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Der höchste Richter
ОглавлениеErwin Konrad Eduard Bumke wurde als Sohn vermögender Eltern – sein Vater war Arzt – am 7. Juli 1874 im pommerschen Stolp geboren. Nach Abitur, Studium, Doktorprüfung, Referendar- und Assessorenzeit bekam er 1905 eine Stelle als Landrichter in Essen.
Da er intelligent, strebsam, finanziell unabhängig und zudem streng konservativ in seinen politischen Einstellungen war, machte Bumke schnell Karriere. Bereits 1907 wurde er kommissarischer Hilfsarbeiter beim Reichsjustizamt – wie das Reichsjustizministerium damals hieß –, und schon 1909 ernannte man ihn dort zum Geheimen Regierungsrat. Nach der Teilnahme am Weltkrieg – letzter Dienstgrad: Hauptmann der Landwehr – wurde er 1920 zum Ministerialdirektor und Abteilungsleiter im nunmehr demokratisch geführten Reichsjustizministerium befördert. In dieser Funktion formulierte er mehrere Notverordnungen, die tief in die deutsche Rechtsordnung eingriffen und, wie Kritiker meinten, zumindest das Strafprozessrecht in voraufklärerische Zeiten zurückwarfen. Nachdem der Reichsgerichtspräsident Simons 1929 vorzeitig aus dem Amt geschieden war, berief man Bumke zu seinem Nachfolger. Gleichzeitig wurde er Präsident des 3. Strafsenats dieses Gerichts, Präsident der Vereinigten Senate und Vorsitzender des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich.117 Durch die schleppende Behandlung der Klage der sozialdemokratischen Regierung des Landes Preußen gegen ihre Absetzung durch den Reichskanzler von Papen am 20. Juli 1932, den sogenannten Preußenschlag, und mit dem skandalösen Urteil, in dem er diesen Staatsstreich im Großen und Ganzen für rechtens erklärte, schuf der Staatsgerichtshof unter Bumkes Vorsitz eine günstige Voraussetzung für die nationalsozialistische Machtergreifung: Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde und Hermann Göring zum kommissarischen preußischen Innenminister machte, war die preußische Polizei, jener so wichtige Machtfaktor der Weimarer Republik, wie erwähnt schon weitgehend von demokratischen Elementen »gesäubert« und auf die kommenden innenpolitischen Auseinandersetzungen vorbereitet.
Im Dezember 1932 avancierte der Reichsgerichtspräsident sogar zum Stellvertreter des Reichspräsidenten und damit – zumindest nach dem Protokoll – zum zweiten Mann im Staate. Als dann nach der Machtergreifung der Nazi-Terror zur Ausschaltung der politischen Opposition immer brutaler wurde, soll Bumke »aufs schwerste bedrückt« gewesen sein und insgeheim auch an Rücktritt gedacht haben.118 Zu einer öffentlichen Distanzierung hat sein Unwille jedoch nicht gereicht. Dabei war er keineswegs der Mann, der jede Maßnahme ohne Protest hinnahm. In einem Brief an die Reichskanzlei hatte er sogar einmal wirklich mit Rücktritt gedroht. Das Schreiben gipfelte in den mutigen Worten: »Es ist für mich ein kaum erträglicher Gedanke, dass mein Name mit einer Periode der Geschichte des Reichsgerichts verbunden sein soll, die seinen Niedergang bedeutet.« Bumkes Auflehnung richtete sich aber nicht gegen die Entlassung der jüdischen Richterkollegen, die Gleichschaltung der Justiz oder die Ermordung der Regimegegner; der Brief wurde auch nicht 1933 geschrieben, sondern bereits im Januar 1932 – als Protest gegen Pläne, den Reichsrichtern im Rahmen der Brüning‘schen Sparmaßnahmen die extrem hohen Pensionen auf maximal 12.000 Mark zu kürzen. Für Bumke war es damals »fast eine Unmöglichkeit, der oberste Richter eines Staatswesens zu bleiben, das sich vom Rechtsgedanken so weit entfernt, wie dies mit der Annahme des Pensionskürzungsgesetzes geschehen würde«.119
Nachdem im Dritten Reich »Ruhe und Ordnung« eingekehrt waren, in der Phase der Konsolidierung nationalsozialistischer Herrschaft, trat das ehemalige Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei 1937 der NSDAP bei. Bereits ein Jahr später wurde ihm das goldene Parteiabzeichen verliehen. Bumke genoss in so hohem Maße das Vertrauen Hitlers, dass er nicht nur zusätzlich Vorsitzender des Besonderen Senats (des »Führers Gerichtshof«, wie dieser sich stolz nannte), der über die im Namen des Diktators erhobenen »außerordentlichen Einsprüche« gegen alle Strafurteile zu entscheiden hatte, fungieren durfte; aufgrund eines Führererlasses vom 4. Juli 1939 wurde er mit der Vollendung seines 65. Lebensjahres auch nicht pensioniert, sondern zunächst für drei Jahre. und selbst nach Ablauf dieser Frist weiterhin im Amt belassen. Dieses Vertrauens erwies sich der Reichsgerichtspräsident – wie noch zu zeigen sein wird – in jeder Hinsicht würdig: bei der extremen Auslegung des sogenannten Blutschutzgesetzes wie bei der »Korrektur« rechtskräftiger Urteile und in der Sitzung der Spitzen der deutschen Justiz zur Besprechung der Modalitäten der Massenmorde an Behinderten. Am 20. April 1945, beim Einmarsch der amerikanischen Armee in Leipzig, schied Reichsgerichtspräsident Dr. Dr. h. c. Erwin Bumke freiwillig aus dem Leben.