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Der Accounting Gap: Begrenzter Informationsgehalt von Jahresabschlüssen
ОглавлениеGegenstand der Jahresabschlussprüfung ist der Jahresabschluss, der im Wesentlichen aus zwei Teilen besteht:
einer Bilanz und
einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung.
In einer Bilanz werden das Vermögen und die Schulden gegenübergestellt. Dadurch wird die Vermögenslage abgebildet und als Saldogröße das Eigenkapital bestimmt.
Entsprechend werden in einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung Erträge und Aufwendungen einander gegenübergestellt. Auf diese Weise wird die Ertragslage abgebildet und als Saldogröße der Jahresüberschuss ermittelt.
Vielleicht fallen Ihnen bei der Lektüre dieser Sätze Ihre ersten Übungsstunden in der doppelten Buchführung ein. Durch die »Verbuchung« von Geschäftsvorfällen auf den verschiedenen Konten haben sich damals die Zielgrößen Jahresüberschuss und Eigenkapital ganz automatisch ergeben.
Im Rahmen des weiteren Studiums haben Sie dann festgestellt, dass durch die Anwendung unterschiedlicher Bewertungsgrundsätze die Verbuchung identischer Geschäftsvorfälle zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
Beispiele sind:
die Verwendung von Zeitwerten (Fair Values), die in einem IFRS-Abschluss zu einem höheren Eigenkapital führen kann, als es sich bei Verwendung der fortgeführten Anschaffungskosten in einem HGB-Abschluss ergibt
unterschiedliche Zeitpunkte der Erlösrealisierung (beispielsweise infolge von Teilgewinnrealisierungen nach der Percentage-of-Completion-Methode)
die Verwendung unterschiedlicher Zinssätze bei der Abzinsung von Rückstellungen (beispielsweise 6 Prozent bei Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz)
die Aktivierung von selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerten oder unterschiedliche Abschreibungsmethoden für erworbene Geschäfts- oder Firmenwerte
Es gibt also keinen allgemein »wahren« Vermögens- oder Gewinnbegriff. Vielmehr ergeben sich in Abhängigkeit von den angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen unterschiedlich hohe Periodengewinne, welche gleichwohl im Kontext der jeweiligen Rechnungslegungsgrundsätze den jeweils »richtigen« Gewinn darstellen.
Nach § 264 HGB soll der handelsrechtliche Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft
unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft vermitteln.
Sowohl die deutschen handelsrechtlichen Rechnungslegungsgrundsätze als auch die internationalen Rechnungslegungsgrundsätze verfolgen das Ziel eines Jahresabschlusses zu allgemeinen Zwecken. Das bedeutet, dass der Jahresabschluss auf die Informationsbedürfnisse möglichst vieler Adressaten ausgerichtet sein soll, welche möglicherweise sehr unterschiedliche Informationen für ihre Entscheidungsfindung benötigen.
Während eine kreditgebende Bank vermutlich eher an der Werthaltigkeit einzelner Vermögensgegenstände interessiert ist, stellt sich den Gesellschaftern bei der Festlegung von Gewinnausschüttungen vielleicht eher die Frage nach der Höhe des erzielten Gewinns oder der im Unternehmen verfügbaren Liquidität.
Da unterschiedliche Adressaten unterschiedliche Informationsbedürfnisse haben, können nicht alle Erwartungen an die Aussagekraft von Jahresabschlüssen gleichermaßen erfüllt werden. Diese erste Stufe der Erwartungslücke nennt man Accounting Gap.
Ein Jahresabschluss, der unter Beachtung bestimmter Rechnungslegungsgrundsätze aufgestellt wurde, kann nicht alle Erwartungen unterschiedlichster Adressaten gleichermaßen erfüllen und ist deshalb für unterschiedliche Adressaten unterschiedlich aussagekräftig.