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Der Nero des Tacitus

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Tacitus ist einer jener Autoren, die das Bild Neros ganz entscheidend geprägt haben. Von ihm stammt das berühmte Postulat, er wolle Geschichte darstellen sine ira et studio1. „Ohne Zorn und Eifer(n)“ hat er nun aber gerade nicht geschrieben. Vielmehr hat er Nero in seinen Annalen, die die Zeit vom Tode des Augustus bis zum Tode Neros zum Gegenstand haben, dem letzten Herrscher aus der iulisch-claudischen Dynastie ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt. Wer heute nach negativen antiken Urteilen über Nero sucht, verfügt in Tacitus über einen optimalen Versorger mit Verdikten jeder Art. Auch mit den anderen Kaisern ging Tacitus nicht zimperlich um, manche hingegen fanden vor seinem strengen Auge Gnade. Kriterium seines Urteils war die Art und Weise, wie die Kaiser mit der Oberschicht, insbesondere mit den Senatoren, also der |17|politischen Elite, umgingen. So zu denken, hatte er einen sehr naheliegenden Grund, denn er stammte selbst aus dieser Gruppe, die einst, in den Zeiten der Republik, an den Schaltzentralen der Macht gesessen hatte, nun aber im Princeps jemanden vor sich hatte, der ihre Bedeutung, ihren politischen Einfluss und ihre gesellschaftliche Stellung zumindest potenziell dezimieren konnte.

Geboren wurde er um das Jahr 55, im zweiten Jahr der Herrschaft Neros. Als der Kaiser starb, war Tacitus etwa dreizehn Jahre alt – zu jung, um sich einen eigenen, authentischen Eindruck zu verschaffen. Seine Familie stammte wahrscheinlich aus Gallien, jener nachhaltig romanisierten Region des Römischen Reiches, aus der viele Talente des politischen Führungsnachwuchses kamen. Als junger Mann genoss er die für einen hoffnungsvollen römischen Aristokraten obligatorische Ausbildung in Philosophie, Rhetorik und Rechtswesen. Unter Neros Nachfolgern, den flavischen Kaisern Vespasian, Titus und Domitian, startete er eine beachtliche politische Karriere, die ihm einen Platz im Senat sicherte und die ihn unter Kaiser Nerva 97 bis zum Konsulat führte, das immer noch als die Krönung der Laufbahn eines Senators galt. Um 112 hatte er die Statthalterschaft in der Provinz Asia inne. Für seine politische Einstellung ist das im Jahre 98 publizierte Erstlingswerk, eine Biografie seines Schwiegervaters Agricola, mehr als aufschlussreich. Primär eine Abrechnung mit der von ihm als Willkürherrschaft charakterisierten Regierung des im Jahr 96 verstorbenen Domitian, offenbart die Schrift ganz am Anfang viel über seine Haltung zu Kaisern, die nicht seiner Vorstellung vom Verhältnis zwischen Princeps und Senatoren entsprachen – und damit auch zu Nero.

Nunc demum redit animus – „Jetzt endlich kehrt der Mut wieder“ lautet die entscheidende Formel: Bei einem Herrscher wie Domitian, der das Recht aus den Angeln gehoben hatte, der keine Kritik duldete, der die Freiheit der Senatoren und der Autoren unterdrückte, der wie ein Tyrann geherrscht hatte, befand sich Rom in einem traumatischen Zustand der Erstarrung: Erst Nerva, von Tacitus fast zu einem Heilsbringer stilisiert – was für den alten Senator und Übergangskaiser zwischen den Flaviern und den nachfolgenden Kaisern aus der Generation der Adoptivkaiser zweifellos eine nicht den realen Umständen entsprechende Beförderung darstellt –, habe zwei Kategorien wieder vereinigt, die eigentlich unvereinbar seien – principatum ac libertatem, die Herrschaft eines Einzelnen und die Freiheit – wobei Freiheit bei Tacitus immer ein für die politischen |18|Führungszirkel reserviertes Privileg ist. Er schrieb eine Biografie seines Schwiegervaters, um zu demonstrieren, dass es nun wieder möglich sei, jemanden anders zu rühmen und zu preisen und zu ehren als den Kaiser.

Mit dieser Einstellung und Mentalität verfasste Tacitus auch seine Annalen, die mit dem Tod Neros endeten. Die Darstellung der letzten beiden Jahre seiner Herrschaft ist allerdings nicht erhalten, der Text bricht mitten in der Szene ab, als Thrasea Paetus Selbstmord begeht beziehungsweise begehen muss.2 Bemerkenswerterweise führt Tacitus diesen Politiker und Intellektuellen der neronischen Zeit in den Anfangskapiteln des Agricola auch als Beispiel für den Umgang Domitians mit Opponenten an: „Wir haben gelesen, dass die Lobschrift des Arulenus Rusticus auf Paetus Thrasea und die des Herennius Seneco auf Priscus Helvidius beiden den Tod gebracht habe, und dass man nicht nur gegen die Person der Verfasser, sondern auch gegen ihre Schriften rigoros eingeschritten sei, indem man … den Auftrag erteilte, die Denkmäler jene ruhmreichen Geister auf dem Forum … zu verbrennen. Man bildete sich ein, mit jenem Feuer die Stimme des römischen Volkes, die Unabhängigkeit des Senats, das Gewissen des Menschengeschlechts zu vertilgen …“ Und etwas später im Text folgt das Bekenntnis des Tacitus: „Wir haben wahrlich eine gewaltige Probe von Geduld abgelegt. Und so, wie die alte Zeit das Optimum an Freiheit erlebt hat, so erlebten wir die äußerste Grenze der Knechtschaft, da wir durch Bespitzelung nicht einmal durch Sprechen und Hören miteinander verkehren konnten.“

Der stoisch gebildete Senator Thrasea gehörte nicht zu Neros besten Freunden. Im Gegenteil: Schon früh trat er als Kritiker des Kaisers auf, verließ eine Senatssitzung, als für Nero ehrende Beschlüsse gefasst werden sollten und weigerte sich, einer Gesangsdarbietung des Kaisers Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Alarmsignal musste es für ihn gewesen sein, dass Nero ihn nicht vorließ, als er dem Kaiser zur Geburt seiner Tochter gratulieren wollte. 66 wurde der von Tacitus zu einem unbeugsamen, stoisch inspirierten freiheitlichen Fels in der Brandung kaiserlicher Willkür stilisierte Politiker schließlich zum Opfer eines Herrschers, den Tacitus, aus der strikten Sicht des Senators und damit des Kollegen Thraseas, als Tyrann abzustempeln nicht müde wurde. Dabei handelte es sich in der Realität um zwei unvereinbare, von beiden Seiten durch Unverständnis für die jeweils andere Seite geprägte Positionen: Nero war der Princeps, der die Welt der Politik als seine persönliche Domäne, als seine Bühne sah, |19|während Persönlichkeiten wie Thrasea oder Tacitus einem alten, bewährten, letztlich republikanischen Verständnis von Politik anhingen. Für einen Nero, der die Rolle des ersten Mannes im Staat für sich neu interpretierte, konnte ein konservativ denkender Senator wie Tacitus kein Gespür entwickeln. Da Tacitus aber ein berühmter Schriftsteller war, viel gelesen und bis heute eifrig rezipiert, ist seine subjektive Sicht der Dinge, die durchaus repräsentativ für große Teile der damaligen Senatoren war, von prägender Wirkung gewesen. Der Nero der Annalen ist mithin mehr der Nero des Tacitus als der echte Kaiser Nero – jedenfalls, was die Bewertungen und Einschätzungen von dessen Handlungen angeht.

Nero

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