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Bernhard Christian Kosegarten
ОглавлениеBernhard Christian Kosegarten war von 1755 bis 1803 erster Pastor in Grevesmühlen. Durch sein äußerst eigenwilliges Verhalten prägte er das Leben in unserer Kirchgemeinde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz entscheidend. Kein anderer Geistlicher war in unserer Stadt so lange wie er, nämlich 53 Jahre lang, im Pfarramt tätig. Kein anderer war wegen seines Jähzorns, seiner Unbeherrschtheit, seiner Heftigkeit, seiner maßlosen Selbstüberschätzung, wegen seiner Bösartigkeit, Verbissenheit, seines maßlosen Egoismus und der Ignoranz von Regeln, Normen und Gesetzen bereits zu seinen Lebzeiten so weit über die Grenzen über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt wie Bernhard Christian Kosegarten. Sein Verhalten widersprach völlig den Maßstäben, die er bei der „Erziehung“ seiner Grevesmühlener Gemeinde anlegte, sodass er als Seelsorger völlig unglaubwürdig war.
Die Familie Kosegarten lässt sich bis auf den Großvater des Grevesmühlener Pastors nachweisen, der ein „ehrsamer Bürger“ der Stadt Malchow war. Dessen Sohn Adam Kosegarten hatte die Tochter des Malchower Pastors Johann Adam Hartmann, Ilsabe Sophie, geheiratet und handelte in Parchim mit Gewürzen.
Als deren zweites Kind wurde Bernhard Christian Kosegarten am 7. März 1722 in Parchim geboren. Sein älterer Bruder starb bereits im Kindesalter, sodass Bernhard Christian wie ein Einzelkind aufwuchs. Bald zog die Familie nach Stargard im Herzogtum Strelitz um, weil die Eltern den Ort für den Gewürzhandel als günstiger und einträglicher hielten.
Bernhard Christian wurde ganz nach den Sitten jener Zeit streng erzogen, insbesondere von der Mutter, die nichts sehnlicher wünschte, als dass ihr Sohn die Familientradition fortsetzen und Pastor werden würde. Der Vater, der als Gewürzhändler viel auf Reisen war, wandte sich, wenn er denn zu Hause war, seinem Kind mit Liebe, Geduld und Güte zu, was die Mutter für schädlich für die Entwicklung ihres Sohnes hielt. Sie erzog Bernhard Christian durch „verweisende und tätliche Strafen“ und ersetzte kindliches Spiel und den Umgang mit gleichaltrigen Kindern durch „geistliche Gedächtnisübungen“.
Auf der Stadtschule in Stargard erhielt Bernhard Christian Kosegarten eine „dürftige Bildung“. Hier verschaffte eine Flasche Branntwein die Gunst des Lehrers, und wenn die ausblieb, wurde „dem Buckel des Kindes die Erinnerung daran mit dem Rohrstock eingebläut“.
Danach besuchte Bernhard Christian Kosegarten die Stadtschule in Neubrandenburg und darauf das Gymnasium in Güstrow, das er nach der Prima abschloss und die Studienreife erwarb.
Nun studierte er dem Wunsch der Mutter gemäß ab Ostern 1739 an der Universität Rostock Theologie, wo sein Onkel Joachim Hartmann, der Bruder seiner Mutter, als Professor Dogmatik lehrte. Joachim Hartmann war gleichzeitig „Superintendent des mecklenburgischen Kirchenkreises“. Seinerzeit beherrschte Theologengezänk die Universitäten. Orthodoxe und Pietisten bekämpften einander. Die einen wollten buchstäblich an den überlieferten Glaubensgrundsätzen und Dogmen festhalten, die anderen ihrem Gefühl mit „Erleuchtung“ und „Bekehrung“ folgen.
Kosegarten genoss als Student die Freuden des Lebens und ließ sich durch „Duelle“ und „Liebeshändel“ derart von seinen eigentlichen theologischen Studien ablenken, dass ihn der Onkel Joachim Hartmann 1740 nach Hause schickte. Darauf versuchte sich Bernhard Christian Kosegarten fünf Jahre lang als Hauslehrer auf drei verschiedenen Stellen.
1745 studierte ein weiteres Semester Theologie an der Universität Halle, schloss sein Studium aber an der Universität in Rostock ab.
Sein Onkel Joachim Hartmann vermittelte Bernhard Christian Kosegarten am 12. Juli 1750 nicht nur die Aufgabe als „Adjunkt“ des Pastors Johann Heinrich Buttstädt in Grevesmühlen, sondern ordinierte ihn auch ohne die hier übliche Pfarrwahl zum zweiten Pastor. Der „schwachsinnige“ (so Belg und Münster) Buttstädt überzeugte Kosegarten, seine unverehelichte Tochter Johanna Sophie zu heiraten. Die Trauung Kosegartens mit der Tochter seines Amtsvorvorgängers fand bereits am 11.August 1750 statt. Das junge Paar zog in die Pfarre II an der Kirchstraße ein.
Selbst seine erklärten Feinde, und er hatte wegen seiner Eskapaden deren nicht wenige, bescheinigten Kosegarten, er sei ein vorzüglicher Theologe gewesen. Er war wissenschaftlich hoch gebildet. Seine Bibliothek enthielt die modernsten und bedeutendsten Werke der damaligen Theologie, viele historische Bände und etliche Werke der Belletristik, so alle Neuerscheinungen der deutschen Aufklärung und des Sturm und Drang. Kosegarten arbeitete ständig an seiner Fortbildung. Nach eigenen Angaben studierte er täglich die Bibel im Urtext, um sich zu versichern, was darin wortwörtlich stand, damit er der Gemeinde den Sinn und die Aussage verständlich und fasslich vermitteln konnte. Kosegarten galt als ausgezeichneter Exeget, und er war ein temperamentvoller Prediger, der seine Zuhörer fesselte.
Er setzte sich theologisch sowohl mit den Orthodoxen auseinander, denen jegliche Abweichung vom Lehrbegriff als Ketzerei erschien, als auch mit den Pietisten, deren übertriebene Frömmigkeit ihn abstieß. Kosegarten ließ sich auch dadurch nicht beirren, dass er von den 12 Geistlichen der Grevesmühlener „Synode“ (= Kirchspiel, Kirchenkreis) der einzige Nichtpietist war, obwohl ihm bekannt war, dass Herzog Friedrich den Pietismus in Mecklenburg begünstigte, und Kosegarten achtete darauf, dass seine Kinder, sofern er die finanziellen Mittel dafür besaß, bis 1785 nicht in Mecklenburg studierten, um ihre Benachteiligung wegen seiner Überzeugung auszuschließen.
Kosegarten machte sich nicht nur bei seiner Gemeinde, dem Senat, dem Bürgermeister in Grevesmühlen, der Kirchenobrigkeit unbeliebt, sondern stand auch seinem Amtskollegen, dem ersten Pastor Johann Christian Schuster jun., der von der gleichen cholerischen Wesensart war wie er, unversöhnlich gegenüber. Schuster übertrug den Hass, denn er gegen seinen Amtsbruder Buttstädt gehegt hatte, nun auf dessen Schwiegersohn Kosegarten. Die beiden Pastoren trugen ihre Auseinandersetzungen mit solcher Heftigkeit und Verbissenheit aus, dass über beiden die Gefahr der Absetzung oder Suspendierung auf Zeit schwebte. Beide Pastoren lebten in ständiger Geldnot. Die hohen Kosten für ihre Prozesse verschlangen fast ihr gesamtes Einkommen.
Am 4. November 1753 sorgte Kosegarten für einen Skandal in unserer Kirche, als er sich weigerte, dem schwangeren Mädchen Ilsabe Meyer aus Wotenitz beim Abendmahl den Kelch zu geben, nachdem ihr sein Amtsbruder Schuster bereits das Brot gereicht hatte. Darüber wird ausführlich in den Prozessakten als über den „Prozess wegen zerstümmelten Abendmahls“ berichtet.
Als Johann Christian Schuster am 31. Oktober 1755 starb, rückte Kosegarten auf die Position seines erbitterten Widersachers auf und wurde am 21. Dezember 1767 auch Präpositus. Die Familie Kosegarten zog 1755 in die erste Pfarre ein, die seinerzeit südöstlich der Kirche in Ost-West-Richtung auf dem Gelände des jetzigen Pfarrgartens stand.
Zweiter Pastor war von 1756 bis 1785 Christian Lorenz Kräpelin, über dessen Verhältnis zu Kosegarten nichts bekannt ist. Ab 1785 war Pastor Jakob Bandelin bis 1804 zweiter Pastor, ein friedfertiger, gutmütiger Mensch. Zu Recht hatte sich Bernhard Christian Kosegarten einst den Attacken und Feindseligkeiten seines Amtskollegen Schuster gegenüber zur Wehr gesetzt. Doch nun war sein Verhältnis zu Bandelin alles andere als brüderlich. Aber dieser ertrug die gegen ihn gerichteten Boshaftigkeiten Kosegartens gelassen und geduldig. Er trug Kosegarten nicht nach, dass dieser ihm eines Sonnabends, hinter einer Hecke verborgen, die Predigt ablauschte, die Bandelin am folgenden Sonntag halten wollte. Bandelin ging laut memorierend in seinem Garten auf und ab und prägte sich so den Predigttext ein. Kosegarten überraschte den Amtsbruder, als er dessen geistiges Eigentum in seinem eigenen Frühgottesdienst vortrug.
Diese Episode kannte der Schwiegervater Fritz Reuters, Pastor Kuntze, aus der Zeit, als er in Grevesmühlen Rektor gewesen war, und erzählte sie Fritz Reuter in Roggenstorf. Dieser bezog sie in freier Bearbeitung als die Geschichte von der Predigt in seinen Roman „Ut mine Stromtid“ ein, die der Kandidat Kurz (= Kosegarten) seinem Vetter Baldrian (= Bandelin) ablauscht.
Bandelin nahm aber nicht stillschweigend hin, dass ihn Kosegarten einmal ohne erkennbaren Grund während des Abendmahls vor versammelter Gemeinde heftig ohrfeigte. Bandelin beherrschte sich während des Gottesdienstes, ließ dann aber seine Kutsche anspannen und fuhr nach Schwerin, um sich dort über Kosegarten zu beschweren. Kosegarten erfasste die Situation, er ahnte, dass er im Falle einer Beschwerde Bandelins diesmal nicht ungestraft davonkommen würde, ließ auch seinerseits anspannen und jagte Bandelin nach. In Mühlen Eichsen holte er ihn ein und bot hier seine ganze Überredungskunst und Überzeugungskraft auf, um Bandelin zu beruhigen, zu besänftigen und von einer Beschwerde gegen ihn abzusehen. Verbürgt ist, dass beide Pastoren versöhnt nach Grevesmühlen zurückgekommen sind. Dass sie ihren Streit aber bei einem Becher „Rotspon“ in der Mühlen Eichsener Dorfschänke weinselig beigelegt hätten, gehört sicher in das Reich der Legende.
Über seinen Amtsantritt in Grevesmühlen führte Kosegarten 50 Jahre später in seiner Predigt zu seinem Dienstjubiläum aus: „Ich fand hier einen wüsten Ort, und die mir anvertraute Herde war ganz verwildert; mit ahnete, was ich erdulden müsse, um sie zu erziehen. Fast alle Sonntage musste ich große Exzesse rügen…“ Bei seinen Maßnahmen zur Erziehung seiner Gemeinde bediente sich Kosegarten durchaus nicht nur feiner Methoden. Schon 1751 musste er sich wegen Eingriffs in die „jura episcopalia“ verantworten. 1753 wurde er vor das Konsistorium geladen, weil „er die ganze Gemeinde von der Kanzel angespucket und die Bürgerschaft als Schweine“ bezeichnet hatte. Der Bürgermeister de Marne galt als Kosegartens persönlicher Feind und besuchte keine Gottesdienste, in denen Kosegarten predigte, weil er dann immer auf eine auf ihn gemünzte Strafpredigt gefasst sein musste. So schickte er den Stadtschreiber mit Bleistift und Papier in die Kirche, um etwaige Angriffe auf seine Person wort-wörtlich belegen zu können. In einer Klageschrift gegen Kosegarten wird vermerkt, dass er „wegen seiner Grobheit schon weltkundig und in öffentlichen Blättern vor ungesittet geschrieben wird“. Gustav Willgenroth führt in seiner Schrift „Die Mecklenburg-Schwerinschen Pfarren seit der Reformation“ ein Kanzelwort Kosegartens an, das zu dessen Lebzeiten in ganz Mecklenburg kolportiert wurde: „Liebe Gemeinde! Worum sollen wir Gott bitten? Üm’n Büdel vull Geld? Quaaark! (mit der Faust auf die Kanzelbrüstung donnernd) Dass wir sollen göttlich leben!“
Kosegarten bereitete seinen Sohn Gotthard Ludwig, der durchaus hoch begabt und befähigt war, persönlich auf das Theologiestudium vor und unterrichtete ihn entsprechend. Dann aber ließ er Gotthard, der damals sechzehn Jahre alt war, dreimal im Gottesdienst in der Grevesmühlener Kirche predigen, „zur würklichen Freude und Bewunderung der Zuhörer und zu meiner eigenen mehreren Zufriedenheit!“ verteidigt der stolze Vater seine Eigenmächtigkeit.
Ein Kapitel für sich war Kosegartens Verhältnis zu den Frauen. Die kurzfristig geschlossene Ehe mit Johanna Sophie geb. Buttstädt ging wider Erwarten gut. Das mag aber in erster Linie an Kosegartens Frau gelegen haben, „die allgemein beliebt war… und wegen ihrer Sanftmut und ihrer geräuschlosen und besonnenen Art und wegen der Wohltaten, die sie Armen und Notleidenden erwies, geschätzt wurde.“ Johanna Sophie brachte innerhalb von 10 Jahren 7 Kinder zur Welt:
1751 Johann, der seine Geschwister unterrichtete, Theologie studierte und Pastor in Altengamme in den Vierlanden bei Hamburg wurde, 1754 August, der zuerst Apotheker in Rostock, dann in St. Petersburg, schließlich praktischer Arzt in Rostock wurde, 1755 Sophie, die sich um den Haushalt im Pfarrhaus, Feste und Feiern kümmerte, Einfluss auf die Etikette im Verhalten der Geschwister nahm, als einziges der Kinder in Grevesmühlen wohnen blieb, nachdem sie den ritterschaftlichen Sekretär Reinecke geheiratet hatte, 1757 Elisabeth, die bereits 1759 starb, 1758 Gotthard Ludwig, den späteren Dichter, Theologen, Rektor, Uferprediger und Professor, 1759 Josua, später Arzt in Rostock, dann in Kurland, 1761 Bernhard, später Pastor in Kurland.
Von diesen Kindern Kosegartens lebte 1826 keines mehr.
Johanna Sophie Kosegarten starb am 15. Mai 1762 „an Auszehrung“ und wurde gleichzeitig mit ihrer Mutter am 17. Mai beigesetzt. Die sechs mutterlosen Kinder Kosegartens waren zu diesem Zeitpunkt zwischen einem und elf Jahren alt. Kosegarten, inzwischen vierzig Jahre alt, heiratete am 8. Dezember desselben Jahres ein zweites Mal, und zwar die erst 19-jähriger Anna Christiane Stiegehaus, die Tochter des verstorbenen Schweriner Hofrats Arnold Hieronymus Stiegehaus. Anna Christiane brachte ihre Mutter mit ins Pfarrhaus nach Grevesmühlen. „Sie sorgte mit treuer Liebe und verständiger Einsicht für die sechs Kinder ihres Mannes.“
Anna Christiane Kosegarten schenkte sechs weiteren Kindern das Leben:
1768 Ludwig, genannt „Ludchen“, später Jurist,
1770 Christian, erst Theologe, dann Dr. jur. und Advokat in Hamburg,
1772 Friedrich Franz, Dichter, Theologe, Adjunkt seines Vaters, Dr. phil. am Gymnasium in Reval,
1775 Karl Theodor, starb 1780,
1776 Marie Luise, Pianistin in Schöneberg bei Berlin, Sängerin in Braunschweig,
1778 Renate, starb 1779.
Die Erziehung der Kinder im Pfarrhaus Kosegarten erfolgte autoritär. Die Eltern wurden mit „Sie“, „Herr Vater“ und „Frau Mutter“ angesprochen. Pastor Kosegarten hatte eine Reitpeitsche angeschafft, mit der er seine Kinder bei Verfehlungen „bis aufs Blut“ prügelte. Dazu hatten auch die beiden zeitweilig im Pfarrhaus angestellten Hauslehrer Nonn und Blumenthal die ausdrückliche Erlaubnis Kosegartens. Der Tagesablauf der Kinder war fest geregelt. Sie mussten früh aufstehen, wurden zu Botengängen und Gartenarbeit herangezogen. Neben den drei Mahlzeiten nahm der häusliche Unterricht den größten Teil des Tages ein. Wenn überhaupt, dann hatten Kosegartens Kinder die Grevesmühlener Stadtschule nur kurze Zeit besucht. Deren Lehrern traute Kosegarten wenig zu, vor allem keinen wissenschaftlichen Unterricht. Deshalb nahm er die Unterrichtung seiner Kinder zumeist selbst in die Hand und leitete sie zum Selbststudium an. Zeitweilig unterrichtete der älteste Sohn Johann die jüngeren Geschwister, später der Sohn Gotthard Ludwig.
Die zweite Ehefrau Bernhard Christian Kosegartens, Anna Christiane, starb am 27. September 1797 im Alter von 54 Jahren.
In dritter Ehe heiratete der nunmehr 76-jährige Kosegarten am 31. Oktober 1798 die noch „sehr jugendliche“ Friederike Schröder, die Tochter eines Ratschirurgen aus Lübeck. Eine in den Grevesmühlener Kirchenakten erhaltene Urkunde belegt, dass Kosegarten die Erlaubnis zur Schließung dieser ungleichen Ehe vom Landesherrn persönlich erhalten hat. Doch bereits wenige Monate später wurde diese Ehe auf beider Wunsch 1799 „durch Patent landesherrlicher Machtvollkommenheit gnädigst aufgehoben“. Friederike nahm wieder ihren Mädchennamen Schröder an. Zu dieser Zeit lebte Friedrich Franz, Kosegartens Sohn aus zweiter Ehe, als Kandidat und Adjunkt im Hause des Vaters. Die Chronisten Albrecht und Raatz geben als Grund für diese schnelle Scheidung an, Friederike sei ihrem Mann von Friedrich Franz „abwendig gemacht worden“. Willgeroth schreibt, Friederike sei dem Gatten mit ihrem Stiefsohn „entlaufen“. Belegt ist, dass Friedrich Franz Kosegarten mit Friederike 1802 nach Reval, dem heutigen Tallinn, gegangen ist, wo er am Gymnasium Oberlehrer wurde und sich im selben Jahr dort mit Friederike verlobt und sie im Herbst 1802 dort auch geheiratet hat.
Als Kosegartens Kinder davon Kenntnis erhielten, dass ihr 79-jähriger Vater ein viertes Mal heiraten wollte, und zwar das aus Drontheim in Norwegen nach Grevesmühlen gezogene Dienstmädchen Ingeborg Juliane Linden, genannt „Lina“, erhoben sie in Anbetracht seines hohen Alters bei der Landesregierung Einspruch dagegen. Die Regierung sprach Kosegarten einen offiziellen Tadel aus und übergab die Angelegenheit einem ordentlichen Gericht. Nun aber forderte Kosegarten eine gerichtliche Entscheidung darüber, ob seine Kinder überhaupt grundsätzlich berechtigt seien, sich der Wiederverheiratung ihres Vaters zu widersetzen. Das Gericht verwarf den Widerspruch der Kinder als unberechtigt. So vermählte sich Bernhard Christian Kosegarten am 29. Juli 1801 mit Ingeborg Juliane Linden. Sein Amtsbruder Bandelin, der ihn bereits mit Friederike Schröder getraut hatte, vollzog wieder die Trauung.
„Lina“ Kosegarten, die sich wiederholt in Rostock aufgehalten hatte, schenkte dort am 12. Juni 1803 der Tochter Juliane Maria das Leben. Problematisch wurde nun die Ermittlung des Vaters dieses Kindes. Anfangs gab „Lina“ einen Rostocker Studenten als Vater an. Als aber Bernhard Christian Kosegarten am 17.Juni 1803 im Alter von 81 Jahren 3 Monaten und 10 Tagen gestorben war, nannte „Lina“ Kosegarten als den Vater ihrer Tochter. Aber das berührte den toten Kosegarten nun nicht mehr. „Lina“ Kosegarten verlegte ihren Wohnsitz endgültig nach Rostock, wo sie 20 Jahre später, am 20. August 1823, im Alter von 45 Jahren starb.
Am 13. Juli 1800 feierte Präpositus Bernhard Christian Kosegarten sein 50-jähriges Jubiläum als Pastor in Grevesmühlen. Zunächst war geplant, das Mittagessen im seinerzeit bedeutendsten Restaurant der Stadt, bei Sandmann, später das Callies’sche Geschäftshaus neben den Alten Rathaus, einzunehmen. Sämtliche Gäste sollten unter Musikbegleitung mit dem Jubilar vom Pfarrhaus zur Mittagstafel und nach dem Essen feierlich zum Pfarrhaus I zurückgehen. Diesen Plan aber ließ man in der Familie Kosegarten fallen, weil die Aufstellung solch eines Festzuges „gewissen Rangstreitigkeiten unterworfen“ wäre.
Kosegarten lud einige Wochen vor dem Jubiläum den Magistrat der Stadt und die Herren Beamten des Amts zur Teilnahme ein. Die Beamteten antworteten, dass „sie als fürstliche Bediente nicht voraus bestimmen könnten, ob ihre Geschäfte eine Teilnahme verstatten würden, jedoch im mindesten nicht zweifelten, dass auch ohne ihre Gegenwart das Fest in Freude verbracht werde“. Glückwünsche schienen vergessen, wenn nicht absichtlich vermieden worden zu sein.
Am Festtag fanden sich 10 Pastoren der Umgebung ein. Der Festzug betrat die Kirche durch den Südeingang. Das Gotteshaus war voller Menschen. Alle Gänge waren verstopft, Die von Kosegarten gehaltene Festpredigt war ein einziger Lobgesang des Jubilars auf sich selbst und eine einzige Strafpredigt an die Gemeinde, die ihren treuen Hirten nicht zu schätzen wisse.
Nach Beendigung des Gottesdienstes um ½ 3 Uhr stand die Menge auf dem Kirchhof von der Kirchentür bis zum Pfarrhaus. Auffallend war, dass hier und auch sonst kein einziges Gemeindeglied Kosegarten zu seinem Ehrentag gratuliert hat.
In seiner Festpredigt führte Kosegarten u. a. aus: „Schwächen und Fehler haften jedem Sterblichen an, weit entfernt also, dass ich nicht demütig bekennen sollte: Auch ich habe vielfältig gefehlt, auch ich bedarf der Reinigung durch Jesum Christum… Mein Temperament hat mich gewiss öfter irre geführt, und ich will nicht in Abrede sein, dass manche meiner Leiden durch mich selbst entstanden sind. Aber ich bin auch überzeugt,… dass ich mein Amt treu und nach besten Wissen und Gewissen verwaltet habe. Stets ist mir das Wohl meiner Gemeinde heilig gewesen.“
Noch Jahrzehnte nach seinem Tod lebte Kosegarten in der Erinnerung und der Phantasie der Grevesmühlener Gemeinde weiter. Eines Abends wurde Kosegartens Nachfolger Heyden herausgerufen. Jemand glaubte, in der Kirche, wo Kosegarten begraben lag, heftigen Wortwechsel zu hören. Der Betreffende war der Meinung, Kosegarten in einem zornigen Streitgespräch mit seinem alten Widersacher, dem Degtower Pächter Stricker, vernommen zu haben. Heyden hatte es nicht leicht, die Gemeinde zu beruhigen. Andere wollten Kosegarten mit einem Buch unter dem Arm vor dem Pfarrhaus am Kirchplatz gesehen zu haben: „Hei hadd’ hier noch wat aftaumaken!“
Als 1870 der romanische Ostteil unserer Kirche abgetragen wurde, stieß man im nordwestlichen Teil des Chores auf eine ca. 2,80 m tiefe Gruft, die sich unter dem Nordanbau fortsetzte. Sie stand den Erweiterungsbauten im Weg und wurde nach der Bergung von drei Kinder- und sieben Erwachsenensärgen und deren Umbettung auf den hiesigen Friedhof in die Fundamentierung des neuen Jochs mit einbezogen.
Von einem älteren Anwohner erfuhr man, dass die letzten dieser Särge zu Beginn des 19.Jahrhunderts in die Gruft gelassen worden waren, und zwar Angehörige der Familie des damaligen Pastors Kosegarten, der im Juni 1803 hier als letzter Verstorbener beigesetzt worden war. So lange hat es gedauert, bis der unruhige Geist Kosegartens endlich zur Ruhe gekommen war.