Читать книгу Finde deine sexuelle Kraft - Ilan Stephani - Страница 11
WIE FISCHE IM SCHWARM
ОглавлениеWas ist denn eigentlich Ekstase?, werde ich oft gefragt. Okay, fangen wir an. Und zwar ganz langsam. Hier ist die Definition, und ich werde sie näher erklären: Ekstase ist die spontane, elegante Selbstorganisation der Lebensenergie in einem Organismus, die geschieht, wenn wir sie zulassen.
Am einfachsten ist es, wenn Sie sich vorstellen, in welchem Grundzustand wir auf die Welt kommen. In einem Baby sind alle Aspekte des Erlebens vernetzt, verkörpert und unmittelbar, auch in einem direkten Kontakt untereinander. Wir stehen uns selbst nicht im Weg: Die Leber kommt mit der Wutkraft klar, die Stimme kommt mit dem Schmerz und mit der Freude klar, die Genitalien kommen mit den Empfindungen in den Beinen klar, die Atmung kommt mit der Bewegung klar, und die Knochen mit den Augen, mit den roten und weißen Blutkörperchen, mit dem Rückenmark und mit der Haut. Alles ist in Resonanz miteinander.
Später kommt das, was wir Erziehung, Konditionierung, kulturelle und sexuelle Matrix nennen, und führt zur graduellen Isolierung und Fragmentierung der verschiedenen Einzelteile. Wir spalten uns immer mehr innerlich ab, verstecken Anteile unser selbst, für die wir uns schämen, tragen eine Maske nach außen und bewerten und bezweifeln uns mehr, als dass wir uns noch spüren.
Machen wir kurzen Prozess: Die Struktur eines normalen westlichen Menschen ist ein Bündel fragmentierter Einzelteile. Wenn sich Ekstase freischaltet, dann machen diese isolierten Einzelteile die Erfahrung, nicht mehr isoliert zu sein. Sie finden zu ihren Brüdern und Schwestern zurück, zu denen sie eigentlich gehören und die sie auf dem Weg der Kultur verloren haben. Sprich: Sie schwingen wieder miteinander. Und dann … dann stürzt der Himmel ein.
Die US-amerikanische Wissenschaftlerin und Sexualforscherin Emily Nagoski hat ein wundervolles Bild gefunden für das, was dabei im menschlichen System passiert. Sie beschreibt die Ekstase als Schwarmzustand. So wie Vögel, die sich in der Luft spontan und elegant zu einem Schwarm organisieren und dabei stets in Bewegung bleiben, so organisieren sich die Einzelteile im menschlichen Lebewesen (Zellen, Organe, Gefühle, Glaubenssätze, Selbstbilder, Persönlichkeitsanteile) in der Ekstase wieder selbstständig, spontan und elegant und überwinden so die Getrenntheit, der sie in der Fremdorganisation durch die Matrix unterworfen waren.
Ein Schwarm hat keine feste Form. Er ist eine lebendige, sich verändernde, doch unverwechselbare Gestalt. Ob der Schwarm aus Vögeln oder Fischen oder Anteilen im Erleben besteht, er bewegt sich in eine bestimmte und gleichzeitig freie Richtung, wird mal breiter, mal schmaler, mal kondensierter, mal weiter, und ab und zu bricht er wieder ganz in seine Einzelteile auseinander, nur um sich innerhalb von Sekunden wieder zu einem großen Ganzen zusammenzufinden. Ein ekstatisches Naturschauspiel zum Niederknien.
Ein Schwarm ist der Ausdruck dessen, wie unfassbar schön, erhebend und sicher Freiheit ist. Ein Schwarm folgt keinem Plan, keinem Skript und keinem Dirigenten. Ein Schwarm ist ein Schwarmwesen, in dem jeder einzelne Bestandteil die Grenzen der eigenen fragmentierten Identität auflöst, ohne negiert zu werden. Ein Schwarm ist Bindung als Freiheit und Individualität als Einheit.
Ekstase ist das Paradies in uns, welches wir so oft verloren haben. Sie entsteht in uns genauso wie der Vogelschwarm am Himmel. Sie erhebt sich automatisch, wenn wir der Energie in uns erlauben, ihrer angeborenen Intelligenz nachzugeben. Das bedeutet auch: Wenn wir nicht ekstatisch leben, dann deshalb, weil wir unbewusst etwas tun, um den natürlichen Schwarmzustand unserer Innenwelt zu verhindern. Und dieses Ding, das die Ekstase verhindert – für die meisten von uns 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche –, das ist, Sie ahnen es schon: die kulturelle Matrix. Jener subtile Dauerstress, jene strukturelle Gewalt, die so normal geworden ist, dass wir sie nicht mehr bemerken. Der Preis, den wir für ein Leben in der Matrix zahlen, ist jedoch katastrophal. Es kostet uns unsere Lebendigkeit, unsere Energie, unsere Lebenskraft und unsere Authentizität.