Читать книгу Tochter Gottes, erobere die Welt - Inka Hammond - Страница 12
Sehnsucht nach Mehr
ОглавлениеMeine ganze Jugendzeit hindurch war ich hin- und hergerissen zwischen meiner Sehnsucht nach Mehr und all den Hindernissen, denen ich begegnete. Ich wollte unbedingt reisen und die Welt sehen und gleichzeitig quälten mich so große Verlustängste, dass es mir kaum möglich war, mein Zuhause zu verlassen. Ich kann mich an einen mehrwöchigen Aufenthalt in einem Kloster erinnern, wo ich mit anderen jungen Frauen am ganz normalen Tagesablauf der Schwestern teilnahm und einen anderen Lebensrhythmus kennenlernte. Ich weiß noch, dass ich für eine Woche nach Israel flog und einer alleinerziehenden jüdischen Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern half. Ich habe auch meine Brieffreundin in England besucht und an der einen oder anderen Jugendfreizeit teilgenommen. Doch immer begleiteten mich Ängste: die Angst, dass mir etwas zustoßen könnte (ich sah vor meinem inneren Auge Flugzeuge explodieren und Autos kollidieren), die Angst, dass mein extrem schlimmes Heimweh mich überwältigen würde, die Angst, dass ich krank werden würde. Ich hatte also eine große Sehnsucht nach Abenteuer und gleichzeitig empfand ich mich als die ungeeignetste Kandidatin für ein Leben da draußen in der großen, weiten Welt.
Je mehr mein Schulabschluss nahte, desto unsicherer wurde ich. Was sollte ich mit meinem Leben anfangen? Welchen Beruf sollte ich ergreifen? Die verschiedenen Möglichkeiten kamen mir so unattraktiv vor wie eh und je. Kurzentschlossen meldete ich mich – aus Mangel an Alternativen – an einer weiterführenden Schule an, aber merkte dort bereits nach sechs Wochen, dass das nicht mein Platz war. Ich wechselte in die Ausbildung zur Erzieherin und fand mich gut aufgehoben, aber meine tiefe, nagende Sehnsucht nach einem anderen Leben wurde auch dort überhaupt nicht erfüllt. Zusätzlich befand ich mich in einer ernsten Beziehung mit einem um einige Jahre älteren Mann, mit dem ich Heiratspläne schmiedete. Wir besichtigten sogar schon die Wohnung, in die wir zusammen ziehen wollten.
Irgendwann machte es klick. So wollte ich nicht leben. Die Worte von damals hallten in meiner Seele nach. Ich wollte ein Leben voller Abenteuer. Farbenfroh. Ich wusste: Ich muss weg. Ausbrechen aus der Kleinstadtidylle, ausbrechen aus Erwartungen, die an mich gestellt wurden, ausbrechen aus dem überschaubaren Weltbild, das so überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, wonach ich mich sehnte.
Es war ein Schritt auf das Wasser. Ein bisschen so wie in der Szene aus dem Prolog: Es schien unmöglich, die Hindernisse und die »Ja-Abers« türmten sich vor mir auf, doch auf der anderen Seite des Ufers war das verheißene, ersehnte Land! Also wagte ich mich Schritt für Schritt hinaus und erlebte Wunder und offene Türen. Finanzen wurden zur Verfügung gestellt, Unmöglichkeiten aus dem Weg geräumt und ich wurde zur Weltenbummlerin: von Franken an den Bodensee, von dort nach Amerika und dann nach Wien. Ich genoss das Abenteuer und mein so ganz anderes Leben. Noch immer wusste ich nicht genau, wo die Reise hingehen sollte, aber ich blühte auf und dachte, ich sei im farbenfrohen Leben angekommen. Das musste es sein, was die Prophezeiung aus meiner Jugend besagt hatte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es so weitergehen können.
Aber es kam anders: Nachdem ich geheiratet hatte, fanden mein Mann und ich uns plötzlich da, wo keiner von uns beiden jemals hinwollte: in einem 08/15-Leben. Ein normaler Job, ein normaler, vorhersehbarer Alltag, langweilige, enge Umstände. Ich sah mich Zerbruch, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit gegenüber. Erlaubte Gott sich einen Scherz? Hatte er mich das Abenteuer schmecken lassen, nur um mich dann in ein tristes Dasein fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel? Mein Mann und ich zogen sogar in die Stadt zurück, aus der ich vor Jahren als blutjunges Mädchen weggezogen war, um die Welt zu erobern. Mein Leben zerfiel in viele Scherben und ich versuchte, mich mit den Bruchstücken zu arrangieren. Die Worte, die mir als 13-jähriges Mädchen zugesprochen worden waren, klangen mittlerweile wie Hohn in meinen Ohren. Würde ich jemals meinen Traum leben können?