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Freitag, 14. Januar 1938

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ABGEBLITZTE HETZER. Der Chef der Neuyorker Weltausstellung 1940 hat den Antrag von jüdisch-kommunistischer Seite, auf der Ausstellung einen Antinazi-Pavillon zu errichten, abgelehnt und mit der Begründung seiner Ablehnung den Verleumdern Deutschlands und den internationalen Kriegshetzern eine gründliche Abfuhr erteilt.

Salzburger Volksblatt

Licht ist immer ein guter Anfang. Wer im Bazar mittags einen freien Platz an einem der rückwärtigen Fenster erwischt und über die Salzach auf die gegenüberliegende Altstadt blickt, dem strahlt es besonders hell. Licht braucht Franz Krieger für seine Fotografentätigkeit. Fotografieren ist für ihn aber nicht nur Handwerk, nicht bloß ein Zusammenspiel aus Blende, Belichtungszeit und Empfindlichkeit des Films. Fotojournalismus, das Fach, das er betreibt, heißt für ihn vor allem, mit Bildern Geschichten zu erzählen, am besten mit einem einzigen Bild eine ganze Geschichte. Der Mensch mit seiner Geschichte ist für ihn dabei besonders interessant. Als Bilddokumentar fotografiert er Festspielkünstler, Sportidole und bekannte Politiker ebenso wie die sogenannten einfachen Leute auf den Straßen Salzburgs. Er wird auch noch Gelegenheit haben, fotografierender Zeuge eines für sein Heimatland Österreich einschneidenden historischen Ereignisses zu werden. Aber im Augenblick ist er ganz im Hier und Jetzt. Von der „Nacht über Österreich“ und der Zeit, in der die menschengemachten „Feuer auf dem Residenzplatz lodern werden und der Teufel auch in seiner Stadt regiert“, ahnt er noch nichts. In diesen Minuten genießt er unbeschwert das reine, gleißende Licht der Wintersonne, das durch die Fenster des Bazar fällt, und kann zwischendurch das Treiben um sich herum beobachten. Er nimmt einen bittersüßen Schluck aus seiner Tasse und blättert durch die Chronik und das Volksblatt.

Das Bazar ist Treffpunkt für die Einheimischen, aber auch für jene, die als Gäste von auswärts kommen. Einfach für jeden, der sich für einen guten Kaffee, eine kleine Mahlzeit oder die neuesten Nachrichten eine Viertelstunde seiner Tageszeit gönnen will. Wenn Franz Krieger Menschen beobachtet – macht er sich dann auch Gedanken darüber, ob das Licht der Sonne auf alle gleich scheint oder ob es Menschen gibt, die immer ein bisschen mehr als andere von der Sonne gewärmt werden? Darüber ließe sich vortrefflich spekulieren. Unwahrscheinlich ist es aber nicht, bedenkt man, dass jeder Mensch eine Geschichte mit sich trägt und Krieger ein Bilderjäger und Geschichtenjäger ist.

Bei Dr. Singer – Emmerich Singer, dem Rechtsanwalt –, nur wenige Schritte vom Bazar entfernt, sitzen die Brüder Schwarz: Max, der Älteste, Walter, der Mittlere, und Paul. Während die Tinte auf dem soeben unterzeichneten Vertrag trocknet, lädt Max Herrn Dr. Singer ein, sie auf einen Kaffee ins Bazar zu begleiten. Dr. Singer muss leider ablehnen, Termine, Termine. „Darf ich Ihnen eben noch in Ihre Garderobe helfen, meine Herren …?“

„Ach was, lassen S’, das geht schon“, antwortet Max.

„Aber bittschön, meine Herren, nehmen S’ den Vertrag mit, nicht vergessen, bittschön. Meine Kostennote sende ich Ihnen wie immer ans Geschäft, ist das recht, ja?“

„Was Recht ist, wissen von uns vier doch Sie am besten, Doktor Singer“, scherzt Paul Schwarz.

„Nach Ihnen, nach Ihnen, lieber Herr Doktor Schwarz, Sie sind ja nicht zufällig der Justiziar im Hause Schwarz.“

Man lacht, reicht sich die Hände und wünscht einander „noch einen guten Tag! Guten Tag!“.

Wenige Minuten später verlassen die drei groß gewachsenen Männer die Kanzlei. Aus der Entfernung sind sie kaum zu unterscheiden: Jeder trägt Hut und ist in einen schwarzen Mantel gehüllt. Vom Platzl müssen sie nur rasch die Schwarzstraße überqueren und sind kurz darauf beim Bazar angekommen. Sie haben ein Abkommen in der Tasche, in dem sie festlegen, dass Max seine Beteiligung an den Schwarz’schen Unternehmen für eine sehr anständige Leibrente an die beiden jüngeren Brüder verkauft. Max ist fünfundfünfzig, unverheiratet, hat keine Kinder, ist nur für sich selbst verantwortlich, und es ist kein Geheimnis, dass er lieber Schauspieler geworden wäre. Außerdem leistet er weniger im gemeinsamen Betrieb. Vor allem sein Bruder Paul, ein streitbarer Charakter, sieht das so. Als Erstgeborener ist Max zwar der Majoratsherr und steht in der Erbfolge, nach der allein der nächste männliche Nachkomme und bei gleichem Verwandtschaftsgrad der Älteste zur Erbschaft berufen ist, an erster Stelle – aber wie viel ihm das wirklich wert ist, kann man nur ahnen. Mit diesem Vertrag hat er sich jedenfalls vom gemeinsamen Geschäft losgesagt.

Gerade kommen die drei zur Tür herein. Krieger schaut reflexartig auf: Man bekommt die Brüder hier öfter zu Gesicht, aber eigentlich sieht man sie selten zu dritt. Eins sind sie, so glaubt man zu wissen, bei allem, was das Geschäftliche betrifft. Zusammen gehört ihnen ein ganzes Warenhausimperium: natürlich das Kaufhaus Schwarz, an dem noch ihre drei Schwestern beteiligt sind, aber auch der gleichnamige Betrieb in Graz, die Kaufhäuser Bauer & Schwarz in Innsbruck und Kraus & Schober in Linz sowie eine Beteiligung am Warenhaus Falnbigl in Wien. Wie man hört, waren sie vor drei Wochen vom Weihnachtsboykott betroffen, und in Linz sollen Kunden durch aggressive Propaganda der illegalen Nationalsozialisten davon abgebracht worden sein, bei Kraus & Schober einzukaufen.

Krieger sieht zu, wie sie sich setzen. Die Schwarz-Brüder bevorzugen das Bazar, hier ist sogar noch ab und zu ein sozialdemokratischer Politiker zu sehen, der mit Juden Karten spielt. Wenn auch nur einer. Seit der Eröffnung vor dreißig Jahren ist das Café der bevorzugte Treffpunkt für Salzburgs Juden. 1911 fand im Bazar die erste Wahlveranstaltung ihrer neu organisierten Gemeinde statt. Nicht wenige Salzburger sehen daher im Bazar schlicht ein jüdisches Kaffeehaus. Manche der jüdischen Stammgäste kommen täglich. Ihre reguläre Stunde ist zwischen eins und zwei. Wie in den anderen Salzburger Kaffeehäusern gibt es auch hier getrennte Bereiche für Juden und Nichtjuden. Von der Schwarzstraße, auf die die Fenstersitzplätze für Juden ausgerichtet sind, scheint um diese Uhrzeit keine Sonne mehr herein.

Franz Krieger möchte noch einen Kaffee und gibt dem Kellner ein Handzeichen. Ein Kollege nimmt derweil bei den Schwarz-Brüdern die Bestellung auf. Krieger widmet sich wieder seinen Tageszeitungen, ohne aber seine Aufmerksamkeit gänzlich vom Eingang zu lassen. Im Moment ist aber auch der Tisch mit den Brüdern für ihn interessant. Dort scheint vornehmlich Walter zu reden:

„Sag mal Max, tut’s dir leid, dass du verkauft hast?“

„Naja, schau, die Mama hat immer gesagt: Ein Ladl soll man nicht hergeben. Ein Ladl ist wie ein Kastl, wo immer was reinkommt.“

Krieger kann nicht hören, was sie reden, aber er sieht, dass Walter Schwarz plötzlich ein Schriftstück hervorholt und es vor den Augen seiner Brüder zerreißt. Im selben Augenblick beginnt Paul heftig auf Walter einzureden: „Ich glaub, ich seh nicht richtig!“

Krieger beobachtet die lebhafte Diskussion. Der Kellner kommt an den Tisch und serviert die Bestellung: „Die Herren, bittschön …“ Die Herren schweigen augenblicklich. Als der Kellner sich fortbewegt, ergreift Walter wieder das Wort:

„Einen Bruder, einen Vertrag mit meinem ältesten Bruder, den ich immer als Majoratsherrn, als mein Ideal angesehen hab, mit dem werd ich die letzten Jahre unseres Lebens nicht in dem Gedanken verbringen, dass er sich übervorteilt gefühlt hat, dass er womöglich denkt, wir könnten ihn hereingelegt haben, irgendwann, als er eine schwache Stunde hatte.“

Paul Schwarz schüttelt den Kopf, legt im Aufstehen ein paar Münzen auf den Tisch, ergreift Mantel und Hut und geht schnaubend zur Tür hinaus.

Am Nachmittag kommt der Führer

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