Читать книгу Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten - Hunter S. Thompson - Страница 28

Оглавление

AN ANN FRICK:

Frick hat »Hunty« einen fünfseitigen Versöhnungsbrief geschrieben, in dem sie ihm eine Liebeserklärung macht, die unter dem Schwall von Fragen, die sie umtreiben, gut versteckt ist.

26. Juni 1959

Cuddebackville

New York

Liebe Ann,

ja, manchmal kommt es vor, dass ich auf einem Foto lächle. Ich hab’s Dir hier dazugelegt. Die Aufnahme war für ein Passbild.

Es ist jetzt vier Uhr morgens in Cuddebackville, New York. Die beiden Lebensmittelgeschäfte sind geschlossen, die Kirche ist pechschwarz und dichter Nebel liegt über dem Neversink River. Es regnet, wie schon seit zwei Wochen. Die Berge schimmern grün und die Straßen sind in ewigen Dunst gehüllt. Cuddebackville liegt in einem Tal am Fuße des Otisville Mountain. Der Nebel über dem Tal ist heute Nacht undurchdringlich, und die Straße, die den Berg hinaufführt, ist dunkel und leer.

Weit draußen auf der Straße des Oakland Valley, gut und gerne vier Kilometer von der Stadt entfernt, ruht ein schwarzer Jaguar neben einer Hütte hoch über der Straße in einer Einfahrt. Licht brennt in der Hütte, vielleicht das einzige in ganz Cuddebackville. Drinnen sitzt ein Mann vor einer Schreibmaschine, trinkt eisgekühlten Tee und raucht eine Zigarette. Er hat seit acht Uhr abends geschrieben, und eben hat er das dritte Kapitel eines Romans beendet. Er schreibt seit einigen Wochen fast ohne Unterbrechung. In einem Monat sollte er mit dem Buch soweit sein, dass er es nach New York mitnehmen kann, wo einer der Lektoren von Viking Press (Verlag) darauf wartet, es zu lesen.

Das ist der Grund, warum er dem Mädchen in Tallahassee mit den strahlenden Augen nichts von seiner Arbeit erzählt hat: Weil er nichts anderes macht als schreiben, und was gäbe es darüber schon zu sagen?

Ja, jetzt weißt Du es, Ann, meine Liebe. Ich schreibe. Und, wenn Du mich fragst, ob ich damit etwas erreicht habe, und wenn Du finanziellen Erfolg damit meinst, ist die Antwort – nein. In dieser Woche, so sieht es aus, sind drei meiner Stories an mich zurückgegangen – mit kleinen freundlichen Ablehnungsschreiben, die jeweils angeheftet waren.

Bitter? Hoffnungslos? Na ja, vielleicht ist es so. Doch bevor wir uns darauf einigen sollten, kommen hier ein, zwei Zitate, auf die ich neulich gestoßen bin:

(A) »Zwischen 1919 und 1927 habe ich meine Stories immer wieder an amerikanische Magazine geschickt, nicht eine wurde gedruckt, bis Atlantic Monthly eine Geschichte von mir mit dem Titel Fifty Grand veröffentlichte.«

* Das ist Hemingway; von 1919 bis 1927, das ergibt acht Jahre.

(B) »Nach Feierabend schrieb ich Stories … Es wurden insgesamt neunzehn … Niemand wollte sie haben, keiner antwortete persönlich. Es waren genau einhundertzweiundzwanzig Ablehnungsschreiben, die ich in meinem Zimmer auf einen Fries gepinnt hatte.«

* Das stammt von Scott Fitzgerald. Der hat, damals in den Zwanzigern, das ein oder andere veröffentlicht.

Wie Du siehst, meine Liebe, man kann nie wissen. Manche schaffen es, andere eben nicht. Zufällig denke ich nun mal, dass ich es schaffen werde. Ich kann es mir gar nicht erlauben, anders zu denken.

Bei durchschnittlich drei Ablehnungen pro Woche sollte ich Fitzgerald in sechsunddreißig Wochen eingeholt haben. Und dann bleiben mir immer noch sechs Jahre, um mit Hemingway gleichzuziehen. Wenn es mir aber tatsächlich gelingt, diesen Roman zu veröffentlichen, werde ich beide hinter mir gelassen haben. Und, mein Gott, wäre das ein Spaß. Also, immer feste dran glauben, Du süßes kleines altes dunkeläugiges Ding. Noch ist es nicht so, dass sie meinen Sarg mit Dreck bewerfen würden.

Kommen wir zur nächsten Frage: Welcher Teil von mir zieht Dich an? Tja, Ann, ich glaube nicht, dass Du diese Frage übertrieben anständig formuliert hast, also werde ich versuchen, sie so zu beantworten, wie ich denke, dass sie gemeint ist. Wenn ich in derselben Weise antworten würde, wie Du sie formuliert hast, würdest Du mir bestimmt überhaupt nicht mehr schreiben.

Hmmnnnnnn … gar nicht so einfach. Es wäre ja viel einfacher, auf Deine Version der Frage zu antworten. Aber nein, für sowas bin ich viel zu fromm.

Es wäre jedoch vermessen, darüber hinwegzusehen, dass es ganz klar eine körperliche Anziehung gibt. Und ich fin­de, das ist völlig in Ordnung; anders will ich es mir gar nicht vorstellen.

Da ist natürlich mehr, aber ich habe niemals ernsthaft darüber nachgedacht. Ich weiß nur, seitdem ich sechzehn bin, bist Du das einzige Mädchen, dem ich über den Weg gelaufen bin, das einen nachhaltigen Eindruck auf mich hinterlassen hat. Das ist jetzt drei Jahre her, und ich habe es noch immer nicht geschafft, Dich aus meinem Kopf zu kriegen. Und ich habe es versucht. Gott! Drei Jahre! Kommt Dir das auch schon so lange vor?

Nebenbei gesagt, weißt Du noch, dass ich Dich am 5. Februar 1957 in meinem Brief mit »Cheri« angeredet und Dich »emotional starrsinnig« genannt habe? Und weißt Du auch, dass Du mir am 25. September 1956 sehr persönliche Zeilen geschickt hast, die ungefähr so lauteten: »Und wegen Wochenende. Ich habe eine Menge zu tun und werde sehr beschäftigt sein …« Sehr persönlich formuliert. Weiter schriebst Du, dass es trotzdem für Dich vorstellbar wäre, »Samstagnachmittag oder Samstagnacht auszugehen«, dass es aber »am besten wahrscheinlich Samstagnacht« wäre.

Ich weiß nicht mehr genau, was an diesem Wochenende passiert ist, aber ich bin sicher, dass es einigermaßen ernüchternd gewesen sein muss.

Bist Du, nebenbei gesagt, immer noch so hübsch wie damals? Warum schickst Du mir nicht Mal ein neues Foto? Bleib bitte hübsch. Es ist für mich sehr wichtig, dass Du hübsch bist. Ich meine das ernst.

Ich bin jetzt in einer dermaßen guten Stimmung, dass ich Dich, wenn ich meine Augen schließe, vor mir sehen kann, hier in meiner Hütte. Wenn Du hier wärst, würde ich Dich jetzt sofort ins Bett rüberziehen. Verkommen, aber wahr, muss ich leider sagen. Ich bin gerade dabei, mich wieder selbst zu frustrieren; verdammt, ich halte es kaum aus.

Aber wäre das nicht was? Wenn Du hier wärst, meine ich. Ich lächle; du lächelst auch. Und glaub nicht, das ich betrunken bin. Kein bisschen. Hab in drei Tagen nicht mehr als ein Glas Bier getrunken. Ich bin einfach nur glücklich. Ich weiß nicht genau, warum, aber es muss mit der Vorstellung zu tun haben, dass Du hier in meinem Bett … ja, das würde mich tatsächlich sehr glücklich machen.

Lächle!

Und es ist nicht nur das Bett. Es wär mir einfach eine Freude, wenn Du die ganze Zeit hier wärst. Es wär mir eine Freude, Dich einfach nur anzuschauen. Sag mal, kannst Du eigentlich kochen? Ich bin hungrig geworden und muss aufstehen und mir ein Thunfisch-Sandwich machen. Ja, ich lebe von Thunfisch und Erdnussbutter und Milch und Brot.

Ich betrachte das Foto von Dir, während ich dies schreibe, und versuche mir Deine Antworten und Reaktionen vorzustellen. Ich finde Vergnügen daran.

Ich besitze sogar ein Foto, auf dem Du lächelst, und eines mit einem sehr ernsten Gesicht. Ich wechsle hin und her, je nachdem, welche Reaktion ich gerade von Dir erwarte.

Dies ist ein sehr seltsamer Brief; viele Deiner Fragen habe ich gar nicht beantwortet, aber es tut gut, ihn zu schreiben.

Die Antwort auf eine Deiner Fragen ist nun, dass ich alles an Dir liebe – bis auf das, was ich nicht so sehr mag. Das ist der Teil von Dir, der mich an all die Mädchen erinnert, die ich sonst sehe. Der Teil von Dir, der meint, jeder – sogar Hunter – müsse früher oder später bodenständig werden, mit einer geregelten Arbeit und einer Hypothek auf dem Haus und zwei verchromten Autos in der Garage und mit einer Menge dummer netter Nachbarn und einem Leben, das keine Perspektive bietet außer ewiger Manipulation, getrieben von Kräften, die zu verstehen Du Dir nie die Mühe gemacht hast. Das ist der Teil von Dir, den ich nicht so sehr mag, und den ich nie mögen werde.

Wenn Du mir antwortest, würde ich gerne wissen, welchen Teil Du von mir nicht magst. Oder vielleicht den Teil, den Du magst … wenn das leichter sein sollte.

Du sagst außerdem, ich hätte Dir nie erzählt, worauf es mir im Leben wirklich ankommt. Es ist, kurz gesagt, dies:

Ich will in der Lage sein, mich selbst (und, ausgenommen im Falle eines Desasters, auch meine Familie) als Autor zu ernähren. Ich möchte ein Haus irgendwo auf den West-Indies, hoch oben auf einem Felsen mit Blick auf das karibische Meer. Ich möchte genug Geld haben, um mir guten Scotch und gutes Essen leisten zu können. Ich will in meine Frau verliebt sein und wünsche mir, dass sie es in mich ist. Das wär’s ungefähr; ich verlange nicht viel, aber die paar Dinge sind wichtig. Wenn Du anderer Meinung bist, würde ich gerne Deinen Standpunkt hören.

Und wo ich gerade dabei bin, lass mich noch etwas anderes zitieren:

Niemand-anders-als-du-selbst zu sein – in einer Welt, die alles darauf anlegt, Tag und Nacht, aus dir einen anderen zu machen – bedeutet, in der härtesten Schlacht zu kämpfen, die einem Menschen möglich ist; und hör niemals zu kämpfen auf.

* Das stammt von e.e.cummings, der so etwas wie ein zeitgenössischer Dichter ist.

Das ist ein ziemlich dramatischer Schlussteil, deshalb sollte ich dieses lange Schreiben zum Ende bringen. Meine Situation hier ist äußerst ungewiss, und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass ich diesen Sommer zu Dir runterkomme. Ich lasse Dich wissen, was passiert. So wie ich es jetzt gerade sehe, wird sich die Lage, ehe sie sich verbessert, erst einmal verschlechtern. Ich spreche natürlich nur von meinen eigenen Geschicken.

Bleib hübsch und verlier nicht den Glauben. Ich denke, Du und ich, wir mögen einen aussichtslosen Kampf kämpfen, doch wenn dem so ist, gilt das auch für jeden anderen hier in dieser verrückten Welt, und an meiner Seite nimmst Du den Niederlagen vielleicht den Schmerz.

Love, HST

Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

Подняться наверх