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Freitag, 25. Februar 1938

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AUF ZUM FACKELZUG DER VATERLÄNDISCHEN FRONT! Kameraden und Kameradinnen der VF! Ihr alle habt unseren Bundeskanzler und Frontführer gehört. Ihr alle wollt ihm begeistert Euren Dank sagen. Ihr alle marschiert heute abends in der mächtigen Doppelreihe der Vaterländischen Front! Ihr alle nehmt Teil am Aufmarsch und Fackelzug der VF zu Ehren des Frontführers! Wir marschieren für unsere Freiheit und Unabhängigkeit, für das ewige Österreich, für Ordnung, Ruhe und Versöhnung in der Heimat! Front Heil! B. Aicher, Landesführer der VF.

Salzburger Chronik

Franz Krieger spielt schon länger mit dem Gedanken, sich ganz auf die Berufsfotografie zu verlegen und zukünftig als freier, gewerbsmäßiger Pressefotograf zu arbeiten. Seit gut zwei Jahren versorgt der Schnappschussjäger Krieger nun schon die lokalen Zeitungen, das Landesverkehrsamt und österreichische Bildzeitschriften mit aktuellen Bildberichten. Und auch bei internationalen Blättern und Magazinen besteht eine große Nachfrage nach seinen Fotos. Seit der letztjährigen Festspielsaison hat er beruflich so richtig Fahrt aufgenommen. Echte Pressefotografen wie ihn gibt es ohnehin kaum, und in Salzburg – bis auf Suse von Winternitz – noch gar nicht. Krieger lebt vor allem von den guten Tipps, die ihm wohlmeinende Portiers diverser Hotels zuflüstern. Dann eilt er zu Fuß zum Bazar, zum Österreichischen Hof oder zu Trachten Lanz. Manchmal sieht man ihn auch mit dem Fahrrad über die Schwarzstraße oder entlang der Salzach fahren, um möglichst schnell zum Hôtel de l’Europe oder zum Bahnhof zu gelangen, wo er dann seinen prominenten Opfern aufzulauern pflegt. Obwohl ein Versteckspiel mit der Kamera eigentlich nicht nötig ist. Die Prominenz lässt sich ganz ohne Scheu ablichten. Für die meisten ist es immer noch eine fröhliche, unbeschwerte Zeit.

Am Tag zuvor hat Franz Krieger das Gewerbe der Pressefotografie beim Stadtmagistrat Salzburg angemeldet. Wenn seine Anmeldung angenommen wird – wovon er ausgeht –, darf er sich schon bald als berufsmäßiger Pressefotograf mit Sitz in Salzburg bezeichnen. Bisher ist Susanne von Winternitz offiziell die einzige Pressefotografin mit Gewerbeschein in der Stadt. Um seiner Anmeldung Nachdruck zu verleihen, hat er in seinem Antrag vorsorglich noch argumentiert, dass „in Salzburg überhaupt kein Pressefotograf ständig ansässig“ sei. Woher er weiß, dass sich Suse von Winternitz nur zweitweise in Salzburg aufhält, bleibt sein Geheimnis.

Vorläufig wird Franz Krieger weiter ohne Gewerbeberechtigung fotografieren und seiner Konkurrentin öfters begegnen. So ist es schon in der letzten und in der vorletzten Festspielsaison gewesen, als sich ihre Wege auf der Jagd nach Motiven immer wieder gekreuzt haben. Am 15. August 1936 sind sie im Park von Schloss Kleßheim aufeinandergetroffen, wo sie anlässlich des für schöne und edle Automobile veranstalteten „Concours d’élégance“ fotografiert haben. Das Schloss im Norden vor den Toren der Stadt bildet die prachtvolle Kulisse auf dem Bild eines anonymen Fotografen, der sie nebeneinanderstehend und mit ihren Kameras hantierend vor die Linse genommen hat.

Am heutigen Freitagabend werden sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht begegnen. Der Fackelzug der „Vaterländischen“ ist kein Sujet, das in den Augen von Susanne von Winternitz für eine fotografische Darstellung taugt. Das sieht Franz Krieger aber anders. Seit Dienstag verfolgt er die täglichen Aufrufe der „Vaterländischen Front“ in der Zeitung. Nicht zu übersehen war am Vortag der großformatige Aufruf des VF-Landesführers Aicher gewesen, der ein Drittel einer Seite eingenommen hat. Das Salzburger Volksblatt berichtet, dass der „Volkspolitische Referent“ Dr. Albert Reitter die nationalsozialistische Bevölkerung aufgefordert habe, dem Fackelzug der „Vaterländischen Front“ fernzubleiben. Der Aufmarsch sei nicht gegen den nationalsozialistischen Fackelzug vom 21. gerichtet. Franz Krieger will sehen, was der Abend bringt.

19.30 Uhr: Die Aufstellung der „Vaterländischen“ erfolgt bei Dunkelheit. Franz Krieger hat der Zeitung entnommen, wo sich die Aufstellungsplätze befinden: Mirabellplatz, Paris-Lodron-Straße, Hubert-Sattler-Gasse und Franz-Josef-Straße. Der Fackelzug in Viererreihen soll vom Mirabellplatz kommend auf folgender Route verlaufen: Dollfuß Platz – Staatsbrücke – Griesgasse – Getreidegasse – Alter Markt – Residenzplatz. Am Gaisberg ist schon während des Aufmarsches für einige Zeit ein brennendes Hakenkreuz zu sehen. Das Bild, das sich Krieger in der Altstadt bietet, ist ähnlich dem vor vier Tagen, das auch Walter Schwarz aus seiner Wohnung am Kranzlmarkt betrachtet hat: Es ist ein wie von brennender Lava gebildeter Strom aus Tausenden von Fackeln. Der Strom fließt in gleichmäßigem Tempo durch die Straßen und Gassen und erreicht nach etwa eineinhalb Stunden sein Ziel, den Residenzplatz. Der Platz im Herzen der Stadt ist schon seit Stunden durch starke Scheinwerfer, die ihr Licht vom Mönchsberg herabwerfen, taghell erleuchtet. Gegen 22 Uhr drängen sich rund um den großen barocken Residenzbrunnen die Menschenmassen, ertönt Marschmusik, werden Fahnen und Schriftbänder geschwenkt: „Front Heil!“, „Heil Schuschnigg!“, „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!“, „Für die Unabhängigkeit!“ Schließlich erklingt ein Trompetensignal, und VF-Landesführer Aicher ergreift das Wort: „Kameraden der Vaterländischen Front! Begeistert und tief ergriffen haben wir gestern die Worte unseres Frontführers gehört. Unsere Herzen schlagen wieder hoch. Österreich lebt, wird ewig leben, weil wir es wollen!“ Sofort braust stürmischer Beifall auf. Dann: „Kameraden! Unser Dank, unsere Liebe, unsere felsenharte Treue ist beim Frontführer! Wir rufen ihm zu: 35.000 Salzburger, Bauern, Arbeiter, Bürger, sind zu dieser Stunde aufmarschiert und recken die Hände empor zum Schwur vor Gott und dem Vaterland: Rot-weiß-rot, treu bis in den Tod!“

Nach den Worten Aichers stimmt die Menge zur Haydn-Melodie in die Österreich-Hymne ein: „Sei gesegnet ohne Ende …“ Die meisten heben die Schwurhand dazu.

Die Salzburger Chronik veröffentlicht am darauffolgenden Montag je ein Foto von der Kundgebung am Residenzplatz und vom Fackelzug über die Staatsbrücke. Ob Franz Krieger der Urheber der Fotos ist, ist ungewiss, der Fotograf wird namentlich nicht genannt.

Am Nachmittag kommt der Führer

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