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Weltmarkt und Staat

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Besteuerung von Unternehmen und Kapital schadet im weltweiten Wettbewerb dem »Standort Deutschland«. Da dieser Einwand für jedes Land der Welt gilt, ist der Steuerwettlauf nach unten programmiert. Die Bundesrepublik liegt in diesem Wettlauf nach unten weit vorne. Sie hatte mit 21,7% im Jahr 2001 die niedrigste Steuerquote in Europa. In einem Vergleich mit den Industrieländern lag nur die Quote Japans mit 17,2% niedriger. Und die Bundesrepublik will weiter rennen: Für die Jahre 2004 und 2005 sind weitere Steuersenkungen im Umfang von 23 Milliarden Euro geplant.53

Eine Studie des Internationalen Währungsfonds zeigt: Eindeutig ist, dass weltweiter Steuerwettbewerb dazu führt, dass die Steueraufkommen weltweit negativ beeinflusst werden.

»Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass Steuerwettbewerb die Möglichkeit der Regierungen herabsetzen würde, den Wohlfahrtsstaat weiter zu finanzieren«.

Und zu dem Problem der Steuern auf Unternehmenseinkommen meint die Studie des IWF:

»Manche Autoren haben die Möglichkeit genannt, dass in längerer Zukunft die Steuereinnahmen aus Unternehmen auf Null getrieben werden…«54

Spielraum ist hier kaum noch. Zwei grundsätzliche Entscheidungen haben die Ohnmacht der Politik besiegelt: Die Öffnung unserer Volkswirtschaft zum Weltmarkt und die Einführung des Euro vor einer Einigung in der EU über eine gemeinsame, für alle gültige Besteuerung. Die Öffnung zum Weltmarkt zwang zum weltweiten Wettbewerb und damit zum Wettlauf der Modernisierung, also der Freisetzung von Arbeit durch »schlanke Produktion«, zur schnellen Rationalisierung mit Ersatz von Arbeit durch Kapital und zum weltweiten Steuersenkungswettbewerb. Die Einführung des Euro ohne gemeinsame Steuerpolitik sicherte dann diesen für die Staatsfinanzen ruinösen Wettbewerb auch noch innerhalb der EU ab. Inwieweit diese beiden Entscheidungen korrigiert werden können und sollen, ist eine der über die Zukunft Europas entscheidenden Fragen. Wieweit die EU-Einigung über die Besteuerung von Zinseinkünften vom 21.1.2003 etwas ändern kann, ist mehr als zweifelhaft. Es ist nicht einmal sicher, dass so die Zinseinkünfte wirklich in großem Umfang besteuert werden können.55 Und der Standortwettbewerb wird von dieser Einigung überhaupt nicht betroffen.

Der Politologieprofessor und ehemalige Planungsstabsleiter im Pariser Außenministerium, Jean-Marie Guéhenno, sieht deshalb »eine Welt kommen ohne Entscheidungszentrum und ohne Souverän, ohne Bürger und ohne Volksherrschaft«56. Er schreibt:

»Wenn (ein Staat) keine Kapital- und Talentflucht ins Ausland provozieren will, darf er die Steuern nicht über das Niveau vergleichbarer Länder anheben. Man kann in diesem Zwang die gelungene Übertragung marktwirtschaftlicher Gesetze auf den Bereich der Politik sehen. In Wahrheit, da die Inanspruchnahme zahlreicher Kollektivleistungen (wie Sicherheit, Infrastrukturen, Rechtsprechung u.a.) nicht an den Ort der Steuererhebung gebunden ist, werden viele Unternehmen in der Lage sein, ihre Steuerlast zu begrenzen, während sie sich gleichzeitig in den Staaten niederlassen, die die besten Kollektivleistungen bieten. Die Erschütterung der territorialen Besteuerungsgrundlage reicht daher in ihren Folgen sehr viel weiter, als uns ein oberflächlicher Liberalismus glauben macht. Sie bedeutet, daß die Nationalstaaten nicht mehr in der Lage sind, Kollektivleistungen durch die Steuern zu finanzieren. Entweder kommen Staaten mit vergleichbaren Leistungen überein, sich gegenseitig keine ›Steuerkonkurrenz‹ zu machen und Ausgleichsmechanismen in Gang zu setzen, oder aber die Staaten reduzieren die ›kostenlosen‹ Kollektivleistungen und ersetzen sie durch kostenpflichtige Leistungen bzw. durch individualisierte Versicherungssysteme.

In beiden Fällen ist die Nation als natürlicher Raum der Solidarität und der politischen Kontrolle in Gefahr.«57

Der Staat war der letzte Garant für einigermaßen gleiche Lebensbedingungen von Arm und Reich. Abbau des Staates ist Abbau zu Lasten der Armen und zu Gunsten der Reichen. Der Ruf nach dem »schlanken Staat« – möglichst so schlank wie Heinrich Hoffmanns Suppenkaspar auf den letzten Bildern, als er »wog vielleicht ein halbes Lot und war am fünften Tage tot!« – ist deshalb von Seiten derjenigen, die heute mit fetter Beute außer Landes in ihre Oasen fliehen, sehr verständlich. Auch Bankräuber würden die Abschaffung der Polizei lebhaft befürworten.

Naturgegeben ist dieses Verhalten nicht. Die Wohlfahrtsphasen in Amerika und Europa kannten dieses Dilemma nicht. Und so wird man Lester Thurow korrigieren müssen, der meinte: »Der Kapitalismus hat der Arbeiterklasse den Krieg erklärt, und er hat ihn gewonnen.«58 Nicht der Arbeiterklasse, sondern der solidarischen Gesellschaft und der auf ihr aufbauenden Demokratie galt der Krieg. Und die Demokratie ist anscheinend dabei, ihn zu verlieren.

Wirtschaft, die arm macht

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