zunehmend kritisch gegenüber. Sie verlangen Mitspracherechte und fordern Formen und Feiern ein, die ihre spezifischen Nöte und Sorgen, Freuden und Hoffnungen adäquat zum Ausdruck bringen. Sie erleben sich in einer Differenz zwischen dem, was sie erfahren, und dem, was ihnen an spirituellen und rituellen Formen zur Verfügung steht. Frauen stellen immer wieder fest, dass sie nicht vorkommen oder gar ausgeschlossen sind. Dieses Erleben ist für einige von ihnen der erste Schritt, nach Wegen und Formen zu suchen, wie sie ihren Glauben ausdrücken und feiern können. Inzwischen kann gesagt werden, dass an vielen Orten Frauen begonnen haben, nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihren Glauben zu suchen. Sie haben erkannt und erfahren, dass Rituale in den unterschiedlichsten Situationen des Lebens ein Segen sind. Dies zeigt sich vor allem in prekären Situationen, die mit Übergangsprozessen verbunden sind.

Die Vorannahmen zum Verhältnis von Frauen und Kirche werden im Rahmen der Arbeit durch einen empirischen Teil überprüft. 15 Interviews wurden mit Frauen an unterschiedlichen Orten in Deutschland und Brasilien geführt. Die Interviewpartnerinnen sind Ordensfrauen, haupt- und ehrenamtliche Frauen aus Gemeinden, aber auch Frauen, die sich inzwischen im Spektrum postchristlicher Religion beheimaten. Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine genderspezifische Realität, mit exemplarischer Bedeutung für den Gemeinschaftsgehalt der Kirche.

Das erste Kapitel steckt den Rahmen der Arbeit ab und weist vor allem auf die Veränderungen in den modernen Frauenbiografien und die daraus resultierenden Konsequenzen für Gesellschaft und Kirche hin. Durch diese Veränderungen sieht sich die Kirche vor das drängende Problem gestellt, ihre Position zu den Frauen und deren Erwartungen an Teilhabe und Teilnahme zu überdenken, dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, an einer Balance zwischen Kirche und Frauen zu arbeiten. Aber die Frage der Balance stellt sich nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Frauen. Was büßt die Kirche ein, wenn sie die Frauen verliert? Was entgeht den Frauen, wenn sie sich nicht mehr auf das beziehen und einwirken, woher sie kommen – die Kirche?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, auf Frauen zu hören, ihre Meinung und Position zu erfahren. Dies geschieht im zweiten Kapitel der Arbeit. Zunächst wird die Ausgangssituation beschrieben und Informationen zur Untersuchungsgruppe werden gegeben. Dann folgen Angaben zu dem Leitfaden und der Durchführung der Interviews. Dieser Punkt wird durch die Darstellung des Auswertungsverfahrens, das sich zum einen auf die soziologische wie zum andern auf die philosophisch-sprachliche Ebene bezieht, ergänzt. Abschließend werden in Kurzporträts die Interviewpartnerinnen vorgestellt und es erfolgt ein Einblick in die Inhalte der Interviews.

In dem dritten Kapitel werden fünf Interviews in den Mittelpunkt gestellt und einer differenzierten Einzelanalyse unterzogen. Die Interviews wurden nach den folgenden Kriterien aus dem Sample der insgesamt zwölf Interviews ausgewählt: Es sollten haupt- und ehrenamtliche Frauen zu Wort kommen. Gleichzeitig sollte dabei eine möglichst große Unterschiedlichkeit in Bezug auf die Lebenskonzepte und das Alter Berücksichtigung finden. In der Analyse tritt das Problem der Balancen sehr deutlich zutage. Dort, wo die Balancen nicht zur Verfügung stehen, bleiben Aspekte unausgesprochen, fehlen die Worte. Aber die Frage nach den Balancen stellt sich auch mit Deutlichkeit an den Punkten, wo Perspektiven schlichtweg ausgeschlossen werden, z. B. in Bezug auf Positionierungen und Umsetzungen von Religiosität. Die Herkunft und Prägung durch die christliche Religion werden ausgeschlossen und die religiösen Sehnsüchte in spirituelle Zusammenhänge verlagert. Dass jedoch Spiritualität und Religiosität in einem Zusammenhang stehen und ausbalanciert werden können, ist nur bei wenigen der interviewten Frauen ein Thema. Aber gerade in diesen Interviews zeigt sich, dass dort, wo die Balance gelingt, die größte Energie ist. Balancen sind wichtig, denn sie sorgen für einen fortwährenden und dynamischen Bewegungsablauf. Aber um mit ihnen wirklich praktisch-theologisch arbeiten zu können, braucht es Konzeptionen.

Ziel des vierten Kapitels ist es, balancierte Konzepte von Zweiheiten in Bezug auf Frauen, Orte, Ritual und Kirche vorzustellen. Die Konzeptionen werden auch auf ihre Fähigkeit hin befragt, Balancen zu markieren bzw. zu erzeugen. Die Entwürfe werden dabei nicht nur referiert, sondern mit Aussagen der Frauen aus den Interviews konfrontiert. Durch diese Vorgehensweise erfolgt eine unmittelbare Überprüfung der Thesen für die Praxis. Zunächst wird die Konzeption der Zweiheit von Nelle Morton vorgestellt. Nelle Morton nimmt mit ihrem „hearing to speech“ eine Ortsbestimmung der Frauen vor und zugleich bietet sie eine treffende Beschreibung von dem, was sich in Frauengruppen ereignen kann. Sie verlässt den Boden personaler Charakteristik nicht, entwickelt insofern auch keine Theorie, aber gleichwohl sind ihre Beschreibungen erhellend und bedeutsam für die Analyse von Frauengruppen und den Prozessen, die sich in ihnen abspielen.

Eine theoretische Konzeption der Zweiheit findet sich hingegen im Denken von Michel Foucault. Er lenkt den Blick bewusst auf das Außen und bestimmt von diesem Punkt her das Innen. Wer das Innen verstehen will, muss an den Rand gehen und die Orte in den Blick nehmen, von denen Personen und Diskurse ausgegrenzt, verschwiegen und zurückgedrängt werden. Diese Perspektive, die entlang des Begriffs der Heterotopie entwickelt wird, soll für den weiteren Diskurs nutzbar gemacht werden. Ein weiterer Gesichtspunkt ist auch sein Diskurs über Pastoralmacht, der eine zunehmende pastoraltheologische Rezeption erfährt.

Victor W. Turner hat eine Ritualtheorie entwickelt, die von einer ethnosoziologisch beschriebenen Zweiheit geprägt ist: der Zweiheit von Communitas und Liminalität. Mit seiner Ritualtheorie lassen sich die strukturell bestimmten Überschreitungserfahrungen und Aussagen der Frauen einordnen und weiterführend behandeln.

Mit der Konzeption von Hans-Joachim Sander wird am Ende dieses Kapitels bewusst wieder der Bogen zur Theologie gespannt. In seinem ekklesiologischen Entwurf kommt die Kirche in ihren Formen und Grammatiken als Religions- und Pastoralgemeinschaft in den Blick. Auf dieser konzeptionellen Grundlage können Frauenliturgiegruppen als Pastoralgemeinschaften identifiziert werden. Durch ihre Praxis fragen sie die Religionsgemeinschaft an, in der sie und ihre Rituale zu kurz oder gar nicht vorkommen. Sie bringen religionsgemeinschaftliche Schwächen und das Ungenügen in der Repräsentanz der Lebenswirklichkeit der Frauen zum Ausdruck. Zentral ist an diesem Punkt dann die Schlussfolgerung, die die Kirche und die Frauen ziehen: Praktizieren sie den Ausschluss oder versuchen sie den anstrengenden, jedoch lohnenden Weg der Balance? Am Ende dieses Kapitels wird eine balancierte Pastoral der Kirche am Ort der Frauen entwickelt, die die Grammatik des Ausschlusses überwindet und Perspektiven für die Religions- und Pastoralgemeinschaft bietet.

Die Gegenprobe dieser balancierten Pastoral erfolgt im abschließenden fünften Kapitel. Es werden pastorale Felder und Entwicklungen vorgestellt, die ähnlich wie die Frauen vor dem Problem von Ausschließungen stehen, in denen sich jedoch Ansätze für Balancen ausfindig machen lassen. In diesen konkreten Zusammenhängen wird der Entwurf einer balancierten Pastoral überprüft und diskutiert. Diese Orte benennen pastorale Heterotopien und es geht um deren kreatives Erneuerungspotenzial für den christlichen Glauben. Dabei folgt die Untersuchung dieser Orte in zwei Richtungen: Die eine führt ad extra und ist den Menschen in der Welt von heute, dem Volk Gottes geschuldet. Die zweite führt ad intra, in die Religionsgemeinschaft hinein, die mit ihrer eigenen Botschaft konfrontiert wird, den auferstandenen Christus zu verkünden und die Menschen auf dem Weg zu ihrer Menschwerdung zu unterstützen. Abschließend fragt das letzte Kapitel nach ausbalancierten Zeichen der Präsenz Gottes im Leben von Menschen, nach balancierten Orten in der Pastoral und verweist letztlich auf die Katholizität als eine unaufgebbare Balance.

Balancieren statt ausschließen

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