Читать книгу Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik - Hubert Klausmann - Страница 4
Vorwort
ОглавлениеIn den vergangenen Jahren hat das Interesse am Thema Dialekt stark zugenommen. Zahlreiche Zeitungen widmeten sich dem Thema, Fachzeitschriften wie „Praxis Deutsch“ gaben ein ganzes Heft zum Dialekt heraus, die Werbung setzte verstärkt einzelne Dialektwörter oder sogar leicht verständliche Sätze in Mundart ein, und Politiker griffen das Thema auf. So hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Dezember 2018 sogar eine Dialekttagung nach Stuttgart einberufen, um alle Institutionen und Vereine, die sich mit den baden-württembergischen Dialekten beschäftigen, zu versammeln und zu überprüfen, wie es um den Dialekt im Land bestellt ist und was man für ihn tun könne.
Nun kann man beim Dialekt verschiedenen Fragen nachgehen: Woher kommen die Dialekte? Wie entstehen unterschiedliche Dialekträume? Wer spricht überhaupt noch Dialekt? Geht der Dialekt verloren? usw. Auch wenn wir in den hierfür vorgesehenen Kapiteln versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu finden, so stehen sie dennoch nicht im Zentrum dieses Buchs. Es geht uns vielmehr darum, das Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache zu beschreiben und deutlich zu machen, dass all das, was sich in diesem Spannungsfeld abspielt, für die Schule von größter Relevanz ist. Hierbei verfolgen wir einen evidenzorientierten Ansatz, der sich an der Sprachwissenschaft orientiert und versucht, deren Erkenntnisse in die Deutschdidaktik zu integrieren.
In den Schulen und damit auch in der Deutschdidaktik ist man lange Zeit von einer einfachen Opposition ausgegangen: hier die ländlichen Dialekte mit ihren zahlreichen räumlichen Varianten, dort die homogene Standardsprache. Die Dialektologie hat nun aber schon seit langem den Nachweis erbracht, dass dies ein doppelter Irrtum ist. Einerseits gibt es nämlich zwischen den beiden Polen – zum Beispiel in Süddeutschland – mehrere Zwischenregister, andererseits ist die Standardsprache gar nicht homogen. Durch diese beiden Irrtümer kam es dann – vor allem in der Nachfolge der BernsteinschenBernstein, Basil Defizithypothese – zu der Auffassung, dass die Dialekte im Vergleich mit der Standardsprache von geringerem Wert und beim sozialen Aufstieg hinderlich seien. Hierbei wurde die Stellung der Dialekte in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland erst gar nicht genauer untersucht, sondern man übertrug einfach das amerikanische Modell auf die deutschen Verhältnisse. In der Schule konnten all diese Irrtümer zu einer DiskriminierungDiskriminierungsprachliche von Dialekt sprechenden Kindern führen, wobei dies oft nicht direkt, sondern indirekt geschah, etwa in Aufforderungen wie „Sag es noch einmal schöner!“
Da die Schule im Bereich der Sprache für die meisten Menschen die wichtigste normgebende Instanz ist, muss sie sich des Themas Dialekt – Standard entsprechend annehmen. Daher ist es auch in den aktuellen Bildungsplänen verankert. Mit unserem Buch geben wir eine Hilfestellung zur Umsetzung dieser Vorgaben; darüber hinaus bieten wir (angehenden) Lehrkräften die Möglichkeit, sich die wichtigsten fachlichen Grundlagen mithilfe des Buches, insbesondere mithilfe der zahlreichen Übungen und vertiefenden Texte im Arbeitsteil, selbst zu erarbeiten. Dabei haben wir stets die Sprachwirklichkeit im Auge. Nur so kann herausgefunden werden, was in unserem Sprachalltag angemessen und was unangemessen ist. Wer eine Sprachnorm ansetzt, die nicht durch die Wirklichkeit legitimiert ist, lebt nicht nur in einer Illusion, sondern er leistet auch eine Vorarbeit für all diejenigen, die diese fiktive Norm missbrauchen, um alle Sprecherinnen und Sprecher, die nicht dieser Norm entsprechen, sozial zu benachteiligen.
Umfragen haben gezeigt, dass sich Sprachklischees, sogenannte sprachliche IdeologienIdeologie, sprachliche, über Jahrzehnte halten können. So existiert zum Beispiel die Vorstellung, dass man in Hannover das beste Deutsch spricht, schon seit zwei Jahrhunderten. Diese und andere KlischeesKlischees, sprachliche, die, wie wir zeigen werden, sprachwissenschaftlich alle nicht haltbar sind, können nur mit Hilfe der Schule überwunden werden. Dabei geht es nicht darum, Dialekt und Standard gegeneinander auszuspielen, sondern sie in ihrer heutigen Funktion im Sprachalltag zu beschreiben und ihre Variabilität und Veränderlichkeit zu erkennen und dann auch anzuerkennen. Wenn die Schule dies leisten könnte, wäre schon viel gewonnen. Wer nämlich um die Heterogenität der deutschen Sprache auf allen Ebenen weiß, kann die regionalen Elemente in der Sprache der Mitmenschen besser einordnen. Er weiß dann, was in dieser und jener Situation angemessen und nicht angemessen ist. Damit wäre aber auch ein Beitrag zu mehr sprachlicher und sozialer Gerechtigkeit in der Schule und im späteren Berufsleben erreicht.