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3. Die Richter der Weimarer Republik
ОглавлениеMit dem Untergang des Kaiserreichs und der Ausrufung der Republik – ausgerechnet auch noch durch einen Sozialdemokraten – brach für die monarchistisch eingestellte Richterschaft eine Welt zusammen. »Jede Majestät ist gefallen«, klagte der Vorsitzende des Richterbundes, Johannes Leeb, »auch die Majestät des Gesetzes.« In den Gesetzen der Republik sah er »Lügengeist«, »Partei-, Klassen-, Bastardrecht«.25 Der Richterschaft wurde jedoch ihre Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit garantiert, und Richtern, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, der Republik statt dem Kaiser zu dienen, bot die Regierung an, sich bei Wahrung aller materiellen Ansprüche in den Ruhestand versetzen zu lassen. Von diesem Angebot machten jedoch weniger als 0,15 Prozent der Richter Gebrauch.26
In einem Rückblick beschrieb Reichsgerichtspräsident Dr. Walter Simons 1926 den Umbruch: »Bei uns ist das Richtertum der Monarchie als Ganzes in den neuen Staat hereingegangen, ... mit vollem Bewusstsein ..., aber mit dem neuen Regime bekam der Richter nicht den neuen Geist. Es wäre erstaunlich, wenn es anders gewesen wäre. Der Geist musste bleiben«; und nicht ohne Stolz fügte Simons hinzu: »Der Richter ist konservativ.«27 Die in ihrer Mehrheit nun der am rechten Rand des Parteienspektrums angesiedelten Deutschnationalen Volkspartei anhängende Richterschaft hielt Distanz zur Republik und orientierte sich an dem, was von den alten Werten noch geblieben war. Bereitwillig übernahm sie den in konservativen Kreisen gepflegten Mythos von dem im Felde ungeschlagenen Heer, das lediglich durch Sabotage an der Heimatfront unterlegen sei (die sogenannte »Dolchstoßlegende«), und widmete sich der Ausschaltung des »inneren Feindes«.
Als Carl Schmitt, den man getrost den Staatsdenker des Dritten Reichs nennen kann, 1927 in seiner Schrift Der Begriff des Politischen das polarisierende Freund-Feind-Denken wissenschaftlich hoffähig machte, traf er wie kein anderer das konservative Politikverständnis. Für ihn war »die spezifisch politische Entscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen ..., die Unterscheidung von Freund und Feind«. Sie hatte den Sinn, »den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung« zu bezeichnen, der politische Feind ist »eben der andere, der Fremde, und es genügt seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, nicht durch den Spruch eines Unbeteiligten und daher unparteiischen Dritten«, das heißt weder durch Gesetz noch durch Richterspruch, »entschieden werden können«. Nach dieser Lehre erhalten die Begriffe »Freund, Feind und Kampf ... ihren realen Sinn dadurch, dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und behalten«.28
Schmitt hatte diese Unterscheidung nicht erfunden, sondern nur mit dem ihm eigenen Gespür für den Zeitgeist auf den Begriff gebracht. Schon bald nach den »revolutionären Explosionen«, für die der Zündstoff im Grabenschlamm des 1. Weltkrieges zusammengetragen worden war (Otto Kirchheimer),29 machte sich die Justiz daran, Freund und Feind zu unterscheiden und damit die Unterscheidung von Opposition und Verrat, die große Leistung der Justiz des 19. Jahrhunderts, zu beseitigen. In welchem Umfang dies geschah, zeigen die juristischen Nachspiele größerer politischer Erschütterungen in der Frühzeit der Republik: der Münchner Räterepublik von 1919 und des Kapp-Putsches von 1920.
Der erste Ministerpräsident des »Volksstaats Bayern«, Kurt Eisner (USPD), der im November 1918 in München die Republik ausgerufen hatte, war am 21. Februar 1919 auf seinem Weg in den Landtag ermordet worden. Zwar bildete sich zwei Wochen später eine neue Regierung unter dem Mehrheits-Sozialdemokraten Hoffmann, die Anhänger Eisners waren durch den Mord jedoch dermaßen radikalisiert, dass sie am 7. April 1919 in München die Räterepublik ausriefen. Am 14. April übernahmen die Kommunisten die Führung (sogenannte zweite Räterepublik), eine Rote Armee wurde gebildet und eine Rote Garde sollte die Aufgaben der Polizei übernehmen. Als knapp zwei Wochen später die von der Reichsregierung »zur Wiederherstellung der Ordnung« entsandten Reichswehrtruppen in Bayern einmarschierten, war die Räterepublik schon an ihren inneren Auseinandersetzungen zerfallen. Die Regierungstruppen richteten jedoch mit ihren standrechtlichen Erschießungen und Morden unter der Münchner Arbeiterschaft ein wahres Blutbad an. Wilhelm Hoegner, damals in Bayern Staatsanwalt, berichtet von 1100 Toten.30 Nach Beendigung dieses »weißen Schreckens« wurden in Bayern nunmehr mit Juristen besetzte Standrechtliche Gerichte gebildet, die auch nach der Aufhebung des Standrechts am 19. Juli 1919 und ihrer Umbenennung in Bayerische Volksgerichte praktisch bestehen blieben.31 Vor dem Standrechtlichen Gericht München wurden alle führenden Räterepublikaner, die den Terror der Reichswehr überlebt hatten, wegen Hochverrats angeklagt. Nach einer amtlichen Auskunft an den Reichstag verurteilte dieses Gericht einen Angeklagten zum Tode und 2209 zu Freiheitsstrafen. Von den verhängten 6080 Jahren Freiheitsstrafen mussten 4400 abgesessen werden.32
Das größte hochverräterische Unternehmen der 14 republikanischen Jahre, der Kapp-Putsch im März 1920, der das Reich an den Rand des Bürgerkriegs brachte, die Reichsregierung zur Flucht aus Berlin zwang und in dessen Verlauf die Putschisten über 200 standrechtliche Erschießungen vornahmen, hatte dagegen nur eine einzige Verurteilung zur Folge, und lediglich zur gesetzlichen Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft. Zwar wurden zunächst wegen 507 Verbrechensfällen Ermittlungen eingeleitet,33 ein Amnestiegesetz vom 4. August 1920 sorgte jedoch dafür, dass der größte Teil der Beschuldigten außer Verfolgung gesetzt wurde.34 Nachdem man mehreren Anführern des Unternehmens die Flucht ins Ausland ermöglicht hatte, »Reichskanzler« Kapp in der Untersuchungshaft verstorben war und man das Verfahren gegen General Ludendorff eingestellt hatte, wurden vor dem 1. Strafsenat des Reichsgerichts lediglich der frühere Berliner Polizeipräsident Traugott von Jagow (»Innenminister«), der Rittergutsbesitzer von Wangenheim (»Landwirtschaftsminister«) und der Sanitätsrat Dr. Schiele (Vertrauensmann Kapps) angeklagt. Die Verfahren gegen Wangenheim und Schiele stellte das Reichsgericht ein, nur Jagow wurde verurteilt.35
Neben dem krassen Missverhältnis der Verurteilungen reizen die Verfahren zu vielerlei anderen Vergleichen. Schon das Amnestiegesetz war so abgefasst, dass nur »Personen, die an einem hochverräterischen Unternehmen gegen das Reich« mitgewirkt hatten, straffrei blieben, also nicht die verurteilten Räterepublikaner. Von der Amnestie waren aber »Urheber oder Führer des Unternehmens« ausgeschlossen. Daraufhin wurden zum Beispiel General von Lettow-Vorbeck, der die mecklenburgische Landesregierung verhaftet und mehrere Erschießungen angeordnet hatte, sowie der Kieler Oberbürgermeister Lindemann, während des Putsches Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein, als »Mitläufer« außer Verfolgung gesetzt.36 In den Münchner Prozessen war dagegen ein Schneidermeister aus Rosenheim, an dessen geistiger Klarheit erhebliche Zweifel bestanden und der nach seiner Verurteilung ein Gnadengesuch »an den König Ludwig« richtete, zu einem der Führer des hochverräterischen Unternehmens befördert worden.37 So hatte die Münchner Räterepublik über 2200 »Führer«, während sich bei der gerichtlichen Aufarbeitung des Kapp-Putsches herausstellte, dass dieser offensichtlich führerlos gewesen war.
Bei der Strafzumessung für politische Täter spielte die »Gesinnung« eine große Rolle; die relativ komfortable Festungshaft konnte nur verhängt werden, wenn der Angeklagte nicht aus »ehrloser Gesinnung« gehandelt hatte. Während nun die Justiz bei 97 Prozent der verurteilten Räterepublikaner eine »ehrlose Gesinnung« annahm,38 ging in dem anderen Prozess bereits der Anklagevertreter, Oberreichsanwalt Ebermayer, von Jagows »unzweifelhaft edlen Motiven« aus, und das Urteil geriet förmlich ins Schwärmen, er sei »unter dem Banner selbstloser Vaterlandsliebe ... dem Rufe Kapps« gefolgt.39 Jagow wurde nach drei Jahren begnadigt. Danach klagte er durch alle Instanzen um seine Pension als ehemaliger Polizeichef und königlich-preußischer Regierungspräsident. Gemäß § 7 des Preußischen Disziplinargesetzes, der vorschrieb, dass bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr der Verlust des Amtes beziehungsweise der Ruhestandsbezüge automatisch eintrete, hatte man Jagow die Pension gestrichen. Nachdem seine Klage gegen diese Maßnahme vom Landgericht und vom Kammergericht in Berlin abgewiesen worden war, verurteilte der 3. Zivilsenat des Reichsgerichts das Land Preußen, dem Putschisten rückwirkend ungeschmälert die Präsidentenpension zu zahlen.40 Das Gericht begründete Jagows Pensionsanspruch damit, dass das Strafgericht den Amtsverlust – und damit den Verlust der Pensionsbezüge – nicht ausdrücklich als Nebenstrafe ausgesprochen habe. Dies wäre aber völlig unsinnig gewesen, da nach dem Disziplinargesetz der Verlust automatisch mit der Verurteilung eintrat. General von Lüttwitz, der militärische Kopf des Unternehmens, erhielt, obwohl er sich nach dem Fehlschlag des Putsches auch noch unerlaubt von der Truppe entfernt und mit falschen Papieren nach Schweden abgesetzt hatte, seine Pension sogar rückwirkend vom Zeitpunkt der Revolte an.41
Der Witwe eines Kieler Arbeiters, der dem Aufruf der Reichsregierung, gegen die Hochverräter Widerstand zu leisten, gefolgt und dabei zu Tode gekommen war, sprach das Reichsversorgungsgericht mit Urteil vom 27. Januar 1925 dagegen eine Hinterbliebenenrente ab mit der Begründung, dass »zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ... Polizei und notfalls das Militär« berufen seien (ausgerechnet das Militär, das ja mit seinem Staatsstreich die öffentliche Ordnung erschüttert hatte!). Daher falle dem Verstorbenen »der durch seine Tötung verursachte Schaden in vollem Umfang selbst zur Last«, womit alle Ansprüche der Hinterbliebenen verwirkt seien.42 Das Landgericht Schwerin erklärte im nachhinein sogar die Erschießung streikender Arbeiter durch die Putschisten für legal, da sie »in der Verordnung Nr. 19 des damaligen Reichskanzlers« ihre »rechtmäßige Grundlage« gehabt hätten.43