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1. »Zeit zu lärmen« Deutsche Richter gegen die Reaktion

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In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten Juristen, darunter auch zahlreiche Richter, das Rückgrat der Aufklärungsbewegung und des Widerstands gegen die Metternichsche Reaktion. Der Kampf um eine unabhängige, von staatlicher Bevormundung freie Justiz war Teil des Kampfes um bürgerliche Freiheiten. Einer der Richter, der mit seiner freiheitlichen Einstellung notwendig in Opposition zur Obrigkeit geriet, war der Komponist, Schriftsteller und Jurist E.T.A. Hoffmann. Als Kammergerichtsrat und Mitglied einer »Immediatkommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« hatte er es gewagt, das Vorgehen der Polizei gegen den als Demagogen verfolgten »Turnvater« Jahn offen rechtswidrig zu nennen und sogar Jahns Klage gegen den Leiter der Polizeiaktion, den Polizeidirektor von Kamptz, zu vertreten, weil – wie er meinte – »auch die höchsten Staatsbeamten nicht außer Gesetz gestellt, vielmehr demselben, wie jeder andere Staatsbürger, unterworfen sind«.2 Die Affäre ist in die Literatur eingegangen; in der Knarrpanti-Episode seines satirischen Märchens Meister Floh stellte Hoffmann – wenig verschlüsselt – die damaligen Polizeimethoden dar, »ein ganzes Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung der Gesetze (und) persönlicher Animosität«.3

Der Untersuchungsführer Knarrpanti trägt deutliche Züge von Hoffmanns Gegenspieler von Kamptz, und sein Vorgehen karikiert die Methoden der politischen Justiz nicht nur jener Zeit: »Auf die Erinnerung, dass doch eine Tat begangen sein müsse, wenn es einen Täter geben solle, meinte Knarrpanti, dass, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst findet. Nur ein oberflächlicher, leichtsinniger Richter sei ... nicht imstande, dies und das hinein zu inquirieren, welches dem Angeklagten doch irgendeinen kleinen Makel anhänge und die Haft rechtfertige.« Das aufgrund dieser Veröffentlichung gegen Hoffmann eingeleitete Dienststrafverfahren – sinnigerweise wegen »Preisgabe von Prozessgeheimnissen« – kam nicht mehr zum Abschluss. Er starb am 25. Juli 1822, sein Gegenspieler von Kamptz wurde 1832 preußischer Justizminister.

Der Richter E.T.A. Hoffmann war durchaus keine Ausnahme. Einige führende Opponenten gegen die Unterdrückung der Freiheit waren Juristen, und die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 bestand gar zu einem Viertel aus Richtern und Rechtsgelehrten.4 Einer ihrer Abgeordneten, Benedikt Waldeck, Rat am Geheimen Obertribunal in Berlin, der zeitlebens gegen preußischen Despotismus und für die Rechte des Volkes kämpfte, wurde 1849 wegen angeblichen Hochverrats ein halbes Jahr eingesperrt. Später, als Abgeordneter des preußischen Landtags, war er Wortführer der Freisinnigen und einer der beharrlichsten Gegner des Bismarck‘schen Krypto-Abso­lutismus. Die Hochachtung, die Waldeck bei der Bevölkerung genoss, zeigte sich ein letztes Mal bei seinem Begräbnis; der Trauerzug von 20 000 Menschen stellte im Berlin von 1870 eine einzigartige Massendemonstration dar.5 Der Münsteraner Oberlandesgerichtsdirektor Jodokus Donatus Temme hatte sogar aus dem Gefängnis heraus für die Nationalversammlung kandidiert und war prompt gewählt worden. Von einer Anklage wegen Hochverrats musste er zwar freigesprochen werden, nach einem Disziplinarverfahren wurde er jedoch ohne Bezüge entlassen und emigrierte in die Schweiz.6

Obwohl diese Richter keine isolierten Erscheinungen waren, repräsentierten sie aber auch nicht die Justiz als Ganzes. Vor allem Bismarck setzte – zunächst als preußischer Ministerpräsident, später als Reichskanzler – die Justiz skrupellos als Kampfmittel in innenpolitischen Auseinandersetzungen ein. Dabei konnte er sich auf eine Institution stützen, von der sich die Liberalen zunächst sogar eine unabhängigere Rechtssprechung erhofft hatten, weil mit ihr der absolutistische Inquisitionsprozess abgelöst wurde: die 1849 nach französischem Vorbild eingeführte Staatsanwaltschaft. Sie erwies sich jedoch schon bald als »eine der schneidigsten Waffen der bürokratischen Reaktion«.7 Mit dem Anklagemonopol der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft konnte die Regierung die Justiz gezielt gegen oppositionelle Politiker einsetzen. Während des preußischen Verfassungskonflikts (1860-1866) machten Mitglieder der liberalen Fortschrittspartei ebenso mit dieser politischen Justiz Bekanntschaft wie während des Kulturkampfs (1872-1886) die Anhänger des katholischen Zentrums. Sie hatten allen Anlass, die »himmelschreiende Parteilichkeit der Richter zu beklagen«.8

Immer wieder waren es aber auch Richter, die sich gegen den politischen Missbrauch der Justiz auflehnten. Schon 1844 hatte Heinrich Simon, Stadtgerichtsrat in Breslau, unter Hinweis auf die staatliche Gängelung der Justiz prophezeit: »Er wird fallen, der bisher so edle preußische Richterstand ..., und die Trümmer dieser Institution werden auf den preußischen Thron stürzen und auf die bürgerliche Freiheit des preußischen Volkes.« Ein Jahr später gab Simon sein Richteramt auf und schrieb an den König den bemerkenswerten Satz: »Nur auf das kann man sich stützen, was Widerstand leistet.« Für seine führende Rolle bei der Revolution wurde er dann in Abwesenheit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Anlässlich seines Todes im Schweizer Exil schrieb die liberale Nationalzeitung: »Das deutsche Volk hat einen seiner größten Bürger verloren ... Männer wie Heinrich Simon verkünden durch ihr Leben eine bessere Zukunft.«9

Auch in den nachrevolutionären Parlamenten war die politisch bewusste Richterschaft ein liberales Element. Das 1862 gewählte preußische Abgeordnetenhaus, in dem 230 Liberalen nur 11 Konservative gegenübersaßen, wurde wegen seines hohen Richteranteils als »Kreisrichterparlament« bezeichnet. Dieses Parlament führte während des bereits erwähnten Verfassungskonflikts über Jahre einen zähen Kampf gegen das reaktionäre preußische Regime. Bismarck sprach damals abschätzig von »Kreisrichtern und anderen Revolutionärs« und hatte damit gar nicht so unrecht. Viele Richter hatten eine revolutionäre Vergangenheit, sogar der eher staatstragende erste Präsident des 1879 gegründeten Reichsgerichts, Martin Eduard von Simson, soll im März 1848 bewaffnet an der Seite aufrührerischer Studenten gestanden haben.10

Und selbst nach ihrer teilweisen Domestizierung als Parlamentsabgeordnete bereiteten einige Richter Bismarck noch große Schwierigkeiten. Karl Twesten beispielsweise, Stadt­rich­ter in Berlin und als Verfasser einer Reihe von Flugschriften gegen die preußische Reaktion (»Freund, jetzt ist Zeit zu lärmen!«) bekannt geworden, hatte als Landtagsabgeordneter Manipulationen der Regierung bei der Besetzung von Richterämtern aufgedeckt und war dafür strafrechtlich verfolgt worden, obwohl die Verfassung freie Rede im Parlament garantierte. Nach einem erregten Rededuell zwischen Twesten und Bismarck stimmte der Landtag ab: 283 Abgeordnete missbilligten die Maßregelung des mutigen Richters, Bismarck konnte nur 35 Abgeordnete hinter sich bringen.11

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