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Sonntag, 20. Februar 1938

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BEFLAGGUNG! Salzburg. […]. Anläßlich der morgigen Rede des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler ist das Beflaggen der Häuser erlaubt. Nach der Flaggenordnung dürfen jedoch nur Reichsdeutsche ihre Häuser mit der Hakenkreuzfahne beflaggen, während die anderen Häuser mit den österreichischen Fahnen zu schmücken sind. Es wird auch erwartet, daß die Beflaggung der Häuser im gleichen Umfange am Donnerstag den 24. ds. stattfindet, an welchem Tage Bundeskanzler Dr. v. Schuschnigg sprechen wird.

Salzburger Volksblatt vom 19. Februar

Die Straßen und Gassen Salzburgs sind wie leer gefegt. Im Haus Nonntaler Hauptstraße 49 sitzen Suse von Winternitz und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Alix zusammen mit ihrer Mutter Friderike vor dem geliebten Radiogerät. Luftlinie fünfhundert Kilometer entfernt steht Adolf Hitler vor dem Mikrofon. Es war verkündet worden: Um 18 Uhr wird der „Führer“ eine wichtige Ansprache vor dem Deutschen Reichstag halten. Die Frauen erwarten sich nicht viel Gutes davon. Susanna Benediktine von Winternitz ist sechsundzwanzig Jahre jung. Seit fast zwei Jahren arbeitet sie als Pressefotografin in der Stadt. Sie ist die einzige, und sie hätte nichts dagegen, wenn es so bliebe. Auch ist sie die Stieftochter des Juden Stefan Zweig. Dass sie beides bald nicht mehr sein wird, wird sie als Berufsfotografin bedauern. Ihr leiblicher Vater, Dr. Felix Adolf Edler von Winternitz, ist von der Mutter seit 1914 geschieden. Friderike von Winternitz hat den Schriftsteller Stefan Zweig 1920 geheiratet. Die Ehe Zweig/von Winternitz existiert aber nur noch auf dem Papier. Zweig hat seiner Frau schon vor vier Jahren den Rücken gekehrt und lebt mit seiner Privatsekretärin Lotte Altmann im Londoner Exil.

Im Mai des letzten Jahres hat sich Friderike von Winternitz mit ihren Töchtern in der Villa von Alois und Luise Staufer in der Nonntaler Hauptstraße eingemietet. Der neue Wohnsitz hat einen Garten und liegt, nicht unpraktisch, gleich neben dem Römerwirt. Die Eigentümer wohnen nicht im Haus, sondern im nahen St. Pantaleon. Dr. Alois Staufer ist dort der Gemeindearzt. Hin und wieder schaut er in Salzburg nach dem Rechten. Mit dem Automobil benötigt er gerade einmal fünfundvierzig Minuten für eine Fahrt. Nein, das neue Haus der Zweigs ist lange nicht so hochherrschaftlich wie das Paschinger Schlössl auf dem Kapuzinerberg, der Villa von Stefan Zweig, aber jetzt sind Mutter und Töchter wenigstens unter sich. Friderike hatte das Haus gleich lieb gewonnen, wie sie später in ihren „Spiegelungen“ schreiben wird: „Nun aber umgab mich dies alles noch in dem reizenden Haus. Es lag nicht weit von dem Kloster der Erentrudis, die kranke Augen geheilt hatte und deren Nonnen noch bis zum heutigen Tage den Gregorianischen Gesang pflegen. Von den Abhängen des Klosterberges zogen sich damals noch unbebaute Wiesenhänge hin, von dem in den Königssee mündenden Almbach durchflossen, der auch durch unseren Garten plätscherte und Forellen und Wildenten heranbrachte.“

Lange waren die Schwestern von Winternitz das, was man Problemkinder nennt. Dass sie dem leiblichen Vater bei der Scheidung der Eltern entzogen worden sind, ist das eine. Auch die widersprüchlichen Erziehungsprinzipien von Mutter und Stiefvater Zweig haben bei den Mädchen Spuren hinterlassen. Dazu kommt die Liaison des Stiefvaters mit seiner Privatsekretärin, die den Schwestern nicht verborgen geblieben war. Gegensätzlich waren außerdem die Einstellungen der Schwestern und des Stiefvaters zu neuesten Moden und moderner Technik. Für Suse und Alix von Winternitz gehört das Radiohören zu den größten Vergnügungen. Zweig dagegen weigerte sich, ein solches Gerät anzuschaffen und bezeichnete Rundfunkhörer oft genug als „Radioten“; was die Schwestern nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun.

Die Villa Zweig war am 18. Februar 1934 von der Polizei durchsucht worden. Zweig hatte zwar erkannt, dass die österreichische Staatsmacht nur einen Vorwand für die Perlustrierung gebraucht hatte, dennoch stieg er zwei Tage später in den Zug und verließ Salzburg fluchtartig in Richtung London. Der Jude und bekennende Pazifist hatte die aufkeimende Bedrohung durch die Nationalsozialisten hautnah zu spüren bekommen. Und dass Hitler sein Domizil ausgerechnet in Berchtesgaden auf dem Obersalzberg aufgeschlagen hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft, empfand er als ein „Vorspiel zu viel weiterreichende-ren Eingriffen“. Die Flucht vor den Nationalsozialisten, deren Einfluss auf Österreich wächst, schien ihm der einzige Ausweg zu sein. Ein plötzlicher Aufbruch war es, aber immerhin in weiblicher Begleitung. Noch kurz zuvor war ihm Walter Schwarz behilflich gewesen, große Teile seiner Korrespondenz nach Jerusalem in die jüdische Nationalbibliothek auszulagern.

Nachdem Zweig Salzburg, Ehefrau und Kinder verlassen hatte, nahmen die Querelen in der Familie schnell ab. Die Mutter unterstützte ihre Tochter Suse nach besten Kräften weiter, sich als Fotografin zu etablieren. Beruflich hatte Susanna von Winternitz grundsätzlich auf die guten Kontakte ihrer Eltern zu berühmten Persönlichkeiten des Kulturlebens gesetzt. In der Paschinger Villa am Kapuzinerberg hatten sich – bis zur Flucht Zweigs – internationale Größen der Zeit wie Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, James Joyce, Richard Strauss, Arthur Schnitzler, H. G. Wells, Carl Zuckmayer, Franz Werfel, Hans Carossa, Jakob Wassermann, Romain Rolland oder Hermann Bahr die Klinke in die Hand gegeben. Die illustren Gäste hatte Suse bis dahin nahezu exklusiv ablichten können. Diese Möglichkeit hat sie nun – bedauerlicherweise – schon länger nicht mehr.

Zwischen der Nonntaler Hauptstraße 49 und der Staatsbrücke liegen etwas mehr als zwei Kilometer, man geht zwanzig Minuten. Dass zwischen den beiden Punkten Welten liegen, kann man an diesem Abend dennoch behaupten. Auf der Staatsbrücke, in der Mitte Salzburgs, hat sich Franz Krieger postiert. Er interessiert sich ebenso für die Führerrede, wie Friderike von Winternitz und ihre beiden Töchter es vor dem Radio sitzend tun. Allerdings richtet sich sein Interesse seit Stunden auf mögliche Motive in der Stadt, die er anlässlich dieses Ereignisses einfangen könnte. Anders als Frau von Winternitz, die sich von den Ereignissen abgestoßen fühlt, ist Franz Krieger dem Geschehen ganz zugewandt. Bis in die späten Nachmittagsstunden hinein hat er in der Linzer Gasse Fahnen und Nachrichten lesende Passanten vor den Trafiken abgelichtet. Einzelne haben mit der aufgeschlagenen Zeitung in den Händen herumgestanden und diskutiert, andere dicht gedrängt vor den Verkaufsständen verharrt, um die neuesten Schlagzeilen nicht zu verpassen. Bald nach 17 Uhr sind immer weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Auf der Staatsbrücke, am Platzl und in der Linzer Gasse fängt Franz Krieger bis kurz vor sechs die flatternden tiefroten Hakenkreuzfahnen ein. Dann ist es so weit: Erstmals wird eine Rede Hitlers auch von österreichischen Radiosendern ausgestrahlt. Ein Grund mehr, sich wie die drei von Winternitz’ vor dem Radioapparat einzufinden. Als der Redner schon eine ganze Weile ins Mikrofon getönt hat, kommt er an die für die Österreicher entscheidende Stelle: „Ich bin glücklich, Ihnen, meine Abgeordneten, mitteilen zu können, dass in den letzten Tagen eine weitere Verständigung mit dem Lande erzielt wurde, das uns aus vielerlei Gründen besonders nahesteht. Es ist nicht nur das gleiche Volk, sondern vor allem, es ist eine lange gleiche Geschichte und gemeinsame Kultur, die das Reich und DeutschÖsterreich verbinden. […] Ich bin glücklich, feststellen zu können, daß diese Erkenntnisse auch den Auffassungen des österreichischen Bundeskanzlers, den ich um einen Besuch bat, entsprachen. Der Gedanke und die Absicht waren dabei, eine Entspannung unserer Beziehungen dadurch herbeizuführen, daß dem nach seiner Auffassung und Weltanschauung nationalsozialistisch denkenden Teil des deutsch-österreichischen Volkes im Rahmen der sonst gültigen Gesetze die gleichen Rechte gegeben werden, wie sie auch anderen Staatsbürgern zustehen. In Verbindung damit sollte eine große Befriedungsaktion eintreten durch eine Generalamnestie und eine bessere Verständigung der beiden Staaten durch ein nunmehr engeres freundschaftliches Verhältnis auf den verschiedenen Gebieten einer möglichen politischen, personellen und sachlich wirtschaftlichen Zusammenarbeit.“

Friderike von Winternitz macht sich nichts vor. Von der Souveränität Österreichs hat der Mann in Berlin kein Wort gesagt. Und was er mit einem „nunmehr engeren freundschaftlichen Verhältnis“ meint, kann für einen politisch interessierten und aktiven Menschen wie sie vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Monate nur eine einzige Bedeutung haben: Es ist nichts anderes als eine verschlüsselte Formulierung für die Expansionsfantasien eines Diktators, der seine versteckten Androhungen wahr macht. Vielleicht hat sie auch das Buch „Mein Kampf“ gelesen. Darin hatte Hitler seine Forderung ja deutlich formuliert: „Deutschösterreich muss wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande.“

Friderike und ihre Töchter nehmen sich bei der Hand. Österreich zusammen mit ihren Kindern zu verlassen, wie es ihr abkömmlicher Ehemann getan hat, scheint der Mutter nun gar nicht mehr undenkbar. Nach den Nürnberger Gesetzen der Nationalsozialisten gelten sie, Susanne und Alix als Volljüdinnen. Auch wenn sie kurz vor ihrer ersten Ehe mit von Winternitz zum katholischen Glauben konvertiert war – Friderike von Winternitz, geborene Burger, verheiratete Zweig, kann es verdrängen, aber nicht ungeschehen machen, dass sie jüdischer Abstammung ist.

Gleich den Hakenkreuzfahnen, die Franz Krieger erst vor zwei Stunden fotografiert hat, bewegen sich nun auch die illegalen Mitglieder der NSDAP frei in der Stadt und salutieren nach der Rede ihres „Führers“ in den Straßen Salzburgs mit dem Hitlergruß.

Am Nachmittag kommt der Führer

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