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Der Nero des Aurelius Victor

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Auch spätantike Autoren haben sich mit dem Leben und der Herrschaft Neros befasst und mit ihren Aussagen und Beschreibungen das Bild dieses Kaisers geprägt. Daher ist es notwendig, in gleicher Weise die Motive, Bedingungen und Ziele ihres Schaffens unter die Lupe zu nehmen, wie dies bei ihren Vorgängern aus der frühen und mittleren Kaiserzeit vorgenommen wurde.

In der Spätantike vollzog sich ein Wandel in der inhaltlichen und formalen Ausgestaltung von Biografie und Geschichtsschreibung. Langatmige Werke und Großprojekte hatten keine Chance mehr. Gefragt waren kurze, instruktive Darstellungen für den eiligen Leser, die man Breviarien nannte. Hochkonjunktur hatten sogenannte Epitomatoren, die sich der ebenso mühevollen wie dankbaren Aufgabe unterzogen, lange Werke der früheren Zeiten in kurz gefasster, leicht verdaulicher Form vorzulegen. Dieser Wandel hatte etwas zu tun mit neuen gesellschaftlichen Gruppen, die Politik und Militär dominierten, ohne die Neigung zu verspüren, sich ausführlich mit Literatur zu beschäftigen. Daher übernahmen die Schriftsteller die verdienstvolle Aufgabe, im Schnellverfahren zu vermitteln. Natürlich verschwand dabei auch der noch bei Cassius Dio so dominante künstlerische Anspruch. Für differenzierte Darlegungen war kein Platz, an ihre Stelle trat die plakative, holzschnittartige Beschreibung.

Diesen neuen Tendenzen hatte auch die historische Biografie Rechnung zu tragen. In ihr reflektiert sich gleichermaßen die seit Beginn der Kaiserzeit erkennbare Zentrierung auf das Individuum und die Notwendigkeit der Beschränkung auf das Wesentliche. Hauptvertreter dieses neuen Genres war Sextus Aurelius Victor. Neben anderen Werken legte er eine Schrift mit dem Titel Liber de Caesaribus („Buch über die Kaiser“) vor, mit Biografien vom ersten Princeps Augustus bis zu Constantius II., der |29|bis 361 n.Chr. regierte. Gesondert wurde unter dem Namen des Aurelius Victor eine Kurzfassung der Caesares publiziert, das Libellus de vita et moribus imperatorum breviatus („Gekürztes Büchlein über das Leben und die Sitten der Kaiser“), kurz als die Epitome de Caesaribus bezeichnet. Dem Bedürfnis der Leser nach schneller Information wurde hier insofern Rechnung getragen, als die Epitome die ohnehin schon recht lapidaren Ausführungen der Caesares noch einmal gekürzt haben, auf der anderen Seite die Liste der porträtierten Kaiser bis Theodosius (gestorben 395) weiterführten.

So viele Kaiser auf so wenig Raum zu behandeln, hätte einem Sueton arge Kopfschmerzen bereitet. Da hätte er auf all die Anekdoten verzichten müssen, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen war und die er seinen Lesern nicht vorenthalten wollte. Ein Aurelius Victor musste wie seine schriftstellernden Kollegen Verzicht üben. Sein Nero ist mit ein paar markanten Strichen gezeichnet, für Einzelheiten ist kein Platz. Immerhin überliefert er das viel zitierte Dictum des Kaisers Traian, dass Nero in seinen ersten fünf Jahren besser gewesen sei als alle anderen Kaiser – und damit meinte er die Kaiser von Augustus bis Hadrian15. Diese Aussage korrespondiert mit der Auffassung Suetons und mit der Darstellung Cassius Dios, die Nero einen guten Anfang attestieren, ohne allerdings die Version von den fünf guten Jahren zu kennen. Maxime augenda urbe („insbesondere durch die Vergrößerung der Stadt“) habe sich Nero dieses Lob verdient, fügt Aurelius Victor hinzu (das ist seine eigene Meinung und nicht die Begründung Traians) und meint damit die zahlreichen, auf Neros Initiative zurückgehenden Baumaßnahmen. Aktive Baupolitik gehörte demnach zu den Kriterien, die nach Ansicht Aurelius Victors einen erfolgreichen Kaiser ausmachten.

Man fragt sich natürlich, warum ausgerechnet Kaiser Traian Nero in dieser Weise gelobt hat, und welche Leistungen seines Vorgängers er dabei konkret im Auge hatte. Diskussionen darüber, ob Traian nicht die ersten fünf Jahre Neros, sondern eine andere fünfjährige Phase seiner Herrschaft gemeint haben könnte, sind angesichts der Platzierung der Aussage bei Aurelius Victor direkt zu Beginn von Neros Regierung nicht überzeugend. Die ersten fünf Regierungsjahre Neros endeten 59. In dieses Jahr fiel der Mord an seiner Mutter Agrippina, der von vielen Autoren in dem Sinn als eine Zäsur angesehen wird, dass Neros despotische Natur nun offen zum Ausbruch kam. Unter Traian, der von 98 bis 117 regierte, erreichte das |30|römische Imperium, nach Eroberungen in Dakien und im Orient, die größte Ausdehnung, die es jemals hatte. Es liegt nahe, dass der Eroberer Traian Nero für eine aktive Außen- und Militärpolitik lobte. Jedoch hielten sich diesbezügliche Unternehmungen Neros in engen Grenzen. Traian gehörte aber auch zu jenen Kaisern, denen an einem guten Verhältnis zu Senat und Senatoren gelegen war. Tatsächlich waren die Beziehungen Neros zur politischen Elite anfangs noch ungetrübt, was, wie viele Forscher vermuten, dem segensreichen Einfluss seiner Berater Seneca und Burrus zu verdanken gewesen ist. Evidenterweise ist das Zitat Traians aus dem Zusammenhang gerissen. Gerne wüsste man, in welchem Kontext er sich in dieser Weise überhaupt geäußert hat. Sinnvoll wäre eine prononcierte Replik auf eine der üblichen Klagen über den „schlechten“ Kaiser Nero. Bemerkenswert bleibt auf jeden Fall, dass die fast durchwegs schlechten Noten, die dem Kaiser von den antiken Autoren gegeben wurden, nicht von allen und sogar von einem seiner Nachfolger nicht ohne Weiteres akzeptiert wurden.

Auch Aurelius Victor folgt in seinen weiteren Ausführungen diesem beliebten Schema „Nero war erst gut und wurde dann schlecht“ und hat dafür eine moralische Erklärung parat, die von dem jugendlichen Alter, in dem Nero seine Herrschaft antrat, ihren Ausgang nimmt: „Hieraus geht deutlich genug hervor, dass das Alter kein Hindernis für Tüchtigkeit ist, dass diese jedoch leicht umschlägt, wenn Zügellosigkeit den Geist verdirbt, und dass dann die gleichsam übersprungenen Gepflogenheiten der Jugend desto unheilvoller nachgeholt werden. Denn den Rest seines Lebens verbrachte er in solcher Schande, dass man Scham und Ekel empfindet, von der Existenz eines derartigen Menschen zu berichten, und dann gar noch von der eines Lenkers der Völker.“16

Woher stammt das negative Nero-Bild des Aurelius Victor? Hat er es aus den Quellen übernommen, die er für die Biografien heranzog, oder standen dahinter spezielle Motive? Über sein eigenes Leben ist allerdings nicht sehr viel bekannt. Geboren wurde er wohl um 320 in der Provinz Africa und gehörte damit also zur provinzialen Reichsbevölkerung. Nach eigener Auskunft stammte er vom Lande und war der Sohn eines „einfachen und ungebildeten“ Mannes.17 Doch machte er bald Karriere in der Reichsverwaltung. Kaiser Iulian (361–363), den die Christen wegen seiner christenfeindlichen Haltung mit dem Titel Apostata („der Abtrünnige“) versahen, ernannte ihn zum konsularischen Statthalter der Provinz Pannonia |31|Secunda. Gleichzeitig oder etwas später erfolgte die Aufnahme des Aurelius Victor in den römischen Senat – eine Gemeinsamkeit, die er mit seinen Kollegen Tacitus und Cassius Dio teilte. Ein paar Jahre später taucht er auf dem wichtigen Posten des Stadtpräfekten von Rom auf, kurz danach ist er gestorben.

Um ihn als Quelle für Nero einordnen zu können, ist ein Blick darauf hilfreich, wie und nach welchen Kriterien er römische Kaiser überhaupt beurteilt hat. Vieles übernahm er von Sueton, Tacitus und wohl auch Cassius Dio, manches ist seine eigene Sicht der Dinge. Wegen der Kürze der Darstellung verzichtet er völlig auf Angaben zu Kindheit und Jugend. Kaiser interessieren ihn nur als Kaiser. Stirbt der Kaiser, wird sein Nachfolger von ihm auch gleich als Kaiser in Empfang genommen. So ist es auch beim Übergang der Herrschaft von Claudius auf Nero und bei der Sukzession Nero–Galba. Hier folgt der lapidare Kommentar „Das war das Ende des Hauses der Caesaren“18, womit er das Ende der iulisch-claudischen Dynastie meint. Zeit bleibt sogar noch, um in bester Sueton’scher Manier deren bevorstehendes Ende durch ein paar Vorzeichen annoncieren zu lassen: „Viele Zeichen hatten das Ende angekündigt, und zwar vor allem das Verdorren eines Lorbeerhains auf den Gütern der Iulier, der der Triumphierenden geweiht war, und der Tod der Hühner, die sehr zahlreich und ganz weiß waren und besonders geeignet für kultische Zwecke, so dass nach ihnen noch heute ein Platz in Rom benannt wird.“19

Aurelius Victor war zwar ein aktiver und erfolgreicher Politiker, er war aber auch ein überzeugter Moralist, der das Verhalten der Kaiser nicht unter politischen Gesichtspunkten, sondern nach den Kriterien des Guten oder Schlechten beurteilt hat. Das Wohlergehen des Staates, so lautete sein zentrales Credo, hängt vom Charakter der Regierenden ab. In der Traians-Biografie20 schildert er segensreiche Maßnahmen des Kaisers, konstatiert dann, dass diese „wegen der Habgier und Unverschämtheit der Späteren“ zum Verderben des Römischen Reiches ausschlugen, um daran die moralische Sentenz anzuschließen: „In solchem Maße gibt es nichts Gutes oder Schlechtes in einem Staat, das nicht durch die Wesensart der Leitenden ins Gegenteil verkehrt werden könnte.“21 In Antoninus Pius (138–161) sah er einen positiven Herrscher, der aufgrund seines integren Charakters viel Gutes bewirkt habe: „Er zeigte solches Gleichmaß und ein so aufrichtiges Wesen, dass er geradezu als Beispiel dafür dienen konnte, dass vollkommene Charaktere auch durch ständigen Frieden und langes Wohlleben |32|nicht verdorben werden und dass Staaten erst dann glücklich sind, wenn die Herrschaft der Weisheit gehört.“22 Ganz anders ein Kaiser wie Caligula: Zunächst gab er sich gegenüber Volk, Senatoren und Soldaten als Wohltäter, habe dann aber sein wahres Gesicht gezeigt, „als habe er wie ein Raubtier Blut geleckt, und es folgten drei Jahre, in denen der Erdkreis durch den vielfältigen Untergang des Senats und aller vortrefflichen Männer besudelt wurde“23.

Neben seiner Rolle als moralisches Gewissen nimmt Aurelius Victor für sich die Rolle eines engagierten Verfechters von Bildung in Anspruch. Auch hier gilt wieder eine einfache Formel: Gebildete Kaiser waren gut, ungebildete schlecht. Die Biografien der Kaiser dienen in diesem Zusammenhang auch dazu, den Wert der Bildung zu demonstrieren. Dabei handelte es sich um die Reaktion auf einen Bildungsnotstand, den er seiner eigenen Zeit attestierte. Wer als Kaiser klug war, so seine Botschaft an die Zeitgenossen, hatte Erfolg und umgekehrt. In der autobiografischen Notiz, in der er sich als Sohn eines ungebildeten Bauern bezeichnet, betont er, er habe seinem Leben durch umfangreiche gelehrte Tätigkeit einen größeren Wert zu verleihen versucht.24 Der eigene Bildungseifer wird in den Kaiserbiografien zum entscheidenden Kriterium für die Charakterisierung der Herrschenden. Bildung und Wissen gehen – im Idealfall – einher mit moralischer Festigkeit und versetzen den Kaiser in die Lage, ein guter, dem Staat und den Menschen förderlicher Kaiser zu werden.

Geradezu als Lichtgestalt ist der stoische „Philosophenkaiser“ Marcus Aurelius gezeichnet, der in Rom zwischen 161 und 180 regierte. Um diese Wertschätzung zu unterstreichen, hat Aurelius Victor eine spezielle Episode parat: „Marcus war bekanntlich derart der Weisheit, Milde, Lauterkeit und feinen Bildung zugeneigt, dass er, als er gemeinsam mit seinem zum Caesar nachgewählten Sohn Commodus gegen die Markomannen ausrücken wollte, von einer Schar Philosophen umringt wurde, die ihn beschworen, er möge sich nicht eher auf den Feldzug oder eine Schlacht einlassen, bis er ihnen die schwierigsten und tiefgründigen Lehren der Philosophenschulen erklärt hätte. So sehr fürchtete man die Ungewissheiten des Krieges um seines Lebens und um der gelehrten Studien willen, und in solcher Blüte standen unter seiner Herrschaft die Wissenschaften, dass ich gerade darin den Ruhm des Zeitalters erblicken möchte.“25 Zu den Favoriten des Biografen zählte auch ein Septimius Severus, denn „er |33|gab sich der Beschäftigung mit Philosophie, mit Rhetorik, kurz mit allen freien Künsten hin“26. Dementsprechend erfolgreich war dessen Regierung, und nur die Ausschweifungen seiner Frau hätten seinem Ruf geschadet.27 Umgekehrt und folgerichtig waren für Aurelius Victor ungebildete Kaiser schlechte Kaiser. Der erste Soldatenkaiser Maximinus Thrax (235–238) zum Beispiel war „von Bildung kaum berührt“28. Über Nero hatte er in seinen Quellen wenig Gutes gelesen. Daher konnte er auf die – explizit allerdings nicht formulierte – Idee kommen, es habe dem Kaiser entschieden an Bildung gemangelt, obwohl er einen Lehrer wie Seneca hatte, und deswegen konnte es mit ihm kein gutes Ende nehmen.

Unter den erhaltenen antiken Autoren, die sich mit Nero und seiner Zeit beschäftigen, gibt es, wie hervorgehoben werden muss, keinen einzigen Nero-Freund. Das könnte – theoretisch und ganz prinzipiell – daran liegen, dass Nero wirklich ein so miserabler Kaiser, ein solches Scheusal, ein derartiges Ungeheuer gewesen ist, wie es in den literarischen Quellen dargestellt wird. Es könnte aber auch daran liegen, dass die Historiker und Biografen der Antike Nero aus ihrer jeweiligen Perspektive und ihrem jeweiligen Erwartungshorizont heraus in dieser Weise porträtiert haben. Auf der anderen Seite konnte dies nicht willkürlich und ohne Grund geschehen. Nero musste mit seinem Verhalten und seinem Handeln etwas an sich gehabt haben, das einen Senator wie Tacitus, einen Hofarchivar wie Sueton, einen gebildeten Rhetor und Politiker wie Cassius Dio und einen spätantiken Moralisten und Bildungsfreund wie Aurelius Victor dazu veranlassen konnte, das Bild von dem Tyrannen und Scheusal Nero zu prägen beziehungsweise. zu tradieren. Schließlich wurde von ihnen nicht jeder Kaiser in derselben Weise dargestellt.

Auf dieser Grundlage kann man sich an die Spuren des historischen Nero heften. Es muss zuerst jedoch das politisch-kulturelle Umfeld nachgezeichnet werden, in dem er sich bewegte. Dann geht es um eine faktische Rekonstruktion seiner frühen Jahre, anschließend um sein Wirken zwischen dem 13. Oktober 54, als er Kaiser wurde, und dem 9. Juni 68, als er Selbstmord begehen musste. Sodann werden einzelne Hauptthemen systematisch unter die Lupe genommen, um zu analysieren und zu beschreiben, wie es in dieser Hinsicht um Fiktion und Realität bestellt ist. Dabei wird sich das Bild eines Kaisers herauskristallisieren, der ernsthafter seiner kaiserlichen Arbeit nachging, als man es ihm gerne konzediert. Und es entwickelt sich das Bild eines Herrschers, der die Politik als Bühne |34|verstand, die ihm dazu diente, sich selbst zu inszenieren. An sich war das keine neue Erfindung. Status und Selbstdarstellung waren schon in den Zeiten der Republik festes Rüstzeug eines jeden Aristokraten. Ein wahrer Meister der Propaganda und der medienwirksamen Inszenierung seiner Person und seiner Politik war der Begründer des Principats. Von Augustus hat Nero eine Menge gelernt – auch und insbesondere hierauf zielt das Bekenntnis, das er laut Sueton gleich zu Beginn seiner Herrschaft ablegte: Er werde ganz nach den Regeln des Augustus regieren.29 Das war, wie sich zeigen sollte, nicht etwa ein bloßes Lippenbekenntnis oder pflichtschuldige Reverenz an den ersten Kaiser, wie man sie eben so leistete, wenn man neu im Amt war. Es war eine Devise, die Nero ernst nahm und dann allerdings in einer ganz eigenen Weise interpretierte.

Nero

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