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2. Die Selbstgleichschaltung Der Deutsche Richterbund
ОглавлениеNoch zur Jahreswende 1932/33 hatte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Senatspräsident Karl Linz, in seinem Grußwort für die Deutsche Richterzeitung befürchtet, Gutes für die Justiz lasse sich 1933 »kaum erwarten, eher deuten alle Anzeichen auf neue Angriffe und neue Kämpfe um den Bestand des Rechts und eine unabhängige Rechtspflege hin«.103 Der Richterbund hatte sich stets gegen republikanische Zumutungen zur Wehr gesetzt und »das Eindringen der Politik in die Rechtspflege« bekämpft. 1926 war der (auf Vorschlag eines sozialdemokratischen Justizministers von einem sozialdemokratischen Reichspräsidenten ernannte) Reichsgerichtspräsident Simons sogar so weit gegangen, Sozialdemokraten pauschal die Fähigkeit zum Richteramt abzusprechen, da ihnen die dafür erforderliche Objektivität fehle,104 und der Richterbund befürchtete nichts so sehr wie eine demokratische Überfremdung durch »Bevorzugung der Anhänger der Kabinettsparteien«.105
In einer Vielzahl von Urteilen war die Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung zwar unübersehbar gewesen, aber die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler fand nicht den ungeteilten Beifall der Richterschaft. Ihr Vorsitzender Linz befürchtete von der neuen Regierung Maßnahmen, »die die Unabsetzbarkeit der Richter und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen«.106 Zu solchen Befürchtungen hatte das Verhalten der NSDAP-Führung nach verschiedenen Prozessen gegen Nationalsozialisten genügend Anlass gegeben.
Freilich stellte die deutsche Richterschaft ihre Bedenken bald hintan, und trotz der Notverordnungen »zum Schutz des deutschen Volkes« und »zum Schutz von Volk und Staat«, mit denen die Regierung – wie gezeigt – handstreichartig große Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, trotz des SA-Terrors bei den Reichstagswahlen vom 5. März und trotz der Staatsstreiche, mit denen die SA in den meisten Ländern die Polizeigewalt an sich gerissen hatte, begrüßte das Präsidium des Richterbundes am 19. März in einer Erklärung »den Willen der neuen Regierung, der ungeheuren Not ... des deutschen Volkes ein Ende zu bereiten«, und bot seine Mitarbeit am »nationalen Aufbauwerk« an: »Deutsches Recht gelte in deutschen Landen! Der deutsche Richter war von jeher national und verantwortungsbewusst.« Die Erklärung endete mit der Versicherung: »Der deutsche Richter bringt der neuen Regierung volles Vertrauen entgegen.«107
Dieses Vertrauen war nur schwer zu erschüttern. Obwohl bereits am 1. April anlässlich einer Judenboykottaktion die Justizminister der Länder alle jüdischen Richter, Staats- und Amtsanwälte beurlaubt hatten und am 7. April das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Entlassung jüdischer, sozialdemokratischer und anderer »politisch unzuverlässiger« Richter und Beamten dekretierte108, womit die Unabhängigkeit der Richterschaft praktisch aufgehoben worden war, teilte der Richterbundsvorsitzende nach einer Audienz – just am 7. April – beim Reichskanzler mit: »Wir legten alles vertrauensvoll in seine Hand. Der Herr Reichskanzler war mit diesen Ausführungen offenbar einverstanden und erklärte, dass er die Unabhängigkeit der Richter aufrechterhalten werde, wenn auch gewisse Maßnahmen notwendig seien. Wir dürfen also damit rechnen, dass die im Gesetz über das Berufsbeamtentum niedergelegten Bestimmungen sobald als möglich wieder in Wegfall kommen.«109
Diese devoten Worte waren schon das Äußerste an Kritik, die sich der Richterbund an der Entlassung seiner zahlreichen jüdischen Mitglieder – allein in Preußen waren es 643 – erlaubte. Über die Entlassung der sozialdemokratischen Richter war man eher erfreut, und das Verbot des Republikanischen Richterbundes wurde in der Richterschaft mit großer Genugtuung aufgenommen. Ohnehin war es in den 14 republikanischen Jahren nur sehr wenigen Sozialdemokraten gelungen, in der Justiz Fuß zu fassen oder gar Karriere zu machen. Von den 122 Richtern beim Reichsgericht war ein einziger – Reichsgerichtsrat Dr. Herrmann Grossmann – Sozialdemokrat, und er war auch das einzige Mitglied dieses Gerichts, das wegen politischer Unzuverlässigkeit im April 1933 entlassen wurde.110
Während das Präsidium des Deutschen Richterbundes noch taktierend versuchte, durch Annäherung an die neuen Machthaber die Eigenständigkeit des Verbandes zu bewahren, forderte sein weitaus größter Landesverband, der Verein Preußischer Richter und Staatsanwälte, bereits am 21. April 1933 seine Mitglieder auf, »sich in die gemeinsame Kampffront Adolf Hitlers einzugliedern und sich dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen anzuschließen, denn nur unbedingte Geschlossenheit ist die Vorbedingung für ein Obsiegen in unserem Kampf«.111 Das Präsidium zögerte zwar noch, aber immer mehr Landesverbände folgten dem preußischen Beispiel. Der Oldenburgische Richterverein löste sich am 29. April selbst auf, der Vorstand des Richtervereins beim Reichsgericht trat am 10. Mai »zum Zwecke der Gleichschaltung« zurück, und am 21. Mai stellte sich der Verein Sächsischer Richter und Staatsanwälte in Chemnitz »freudig und pflichtgetreu unter die Führung des Volkskanzlers Adolf Hitler«.112 Da erklärte schließlich auch der Vorstand des Richterbundes am 23. Mai in einem Telegramm an den »Reichsjuristenführer« Hans Frank »für sich und die ihm angeschlossenen Landesvereine seinen korporativen Eintritt in den Nationalsozialistischen Juristenbund und unterstellt[e] sich der Führung des Herrn Reichskanzlers Adolf Hitler«.113
Dass dieses Patronat auch für die Arbeit am Recht nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfe, beteuerte der Richterbund bereits zwei Wochen später in einer Entschließung seiner Vertreterversammlung: »Der Deutsche Richterbund sieht seine Hauptaufgabe ... in der Mitwirkung des gesamten Richtertums an der Neugestaltung des deutschen Rechts ... Frei von Fesseln, entsprechend dem germanischen Richterideal, muss der Richter jeder Vergewerkschaftung und Verfachschaftung entzogen bleiben.«114 Solange die Zeitschrift des Richterbundes, die Deutsche Richterzeitung, noch existierte – sie wurde später in die regierungsamtliche Deutsche Justiz überführt –, war sie nun Forum für Vorschläge der Richterschaft zur Neugestaltung der Rechtsordnung. Reichsgerichtsrat Erich Schultze zum Beispiel plädierte hier bereits 1933 für die scharfe Bestrafung von »Rasseverrat ..., d. i. kurz gesagt die Vermischung eines Deutschen mit Angehörigen bestimmter gesetzlich bezeichneter Rassen«.115 Als deutliches Zeichen der vollendeten Gleichschaltung schworen schließlich im Oktober 1933 anlässlich des ersten Juristentages nach Hitlers Machtergreifung auf einer imposanten Massenkundgebung vor dem Reichsgericht in Leipzig über 10.000 Juristen mit erhobenem rechten Arm, »bei der Seele des deutschen Volkes, dass [sie] unserem Führer auf seinem Wege als deutsche Juristen folgen wollen bis an das Ende unserer Tage«.116
Zwar hatten zu den »alten Kämpfern« der nationalsozialistischen Bewegung auch einige Juristen gezählt – unter den am 9. November 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle gefallenen »Blutzeugen der Bewegung« war sogar ein Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht, und ein anderer Rat dieses Gerichts gehörte in dem nachfolgenden Prozess zu Hitlers Mitangeklagten –, aber insgesamt war dieser Berufsstand in der NS-Bewegung eher unterrepräsentiert.
Auch unter den Karrierejuristen des Dritten Reiches findet man nur eine Handvoll »alter« Nationalsozialisten: den Gerichtsassessor Dr. Werner Best, Verfasser der »Boxheimer Dokumente«, ab 1933 Justitiar der Gestapo und im Kriege Reichsbevollmächtigter in Dänemark; Hans Frank, Rechtsanwalt, »Reichsrechtsführer«, 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Präsident der Akademie für Deutsches Recht und ab 1939 Generalgouverneur in Polen; Roland Freisler, Rechtsanwalt, 1933 Staatssekretär im preußischen Justizministerium, 1934 im Reichsjustizministerium und ab 1942 Präsident des Volksgerichtshofes; Hans Kerrl, 1933/34 preußischer Justizminister und danach bis zu seinem Tode 1941 Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten; und Otto Thierack, Staatsanwalt, 1933 Justizminister in Sachsen, dann Vizepräsident des Reichsgerichts, 1936 Präsident des Volksgerichtshofes und von 1942 an Reichsjustizminister.
Die Justiz blieb auch im Dritten Reich eine Domäne der (früheren) Deutschnationalen. Freisler und Thierack waren die einzigen hochkarätigen Nazis, die eine Spitzenstellung in der Justiz erreichten. Alle anderen hohen Justizfunktionäre, der 1941 verstorbene Reichsjustizminister Gürtner, sein Staatssekretär Schlegelberger, Reichsgerichtspräsident Bumke und der oberste Ankläger, Oberreichsanwalt Werner, kamen aus der Deutschnationalen Volkspartei oder waren ihr mindestens nahegestanden. Sie hatten auch sämtlich ihre hohen Ämter schon in republikanischen Zeiten erreicht. Das Dritte Reich hat sie nur übernommen, und sie verkörperten ein Stück Justizkontinuität vom Kaiserreich über die Weimarer Republik hinweg bis in den Führerstaat. Mag ihr Verhalten in jenen 12 Jahren auch vielfach opportunistisch motiviert gewesen sein, so scheidet doch Karrierestreben als Motiv für ihre Handlungen aus, ihre Karrieren hatten sie ja, wie gesagt, schon vorher gemacht.