Читать книгу Der letzte Stein - Ilse Nekut - Страница 10
ОглавлениеDas Feuer
Dora war sechs,
als sie Feuer kennenlernte.
Es war Winter und schon dunkel. Dora, ihre Schwester Terese und ihre Mutter waren bei Oma gewesen. Der Heimweg war nicht lang, es war kalt. Schneeflocken schwebten in der Luft.
Da sah Dora über den Häusern, in denen sie ihre geräumige Wohnung hatten, Rauch in den schwarzen Himmel steigen. Ein helleres Grau, das sich vom Nachtschwarz deutlich abhob. Es ballte sich, formte Figuren, Fetzen aus noch mehr Rauch.
„Es brennt bei uns!“, schrie Dora.
Die Mutter glaubte es nicht, versuchte zu beruhigen.
„Nein, keine Angst, das ist die Dampflok des Kurzzugs.“
Der Kurzzug fuhr den ganzen Tag zwischen der Stadt und dem Stadtrand, wo sie wohnten, hin und her, einmal elektrisch, einmal mit der Dampflok. Dora kam nicht dahinter, wann er sich elektrisch fortbewegte, also saubere Luft hinterließ, und wann er mit Dampf und Rauch alles vernebelte.
„Der Zug fährt heute elektrisch, das weiß ich!“, behauptete Dora. Und sie hatte Recht. Der Rauch musste irgendwo aus einem Haus aufsteigen und nicht vom Zug. Und er wurde immer dichter, qualmte in den Himmel, ein reißendes Tier.
Sie gingen schneller. Wurden immer stiller. Alle drei.
Als sie in die Nähe des mehrstöckigen Hauses kamen, in dem sie ganz oben wohnten, waren da schon Feuerwehren, Schaulustige, ängstliche Leute aus dem Nachbarhaus. Ein Geschrei, ein Durcheinander empfing sie.
Die Mutter überlegte und handelte schnell. Sie schickte die Töchter zurück zu Oma. Dort waren sie sicher. Sie selbst blieb zwischen all den Menschen und versuchte zu erfahren, wo Doras Vater war.
„Der ist oben im Dach, über dem dritten Stock, und hilft löschen.“
Dora und ihre Schwester gingen, nein, liefen zu Oma zurück, die zunächst nicht glaubte, was ihre Enkelinnen atemlos erzählten. Aber dann begriff sie. Die Wohnung der Kinder und der Eltern war in Gefahr. Es könnte sein, dass das Feuer alles zerstörte, vielleicht sogar das ganze Haus. Vielleicht sogar ein Leben.
So gut es ging, bewahrte Oma Ruhe, schon der Mädchen wegen.
Dora konnte nicht einschlafen an diesem Abend bei Oma. Sie hatte Angst um das Klavier, auf dem sie immer wieder üben durfte, auch wenn es eher ein Klimpern war. Und sie hatte ungeheure Angst um den Goldhamster, der nicht sterben durfte. Ihre Gedanken kreisten um das alte Klavier, ein Pianino, in dem sich der Hamster ein Nest für seine Vorräte gebaut hatte. Sie sah, wie das Klavier voller Flammen in sich zusammenkrachte, wie der Hamster in diese Flammen lief, um sein Futter zu retten, sah, wie das Haus einknickte und fiel, das Klavier und das Tier unter den Trümmern begrub.
Oma redete ruhig auf Dora ein. Dora hörte zwar die Worte, aber nicht deren Bedeutung. Ihr war kalt, sie zitterte.
Endlich kam ihre Mutter, spät in der Nacht. Alles sei in Ordnung, nur der Plafond im Wohnzimmer sei etwas feucht vom Löschwasser. Und Vati war zum Helden geworden. Er hatte den Feuerwehrleuten am Anfang derart geholfen, dass alle ihn danach bejubelten. Vati ein Held, das Klavier intakt, der Hamster quietschlebendig.
Alles war gut gegangen, aber die Angst vor dem Feuer blieb. In Doras Kopf prasselten und züngelten die feurigen Fontänen. Es zischte und knisterte, der Funkenflug kreiselte in der Luft und verlor sich in der Nacht. Und manchmal träumte Dora von toten Hamstern, verkohlt bis auf die Knochen.
Es dauerte lange, bis ihre Angst vor Feuer verschwunden war.