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Der Nero des Cassius Dio

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Der dritte Autor, dem viele Informationen über die Herrschaft Neros zu verdanken sind, ist der griechische Historiker Cassius Dio. Auch er hat |25|seinen Anteil an der Kreation des überwiegend negativen Bildes von Kaiser Nero. Was er von ihm hielt, hat er in einer zusammenfassenden Charakteristik drastisch geschildert.13 Zunächst habe er sich noch ganz ordentlich verhalten, doch als er merkte, was er sich alles erlauben konnte, habe er sich zu einem wahren Tyrannen gewandelt: „Schließlich verlor Nero alle Scham, schlug alle Mahnungen in den Wind und ging darüber hinweg und begann in die Fußstapfen eines Gaius (Caligula) zu treten. Nachdem er einmal das Verlangen gespürt hatte, diesem nachzueifern, übertraf er ihn auch schon, denn er hielt es auch für eine Verpflichtung kaiserlicher Macht, selbst in den schlimmsten Dingen hinter niemandem zurückzustehen. Als Nero dann auch noch den Beifall der Massen für sein Verhalten fand und von ihr viele Schmeicheleien hören durfte, tat er sich keinerlei Zwang mehr an, sondern vollbrachte seine Untaten zuerst im eigenen Haus und in den Kreisen seiner Freunde, später dann sogar in aller Öffentlichkeit. Damit fügte er dem ganzen Volk der Römer Schande zu, und es musste durch ihn viel Böses erleiden. Unzählige Gewalttaten und Verbrechen, Räubereien und Morde wurden nämlich sowohl vom Kaiser selbst als auch von jenen verübt, die bei ihm Einfluss hatten.“14

So, wie der Autor Nero hier beschreibt, hätte er auch von Tacitus dargestellt werden können. Kein Zufall, denn Cassius Dio gehörte wie Tacitus zur elitären Gruppe der Senatoren. Allerdings schrieb er viel später, und seine Heimat war nicht der Westen, sondern der Osten des Römischen Reiches. Als er um 164 geboren wurde, gehörte die Herrschaft Neros bereits gut 100 Jahre der Vergangenheit an. Nicht lange zuvor war Kaiser Antoninus Pius gestorben, der auch deswegen als ein „guter“ Kaiser in die Geschichte eingegangen ist, weil zu dieser Zeit das Römische Reich eine politische und kulturelle Blütezeit erlebte. Als Cassius Dio etwa 70 Jahre später (um 235) starb, hatten sich die Verhältnisse verändert. Sein Tod fällt mit dem Ende der Dynastie der Severer zusammen. Unter dieser Familie, die aus Libyen und Syrien stammte, machten sich eine Reihe von Krisenfaktoren bemerkbar. So gab es wirtschaftliche Probleme, und auch außenpolitisch waren die besten Zeiten vorüber. Im Osten bereiteten die Perser, im Westen Germanen Schwierigkeiten. Die Kaiser, allen voran der Dynastiegründer Septimius Severus, der zwischen 193 und 211 herrschte, reagierten mit einer Stärkung der militärischen Kräfte. Alles wurde auf die Bedürfnisse der Armee ausgerichtet, was zulasten der anderen gesellschaftlichen Gruppen ging. Diese Entwicklung führte nach dem Ende |26|des letzten severischen Kaisers Severus Alexander 235 zur Ära der sogenannten Soldatenkaiser. Nicht nur, dass ab jetzt alle Kaiser direkt von den Legionen proklamiert wurden, es stammten die meisten von ihnen nun aus den Reihen der Soldaten. Die Militarisierung der römischen Gesellschaft hatte damit ihre Vollendung gefunden.

Cassius Dio erlebte diese Umbrüche nicht allein als Zeitgenosse. Aufgrund seiner Karriere hatte er einen engen Konnex zu den politischen Führungszirkeln. Seine Heimat war die griechische Stadt Nikaia im Nordwesten Kleinasiens, das heute Iznik in der Türkei. Seine Familie gehörte zur lokalen Elite. Der Vater Apronianus saß, wie viele andere Häupter griechischer Familien, im römischen Senat und bekleidete wichtige Ämter in der Reichsverwaltung. Auch der Sohn schlug die politische Laufbahn ein. Unter Kaiser Commodus wurde er Mitglied des Senats – unter einem Kaiser, der wie Caligula, Nero und Domitian zur Riege jener Kaiser zählt, die man gerne – und jeweils mit mehr oder weniger Recht – in die Gruppe der Despoten und Tyrannen einzuteilen pflegt. Die Beförderung unter diesem Kaiser, der als Wagenlenker und Gladiator bei den Konservativen für Entsetzen, bei der Masse des Volkes für Entzücken sorgte, wird Dio mit größerer Bereitschaft und Freude registriert haben, als es die überwiegend negative Zeichnung dieses Kaisers in seinem historischen Werk erwarten lässt. Und die Karriere ging steil weiter: Unter Septimius Severus avancierte der begabte Mann aus Nikaia zum Suffektkonsul. So wurden in der römischen Administration Konsuln bezeichnet, die über die regulären Konsuln hinaus in dieses hohe Amt gewählt wurden. Diese Posten waren begehrt, verliehen sie dem Inhaber doch ein erhebliches Maß an Prestige. In der Zeit des Severus Alexander wurde Dio Statthalter erst der Provinz Africa, danach der Provinzen Dalmatien und Oberpannonien. 229 erreichte er sein zweites Konsulat, und dies sogar mit dem Kaiser höchstpersönlich an der Seite. Danach beendete er seine Laufbahn und kehrte aus der hektischen Hauptstadt Rom in das beschaulichere Nikaia zurück.

Cassius Dio war nicht nur Politiker, sondern auch Historiker. Wie Tacitus knüpfte er damit an eine alte römische Tradition an, nach der das Metier der Geschichtsschreibung eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. So handelt es sich bei ihm um einen späten Vertreter der senatorischen Historiografie, der dieses Geschäft nicht als eine gelehrte Disziplin fernab der Öffentlichkeit betrieb, sondern sich damit mitten im Leben sah. Jedoch kam bei ihm noch der spezifische Hintergrund der |27|griechischen Literatur hinzu. Gegenstand seines monumentalen Werkes war nichts Geringeres als die Geschichte Roms und des Römischen Reiches von den Anfängen bis in seine eigene Zeit hinein. Schlusspunkt war das Jahr 229 mit seinem zweiten Konsulat. Nicht alles, was schrieb, ist heute noch erhalten, das Werk befindet sich in einem fragmentarischen Zustand. Vieles, so auch Leben und Herrschaft Neros, ist nur aus späteren Auszügen und Kommentaren bekannt. Hier muss man sich auf die komprimierte Fassung des byzantinischen Mönches Johannes Xiphilinos aus dem 11. Jahrhundert verlassen. Doch man darf viel Vertrauen in die Seriosität dieses Gelehrten investieren und also davon ausgehen, dass seine Auszüge tatsächlich das widerspiegeln, was Cassius Dio Jahrhunderte zuvor geschrieben hatte. Wie sorgfältig Xiphilinos dabei vorgegangen war, zeigt seine eigene Angabe, wonach er zehn Jahre recherchiert und zwölf Jahre am Text gearbeitet habe.

Als Grieche wollte Cassius Dio mit seinem Geschichtswerk zunächst eine literarisch bedeutsame Leistung erbringen. Dieser Aspekt spielte bei römischen Historikern eine deutlich geringere Rolle. Für eine historische Auswertung ist dieser Sachverhalt von Bedeutung. Es ging dem Autor weniger um historische Genauigkeit als um den Ehrgeiz, als Schriftsteller von Rang wahrgenommen zu werden. So fügt er manche schöne, ausgefeilte Rede von historischen Persönlichkeiten ein, die so nie gehalten worden war, sondern eine rhetorische Fingerübung des Verfassers darstellte. Dialoge und Zitate dienen ebenfalls als Stilmittel und erheben nicht den Anspruch auf Authentizität. Außerdem hatte er keine Skrupel, seine eigenen politischen Vorstellungen unterzubringen, indem er sie Gestalten aus der Geschichte in den Mund legte. All dies schmälert seine Glaubwürdigkeit trotz der ihm zu attestierenden grundsätzlichen Sorgfalt im Umgang mit den historischen Fakten und Abläufen. Als weitere Einschränkung kommt hinzu, dass Cassius Dio als Politiker auch politische Vorstellungen seiner eigenen Zeit in die Geschichte projiziert hat. Seine Auffassung von einem „guten“ Kaiser ist von negativen Erfahrungen mit autokratischen Herrschern wie Commodus oder den Kaisern der Severerdynastie geprägt worden. In Nero mit seinem Faible für die Kunst mag er eine frühe Ausgabe des sich gerne selbst inszenierenden, öffentlich als Sportheld wirkenden Commodus gesehen haben. Und die Erfahrung mit einem Kaiser wie Elagabal dürfte ebenfalls sein Urteil über Nero beeinflusst haben. Elagabal nannte sich der aus dem syrischen Emesa stammende |28|Priester des gleichnamigen Gottes, der im Jahre 218 als Fünfzehnjähriger auf den Kaiserthron gelangte und bis zu seiner Ermordung 222 den Römern das Erlebnis einer exotisch-skurrilen Herrschaft bescherte. Für die biografische Erfassung Neros ist die Quelle Cassius Dio insgesamt also problematischer, als es die plastische und flüssige Form seiner Geschichtsdarstellung auf den ersten Blick erwarten lässt.

Nero

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