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Der Staatsdenker
ОглавлениеCarl Schmitt wurde am 11. Juli 1888 im sauerländischen Plettenberg als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nachdem er in Berlin, München und Straßburg Rechts- und Staatswissenschaften unter anderem bei Max Weber studiert hatte, promovierte er 1910 an der Universität Straßburg mit einem strafrechtlichen Thema, habilitierte sich 1916 – ebenfalls in Straßburg – und wurde 1921 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht zunächst an der Universität Greifswald, 1922 in Bonn und 1926 an der Handelshochschule Berlin. Seine Berufung an die Universität Köln Anfang 1933 war ganz wesentlich von seinem jüdischen Kollegen und Antipoden im staatstheoretischen Denken, Hans Kelsen, gefördert worden, bei dessen Vertreibung aus dem Lehramt Schmitt wenig später die Führerschaft übernahm.120 Nach dem schon oben angeführten Staatsstreich des Reichskanzlers von Papen gegen die sozialdemokratische Regierung Preußens im Juli 1932, gegen den die preußische Regierung vor dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reichs klagte, wurde er von der Reichsregierung mit der Prozessführung beauftragt, und für Papens Nachfolger, General von Schleicher, war Schmitt sogar ein enger politischer Freund und Berater. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten holte ihn der in Preußen allmächtige Göring an die Universität Berlin und ernannte ihn zum preußischen Staatsrat. Schmitt kehrte seinen konservativen Freunden und Förderern den Rücken, trat am 1. Mai 1933, gerade noch rechtzeitig vor der mehrjährigen Aufnahmesperre, der NSDAP bei und avancierte rasch zum führenden Staatsdenker des Nazi-Reichs. In einem treffenden Psychogramm des Professors kommentierte der Schriftsteller Ernst Niekisch diesen Schritt: »Kaum hatte es Hitler geschafft, war auch Schmitt soweit: so rechtzeitig schlüpfte er noch durch die Tore des Dritten Reiches, dass er nicht übersehen werden konnte, als dieses einen Kronjuristen brauchte. In einer erstaunlichen Weise war Schmitt der politischen Realität immer gerade um eine Nasenlänge voraus. Infolgedessen war er der geistige Quartiermacher, der sich durch seine Vorsorge und Umsicht die Dankbarkeit jedes einzelnen Stadiums der großen bürgerlichen Restaurationsbewegung erwarb und der sich dabei selbst jedesmal vorteilhaft plazieren konnte.«121
Als Leiter der »Reichsfachgruppe Hochschullehrer« des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, Herausgeber verschiedener Fachzeitschriften und juristischer Schriftenreihen, vor allem aber als Lehrer der bedeutenden nationalsozialistischen Staatsrechtsprofessoren Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber und Theodor Maunz war er der Vordenker der »neuen« Staatsrechtslehre.
Freilich konnte Schmitt seine Vergangenheit nicht ganz abschütteln. Dass er in republikanischen Zeiten mit jüdischen Gelehrten engen Kontakt gehabt hatte – nicht nur unter seinen Förderern, auch unter seinen Schülern waren Juden gewesen –, haben ihm radikale Parteikreise nie verziehen. Wegen seiner katholischen und »reaktionären« Vergangenheit als Berater der Reichskanzler Brüning und von Schleicher war der wendige Professor vor allem der SS und ihrer Zeitung Das Schwarze Korps immer unheimlich gewesen. Die gleichgeschaltete Ausgabe des Großen Brockhaus von 1942 rügte an dem Staatsrat, seine Schriften seien »nicht immer frei von Widersprüchen; auch fällt ein häufiger Wechsel des Standortes auf, so dass der Vorwurf ›Situationsjurisprudenz‹ erhoben wurde«. Immerhin anerkennt diese offiziöse Stellungnahme »das Verdienst Schmitts, mit den Mitteln seiner Darstellung zur Auflösung und Zerstörung überalterter, nicht brauchbarer Systeme beigetragen zu haben«.
Das konnte ihm niemand streitig machen. Carl Schmitt war schon immer der antidemokratische, konservative Staatsrechtler par excellence gewesen, was seine wissenschaftliche Karriere vor und während sowie seinen starken Einfluss auch nach der Zeit des Dritten Reichs erklärt.
Seine hemmungslose Anpassungssucht riss den von Gegnern und Bewunderern stets als »geistreich« Gerühmten allerdings während der Nazi-Zeit zu einer Fülle niveauloser Peinlichkeiten hin. Als moralischer Tiefpunkt deutscher Rechtswissenschaft wird bisweilen seine unter dem Titel Der Führer schützt das Recht122 verfasste juristische und moralische Rechtfertigung der Mordaktion vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 nach dem sogenannten »Röhm-Putsch« angesehen. Die Würdelosigkeit dieser Anbiederung an die Mörder wog um so schwerer, als sich unter den Ermordeten sein einstiger Freund und Gönner Kurt von Schleicher und dessen Ehefrau befanden.
Die Ausbürgerung einer Vielzahl Intellektueller und die Verbrennung ihrer Bücher kommentierte Schmitt mit den Worten: »Auf jene deutschen Intellektuellen aber wollen wir verzichten ... Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten.«123
Fast noch peinlicher waren seine zahlreichen antisemitischen Ausfälle. Bereits 1933 schrieb Schmitt in Staat, Bewegung, Volk, seiner Verbeugungsschrift vor dem Nationalsozialismus: »Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedanken in den existentiellen Bedingungen seiner Art.«124 Auf dem 1936 von ihm organisierten Fachkongress »Das Judentum in Rechts- und Wirtschaftswissenschaft« präzisierte er dann: »Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und händlerische Beziehung ... Mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das Rechte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler.«125 Auf den Einwand aus der Zuhörerschaft, der jüdische Rechtslehrer Friedrich Julius Stahl, einer der Führer der preußischen Hochkonservativen und der maßgebliche antidemokratische Staatsdenker des 19. Jahrhunderts, geistiger Ahnherr der Schmitt‘schen Lehren, habe doch seine Verdienste um die deutsche Rechtswissenschaft, entgegnete Schmitt: »Wenn immer wieder betont wird, dieser Mann sei subjektiv ehrlich gewesen, so mag das sein, doch muss ich hinzufügen, dass ich nicht in die Seele dieses Juden schauen kann und dass wir überhaupt zu dem innersten Wesen der Juden keinen Zugang haben. Wir kennen nur ihr Missverhältnis zu unserer Art. Wer diese Wahrheit einmal begriffen hat, weiß auch, was Rasse ist.«126 Der »Staatsrechtler des neuen Reiches«, wie Schmitt sich gern nennen ließ,127 hatte die Zusammenhänge zwischen Geist und Rasse wie kaum ein zweiter erfasst. In der Eröffnungsrede zu dem erwähnten Kongress verwahrte er sich entschieden dagegen, »dass jüdische Emigranten den großartigen Kampf des Gauleiters Julius Streicher als etwas Ungeistiges« abqualifizierten.128 Als Schmitt 1936 in milde Ungnade gefallen war und seine Spitzenfunktion im NS-Rechtswahrerbund verloren hatte, wandte er sich – auch in wissenschaftlicher Thematik opportunistisch – vom Staatsrecht, dem rechtlichen Pendant der Innenpolitik, ab und dem Völkerrecht, dem Recht der Außenpolitik, zu. Bis 1945 veröffentlichte er fortan fast ausschließlich Arbeiten zum Völkerrecht. Nachdem er vorher Diktatur und Führerstaat propagiert und die Machtergreifung der Nazis sowie die Vernichtung des »inneren Feindes« legitimiert hatte, entwickelte er, als Hitlers Eroberungszüge bevorstanden und später, während Deutschland halb Europa besetzt hatte, mit der Rechtsfigur des völkerrechtlichen »Großraums« eine Rechtfertigungslehre für die Unterjochung der Nachbarvölker: »Der neue Ordnungsbegriff eines neuen Völkerrechts ist unser Begriff des Reiches, [das] imstande ist ..., eine Ausstrahlung in den mittel- und osteuropäischen Raum hinein zu verschaffen und Einmischungen raumfremder und unvölkischer Mächte zurückzuweisen. Die Tat des Führers hat den Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen.«129 Nachdem sich die große völkerrechtliche Zukunft in der politischen Wirklichkeit der bedingungslosen Kapitulation – ausgerechnet noch vor raumfremden und unvölkischen Mächten – aufgelöst hatte, internierten die Amerikaner den Großraumtheoretiker und erwogen sogar, ihn im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess mit anzuklagen. Die Ankläger versprachen sich dann jedoch offenbar mehr davon, statt Schmitt den Prozess zu machen, sich seines sprichwörtlichen Opportunismus zu bedienen, um einen von den Verteidigern des Staatssekretärs von Weizsäcker aufgebotenen bedeutenden Entlastungszeugen, seinen früheren Lehrer, den deutschnationalen jüdischen Staatsrechtler Erich Kaufmann, unglaubwürdig zu machen.130 Schmitt enttäuschte auch die neuen Herren nicht. Er lieferte Zitate aus Kaufmanns Schriften, in denen der Krieg verherrlicht und der deutsche Großmachtstraum geträumt wurde. Der Wert von Kaufmanns Aussagen war danach erheblich gemindert. Schmitt wurde aus der Internierungshaft entlassen und versprach, sich »in die Sicherheit des Schweigens« zurückzuziehen. Dennoch veröffentlichte er vom heimischen Plettenberg aus noch einige Schriften, unter anderem um seine früheren Publikationen zu rechtfertigen und seinen Beitrag zur NS-Herrschaft in subtilen »Widerstand« umzumünzen. Dabei schreckte er auch vor massiven Fälschungen nicht zurück; der Theoretiker des Notstands behauptete zum Beispiel ganz unverfroren, er habe sich »an dem Gerede vom Staatsnotstand ... nie beteiligt«.131 Undementiert blieb später die Meldung der Frankfürter Rundschau, Schmitt sei zur Zeit der Großen Koalition (1966-1969) der »heimliche staatsrechtliche Berater« Bundeskanzler Kiesingers gewesen, der in kleiner Runde in Plettenberg mit dem Vordenker des Notstands zu konferieren pflegte.132 Zwar hatte man 1948 Schmitts 60. Geburtstag noch nicht gebührend würdigen können (statt einer Festschrift erschien 1950 nur ein schmales Bändchen über Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Johann Sebastian Bachs, das »Carl Schmitt zum 60. Geburtstag« zugeeignet war,133 aber die dickleibigen Festschriften zu seinem Siebzigsten134 und Achtzigsten135 – letztere unter dem Titel Epirrhosis, auf deutsch: »Begeisterte Zustimmung« –, in denen sich alles versammelte, was in der Nachkriegs-Staatsrechtslehre Ansehen genoss, belegen die Wertschätzung auch der bundesdeutschen Rechtswissenschaft für Carl Schmitt und seine demokratiefeindlichen Lehren. Bumke und der 1984 verstorbene Schmitt hatten vieles gemeinsam. Beide zählten schon vor 1933 zu Deutschlands angesehensten Juristen, beide waren hochkultivierte Männer – Schmitt liebte Bach‘sche Orgelmusik über alles, Bumke soll virtuos Geige gespielt haben –, beide waren konservativ-deutschnational, beide ersehnten den autoritären Staat und sympathisierten offen mit den Nazis, die sie angeblich insgeheim verachteten. Dass der höchste Richter und der gefeierte Staatsrechtslehrer aber keine Ausnahme bildeten, sondern repräsentativ waren für das Heer der weniger prominenten Richter, Staatsanwälte, Rechtslehrer und – wenngleich in geringerem Umfang – der Rechtsanwälte, zeigte der Gleichschaltungsprozess, die Ausschaltung jeglicher Opposition, alsbald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die Sympathie, mit der die deutsche Justiz den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung von ihren Anfängen bis zur Machtergreifung begleitet hatte, wurde durch die Brutalität der Gleichschaltung allenfalls vorübergehend getrübt.