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Neuntes Kapitel

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Für ein paar Minuten sind sie mit Köberer allein im Saloon. Der düstere Gastraum, der nur von ein paar Öllampen beleuchtet wird, ist eigentlich nicht mehr als ein grob gezimmerter Bretterverschlag. In einigen Wochen wird er bereits wieder leer stehen. Kalter Wind wird dann über den Tanzboden in der Mitte des Raumes pfeifen und Schnee wird durch die Löcher im Dach herabrieseln. Wenn es Winter wird in den Bergen rund um den Lake Tahoe, bleibt kaum jemand freiwillig im Goldgräbergebiet.

Der Abend beginnt mit einem schrillen Quäken, Stöhnen, Pfeifen und Klingeln aus Köberers tragbarer Drehorgel. Luise kennt die fünf oder sechs Melodien, die er aus dem schwarzen Kasten herausleiert, längst auswendig. Schon vor dem ersten Ton weiß sie, welches Stück als nächstes erklingen wird.

Und doch erwacht mit dieser Musik für einen kurzen Moment wieder die Sehnsucht in ihr. Wie damals, in den Gassen von Langenhain, träumt sie von Amerika. Von einem Land, in dem sie in Wirklichkeit längst angekommen ist.

Kaum eine Woche waren sie in San Francisco, da saß Köberer schon beim Schneider in der Gaststube. Luise konnte den Alten mit dem schütteren Haar und der speckigen Jacke von Anfang an nicht leiden. Nichts an ihm sah so blendend schön aus, wie sie sich das Leben in Kalifornien vorgestellt hatte.

„Er ist ein Mädchenhalter“, zischte Anna ihr zu, bevor sie zu ihm an den Tisch geschoben wurde, „streng dich ein bisschen an!“

Sie lächelte brav zur Begrüßung, aber dann rutschten ihre Mundwinkel wieder nach unten. Köberer schien es egal. Die Wahl zwischen Luise und der blassen, verstockten Tesi fiel ihm nicht schwer. Und Anna, die kurz vor der Niederkunft stand, hatte Schneider ihm gar nicht erst angeboten.

Was ein Mädchenhalter ist, wusste Luise in San Francisco noch nicht so genau. Doch sie war froh, dass sie nicht mehr nutzlos mit den Schneiders in der Herberge herumhocken musste.

Inzwischen hat sie gelernt, welchem Geschäft diese Männer nachgehen: Sie nennen sich Musikanten, aber in Wirklichkeit können sie nur eine Drehorgel bedienen. Ihr Geld verdienen sie damit, deutsche Mädchen in den Saloons der Goldgräberstädtchen zum Tanzen und Trinken zu vermieten. Hurdy Gurdy Girls nennt man sie hier, weil sie anfangs zur Musik von Drehleiern durch das Goldgräberland zogen. Die Arbeiter, die den ganzen Sommer über in den Minen schuften, verzehren sich regelrecht nach einem weiblichen Wesen und sind bereit, einen oder sogar zwei Vierteldollar für jeden Tanz zu bezahlen.

Sobald die ersten Töne nach draußen dringen, strömen Burschen herein. Schon seit einiger Zeit lungern sie auf der staubigen Hauptstraße herum, warten nur auf diesen Moment. Ihre erste Runde müssen die Mädchen in ihren bauschigen Röcken allein auf dem Tanzboden drehen und sich von allen Seiten begutachten lassen. Erst danach nimmt der Wirt Bestellungen für Tänze und Drinks entgegen.

Noch nie war Luise so wunderschön angezogen. Ihr Kleid ist aus einem schimmernden dunkelgrünen Stoff, wenn auch etwas zu klein: Das Oberteil endet weit oberhalb ihres Bauchnabels. Der Rock, der über der nach oben verrutschten Taille in unzähligen Falten aufspringt, reicht nur ein kleines Stück über ihre Knie. Und die schwarze Miederjacke schnürt sie besser nicht enger zusammen: Sie spannt ohnehin über der Brust und kneift unter den Armen.

Sie weiß ja, dass sie nicht die Erste ist, die diese Sachen trägt. Jeden Tag näht sie ein paar Knöpfe wieder an, flickt Nähte und stopft Löcher, damit ihr die ganze Pracht nicht in Fetzen vom Leib blättert.

Billiger Tand, würde die Mutter schimpfen: Solche Kleider taugten nicht dazu, eine Frau für alle Festtage ihres Lebens auszustatten. Aber die Bäuerin Ludwig ist daheim in der Wetterau, und Luise mag ihr Tanzkostüm sehr. Wie schön wäre es, wenn Elisa sie einmal so fein herausgeputzt sehen könnte!

Die Schnürstiefel, die sie vom Köberer bekommen hat, sind leider auch etwas eng. Selbst wenn sie die Senkel nur locker bindet, drückt das Leder schmerzhaft auf ihren Spann, stößt sie sich jeden Abend die Fußspitzen blutig. Es nützt auch nicht viel, sich die Stofftücher, die an einigen Tagen des Monats ganz anderen Zwecken dienen, um die Zehen zu wickeln. Immerhin ist das Schuhwerk so robust, dass sie es kaum spürt, wenn ihr ein Bursche auf die Füße tritt.

Schnell füllt sich der Saloon mit dem Lärm und den Ausdünstungen Dutzender Männer. Den ganzen Tag haben sie in Felsen und im Dreck herumgepickelt oder im eiskalten Flusswasser gestanden. Jetzt stinken sie nach Schweiß und Schlimmerem.

Anfangs hat sich Luise vor diesen Kerlen mit ihren langen Bärten und den wilden Mienen gefürchtet.

„Was ist los?“, hat Köberer sie nach dem ersten Abend angeschnauzt, „was ziehst du dauernd für eine sauertöpfische Miene? Glaubst du, dass die Burschen das mögen? Die wollen mit dir ihren Spaß haben. Nur dafür zahlen sie!“ Luise wurde rot und antwortete nicht.

„Soll ich dich wieder zum Schneider bringen? Und mein Geld zurückverlangen, weil du nichts taugst?“, schimpfte Köberer weiter.

Bitte nicht, flehte sie stumm. Nicht jetzt, wo Anna in diesem Zustand war oder ein gerade erst geborenes Kind in den Armen hielt. Schneider würde sie bestimmt halbtot schlagen, wenn sie vor dem Ende der Saison nach San Francisco zurückkäme.

„Du kannst froh sein, dass der Georg dich so spät im Jahr noch vermietet hat“, hat Margarethe ihr zum Abschied zugezischt, „ist jedenfalls besser, als dich in eine Hafenspelunke zu geben.“

Da übt sie lieber zu lächeln. Mit dem kleinen, fast blinden Spiegel vom Waschtrog hockt sie tagsüber auf einem Balken hinter dem Haus. Stundenlang probt sie ihre Mundwinkel weit nach oben zu ziehen, bis ihr ein Grinsen gelingt, das einen ganzen Tanzabend lang wie festgefroren in ihrem Gesicht sitzen kann.

Wenn sie nach fünfzig, sechzig oder noch mehr Tanzrunden endlich auf ihr Schlaflager auf dem Dachboden sinkt, weicht die Grimasse wie von selbst aus ihrem Gesicht. Ihre Füße schmerzen, die Beine sind dick, die Augen brennen von dem beißenden Qualm im Saloon. Ihre Haut juckt, ihre Ohren sind wie taub von dem ständigen Lärm und sie will einfach nur schlafen.

Von den drei anderen Mädchen auf ihrem Lager weiß sie nicht viel mehr als die Vornamen: Marie, Elisabeth, Mathilde. Zwei sind Schwestern, gleichen sich mit ihren blonden Zöpfen und den schlichten, bäurischen Gesichtern wie Zwillinge. Die Dritte, Mathilde, ist ein hoch aufgeschossenes, dunkelhaariges Mädchen mit groben Gliedmaßen und Gesichtszügen. Sie ist die Einzige, die es wagt, dem Köberer seine Hand wegzuschlagen, wenn er ihren Hintern zu tätscheln versucht. Leider hat sie die abstoßende Gewohnheit, nach jedem Satz geräuschvoll ihre Spucke hochzuholen und ihren Mund hasserfüllt in die Breite zu ziehen.

Alle vier Mädchen stammen aus hessischen Bauerndörfern und sprechen denselben Dialekt. Luise versteht jedes Wort von den anderen und mag trotzdem nicht mit ihnen schwatzen.

Am Morgen bleibt sie so lange wie möglich liegen. Unten im Saloon erwartet sie doch nur der kalte Rauch vom Vorabend und die fade Grütze, die der Wirt ihnen hinstellt. Und manchmal Köberer. Wenn er den Vormittag über nicht schnarchend im Planwagen liegt, versucht er, sie anzutatschen, oder befiehlt ihr herrisch, den Tanzboden zu schrubben.

Erst gegen Mittag stiehlt sie sich deshalb nach unten, setzt sich in die milde Spätsommersonne auf den Hinterhof und stichelt stumm an ihrer Kleidung herum. Oft hocken die anderen Mädchen schon dort, lachen und schwatzen vertraut miteinander und bemerken Luise kaum.

Was geschieht, wenn eine mit einem Burschen im Hinterzimmer des Saloons verschwindet, will sie lieber nicht wissen. Mit leeren und gleichgültigen Gesichtern kehren sie danach auf den Tanzboden zurück, während die Männer blöde grinsend in die tiefschwarze Nacht hinaus stolpern.

Einmal hat Luise heimlich einen Blick in diesen Verschlag geworfen. Sie hat darin nur ein zerwühltes Lager erblickt und einen schäbigen Hocker, auf dem eine Schüssel mit grauem Wasser stand.

Nur noch ein paar Wochen, sagt sie sich jeden Abend nach dem Gebet. Dann bringt Köberer sie zurück nach San Francisco. Er hat es versprochen.

Wenn sie morgens die Augen aufschlägt, denkt sie als Erstes an Dora. An die Brüder, an die Tiere im Stall, den Vater, die Mutter und die Großmutter. Manchmal grübelt sie auch darüber nach, wohin es Elisa inzwischen verschlagen hat. Wie schön war es doch, als sie noch zusammen waren!

Sogar nach dem schäbigen Schlaflager, das sie mit Anna und Tesi geteilt hat, sehnt sie sich jetzt manchmal.

Hurdy Gurdy Girl

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