Читать книгу Die Unworte - Horst Hartleib - Страница 6
Der Unfriedhof
ОглавлениеEin Bericht über ein Monster (entstellt auf der Grundlüge seiner Untaten und VerführerTagebücher) kann selbst auch nur monströs sein. Unverschon der Versuch wird zum Verfluch. Eines unschönen Tages erscheint ein befremdender Fremder in Grau. Das ganze Dorf (aus)atmet Friedhofsatmosphäre, „Nichtatmosphäre“, wie ein beklemmendes zeitloses Atemanhalten. (Caspar David Friedrich’sche UnFriedhofs-Nichtatmo-Sphäre.) Ein „Gotts-acker“ im Erdsgebirge, in der ungeistigen und öko(g)nomischen Armetei. Es könnte ungenau so ungut in Hermann Burgers Schilten sein. Hier pflügt Gott unter, beziehungsloserweise sein Entstellvertreter, der Totengräber. Am Anfang (unver)steht ein (VerMiss)Bild. Ein Mann kommt auf den verschneiten Friedhof, öffnet seinen Hosenstall und uriniert auf ein Grab. Welch eine pietätlose UnVerschämtheit! Er hat ein gelb gerandetes Loch in den Schnee gepinkelt. Der Schnee konserviert die Urinspritzer und er konserviert auch die Fußspur des Verursachers.
Der Totengräber Küttler gräbt auf Verdacht, ins Blaue (ins Schwarze) hinein. Er bevorzugt die „Kür“, die freiwillige Arbeit. Gestorben wird immer. Es wird sich schon jemand finden für die Grube, an der er gerade arbeitet. Unter dem Schnee ist der Boden bis auf eine dünne Oberschicht frostfrei. Er nimmt einen Schluck UnLauterer Luft aus einer Grabvase und flucht, dabei die versehentlich hineingefallenen Erdkrümel ausspuckend, leise vor sich hin. „Gottvordammich! Gottvordammmich!“ Man könnte das durchaus als Gebet verstehen, um Gott aus der Reserve zu locken, ihm endlich ein Zeichen seiner Existenz abzunötigen. Mit dieser UnArt der UnGlaubensausübung, Gott wie Hiob mit Widerworten und Selbstvernachlässigung zu provozieren, scheint der Totengräber erfolgreicher als der Pfarrer zu sein. Vielleicht sind die Ketzer die größten Religionsfanatiker. Vielleicht kann man sein wie von einer nie vergehenden Beschämung dauerhaft wie ein Paviangesäß gerötetes Antlitz als eine Gottesstrafe (ver)gelten lassen.
Es schien ihm plötzlich so als sei eben jemand auf dem von Koniferen halb verdeckten Weg um die Kirche herum gelaufen. Vielleicht der Pfarrer, der sein Trinken, Fluchen und die Entweihung der Grabvasen und der Grabsteine, über die der Küttler wenn er sich in Hitze gearbeitet hat, auch (unver)schon mal seine Jacke hängt, sehr missbilligt. Aber diese unrühmliche Knochenarbeit will für so wenig Geld niemand machen und sie ist ohne Schnaps dauerhaft nicht zu ertragen. Das kann der Pfarrer weder nachvollziehen noch ignorieren. Deshalb (unver)steht einem Totengräber im Gegensatz zu den hierzulande ausgestorbenen echten Bergleuten kein akzisefreier Trinkbranntwein („Kumpeltod“) zu. Aber deren Hauptaufgabe war das Ausgraben, beim Totengräber das Eingraben, der deswegen eher ein VerBergmann ist. Nun drückt auch noch die Blase und der Schnee würde die Spuren des Urinierens auf geweihter Erde verräterisch konservieren. Also besser das Unangenehme mit dem Nützlichen verbinden und ein paar Schritte gehen. Hinter der Kirche gibt es einen Durchbruch in der Mauer. Dahinter ist der von einem Jägerzaun eingegrenzte Lagerplatz für die Friedhofsabfälle, wo keine Gefahr besteht, geweihte Erde zu entweihen. Ein dort befindliches Grab zählt nicht. Früher hat man die Selbstmörder außerhalb der Friedhofmauer vergraben, denn sie sind zweifellos, wenn auch nicht verzweiflungslos, Mörder. Es ist aber trotzdem eine Inkonsequenz weil eine Ungleichbehandlung gegenüber den zahlreichen verschleppten Suiziden, die nur weniger auffällig sind, weil sie sich über Jahre bis Jahrzehnte hinziehen. Den UnFriedhof nennt der Küttler diesen von ihm als Abort missbrauchten Ort. Von dort kommt tatsächlich eine frische, trotz schwachem Schneefalls noch deutliche Fußspur, die in Richtung Haupteingang des Friedhofes weist. Vielleicht kommen sie auch aus der Kirche oder der Verursacher hat die Kirche umrundet. Dieses abseits am Komposthaufen gelegene Grab zählt eigentlich nicht. Es ist ein namenloses Unpersonengrab, ein Denkmal, genauer ein Mahnmal, eine Entsorgungsstätte. Man sagt, es enthält nur zerfetzte Kleidung. Oder Gläser mit in Alkohol eingelegten und ausgestopften Missgeburten, wird behauptet. Ein unzweifelhafter Tod, aber ohne Leiche. Genaueres will auch niemand wissen. Ein Tabugrab. Die Spur kommt tatsächlich von dort. Aber es führt merkwürdiger Weise keine Spur dahin! Der Form und Größe der Schuhe nach war es ein Mann. Ich bin schon ganz schön besoffen, ich werde besser nach Hause gehen und schlafen. Es gibt keinen Termindruck. Ich habe vorgearbeitet, dachte Küttler. Mit den Fußspitzen zum Grab hat er gestanden und auf die Grabplatte gepinkelt. Also zweifellos ein Mann. So eine Pietätlosigkeit ist dem Pfarrer nicht zuzutrauen und das würde vermutlich niemand im Dorf wagen. Ein wenig abergläubisch sind sie alle. Eine Art Rune hat er in den Schnee gepinkelt. Die gelben Ränder zeichnen sich scharf ab. Als hätte er ein Wort oder einen ganzen Satz pinkeln wollen, aber der Blaseninhalt hat nur für den ersten Buchstaben gereicht, vermutlich ein U. Was er mit einem Zweig in den Schnee gekritzelt hat ist aber unleserlich. Es beginnt mit „Un“. Dann führt die Spur vom Grab weg. Küttler nahm die fast leere Schnapsflasche aus der Jacke und goss den Rest in seinen Schlund. Keine Spur hin! Der kaum nennenswerte Schneefall kann sie nicht verwischt haben. Als ob er den Weg zum Grab rückwärts gehend zurückgelegt hätte. Aber das sähe man doch! Wenn man nüchtern wäre würde ein Delirium tremens vorstellbar sein, aber man hat ja das gewohnte Quantum intus. Entweder ich bin verrückt oder die Grabplatte. Spinn „ich“ spirituos, spiritistisch oder (un)tatsächlich, ursächlich oder endämlich verrückt? Hat Gott mein Fluchen erhört und hat um mir ein Zeichen zu geben den Herrn der Fliegen auf(un)verstehen lassen? Hat der Herr mir ein Wunder angetan? Aber ich bin ein ungläubiger Thomas, der sich selbst, selbst wenn er die eigenen Finger in die eigenen Wunden (unüber)legt, längst nicht mehr alles glaubt. Man kann sich schließlich nicht alles glauben. Wo verkäme man(n) hin, wenn man sich alles glauben (selbstverübel)unwürde? Unmutmaßlich in ein Selbstgefängnis der totalen Befangenheit? In eine totale Selbstdiktatur? In eine selbstverneinende Selbstver(miss)ächtung? Und die Maus, die ich vorhin gesehen habe war auch nicht weiß. Und ich wähne mich auch nicht wie ein verirrter Wenjuschka Jerofejew auf dem (Ver)Ro(h)ten Platz. Misshandelt es sich bei meinem Unwissen um all diese Undinge um Bildung oder Einbildung oder eine unselige Verknüpfung beider? Um Pfropfbastarde von Realitätlichkeiten und Verwunschvorentstellungen? Ich werde mir das morgen mal nüchtern ansehen und die Spur vielleicht fotografieren. Es muss eine (Un)Sinnes(ent)täuschung sein, ein Selbstbetrug. Als ob man nicht schon mehr als genug Selbstzweifel hätte! Unzumutieren die Zweifel jetzt zur Verzweiflung? Mein Gott, warum kann ich mich nicht mehr auf mich verlassen! Diese verdammte selbstverhühnergotteslästerliche SelbstverFlucherei!
Am Folgetag waren die Spuren verschwunden. Ein jäher Wetterumschwung hatte Regen die Schneedecke über Nacht wegwaschen lassen. Solche mit böigem Wind gekoppelten Wetterumschwünge verursachen meistens Nervenflattern. Ich werde heute meinen Schnapsvorrat restlos auftrinken und ab morgen abstinent leben, nahm er sich zum ungezähltesten Mal vor. Langsame Abgewöhnung halte ich leider nicht durch.
Er holte sein Werkzeug und die letzten zwei „Rohre“ aus dem Geräteschuppen und begab sich in das Grab. Ob das schon mein Grab ist, fragte er sich bestürzt und nahm schnell einen großen Schluck gegen die ernüchternde Nüchternheit. Ob ich mich gestern geirrt habe oder nicht ist eigentlich gleich. Auf meine UnSinne ist kein Verlass. Wie soll ich was wahr ist unterscheiden von dem was sie mir vorgaukeln? Am wahrscheinlichsten ist leider immer das Unangenehmste, was man ungeratenzu das Wahrheitskriterium nennen könnte. Er gehörte zu den feigen Selbstmördern auf (Un)Raten, die sich mit ihrem Suizid jahrzehntelang herum quälen. Aber die Aussicht, sich heute zwei „Rohre“ genehmigen zu können beruhigte ihn.
Da hörte er ein vertrauliches „Gauf“, aber ein fremdes Gesicht erschien hinter dem ausgehobenen Erdhaufen. Ein grau gekleideter Fremder. Das ist er, der Grabpinkler, dachte Küttler sofort. Das ist der, den ich gestern weggehen gesehen habe!
„Mit G’auf fällt mann hier am wenigsten auf“, sagte der Fremde. Als typischer Armeteier war der Küttler sehr maulfaul und ließ sich nicht so leicht ein Gespräch aufdrängen. Erst als der Fremde ihm eine Zigarette anbietet, kann er schwer ablehnen, weil er seine heute mitzunehmen vergessen hat. Rauchen verbindet. „Meine sei alle“ sagt der Totengräber als müsse er sich rechtfertigen. Der Fremde zeigt Verständnis für die Schwierigkeiten des Berufes. Er nuschelt ein wenig unter seinem grauen Bart, der Fremde. Da sind Sie sozusagen der letzte Bergmann im Dorf, Herr Küttler. Gegenfrage: Kennen wir uns?
Als ob er wüsste, dass der Küttler noch immer hofft, eines Tages auf eine Silberader zu stoßen. Im Nachbarort habe man beim Ausheben einer Klogrube Silber gefunden und daraus sei ein großes Berggeschrei entstanden. Aber der Fremde interessiert sich offensichtlich für das Grab außerhalb der Friedhofsmauer. Obunwohl ihm das Thema sehr unangenehm war dachte Küttler, der Fremde werde sich durch seine Fragerei selbst verraten. Man muss ihm nur ganz minimalistisch maulfaul antworten und er wird mit seiner Fragerei verraten, wer er ist und was er will. „Gauff“, grüßt ein Vorbeigehender, „Gauuuf“ antwortet der Totengräber dumpf. Er schielt verstohlen nach seiner Grabvase. Hin und wieder dreht der Fremde eine kleine Runde um sich warm zu halten und dann (unbe)nimmt der Küttler schnell einen Schluck Schnaps aus der Grabvase.
Ob er das Grab meine, auf das gestern jemand gepinkelt hätte? Der sollte eigentlich außerhalb des Friedhofes begraben werden, aber es besteht ja Friedhofszwang. Eigentlich hätte das Grab sogar nicht neben dem Friedhof sein dürfen. Das ist ja kein Tierfriedhof. „Wie das?“ Die Leute wollten es so. Es gab eine Einwohnerversammlung und die Mehrheit hat für ein Grab gestimmt. Es gibt den Leuten Sicherheit zu wissen, dass und wo der Teufel vergraben ist. Gräber sind ja nicht für die Toten sondern für die Lebenden. Es sind Geister- oder Ungeisterverbannungsorte, an denen man sich erinnern und vergewissern kann, dass jemand tot ist. Gottes Sohn ist aufunverstanden und der Leibhaftige, der Unterleibhaftige ist tot. „Dos wulln de Leit net wissn.“ Realität sei schrecklich, deshalb versuche man sie so weit wie möglich zu verdrängen. Der Mensch lüge nicht nur oft hunderte Male am Tag. Noch viel öfter belüge er sich selbst. Und wer wenig rede könne fast nur sich selbst belügen. Eine konservierte Missgeburtensammlung habe man dort damals begraben. Chimären, Bastarde zwischen Mensch und Tier, eingeweckt wie Kompott. Die Ergebnisse der gotteslästerlichen Unzuchten des Unseligen, die er wie zum Beweis gegen sich gesammelt hatte. Sein Folterkeller war eine Asservatenkammer der eigenen Untaten. Es sei das teuerste Grab, das er kenne. Das sei nicht in Handarbeit zu machen gewesen, daran hätte er Lichtjahre graben müssen. In diese Baugrube seien Armierungen verlegt worden, ein riesiges Stahlskelett, und dann alles mit Beton ausgegossen worden. Mehrere Fahrzeuge mussten dafür anrollen. Eine richtige Untotenburg oder ein Reaktor-Sarkophag für Abprodukte schizoider UngeistesKernspaltung. Sogar mit Gipsmarken, die rechtzeitig warnen, falls der Satan sich zu befreien versucht. Für die Leute selbstbelüge er da drin. Der unselige unterleibhaftige UnSchöne. Er, Küttler, wisse was nicht los ist. „Haste dir dein Kopf transplantiern lassn? Oder ne Unschönheitsoperation?“ Küttler warf ein mit Erde verklebtes Schlüsselbein über seine Schulter. „Dor Samehilfn Ott, hot ah viel ze drong gehobt sei Lebn lang.“ Ein Lügenfriedhof, ein Unfriedhof, da liegen die Lügen. Der Fremde hatte es plötzlich sehr eilig und verabschiedete sich hastig. Er vergaß sogar seine angebrochene Schachtel Zigaretten mitzunehmen. Den drückt was, eine Notdurft welcher Art auch immer, dachte der Küttler.
Am (ver)folgenden Tag war der Mann wieder da. Ein (Be)Fremder. „G’auuuf!“, heulte er den Totengräber vertrauensselig an. Der war sehr schlechter Laune und bereute seine gestrige Schnapsidee heute kein „Frostschutzmittel“ mitzunehmen bereits sehr. Er hätte lieber nicht geantwortet, befürchtete aber, der Fremde könne nach seinen liegen gelassenen Zigaretten fragen, von denen nur noch die leere Schachtel übrig war. „Haben wir uns mal gekannt?“, fragt der Küttler doppeldeutig. „Nicht dass ich wüsste.“ „Es schneit un schneit wie nich gescheit!“ „Das könnte von Arthur Schramm stamm’. Einer der größten Dichter, die mir nich mehr ham.“ Seine perfekte Beherrschung des Dialektes von Grau, der in der Armetei bereits von Dorf zu Dorf winzige, nur für Einheimische bemerkbare Unterschiede aufweist, könnte eine verschlüsselte Antwort sein.
Eigentlich eine geniale Idee, Ihre Entdeckung der Eignung der Grabvase als Schnapsglas. Das sollten Sie als Patent anmelden, lacht der Fremde. Als „Outdoor-Trink-Set“ ließe sich das vermarkten. Für im Freiland Untätige wie Angler; für Familienfeiern und Totengräber. Bei diesem Sauwetter tut es gut, sich ein wenig von innen aufzuwärmen. Bei diesen Worten holte er eine Flasche „Braunen“ aus seiner Manteltasche. Küttler hörte den angebrochenen Verschluss knacken und wusste, er würde der Einladung nicht widerstehen können. Der Fremde füllte zwei mit Schmelzwasser ausgespülte Grabvasen, behielt die eine in der Hand und steckte die andere in die Erde neben das Grab, in der Totengräber bis zur Brusthöhe stand und sagte „Wohl bekomms!“. Es gab mehrere Gründe darauf einzugehen. Einer davon war, Küttler wusste nüchtern würde er Unsinn reden. Der Befremdende offenbarte Insiderkenntnisse über das Handwerk der Totengräberei. Einer seiner Jugendfreunde sei Totengräber gewesen und habe ihm einiges erzählt. „Des einen Tod ist des anderen Brot“ gelte nicht nur für das Bestattungsgewerbe, das sei fast schon eine Binsen(un)weisheit. Man müsse das nüchtern betrachten, ohne Pietätsheuchelei. Es gäbe da zwei (Un)Arten der Totengräberei, das Eingraben und das Ausgraben. Sein Freund habe manchmal Schmuck gefunden und vertrunken. Das angeblich Unmenschliche sei das vielleicht Menschlichste. Und dann fragt er Küttler nach dem „UnterLeibhaftigen“ aus. Es war (k)ein mal ein ungewisser UnSchöne. Luzifer, der gefallene Engel. Das Grab eines tabuisierten talibanischen VerFührers, einer posthumen Unperson, eines ungewissen Osáma. Der Fremde bediente sich geschickt eines extrem blasphemischen Jargons von Platitüden, Sexismen und aller Unarten verbaler Tabubrüche, offenbar um den Gesprächspartner zu enthemmen und ebenfalls zur Übertretung von Tabugrenzen zu verleiten, zur Preisgabe des Unsäglichen. Zoten wurden von ihm mit einem Schnaps oder einer Zigarette belohnt. „Wir wolln uns doch nichts vormachen …“ „Wir wollen uns doch nicht in die Tasche lügen …“ Der fordert einen geradezu heraus, ihm „die Taschen voll zu haun“, dachte Küttler. Anfangs gab er nur sehr zögernd Auskunft, aber bald verselb(unan)ständigte sich ungewissermaßen seine Rede. Schließlich sagt er zusammenfassend etwa folgendes: Die Leiche der Unperson (der Unbenennbare, dessen Namen auszusprechen tabu ist) wurde nie gefunden. Seine Qualzuchten hätten ihn wahrscheinlich gefressen, weil er nur noch besoffen war und sie nicht mehr gefüttert hat. Nur seine blutgetränkten zerrissenen Klamotten seien übrig geblieben. Die Viecher, die ihn gefressen hätten, seien in der Abdeckerei gelandet und zu Seife verarbeitet worden. Die Leute waschen sich mit ihm, sagte der Totengräber vieldeutig und griente. Sie waschen ihre Hände in Unschuld. Er müsse wissen was im Grab liegt, sein Vorgänger habe doch das Loch geschaufelt und ihm alles erzählt. Wenig später korrigierte er sich, er habe als Anlernling dabei mitgeholfen. Aber Leute werden begraben, weil man einen Erinnerungsort haben will. Warum sollte man also eine Unperson begraben, fragte der Fremde. Die Leute haben den Wunsch an die Gemeinde herangetragen. Sie wollten eine Sicherheit, dass er tot ist. Aber ohne Totenschein kann er nicht tot sein, es sei denn, er wird dafür verklärt, aber darauf hätte man zu lange warten und seine Rückkehr befürchten müssen. Man wollte keinen Vermissten, denn dén hat weiß Gott niemand vermisst! Das Begraben ist ein Vergraben, ein (Ver)Bannen der (Un)Geister der (Un)Toten an einen Ort. Die Leute brauchen eine Stelle, einen Ort der Beruhigung, wo sie regelmäßig hingehen und nachsehen können und sich vergewissern, dass der Leibhaftige tot ist. Mittels Gipsmarken als Bewegungsmelder wollen sie sich vergewissern. Das war eine Entsorgung. Daher die schwere Abdeckplatte. Abdeckerei mit schweren Abdeckplatten, wiederholte der Fremde nachdenklich mit blasphemischem Unterton. Die Grauer haben sich die Beerdigung des Grauens einiges kosten lassen, ein riesiges Loch und einen Zinksarg, der mit Gläsern voll in Spiritus gebetteter Missgeburten aufgefüllt wurde. Darüber gepackt Betonplatten, die beim Abbau eines LPG-Feldweges angefallen sind. Und darüber die (Un)Natursteinplatte, damit keine „Auferstehung“ möglich ist. Eine rituelle Beisetzung des Bösen. Deswegen statt des christlichen Kreuzes das Andreaskreuz, also ein Warnkreuz. Sogar der Jägerzaun wurde bewusst gewählt, weil gewissermaßen aus Warnkreuzen bestehend. Erst sollte er auf dem Friedhof begraben werden aber das hat massive Proteste ausgelöst. „Der Leibhaftige kommt mir nich auf’n GottSacker“!, haben die Gegner gesagt. (Ungesagt: Sonst zumutiert der GottSacker zum Unfriedhof.) Aber im Land herrscht ja Friedhofszwang. „Und so einem auch noch ein Denkmal setzen?“ Als einen schäbigen „Von-sich-selbst-Ablasshandel“ haben die Gegner dieses Bürger(auf)begehren bezeichnet. Es herrschte Uneinigkeit darüber, ob er ein Mensch gewesen sei. Eine sterbliche Hülle als Beweis gäbe es dafür nicht. (Das Makaberste daran: Ausgerechnet vom Präparator gibt es kein Präparat vorzuweisen. Kein arsenik-begiftetes Teufelsfell?) Es sei eine unzulässige Erweiterung des Begriffes (in diesem UnFalle des „Missgriffes“) Mensch erforderlich, um ihn dazu zählen zu können. Nur anatomische Ähnlichkeiten hätten wahrscheinlich bestanden, aber das ließe sich mangels Leiche nicht mehr nachweisen. Die wenigen Befürworter seiner Zuungehörigkeit zur (Un)Menschheit haben beispielhaft auf die Vergebenskultur der Mormonen verwiesen, deren Gebete für die Opfer auch die Täter mit einschließe. Also kein Museum? Kein Gedenkort, keine (Un)Totenburg (ab)sondern ein Vergessensort, eine Unart Abgedanken-Abort. Es soll keine Verunehrungsstätte geschaffen werden, keine Anpinkelungs- oder Schmähstätte, kein Abort, kein Abgedanken- Merdarium. (Als ob es auf einem Friedhof nicht unverschon genug Selbstbescheißecken (unver)gäbe! Wo verkämen wir hin, wenn es auf den Friedhöfen Pinkelecken gäbe, von denen ein beißender Uringestank ausgeht? In Verwirklichkeit pinkeln wir (un)anständig auf Friedhöfe, von denen wir nur nicht wissen, dass sie welche sind.) Vielleicht sehen die Leute das Ganze in hundert Jahren anders und graben die Zinkwanne mit den Präparaten aus und (ent)stellen sie als Unzeitzeugen in ein Museum. Die Monster von heute sind nicht selten die Idole von übermorgen. Die Unheilig(ver)sprechung dieses UnSchöne ist (un)längst (v)erfolgt. Der UnSchöne, jetzt ist er dem Küttler doch wieder herausgerutscht, der Name des Erwähnensunwerten! Wer kann es den Leuten verdenken? Diese Unperson hat eine ganze Region in Verruf gebracht, die ganze Armetei, welche um sich zu reinigen alle Schmach auf das Erdsgebirge abwälzt, und die Erdsgebirg(l)er auf den Gau Densche und die Denscher auf das grauenvolle Grau und die Grau’er auf den Unzuchthof. Auch der (Ver)Missbegriff Unschönheitsfarm hat sich als Synonym für Gnomodrom als Neo(un)logismus eingebürgert, zumal dem UnSchöne nachversagt wird, er habe die Eröffnung eines solchen beabsichtigt, um in seinem Etablissement Unschönheitsoperationen wie beispielsweise Fetteinspritzungen, erotogene Implantate, Mundverbreiterung durch Wangenschlitzung oder das Einziehen von Nasenringen zum ungebesserteren an der Nase herum Verführen anzubiedern. Für Geld war er ja zu jeder Untat bereit, dieser Untotenschänder, dieser Herr von Unbetragen und Unbesiegfried-Besieger in seiner Niegelungenversage. Grau als eine Unart SauPerle der Armetei und des Erdsgebirges. Der hat den ganzen Gau Grau rufschädigend voll zu Sau gemacht, jaunwohl, dieser Heimatschänder! Voller Grauen haben sich die Grauer gewehrt gegen dieses „Gehnie“. Es kann ihnen niemand übelst nachreden, sie hätten nicht fast alles unternommen, um ihn heraus zu ekeln aus ihrem Dorf. Mit Sonntags-Demonstrationen, Verschweigemärschen, Unhappenings, Gewaltmärschen, Ammenmärchen, verübelnster Nachrede, übelsten Vorab-Nachrufen, Morddrohungen, sogar Drohungen ihn leben zu lassen, und nicht so weiter!, haben sie diesem Kuckucksnestbeschmutzer sein Hierbleiben noch geschmackloser als sein Verschwinden zu machen versucht. Unter dem Eindruck des VerVolkszornes hat der UnSchöne in Verfolge dessen zwar mehr als bisher gegen sich unternommen, aber noch zu wenig, viel zu inkonsequent, zu unentschlossen. Regelunrecht zugrunde gerüchtigt habe er sich, der UnSchöne mit seinen kauzigen Allüren. Annahmen verstetigen die Regel. Was soll nun mit diesem Gnomodrom geschehen, diesem animalischen Ausschwitz? Diesem Abgedanken-Unkonzentrationslager. Soll es dem Erdboden ungleich gemacht werden, weil eine Gleichmachung leider unmöglich ist? Oder soll eine Gedenkstätte errichtet werden, ein Unzucht-Museum? Wie geht man mit diesem degenerierten Erbe um? Mit diesem Erb(un)Gut, dieser ent(un)arteten Unkunst, dieser Selbstverfolgklore. Wollt ihr die Gleichmachung als eine dem Erdboden-Gleichmachung? Als Einebnung, als Verflachung. Wollt ihr etwa zur Beseitigung aller Spuren unser Erdsgebirge planieren? Wenn ihr die Heimat zu Platitüde plätten wollt, wo wollt ihr dann jodeln, haben die Bedenkenträger argumentiert. Also hat man sich unentschließlich auf die únterirdische Entsorgung des verirrten Schafes im Wolfspelz geuneinigt. Das Schlimmste an der ganzen Unsittuation war vielleicht, dieser Untäter hat in seinem Unzuchthaus mehr oder weniger ganz legal und leger an seinen scheußlichen, untierverachtenden Diotraumen basteln können. „Unfreiheit, Ungleichheit, Unbrüderlichkeit!“ Es könnte sein, Sie arbeiten manchmal auch als Untotengräber?, sagte der Fremde und grinste. (Als Abdecker, auf einem Untierfriedhof? Dem ExperimentierTierfriedhof des Unseligen?) Ich schwöre, es gibt diesbe(an)züglich keine Verschwörungstheorien, erwiderte der Totengräber. Aber könnte es nicht sein, dass die Legenden um die Untaten des UnSchöne nur von viel schlimmeren „Normalitätlichkeiten“ im Dorf ablenken sollen? Von der noch viel schlimmeren Untatsache, dass man sich gar nicht mehr bewusst ist, dass der Tabubruch die Normalität ist und die Aufdeckung des Tabubruches, und noch mehr seiner Normalität, gnadenlos verfolgt wird? Únd da sammelt dieser Befremdende (un)heimlich Informationen über angeblich zweifelhafte Todesfälle im Dorf, bei denen er den Verdacht unterstellt, dass „Sterbehilfe geleistet wurde“. Er versucht nicht nur den Totengräber dazu auszufragen. Die Leute wollen vergessen, und da (unbe)kommt so ein Ungläubiger und legt (unan)ständig unreine Finger in die Wunden! Da braucht er sich nicht zu wundern, wenn man ihn hasst wie einen Zuwideraufunverstandenen! Das ist unnachweisbar, sagt sinngemäß der Totengräber. Natürlich gibt es keine natürlichen Tode! Aber hier legt man nur selten selbst Hand an, nur wenn sich der Sterbekandidat als gar zu uneinsichtig oder zu ungeschickt herausstellt. Dann leistet man ihm manchmal (un)rein aus Humanität ein wenig Sterbehilfe. Hier erteilt man, wenn der Betroffene nicht selbst spürt, dass es Zeit für ihn ist und die Konsequenz zieht, sinngemäß den Befehl „Stirb!“ und überlässt es dem in Ungnade gefallenen Delinquenten, eine für ihn geeignete Todesart zu finden. Was auf den ersten Blick unmenschlich erscheinen mag, ist in Wirklichkeit eine große persönliche Freiheit und Chance, den eigenen Abgang selbst zu bestimmen! Wie ein Woodoo-Priester, wie ein Schamane oder Indianerhäuptling erteilt die größte Respektsperson im Dorf den Befehl „Stirb!“ Manche gehen innerhalb kürzester Zeit vor Angst zugrunde oder erleiden einen Herzinfarkt oder missachten in ihrer Todesfurcht die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen und erliegen einem Unfall. Sie laufen in ein Auto oder verlieren, weil sie aus Angst vor dem Überfahren werden sich selbst ans Steuer setzen, die Gewalt über das Fahrzeug. Oder es nimmt jemand eine Überdosis der Droge, die ihn vergessen lassen soll, dass sein Sterbebefehl schon erteilt wurde. Jemand, der weiß, dass er zu viel weiß und deshalb sterben muss und der mittels der Droge seine Ignoranz stärken will. Oder er nimmt eine Überdosis einer Substanz, die ihm eigentlich helfen und sein Leben verlängern soll. Oder er/sie (unbe)nimmt eine Überdosis (Un)Wahrheiten oder tötet zu plötzlich zu viele seiner Überlebenslügen auf einmal ab und erleidet einen Schock. Beziehungsloserweise er weiß zu viel und dieses zu viel wissen sei ja gerade das Sterbenmüssen auf Befehl. Die Kenntnis der Sterblichkeit verkäme der Vertreibung aus dem Paradies der Langeweile gleich. Es habe noch nie jemanden gegeben, bei dem sich der Sterbebefehl nicht erfüllt habe, sagte der Totengräber mit vieldeutigem Lächeln. Es (unver)möge darunter auch UnFälle gegeben haben, in denen die Befolgung des Sterbebefehls erst nach Jahrzehnten erfolgt ist, oder in denen bei Nichtbefolgung (un)heimlich Nachhilfe geleistet werden musste. Aber das sind eher Ausnahmen und das zählt nicht im Bewusstsein der Leute. Daher ist der Befehl „Stirb!“ für den Betroffenen mit einem je nach Sensibilität mehr oder minder großen Schock verbunden, der sie wie eine Art Verblutungsschock erbleichen, in sich zusammen sinken, den Lebensmut verlieren, apathisch werden lässt, weshalb sie dann auch bei Aufbietung aller medizinischen Künste inklusive Tropf und Herz-Lungen-Maschine nicht zu retten sind. Einige Naivlinge gehen nach Erhalt des Sterbebefehls zum Arzt, lassen sich in eine Klinik einliefern, aber nur, um bei dieser Ungelegenheit mitgeteilt zu bekommen, dass sie unheilbar krank sind. Nicht wenige der Verurteilten verfallen in eine sogenannte Depression und bringen sich um. Einige, so paradox das klingen mag, bringen sich vorbeugend um, um dem Gestorbenwerden auf Befehl zu entgehen, in der knallharten Logik, dass nur einem Toten der Sterbebefehl nichts anhaben kann. Es geht ihnen darum, die Entscheidung über das eigene (Ab)Leben zu behalten und sich durch keinen Sterbebefehl entmündigen und enteignen lassen zu müssen. Da werfen sie sich lieber selber weg, geben aus Furcht vor dem finalen Kontrollverlust die Selbstkontrolle auf. Der Sterbebefehl wirkt wie eine Behexung oder ein Woodoo-Zauber, aber zuverlässiger als diese, da der Betroffene sich nicht auf seine Unwissenheit berufen kann. Es ist wie eine Vertreibung aus dem Paradies. Die Kenntnis der Sterblichkeit durch Mitteilung bewirkt das Sterben. Der Glaube an den Sterbebefehl ist auch eine Art Religion. Manche selbstbetrügen sich damit zu behaupten, der Mensch sei unsterblich und da sie Menschen seien, ließe sich daraus auf ihre Unsterblichkeit (ver)rückschließen. Aber irgendwann werden auch sie eines Schlechteren belehrt. Der Fremde lächelte ungläubig. Und wenn jemand kein Medikament nimmt? Der Totengräber lächelt zurück. Dann nimmt er eine Überdosis Wasser, springt quasi in den Wasserüberfluß. Am schlimmsten sind die dran, die den Sterbebefehl zu ignorieren können glauben, die sich einreden, an so etwas nicht zu glauben. Die erleiden einen sehr langsamen, qualvollen UnTod. Deshalb lässt sich kaum je etwas nachweisen. Und wer dieses Geheimnis ausplaudert, der ist ein Nestbeschmutzer und Tabuverletzer, so wie ich jetzt. Außerdem ist der Sterbebefehl als Botschaft mehr oder weniger verschlüsselt. Nur wenn jemand ihn nicht begreift oder nicht begreifen will, wird er immer konkreter formuliert oder schließlich nachgeholfen. Zwar ist die Ignoranz langlebig, aber niemand kann sich dem Sterbediktat dauerhaft entziehen. Am wenigsten die, die früher selbst anderen den Sterbebefehl erteilt haben und seine vollstreckerische Wirksamkeit kennen. Beneidenswert sind die, die ihren Sterbebefehl widerspruchslos entgegen nehmen und anstandslos befolgen. Die aus der damit verbundenen Freiheit das Beste für sich machen. Die sich unsinnige aufbäumen und bejammern, tun sich damit keinen Gefallen. Die (Un)Gesellschaft ist eine Mafia und wer sich widersetzt und auflehnt, der erhält den Befehl. Und wer wie ich zu schwach ist, den Befehl an sich selbst zu vollstrecken, der provoziert noch stärker, um aus dem zu eng gewordenen Mantel Leben heraus geholfen zu bekommen. Sie haben mir heute „Sterbehilfe“ oder „Kumpeltod“ mitgebracht. Der Mit(un)mensch als dein Sterbehelfer. Er nahm die Zigarettenschachtel und las den aufgedruckten drögen Spruch vor: „Raucher sterben früher“. Eine findige Firma erwäge bereits die Geschäftsidee der Aufstellung von Sterbehilfe-Automaten, mit Lachgas und einschläferndem Kohlendioxid gefüllte Tötungsgläser mit nachgeschalteter Kühlzelle und Gefriertrocknungsanlage zu Mumifizierung. Vielmehr, er wolle sich diese Geschäftsidee patentieren lassen und suche nach einer Firma, sagt der Totengräber. Da antue sich ein großer, abgründiger, ungeratenzu bodenloser Markt auf. Wie Untote, wie Zombies, wie Schatten gespensterten die Sterbebefohlenen in der (ungeistigen) Armetei umher. Die potenziellen Rufmordopfer auf Abruf. Man erkenne sie an einer (un)scheinbar grundlos tief depressiven Grund(ver)stimmung, Traurigkeit und Antriebslosigkeit oder auch an übertriebener, der Unsittuation völlig unangemessener vermessener Lustigkeit. Allen gemeinsam ist eine in verschiedenster Weise zur Schau entstellte Selbstvernachlässigung. Sie waschen sich und ihre Kleidung nicht, können sich bald am Morgen nicht mehr zum Aufstehen und Anziehen entschließen. Jede Bewegung wird ihnen zu viel, selbst die Nahrungsaufnahme, das Trinken und irgendwann schließlich auch noch das Atemholen. In einer geringeren Anzahl der Fälle reagieren sie mit scheinbarem Hedonismus, verlieren (un)getreu dem Spruch des Paracelsus „allein die Dosis macht das Gift“ jegliches Maß, fressen oder saufen sich zu Tode, trinken in kürzester Zeit all das Wasser, das sie in ihnen noch verbleibenden Jahren noch trinken zu können sich berechtigt wähnten. Sie versuchten die Kubikmeter Wasser, von denen sie glaubten, dass sie ihnen in den nächsten Jahren noch zustünden, mit einem Mal auszutrinken, was man gemeinhin sich Ertränken nennt. Oder sie versuchen die für mehrere Lebensjahre beunnötigten unzumutmaßlichen Kubikhektometer Luft auf einmal auszuatmen. Ich will es an einigen Beispielen belegen, sagt der Totengräber, und weist auf ein Grab. Der hier hat geglaubt, es könne ihn retten, wenn er nicht an den Sterbebefehl glaubt. Auf die Mitteilung seines Sterbebefehls hat er mit großer Lustigkeit fehlreagiert. Er hat nur noch gefeiert und auf den Schutzengel der Betrunkenen vertraut. Der dort hat geglaubt, es könne ihn retten, wenn er mit dem Saufen aufhört und dabei ignoriert, dass der Entzug die stärkere Droge ist. Oder diese Frau hier ist der Schminksucht verfallen, hat geglaubt, ihre Falten mit Make up zuspachteln zu können. Hat sich in einer Schönheitsfarm liften und alles (Un)Mögliche (einschließlich Kopf) transplantieren lassen zu können, bis die allergischen Selbstabstoßungsreaktionen dieses patchwork-unartig zusammengestückelten Körpers nicht mehr zu unterdrücken war. Auf dem Grabstein müssten eigentlich, inklusive der Organspender, mehrere Dutzend Namen stehen. Viele Gräber haben versteckt ein drittes Datum, das der Mitteilung des Befehls. Das Datum hier ist nicht, wie Sie vermutlich vermuten, das Datum der Gewinnung des Grabstein-Rohlings, für den noch keine Bestellung vorliegt. Alle Tode sind unnatürlich. Man kann lediglich zwischen fahrlässig und bewusst herbeigeführten Toden und zwischen Morden und Selbstmorden unterscheiden. Natürlich gibt es keine natürlichen Tode. Aber das ist doch überall so. Dann wären ja alle Todesfälle Morde. Ja eben, aber das ist das Besagte Unaussprechliche. Der drogeninspirierte Totengräber orakelt, die Bösewichter von heute seien die zu(un)rechtgelogenen, mystifizierten Helden der Zukunft, während die zu Lebzeiten Verehrten in der Zukunft oft verteufelt oder verschwiegen würden. Beispiele für Erstere wären Störtebeker oder der Schinderhannes, beziehungsloser (un)weise für verletzenderes Vlad Dracul(a). Küttler schob sich einen aus Zeitungspapier gewickelten Bonbon in die Backentasche, ohne dem befremdeten Fremden einen anzubieten. Dabei blühte er auf wie ein Arsenik-gedopter Gaul. Um sich verschwinden zu lassen und als Gespenst, als Sage wiederzukehren, brauche es eines selbst ausentstellten (Un)Toten(an)scheins. Von unwegen Sage, als VerSage, als SelbstverStörtebeker (selbstver)übelwollte der UnSchöne wieder(ver)kehren. Die un(aus)sterbliche Versaga vom UnSchönen. Keine Leiche? Eine Ba(r)barossa-Legende, kalauern die Spötter. Der VerFührer lebt! Auch die Leichen anderer VerFührer wurden nie gefunden. Rattenkönige werden ungelegentlich gefunden, die Leichen der Rattenfänger nicht. Nicht Gefundenes ist der ideale (Ver)Roh(ungs)stoff für Erfundenes. Der Barbar lebt und wartete auf seine „historische UnSittuation“. Der ewige VerFührer ist unsterblich. Diese Selbstbetrüger reden sich ein, den Teufel begraben zu haben, ohne seine Leiche auch nur gesehen zu haben. Er schläft nur, der Krieg. Der Tod ruht sich aus. Oder dengelt die Sense, repariert den Rasenmäher, fährt die Schlachtlinie, das Blutausfließband an, repatriiert die Volksgenossen, (ent)setzt seine Schredder und Verbrennungsöfen in(unan)stand. Aber wer will das wissen? „Menschen-Frieden ist Krieg gegen Tiere.“ Viel(un)leicht sind wirr beide nur spaltungsverirrte Vorentstellungen der gleichen Unperson und wir albträumen úns „nur“ gegenseitig? Ich begrabe ja auch den Tod, sagt der Totengräber, aber er aufersteht offensichtlich immer wieder. Die Lebenden fortpflanzen den Tod. Mit dem letzten Lebewesen würde auch der Tod aussterben. „Ist aber der Satan auch mit sich uneinig, wie kann sein Reich bestehen?“, (ver)spricht Jesus. Vorsicht, sagte der befremdende Fremde und deckte die schnapsgefüllte Grabvase mit einem Schulterblatt ab, weil jemand vorbei kam. Könnte das nicht blasphemisch wirken. Könnte das nicht als gotteslästerlich hinentstellt werden. Könnte das kein Kündigungsgrund sein? Es hat verzweiflungslos ein Geschmäckle, wenn ein Totengräber mit „Glück auf“ grüßt. In der erdsgebirgischen Armetei ist „G’auf“ ein (un)rein männlicher Gruß von dessen Benutzung Frauen und Kinder ausgesperrt sind. Jeder Mann ist im ausgeerzten Erdsgebirge ein potenzieller Bergmann. Die einzige noch untertage tätliche (Un)Person im Ort ist der Totengräber. Wer hätte also mehr Recht auf „G’auf“ als der Totengräber? Wenn jemand in Grau beim Graben auf Silber stoßen sollte, dann der Totengräber. Der einzige noch real bergbaulich Tätliche ist der Totengräber. Aber der baut ganz schön ab. Alkoholismus ist eine Krankheit und Krankheit kein Kündigungsgrund. Um so weniger, wenn es sich um eine Berufskrankheit handelt. (Es wäre so leicht, den Totengräber wegzumobben, es müsste sich nur ein Nachfolger finden. Wer den Totengräber wegmobbt, wird der Totengräber werden müssen.) Die Wiederauferstehung ist keine Legende, in Grau ist sie geschehen.
Was ist mit dem Schädel hier, fragt der Fremde. Der ist ja richtig deformiert. Hat es den gegen einen Blechsarg gedrückt? Wieso ist er nicht zerbrochen?
Nein, der hat mit einem Brett vor dem Kopf gelebt. Das war hier früher eine verbreitete Unsitte. Sozusagen ein Unschönheitsideal. Solche Schädel sind heutzutage sehr gesucht, nicht nur von den Anthropologen oder Ethnologen.
Und die lassen sich gut verscherbeln, sagt der Befremdende und grinst.
Wart Ihr schon mal verschüttet! Bis zu den Rippen lebendig begraben. Der Totengräber fragt das in einem aggressiven Ton, den Befremdenden nunmehr wie den Satan in der dritten UnPerson anredend. Der Küttler ist ein Traumatisierter. Nur das Vorhandensein einer Flasche „Kumpeltod“ hat ihn damals gerettet, als die Kälte und Erstarrung der Erde in ihn hinein zu kriechen begann. Als der Erdboden ihn hat sich gleichmachen wollen. Der Kumpeltod als Retter vor dem Kumpeltod. Nur im Beisein einer solchen Flasche ist es ihm nach dem traumatischen Ereignis noch möglich, sich in eine mehr als hüfttiefe Vertiefung zu begeben und nur oberhalb der 0,5-Promille-IsoBeschwipse. Verbrennung, sonst Auf(unv)erstehung! Alles ist hierzu(unter)lande unterhöhlt, das ganze Erdsgebirge ist anthropo(ver)g(h)en metamorph. Wenn man ein Aquarium auf den Tisch stellt ohne einseitig etwas unterzulegen, ist es auf der optimistischen Seite ganz, auf der pessimistischen nur dreiviertelst voll, sagt der selbst schon dreiviertelst volle Totengräber. Vielleicht gibt es eines Nachts einen Tagesbruch und wo Grau war ist dann eine Pinge. Da hätte man das Erds, die Seltenen Erden, auch gleich im Tagebau abbauen können. „Dlei“ sagt der Totengräber für „gleich“ in seinem erdsgebirgischen Dialekt. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es ist, lebendig begraben zu sein? Er kann aber nicht darüber reden, sonst muss er es sich wieder vor(ent)stellen. Er sei kein Selbstverscharrlatan wie eine (un)gewisse Unperson, welche auch alle Gründe gehabt habe, sich (un)heimlich unauffindbar zu verscharren, wie einen Schatz. Er füllt die Grabvase nach und nimmt einen Schluck Kumpeltod. „Verbrennen! Für Unserkeinen kommt nur Verbrennen in Frage.“ Was für „Keiner“ ist der Totengräber, fragt sich der Befremdete.
„Wenn du als Hausschwein geboren worden bist, kannst du nicht erwarten, nicht geschlachtet zu werden. Dafür bist du gezüchtet worden. Es ist deine Vorsehung, da kannst du dich noch so vorsehen.“, sagt der Totengräber. Und der Mensch ist unbekanntlich das wichtigste Nutztier des Staates. (Seit wann duzen wir uns, Sie Schweinehirt, antwortet der Fremde nicht.) Fatalismus, sagt er stattdessen. Ja, das ist fatal. Grundentsetzlich ist alles „Un“. Man verdient hier nicht viel, sagte der Totengräber, aber man hat breit gefächerte Nebeneinkünfte. Bei der Berechnung der Entlohnung werden Trinkgelder vorausgesetzt, sonst müsste ein Totengräber eigentlich wie die Bergleute Deputatschnaps bekommen. Früher gab es hier viel Bergbau aber alle ehemaligen Bergleute sind wie der Bergbau selbst schon begraben. Genau genommen bin ich der einzige noch tätliche Bergmann im Ort, grinste der Totengräber. Man könnte auch versagen, ich bin ein Verbergmann. Ich habe hier mein Deputatgrab, auf Vorrat gegraben, das ist auch nicht zu verachten. Mit nicht nur zwanzig Jahren Ruhezeit. „Böse Zungen“ behaupten, das ist der Leibhaftige selbst als Widergänger, der all seine Fehler noch mal wiederholten, sich daran aufgeilen möchte. Der an den Tatort zurückgekehrte Untäter, der sich in einer „Schönheitsfarm“ durch Gesichtstransplantation oder Kopftransplantation eine neue Identität operieren lassen und den Schnurrbart durch den Spitzbart ersetzt hat. Der Fremde aber hatte erfragt, was er wissen wollte und ging, zwei leere Rohre, eine leere Zigarettenschachtel und einen in der selbst ausgehobenen Grube probeliegenden vollen Totengräber zurücklassend. G’auf! Diesmal war es tatsächlich seine eigene Grube, die er auf Verdacht vorausschauend ausgehoben hatte.