Читать книгу Wirtschaft, die arm macht - Horst Afheldt - Страница 15
Wachstum und Wohlstand Wachstum des Sozialprodukts ist nicht identisch
mit Zunahme des Wohlstands
ОглавлениеDer erste Grund liegt schon in der Definition des Begriffs Sozialprodukt.
Das Sozialprodukt wird definiert als die Summe all dessen, was im Inland in einem Jahr an Waren und Dienstleistungen hervorgebracht worden ist. Diese Summe nennt man genauer das Bruttoinlandsprodukt. Die Summe aller Bruttoinlandsprodukte aller Staaten dieser Welt bildet das Weltsozialprodukt (GDP). Aber was ist denn von diesem Sozialprodukt wirklich Wohlstand, was ist davon Aufwand für den Wohlstand, wäre also eigentlich abzuziehen? Sind nicht in Wirklichkeit die Investitionen und Produktionskosten der einzelnen Unternehmen Aufwand? Gehören die Fahrtkosten der Arbeitnehmer zum Aufwand? Sind Erziehung und Ausbildung der jungen Bürger nicht im Grunde Kosten für die zukünftige Produktion? Sind die Kosten für die Polizei Aufwand oder Ertrag?
Betrachten wir das Sozialprodukt der Bundesrepublik 1973 und im Jahre 2000 näher, so zeigt sich, dass ein höheres Bruttosozialprodukt auch zu einem niedrigeren Wohlstandsniveau führen kann:
Das Sozialprodukt des Jahres 2000 ist grob gerechnet (preisbereinigt) etwa doppelt so hoch wie das von 1973. Aber 1973 lag die Arbeitslosenzahl bei 273 00037, im Jahre 2000 zwischen vier und fünf Millionen. Das ist der erste Unterschied. Ein Sozialprodukt, das dadurch erzeugt wird, dass alle Bürger (oder fast alle) ihr Geld selbst verdienen, hat a priori einen höheren Wohlstandswert als ein Sozialprodukt mit Millionen von Arbeitslosen. Nicht nur wegen der psychischen Folgen langer Arbeitslosigkeit. Ein Sozialprodukt, bei dem Millionen Arbeitslose »abfallen«, ist auch ökonomisch weniger wert. Denn aus dem erzielten Sozialprodukt, das zur Verteilung ansteht, ist nun auch der Unterhalt der Arbeitslosen zu bezahlen, also abzuziehen. Das wiederum ist nur dadurch möglich, dass diejenigen, die ihr Leben noch unmittelbar aus der Erzielung des Sozialprodukts bestreiten können, weniger erhalten, als sie erhalten könnten, wenn die Arbeitslosen nicht zu finanzieren wären.
Aber auch die spezifische Art der Erzielung des Sozialprodukts, der wachsende Akzent auf internationalem Handel und internationaler Verflechtung bei sinkenden Handelsschranken, führt zu einem geringeren Effekt des »Wohlstands pro produzierter DM«. Das Sozialprodukt von 1973 wurde – aus der Sicht des Liberalismus – erzielt, obgleich Einfuhren mit teilweise hohen Zöllen belegt waren. Das führte nicht nur zu Einnahmen der Bundesrepublik aus Zöllen, sondern erlaubte auch noch höhere Löhne, ohne dass der Marktanteil der deutschen Unternehmen im Inland gefährdet wurde.
Das Wachstum der Wirtschaft allein sagt deshalb nichts über den Wohlstandsertrag aus. War dieser Ertrag in der ersten Periode bis in die 70er Jahre hoch oder sogar sehr hoch, war er in der zweiten, der liberalen Periode gering oder gar negativ. Eine solche Wirtschaft ist eindeutig »unwirtschaftlich«.
Es hat in der Wirtschaftswissenschaft viele Versuche gegeben, eine klare Trennungslinie zwischen Erfolg und Aufwand im Sozialprodukt zu finden. Letztlich sind all diese Versuche gescheitert. Auch unsere eigenen im damaligen Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich technischen Welt in Starnberg.38
Und so ist man letztlich nicht viel schlauer als am Anfang: Wer sein Auto erfolgreich gegen einen Baum steuert, sich und seine Familie im Krankenhaus behandeln und wieder auf die Beine stellen lässt und ein neues Auto kauft, hat bekanntlich das Sozialprodukt vergrößert. Aber den Slogan: »Die Wirtschaft lahmt, Autofahrer! Auf die Bäume, fertig, los!« wird niemand als Wirtschaftspolitik verkaufen wollen.
Ein »Erfolgsmaßstab«, der solchen Unsinn zwangsweise in sich trägt, ist sicher mehr als zweifelhaft. Undifferenziert das Wachstum dieses so schlecht definierten Sozialprodukts zum politischen Ziel zu erklären, ist also eigentlich schon eine Ohnmachtserklärung. Nur: Wenn man das Sozialprodukt als Maßstab verwirft, wie will man dann den »Erfolg« eines Wirtschaftsjahrs in einer Volkswirtschaft messen?
Da es auf diese Frage keine klare Antwort gibt, streben alle Volkswirtschaften dieser Welt unter dem Motto »Wachstum für Wohlstand und Arbeitsplätze« unbeeindruckt der Erhöhung des Sozialprodukts nach. »Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir erhöhen das Bruttosozialprodukt!« hieß es in einem Song Anfang der 80er Jahre. Und je kräftiger man in die Hände spuckte, je größer das Wachstum dieses merkwürdigen sozialen Produkts im Jahre war, desto mehr wurde die Wirtschaft eines Landes gelobt, als desto »erfolgreicher« galt sie – verglichen mit anderen Volkswirtschaften, denen nur ein geringeres prozentuales Wachstum gelungen war.