Читать книгу Tochter Gottes, erobere die Welt - Inka Hammond - Страница 8

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PROLOG

Meine Füße schmerzen und mein Mund fühlt sich trocken an. Das Schlucken tut weh; ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas getrunken habe. Ich frage mich, wann wir endlich im verheißenen Land ankommen. Die Euphorie der ersten Tage ist schon lange vorbei. Die einst glänzenden Schwerter sind dreckig und oft auch stumpf. Einige von uns haben ihre Helme verloren und ihre Gedanken von Lügen vergiften lassen. Der Gürtel der Wahrheit ist bei manchen nur noch ein Fetzen, die Stiefel des Friedens sind abgetragen. Nicht wenige haben den Schild des Glaubens irgendwo liegen gelassen, weil die zusätzliche Last zu schwer schien.

Und der Feind rastet und ruht nicht. Ständig müssen wir auf der Hut vor Hinterhalten sein. Hinter jedem Felsen, hinter jeder Wegbiegung lauert Gefahr und es wird immer schwieriger, schnell und achtsam zu reagieren. Unsere Armee ist geschrumpft. Viele schleppen sich nur mit letzter Kraft weiter, desillusioniert und voller Fragen.

Ich hebe meinen Kopf. Da vorne reitet auf einem weißen, edlen Pferd unser Erlöser. Dann und wann sehe ich sein Schwert in der Sonne aufblitzen, doch die meiste Zeit erahne ich nur seine Gegenwart. Er geht uns auf diesem gefährlichen Weg voran und das Ziel ist unser verheißenes Land, das Land unserer Träume – doch die Reise scheint endlos. Ich erinnere mich noch, als er uns eingeschworen hat. Er ritt auf und ab vor den endlosen Reihen unserer erlösten Schar. Frau an Frau, Kriegerin an Kriegerin. Wir reagierten mit lautem Jubel auf seine Rufe:

»Folgt mir nach, ihr tapferen Töchter! Wenn ihr nur bei mir bleibt, werdet ihr große Siege erleben! Ihr werdet durch das Feuer gehen, aber es wird euch nicht verbrennen! Ihr werdet durch reißendes Wasser gehen, aber ihr sollt nicht ertrinken! Nichts ist euch unmöglich, wenn ihr mir treu bleibt! Lasst euch vom Feind nicht täuschen. Er geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Vergesst nicht: Ihr seid mehr als Überwinder! Mutig, furchtlos und entschlossen. Habt keine Angst. Ich bin diesen Weg schon vor euch gegangen. Ich habe alle Gefahren bereits überwunden. Folgt mir nach, ihr tapferen Töchter!«

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich es noch: unsere Schwerter in die Luft gehoben, bereit zum Kampf. Nichts schien zu groß oder zu schwer zu sein. Wir jubelten und brüllten unseren Siegesschrei.

Und jetzt: Viele können sich kaum mehr an die Worte unseres wunderbaren Erlösers erinnern. Der Weg durch die Wüste verlangt uns alles und noch mehr ab. Wann kommen wir endlich an? Wo ist dieses Land? Hat unser Heerführer uns vergessen? Führt er uns überhaupt noch an? Oder sind wir schon längst in diesem harten, kargen Land verloren gegangen?

Meine müden Füße kicken Steine vor sich her. Sie rollen ein paar Meter, bis ich sie erneut anstoße. Schon lange marschieren wir nicht mehr in geordneten Reihen. Die festen Schritte wurden irgendwann zu einem kraftlosen Schlurfen.

Die Frau neben mir bleibt plötzlich stehen. Sie greift nach meinem Arm und hält mich zurück. Ich hebe meinen Kopf, das Stehenbleiben erinnert mich an meine schmerzenden Beine. Der Drang, mich einfach hinzusetzen, ist überwältigend groß. Ich wende mich an die Kriegerin neben mir und sehe sie fragend an. »Hörst du das nicht?«, fragt sie. Ich blicke wieder geradeaus und konzentriere mich. Weiter vorne sind ebenfalls einige Frauen stehen geblieben und hören angestrengt in die Wildnis hinein. Da nehme ich es wahr: ein eigenartiges Rauschen, ein leichtes Beben unter meinen Füßen. »Wasser!«, schreit jemand, »Wasser!« Ehe ich realisiere, was das bedeutet, werde ich auch schon mitgerissen. Alle Lähmung fällt ab, das müde Laufen wird zu schnellem Rennen. Der Durst treibt uns an und wir können kaum glauben, dass irgendwo in der Nähe, inmitten dieser unwirtlichen, trockenen Gegend, ein Fluss zu sein scheint. Ich renne, lasse mich mit hineinnehmen in diese plötzliche Freude. »Wasser, Wasser!« Das Wort pulsiert durch meinen ganzen Körper und treibt mich an.

Und da sehe ich es: glitzerndes Nass. Ein mächtiger Strom schiebt sich rauschend und rumorend durch ein tiefes Flussbett. Die Ersten von uns knien bereits am Ufer und trinken gierig. Ich lasse mich auch sofort fallen, forme mit meinen Händen eine Schale und lasse das kühle Wasser über mein Gesicht rinnen. Ich trinke schnell und hastig und bekomme kaum mit, dass die Frauen neben mir ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anderes richten als das Wasser. Da höre ich, wie Pferdehufe sich knirschend über die Steine nähern. Ich halte inne, das Gesicht tropfnass und schaue auf. Der Erlöser ist da. Ich kann nur die untere Hälfte des Pferdes erkennen. Der Sattel und das Zaumzeug leuchten so strahlend hell, dass meine Augen wehtun. Ich beuge meinen Kopf und höre seine Stimme:

»Ihr tapferen Töchter! Ihr habt es geschafft. Ihr habt die Wüste durchquert, habt dem Feind widerstanden und nicht aufgegeben. Ich weiß, es war hart und schwer, doch hier seid ihr nun. Euer verheißenes Land, das Land eurer Träume, liegt auf der anderen Seite des Flusses. Jede von euch hat ein bestimmtes Gebiet zugewiesen bekommen. Alles, was ihr tun müsst, ist diesen Fluss zu überqueren.«

Ein ungläubiges Murmeln erhebt sich. Den Fluss zu überqueren ist unmöglich! Die reißenden Ströme sind unüberwindbar! Ich höre enttäuschte und wütende Ausrufe. Auch ich kann es nicht glauben. Sind wir den ganzen Weg durch die Wüste gegangen, nur um an einem unüberwindbaren Hindernis zu scheitern? Irgendwo muss es eine Brücke geben. Unser Erlöser muss doch wissen, dass dieser Weg eine Sackgasse ist.

Gerade will ich mich an ihn wenden und ihm meine Fragen zurufen – doch er ist nicht mehr zu sehen. Das weiße Pferd ist verschwunden. Der helle Glanz scheint sich nur noch auf den weißen Kieselsteinen widerzuspiegeln.

Ich beobachte, wie viele Frauen sich kraftlos fallen lassen, andere wenden sich um, um denselben Weg zurückzugehen, den sie gekommen sind. Ich bekomme mit, wie einige darüber reden, hier am Ufer eine Siedlung zu gründen. Sprachlos sehe ich wieder zum Fluss. Die Wellen rauschen laut. Auf der anderen Uferseite kann ich weiche, grüne Hügel erkennen. Es ist ein fruchtbares Land. Ich spüre instinktiv, dass dort drüben meine Träume wahr werden. »Land der Träume«, so hat es der Erlöser genannt. Ja, dort drüben werde ich aufblühen und glücklich werden. Ich lege meine Rüstung ab, und ohne es bewusst zu wollen, gehe ich einen Schritt nach vorne. Meine Knöchel werden umspült von eiskaltem Wasser und für einen Moment ist mir schwindelig. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Die reißende Strömung bringt mich fast aus dem Gleichgewicht. Torkelnd strecke ich meine Arme aus, um wieder stabiler stehen zu können. Ich werde umkommen, wenn ich weitergehe. Das schaffe ich niemals. Einige Frauen beobachten mich vom Ufer aus. Ich höre, wie jemand ruft: »Komm zurück, du bringst dich um!«

Noch ein Schritt. Nur ein Schritt. Ich halte meinen Blick fest auf die andere Uferseite gerichtet. So nah und doch unendlich fern. In mir drin überwältigt mich die Sehnsucht nach diesem verheißenen Land. Fast schlimmer als der Durst quält mich das Verlangen, dort anzukommen. Meine Füße finden kaum noch Halt auf dem schlammigen Boden und das Wasser rauscht unbarmherzig weiter.

Da erfasst mich eine unbändige Kraft und legt sich wie Fesseln um meine Füße. Ich falle, mein Kopf gerät unter Wasser und ich schnappe panisch nach Luft. Als ich mich wieder an die Oberfläche kämpfe, scheint die Luft von einer übernatürlichen Macht zu vibrieren. Das Wasser wird wie magnetisch nach oben gezogen. Strudelförmig bilden sich Wasserberge und das ewige, laute Rauschen des Flusses ist unterbrochen. Eine Wolke von kleinsten Wassertropfen erfüllt die Luft. Sprachlos beobachte ich, was vor meinen Augen passiert. Ich kann es nicht glauben. Das Wasser wird immer weniger, die Strömung immer schwächer und einige der großen Steine, die vorher inmitten des Flussbetts verborgen waren, werden plötzlich sichtbar und trocknen schon in der Sonne. Hier und da zappeln Fische um ihr Leben. In unglaublicher Schnelligkeit sinkt der Flusspegel. Das Hindernis löst sich buchstäblich in Luft auf.

Ich kämpfe mich etwas unsicher zurück auf meine Füße. Um mich herum staunende Stille. Niemand kann fassen, was gerade passiert ist: Der Weg ist frei. Das verheißene Land wartet darauf, erobert zu werden.

Entschlossen hole ich meine Rüstung und gehe los. Der Verheißung entgegen.

Tochter Gottes, erobere die Welt

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