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3. Herkunft und Gliederung der deutschen Dialekte und der Standardsprache 3.1 Herkunft und Gliederung der Dialekte 3.1.1 Die Herkunft der Dialekte

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Wer in der Öffentlichkeit Dialekt spricht, wird immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, kein richtiges Hochdeutsch zu sprechen. Allerdings machen es sich diese Gegner der Dialekte zu einfach, denn im deutschen Sprachraum ist die Situation komplizierter, als mancher glaubt. Zunächst muss festgehalten werden, dass die Dialekte gar kein falsches Hochdeutsch sein können, weil sie nicht vom Hochdeutschen, also der Standardsprache, abstammen. Um die Herkunft der Dialekte zu klären, müssen wir einen Blick auf die deutsche Sprachgeschichte werfen.

Die deutsche Sprache gehört zur Familie der germanischen Sprachen, die ihrerseits zur Großfamilie der indogermanischen Sprachen gehört. Entscheidend für die Abtrennung des Deutschen von den übrigen germanischen Sprachen wie Dänisch, Holländisch, Schwedisch, Englisch usw. war eine Lautveränderung, die sogenannte Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung, bei der zwischen dem 5./6. und 8./9. Jahrhundert n. Chr. unter anderem die Laute p, t, k zu pf/ff, ts/ss und ch/kch verändert wurden. Da eine solche Veränderung in Hunderten von Wörtern auftritt, verändert sie das Gesicht einer Sprache massiv. Ein Vergleich von deutschen und englischen Wörtern macht den Unterschied sofort deutlich. Es stehen sich dann beispielsweise gegenüber: englisch water – deutsch Wasser, englisch apple – deutsch Apfel. Diese Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung wird traditionell in der Dialektforschung auch als Kriterium für die Einteilung der deutschen Dialekte verwendet. Entsprechend der Teilnahme an dieser Lautverschiebung werden die deutschen Dialekte in drei Gebiete eingeteilt (Abb. 1):

(a) das niederdeutscheNiederdeutsch Gebiet: Hier wurde wie in den übrigen germanischen Sprachen diese Lautverschiebung überhaupt nicht durchgeführt, so dass man zum Beispiel im Niederdeutschen heute noch ik für „ich“, maken für „machen“, Dorp für „Dorf“, Appel für „Apfel“ und Pund für „Pfund“ sagt.

(b) das mitteldeutscheMitteldeutsch Gebiet: Diesen Raum kann man als Übergangsgebiet bezeichnen. Zwar hat man hier an der Zweiten LautverschiebungZweite Lautverschiebung teilgenommen, doch wurden nicht alle Konsonanten verändert: So sagt man im Kölner Raum zum Beispiel ich, aber dat und Pund, während man im Süden des deutschsprachigen Raums das und Pfund spricht. Die Besonderheit im östlichen Teil des Mitteldeutschen besteht dagegen in der Aussprache von Pfund als Fund. Appel bleibt aber auch hier unverändert.

(c) das oberdeutscheOberdeutsch Gebiet: In diesem Raum wurde die Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung bis auf k- im Anlaut komplett durchgeführt. Die Verschiebung von k- zu kch- und Ch- fand nur im südlichen Teil des BairischenBairisch und AlemannischenAlemannisch statt, wo man die Aussprachen Kchind/Chind für Kind noch heute hören kann.

Abb. 1:

Die räumliche Gliederung der deutschen Dialekte nach der Zweiten Lautverschiebung.

Die Sprachstufe, in der diese Veränderungen zum ersten Mal auftreten, nennt man „Althochdeutsch“. Hierbei ist „hochdeutsch“ ein geografischer Begriff, der – vom Meer aus gesehen – den Gegensatz zum NiederdeutschenNiederdeutsch („Plattdeutschen“) deutlich machen soll. Dieses „Althochdeutsch“ hat sich ebenfalls über die Jahrhunderte in seiner lautlichen und grammatikalischen Struktur verändert, so dass man spätestens für das 12. Jahrhundert von „Mittelhochdeutsch“ spricht. Die Dialekte des hochdeutschen Raumes, also die mitteldeutschenMitteldeutsch und oberdeutschenOberdeutsch Dialekte, bilden dann die natürliche Fortsetzung dieser mittelhochdeutschen Sprache.

Da sich, wie wir gesehen haben, die Dialekte aus dem Mittelhochdeutschen ableiten lassen, ist es auch nicht möglich, Dialekte nachzumachen, indem man sie von der standarddeutschen Lautung ableitet. Wer also in einem Ort Wörter wie „breit“ und „Geiß“ als broit und Goiß hört und glaubt, dass er nur die standarddeutsche Lautung -ai- durch -oi- ersetzen muss, um den Ortsdialekt zu sprechen, würde dann mit Lautungen wie Zoit „Zeit“ und woiß „weiß“ falsch liegen, da diese beiden Wörter in mittelhochdeutscher Zeit mit einem langen i-Laut gesprochen wurden, geschrieben -î- (mhd. zît „Zeit“, mhd. wîʒ „weiß“), während die Wörter „breit“ und „Geiß“ einen Diphthong -ei- besaßen (mhd. breit „breit“, mhd. geiʒ „Geiß“). Tabelle 1 zeigt dies nochmals für verschiedene Dialekte, wobei es sich beim FränkischenFränkisch um den ostfränkischen, beim SchwäbischenSchwäbisch um den ostschwäbischen Dialekt handelt. Im Standard werden alle vier Wörter mit -ai- gesprochen!

Mhd. Bairisch Fränkisch Alemannisch Schwäbisch Standard
zît Zait Zait Ziit Zeit Ais
wîß waiß waiß wiiß weiß waiß
breit broat braat brait broit brait
geiʒ Goaß Gaaß Gaiß Goiß Gaiß

Tab. 1: Die Herleitung der Dialekte aus dem Mittelhochdeutschen

Im Gegensatz zum Germanischen, wofür wir praktisch keine Texte haben, ist die mittelhochdeutsche Sprache gut überliefert. Die großen Dichter des Mittelalters wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach haben in dieser Sprache ihre Werke geschrieben. Darüber hinaus liegt uns das Mittelhochdeutsche auch in zahlreichen Urkunden vor. Die Aufspaltung dieser ursprünglich relativ einheitlichen Sprache in die heutigen Großdialekte Bairisch (man schreibt den Dialekt mit einem -i-, das Land Bayern dagegen mit -y-), AlemannischAlemannisch und FränkischFränkisch ist erst nach dem Mittelalter erfolgt. Um nun die Entwicklung der einzelnen Dialekte zu beschreiben, fragt sich die Mundartforschung, was aus den einzelnen mittelalterlichen Lauten in den jeweiligen Dialekten geworden ist: Was wurde zum Beispiel aus einem mittelhochdeutschen langen u-Laut, den man damals als û notierte, in einem Wort wie hûs „Haus“? Man stellt dann fest: Im Alemannischen ist dieses û als langer u-Laut erhalten geblieben und man sagt dort auch heute noch Huus wie im Mittelalter, während dieses û im SchwäbischenSchwäbisch zu einem -ou- wurde, so dass man dort Hous sagt. Im FränkischenFränkisch und BairischenBairisch ist dieses û dagegen zu einem au geworden. Man sagt wie im Standarddeutschen Haus. Und was wurde aus einem mittelhochdeutschen ei in einem Wort wie breit im Dialekt des Ortes A, was im Ort B? In manchen Gebieten, so etwa im Ostschwäbischen, wurde dieses -ei- zu einem -oi-, so dass man das Wort jetzt als broit ausspricht, in anderen Gegenden wie etwa dem Westschwäbischen oder dem Bairischen, wurde es zu -oa-, so dass man dort broat sagt.

Abb. 2:

Beispiel für eine Sprachatlaskarte, hier aus dem „Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg“, Band 2, Karte I, 21.1.

Wenn man alle Laute nach diesem Verfahren durcharbeitet, erhält man das sprachliche Profil eines Ortes und kann für diesen eine Lautlehre erstellen. Dasselbe gilt auch für andere Teilbereiche wie die Grammatik, so dass am Schluss eine umfangreiche Beschreibung einer Ortsmundart entsteht.

Für die Einteilung von Sprachlandschaften nimmt man immer lautliche Veränderungen als Ausgangspunkt, weil sie – wie oben erwähnt – stets in mehreren Wörtern auftreten. Wer für breit heute broit sagt, sagt auch hoiß für heiß, Goiß für Geiß, Loitere für Leiter usw. Dagegen betreffen Unterschiede im Wortschatz in der Regel immer nur ein Wort. Wenn zwei Ortschaften für ein und dieselbe Sache zwei verschiedene Benennungen haben, so muss dies bei der nächsten Sache nicht auch so sein. Es gibt allerdings auch den Fall, dass dort, wo sich besonders viele lautliche Gegensätze gegenüberstehen, auch Unterschiede im Wortschatz festzuhalten sind. Wir werden bei der Beschreibung von Dialektgrenzen solche Sprachgrenzen mit Laut- und Wortgegensätzen noch kennenlernen.

Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik

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