Читать книгу Liebe in den Augen des Wolfs - Iris W. Maron - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеDie Bäume schirmen das Sonnenlicht ab. Nur ab und an findet ein Strahl durch das dichte Geäst. Jedes Mal bin ich dann froh um meine Sonnenbrille. Der Wald ist malerisch und es macht Spaß, durch die Natur zu fahren. Die Strecke ist recht kurvig und zum Teil geht es neben der Straße steil bergab. Obwohl ich mich ans Tempolimit halte, fühle ich mich hier ein bisschen wie ein Rennfahrer. Ich bin nur froh, dass mir niemand entgegenkommt.
Durch den Rückspiegel sehe ich Sputnik auf der Rückbank sitzen. Er hechelt, die Zunge hängt ihm seitlich aus dem Maul und wie so oft scheint er zu grinsen. Er fährt gerne Auto, wie er überhaupt fast alles gerne macht. Er ist so ein unerschrockenes Kerlchen. Mit welcher Selbstverständlichkeit er sich seinen Platz in meinem Leben erobert hat, macht mich sprachlos. Während es für mich eine riesige Umstellung ist, plötzlich die Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu haben, reagiert Sputnik total gelassen auf alle Änderungen.
Manchmal wünschte ich, ich wäre ein bisschen mehr wie er.
Wir sind zum ersten Mal auf dem Weg in die Hundeschule. Ich denke, ein bisschen professionelle Unterstützung kann nicht schaden, während Sputnik und ich uns aneinander gewöhnen. Zwar kann er die wichtigsten Kommandos, doch Hundeerziehung ist weit mehr als »Sitz«, »Platz« und »Aus«. Außerdem habe ich die leise Hoffnung, in der Hundeschule nette Menschen zu treffen und Anschluss zu finden. Hunde sollen doch das Sozialleben beleben. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, welche Leute sich dort so einfinden.
Die Hundeschule ist neu und ich hoffe, sie hält, was sie verspricht. Die einzige Alternative hier in der Gegend ist die Hundeschule vom alten Schwämmke und dort will ich nicht hin. Ich habe in den letzten Jahren immer die Artikel über das jährliche Sommerturnier dort geschrieben und konnte bei der Gelegenheit beobachten, wie Schwämmke mit Hunden umgeht. Er ist einer von der ganz, ganz alten Schule. Für meinen Hund will ich aber moderne Trainingsmethoden. Die verspricht Christopher Lorenz in seiner Hundeschule laut Homepage. Gewaltfrei, an positiver Verstärkung orientiert und von aktueller Verhaltensbiologie informiert. Das klingt gut.
Auch am Telefon machte der Hundetrainer einen netten Eindruck. Er quetschte mich recht intensiv über Sputnik und mich aus und meinte dann, wir können bei einem Kurs mitmachen. Die anderen Hunde sollen in einem ähnlichen Alter sein wie Sputnik und von unseren Erwartungen her würden wir Menschen gut harmonieren, sagte er. Dass er darauf Wert legt, fand ich gut. Er wirkte freundlich und sympathisch mit dem leichten bayerischen Einschlag in der Sprachmelodie. Außerdem klang er noch recht jung. Aber er hat eine gute Ausbildung und viel Erfahrung. Das habe ich recherchiert.
Wieso er sich entschieden hat, die Hundeschule an einem derart entlegenen Ort zu eröffnen, erschließt sich mir jedoch nicht ganz. Die Fahrt zur Hundeschule ist ganz schön abenteuerlich. Ich musste ein ganzes Stück aus dem Ort hinausfahren, vorbei am Badesee und dann eine Weile durch den Wald. Ich bin der festen Meinung, mich verfahren zu haben, als mein Navi mich plötzlich anweist, rechts in einen Forstweg einzubiegen. Ich nehme die Abzweigung, auch wenn der Weg nicht so wirkt, als dürfte man hier entlangfahren.
Der Wald wird dichter. Sonnenstrahlen finden jetzt keine mehr zu mir, deswegen setze ich die Sonnenbrille ab und werfe sie auf den Beifahrersitz.
Der Weg ist uneben, ich werde etwas durchgeschüttelt. Ein Blick durch den Rückspiegel zeigt mir, dass Sputnik immer noch grinsend aus dem Fenster sieht. Vermutlich gefällt ihm, was er sieht. Mir gefällt es auch.
Ich fahre jetzt so langsam, dass ich, obwohl ich mich sehr auf den Weg konzentriere, auch etwas von meiner Umgebung mitbekomme. Fast schon mystisch sieht es hier aus. Linkerhand ist ein schmaler Bachlauf, an dessen Ufer moosbewachsene Steine liegen. Dahinter stehen Tannen so dunkel, dass man auf den ersten Blick erkennen kann, woher der Schwarzwald seinen Namen hat.
Es dauert eine Weile, bis ich wieder aus dem Wald herauskomme. Dann aber finde ich mich auf einer Anhöhe mit sensationeller Fernsicht wieder. Hügel, Wiesen, Felder und Wald so weit das Auge reicht. Ich erspähe sogar ein paar Pferde und muss lächeln. Idyllisch wie auf einer Postkarte.
Das Navi weist mich nach rechts und ich fahre noch ein Stück am Waldrand entlang, bis das Navi verkündet, ich hätte mein Ziel erreicht. Tatsächlich ist da ein kleiner Parkplatz neben einer eingezäunten Wiese.
Ich parke mein Auto neben zwei anderen, die schon dort stehen. Nachdem ich ausgestiegen bin, öffne ich die Hintertür und befreie Sputnik aus seinem Sicherheitsgeschirr. Sofort hüpft er aus dem Auto, schüttelt sich und sieht sich um. Ich tue es ihm gleich und entdecke zwei Dinge: Am Tor im Zaun ist ein Schild angebracht. Hundesprache steht da, das ist der Name der Hundeschule. Ich bin hier also richtig. Und auf der anderen Seite des Parkplatzes befindet sich eine ganz normal asphaltierte Straße. Es muss also noch einen anderen Weg hierher geben als den abenteuerlichen Forstweg, über den mich das Navi gelotst hat.
Sputnik scheint genug davon zu haben, hier nur herumzustehen und sich umzusehen. Er marschiert los, die Nase immer am Boden, am Zaun entlang. Mich schleift er an der Leine hinter sich her. Ja, das sollte anders aussehen, aber daran müssen wir eben noch arbeiten.
Zielsicher strebt Sputnik einen Zaunpfahl an und beschnuppert ihn konzentriert, ehe er sich umdreht und sein Bein hebt. Nachdem er den Zaunpfahl markiert hat, schnuppert er noch einmal und wie immer, wenn er das tut, kommt es mir vor, als würde er im Geiste ein großes Häkchen hinter einen Punkt auf seiner ganz persönlichen To-do-Liste setzen.
Anscheinend muss Sputnik noch einige weitere Punkte abhaken, denn er setzt sich sofort wieder in Bewegung. Da wir früh dran sind, gönne ich ihm noch eine kleine Runde und gehe mit ihm ein Stück. Ich lasse derweil meinen Blick über die Wiese schweifen, die wohl die Hundeschule ist. Schön sieht sie aus. Aber auch ganz anders, als ich Hundeschulen bisher so kenne. Die Wiese liegt an einem Hang und ist leicht abschüssig. Der Rasen ist längst nicht so akkurat gemäht wie bei Schwämmke, alles wirkt eher ein wenig wild. Löwenzahn sprießt auf dem Rasen und Klee, am Zaun wuchern Brennnesseln. Überall summt und brummt es.
Dort, wo ich gerade stehe, hat der Zaun ein kleines Loch – auch das gäbe es bei Schwämmke nicht, der würde sofort einen neuen Zaun anbringen lassen. Hier jedoch wurde vor das Loch kurzerhand ein Brett gelegt, um es zu stopfen. Vermutlich, damit keiner der Hunde während des Trainings abhauen kann. Auch eine Methode.
Auf der Wiese selbst stehen einige Geräte herum, wie ich sie vom Agility kenne, und mehrere Haufen Autoreifen liegen da. Oben neben dem Tor befindet sich eine kleine Hütte. Sie ist windschief und sieht aus, als würde sie schon lange der Witterung trotzen. Im Endeffekt ist es eine ehemalige Obstwiese, die zur Hundeschule umfunktioniert wurde. Einige Obstbäume stehen tatsächlich immer noch hier. Apfelbäume kann ich erkennen und das dort hinten müsste ein Pflaumenbaum sein. Er ist voller Früchte und ich bekomme Lust, nachher ein paar Pflaumen zu essen.
Plötzlich reißt mich eine laute Stimme aus meinen Gedanken.
»Ernst!«, ruft ein tiefer Bass. »Bleib hier! Ernst!!«
Bevor ich mich noch fragen kann, wer Ernst ist, springt auch schon ein Mops auf Sputnik zu. Wild hüpft er um meinen Hund herum und nachdem beide sich kurz beschnuppert haben, beginnen sie miteinander zu spielen. Was mit Leine wirklich, wirklich unpraktisch ist.
»Sorry«, japst der Bass hinter mir. »Er ist einfach abgehauen.«
»Schon okay«, erwidere ich und wende mich Ernsts Halter zu. Er sieht so aus, wie seine tiefe Stimme es vermuten ließ. Groß und breitschultrig, mit Vollbart und Brustbehaarung, die der etwas zu tiefe Ausschnitt seines weißen T-Shirts erahnen lässt, ist er das Klischeebild eines Bären. Die Glatze trübt das vielleicht ein bisschen, macht ihn aber nicht unattraktiv. Er kommt mir vage bekannt vor, doch ich weiß nicht recht, woher.
Er jedoch scheint mich sofort zu erkennen, wie sein breites Grinsen verrät. »Na, wen haben wir denn da!«
»Äh, hallo.«
»Hallo! So ohne Schwanz im Mund kann ich mich dir ja auch vorstellen: Ich bin Hanno.«
Ich spüre wie mir die Röte in die Wangen schießt. Daher kenne ich ihn! Er war letztens im Wald mit meinem Bäcker – zu dem ich mich seither nicht mehr getraut habe – zugange.
»Lukas, hi.«
»Freut mich, Lukas«, Hanno zwinkert mir zu und ich nutze den Moment, als Sputnik mich beinahe zu Fall bringt, um seinem Blick auszuweichen. Vielleicht ist es doch nicht so unpraktisch, wenn der Hund angeleint ist, sich aber einbildet, spielen zu müssen.
Hanno scheint das anders zu sehen. Kurzerhand schnappt er sich seinen Mops.
»So, jetzt gibst du aber mal Ruhe«, summt er ihm ins Ohr. »Ihr könnt nachher spielen.«
Ich entheddere die Leine, dann schaue ich doch wieder zu Hanno. Wie er so dasteht, ein großer, breit gebauter Typ, offensichtlich schwul, mit dem winzigen Mops am Arm – das schaut schon wirklich komisch aus. Ich muss grinsen und bin froh, dass ich meine Gesichtsfarbe wieder unter Kontrolle habe.
»Ich weiß: Klischee!«, näselt Hanno und wedelt theatralisch mit dem abgeknickten Handgelenk. »Aber was soll ich machen. Ich liebe Möpse nun einmal!«
»So, tust du das?«, frage ich, kichernd über meinen eigenen flachen Witz.
Auch Hanno muss lachen. »Na, vielleicht nicht alle.«
»Ihr könnt jetzt reinkommen«, ertönt es in diesem Moment.
Ich schaue zurück und sehe einen groß gewachsenen Mann, der das Gartentor – Verzeihung, das Tor zur Hundeschule – offen hält. Davor stehen schon drei weitere Hunde mit menschlichem Anhang. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass die alle angekommen sind.
»Na dann!«, meint Hanno und wir machen uns auf den Weg zu unserer ersten Schulstunde.
Am Trainingsgelände angekommen, platzieren wir uns in einem großen Kreis um den Hundetrainer herum. Ich bin froh um die Obstbäume, die Schatten spenden, denn in der Sonne ist es ganz schön warm.
Der Trainer weist uns an, ausreichend Abstand zueinander zu halten, sodass die Hunde nicht auf die Idee kommen, jetzt wäre Spielstunde. Die Hunde sind – abgesehen von Sputnik – alle ziemlich aufgeregt. Am schlimmsten ist der Labrador, der mir gegenübersteht. Er hängt in der Leine und will unbedingt zu Sputnik. Dieser jedoch scheint die Wiese spannender zu finden und klebt mit der Nase am Boden.
»Hallo«, begrüßt uns der Trainer und bündelt so alle Aufmerksamkeit auf sich. »Wenn es euch recht ist, würde ich vorschlagen, dass wir uns alle duzen.«
Allgemeines Nicken antwortet ihm. Wie bei unserem Telefonat macht er auch jetzt einen freundlichen Eindruck auf mich. Er ist jung, so wie ich es mir gedacht habe. Vermutlich ist er etwa in meinem Alter. Sein dunkles Haar trägt er sehr kurz und er macht insgesamt den Eindruck, dass er sich nicht viel um sein Aussehen schert. Er trägt feste Schuhe, eine olivgrüne Outdoor-Hose und ein schwarzes, schon etwas verblichenes T-Shirt. Um die Hüften hat er eine Bauchtasche geschnallt, in der vermutlich Leckerlis sind.
»Fein! Ich bin Christopher und ich freue mich, dass ihr da seid! Das ist der Einsteigerkurs und es wird uns hier vor allem darum gehen, Alltagstauglichkeit und ein harmonisches Zusammenleben mit dem Hund zu fördern. Bevor wir anfangen, möchte ich euch alle bitten, dass ihr euch und eure Hunde kurz vorstellt. Rasse, Alter und so weiter. Sagt bei den Hunden bitte auch dazu, wenn es irgendwelche Besonderheiten gibt, also wenn sie mit anderen Hunden nicht gut verträglich sind oder Ähnliches.«
Wiederum allgemeines Nicken, doch keiner wagt es, sich als Erstes vorzustellen.
»Fangt ihr bitte an?«, wendet Christopher sich kurzerhand an ein Paar zu seiner Rechten. Beide tragen die volle Hundeplatz-Montur inklusive dieser fürchterlichen Westen, die beinahe nur aus Taschen zu bestehen scheinen.
»Ist gut. Ich bin Fritz, das ist Attila und das ist meine Frau Edeltraud«, sagt der ältere Mann und ich komme nicht umhin, die Reihenfolge dieser Vorstellung bezeichnend zu finden. »Attila ist ein Deutsch-Drathaar und zweieinhalb Jahre alt.«
»Irgendwelche Besonderheiten?«
»Nein.«
»Gut, die Nächsten bitte.«
»Hallo«, ergreift Hanno das Wort. »Ich bin Hanno und das ist Ernst. Ernst ist ein Mops und er ist zwei Jahre alt. Mitten in der Pubertät. Er hat nur Flausen im Kopf. Andere Hunde findet er ganz toll, er rennt immer auf alle zu und dass jemand vielleicht keine Lust auf ihn haben könnte, ist ihm unbegreiflich. Menschen findet er auch super. Er findet eigentlich alles super.«
Allgemeines Lachen, dann bin ich dran.
»Ähm, hi. Das ist Sputnik. Er ist ein bisschen älter als die anderen, glaube ich, aber so genau weiß man das nicht, weil er aus dem Tierheim kommt. Er wurde da auf etwa vier Jahre geschätzt. Bei ihm ist auch nichts Besonderes zu beachten. Mit Hunden kann er gut, mit Menschen auch.«
»Danke«, meint Christopher und lächelt mich an. »Und dein Name?«
»Hö?«
»Du hast vergessen, dich vorzustellen.«
»Ach so«, ich kratze mich verlegen an der Wange. »Ich bin Lukas.«
»Hallo, Lukas.«
»Hi.«
»Dann bin ich jetzt dran, oder?«, fragt die junge Frau, die links von mir steht. Ihr langes blondes Haar trägt sie zu einem Dutt zusammengebunden und insgesamt wirkt sie ein bisschen zu hip für einen Hundeplatz. Sie und der Hund neben ihr scheinen mir das perfekte Beispiel für die Binsenweisheit zu sein, wonach Hund und Halterin einander gleichen. Der Hund hat schneeweißes, flauschiges Fell und ist einfach nur wunderschön.
»Ich bin Jana und das ist Smilla, sie ist ein Samojede. Sie ist anderthalb Jahre alt. Mit anderen Hunden kommt sie gut klar, bei Männern ist sie manchmal eher misstrauisch. Und sie mag es nicht, wenn man sie einfach so anfasst.«
»Dabei ist sie doch so kuschelig«, tönt es von Fritz.
»Ja, genau deswegen«, meint Jana und seufzt. »Alle wollen sie immer gleich antatschen und als Welpe ist sie so oft genervt worden, dass sie davon jetzt einen kleinen Knacks hat.«
»Gut, dass du das sagst, Jana«, schaltet sich Christopher ein. »Bitte nehmt Rücksicht auf Smilla.«
Wiederum einstimmiges Nicken, dann ergreift die letzte Teilnehmerin das Wort. Ich schätze sie auf Mitte bis Ende 40. Ihr kurzes, dunkles Haar fliegt wirr um ihren Kopf herum und insgesamt macht sie einen toughen Eindruck, der nur getrübt wird von dem japsenden Hund an ihrer Seite, der immer noch in der Leine hängt und zu Sputnik will. »Ich bin Sibylle und das ist Bonnie. Wie ihr sehen könnt, ist Geduld nicht ihre Stärke. Mit Hunden kommt sie gut klar, außer mit dem Schäferhund von meinem Nachbarn, den hasst sie. Mit Menschen ist sie auch problemlos, außer es sind Jogger. Oder Radfahrer. Oder der Postbote. Oh, Bonnie ist zwei Jahre alt und sie ist ein Labrador-Border-Collie-Mix.«
»Vielen Dank!«, übernimmt Christopher wieder das Wort. »Wie gesagt, ich freue mich, dass ihr da seid. Für den Anfang möchte ich euch bitten, gemeinsam mit euren Hunden das Trainingsgelände zu erkunden. Lasst sie schnüffeln und sich umsehen. Hier ist alles noch neu und aufregend, da sind so viele Gerüche von anderen Hunden und von den Katzen, die hier nachts immer herumlaufen. Haltet dabei bitte Abstand zueinander. Ich werde in der Zeit zu euch kommen und mich einzeln mit euch unterhalten.«
Mit einer auffordernden Handbewegung scheucht Christopher uns los. Ich bedeute Sputnik, sich in Bewegung zu setzen, und er ist sofort dabei: Nase auf den Boden und los geht's.
»Wenn da kein Border Terrier drin ist, weiß ich auch nicht«, erklingt es neben mir. Ich sehe auf und entdecke Christopher, der sich offenbar entschieden hat, als Erstes zu Sputnik und mir zu kommen. Erst jetzt bemerke ich, wie hell seine Augen sind. Sie haben eine undefinierbare Farbe, irgendwo zwischen blau und grün, aber so blass, dass es wie nur leicht getöntes Weiß wirkt.
Ich schaue zurück zu Sputnik, der offenbar eine besonders wohlriechende Stelle entdeckt hat, und beginnt, sich genüsslich zu wälzen. Ich hoffe, da liegt keine Katzenkacke, die ich nachher aus seinem Fell waschen muss. Das hatten wir nämlich schon einmal.
»Ja, ist gut möglich«, komme ich auf Christophers Kommentar zurück. »Aber die im Tierheim wussten nichts über seine Herkunft.«
»Wie lange ist Sputnik denn jetzt schon bei dir?«
»Drei Wochen.«
»Und wie läuft es?«
»Gut. Es ist ungewohnt und irgendwie anders, als ich es mir vorgestellt habe. Aber es läuft wirklich gut. Er ist so unglaublich unkompliziert. In meiner Wohnung hat er sich sofort wohlgefühlt und auch das Büro war überhaupt kein Problem.«
»Du nimmst ihn mit in die Arbeit?«
»Ja, jeden Tag. Er kann nicht so gut allein bleiben.«
»Daran können wir arbeiten, wenn du magst.«
»Ja, das wäre super.«
In diesem Moment beendet Sputnik seine Wälzerei und bemerkt, dass da jemand zu uns getreten ist. Neugierig trappelt er auf Christopher zu und begrüßt ihn überschwänglich. Christopher schmunzelt und wendet Sputnik seine Seite zu.
»Du bist wirklich ein lustiges kleines Kerlchen«, meint er.
»Ist er«, stimme ich zu.
Lächelnd wendet Christopher sich wieder mir zu. »Gibt es sonst noch Dinge, an denen du arbeiten willst? Irgendwelche Schwierigkeiten im Alltag?«
»Hm, wir kommen eigentlich gut zurecht. Wie gesagt, Sputnik ist erstaunlich unkompliziert und meistens ziemlich entspannt. Aber wenn wir draußen unterwegs sind, zieht er ziemlich an der Leine.«
»Leinenführigkeit ist immer ein großes Thema, daran werden wir im Kurs intensiv arbeiten.«
»Super.«
»Ist Sputnik denn dein erster Hund?«
»Ja und nein. Meine Eltern hatten immer Hunde, ich bin mit Hunden aufgewachsen. Aber Sputnik ist mein erster eigener Hund.«
Dann quetscht Christopher mich noch intensiv über meinen und Sputniks Tagesablauf aus und lässt sich auch sämtliche Fütterungsdetails genau erklären. Ich habe wirklich den Eindruck, dass er individuell auf die einzelnen Mensch-Hund-Teams eingehen will und das gefällt mir sehr.
Der Rest der Stunde vergeht wie im Fluge. Christopher hat eine angenehm entspannte Art, den Kurs zu leiten. Gleichzeitig bemerkt man bei jedem Wort und bei jeder Geste seine Kompetenz. Wir arbeiten vor allem an Rückruf und Leinenführigkeit – das können Hanno und ich gut brauchen, wie wir grinsend feststellen, als wir uns nach der Stunde noch an den Autos unterhalten.
»Magst du vielleicht noch einen Kaffee trinken gehen?«, will Hanno auf einmal wissen. »Ein Stück die Straße runter ist ein sehr nettes Gasthaus mit einem wunderschönen Garten.«
Ich bin ein bisschen überfordert von dieser Frage. Ich finde Hanno nett, aber die Art, wie wir uns kennengelernt haben, ist so merkwürdig. Vor allem aber kann ich nicht einschätzen, ob er Hintergedanken hat. Will er einfach nur mit dem Typen aus der Hundeschule weiter über Hunde reden, oder will er mich kennenlernen? Soll das ein Date sein?
»Oh, da wollte ich auch immer schon mal hin! Stört es euch, wenn ich mitkomme?«, schaltet sich auf einmal Jana ein, noch bevor ich etwas sagen kann.
Hanno und ich tauschen kurz einen Blick, der alles bedeuten kann und nichts muss, dann grinst Hanno und schüttelt den Kopf. »Natürlich stört uns das nicht. Komm mit!«
Ich nicke bekräftigend und wenn möglich wird Hannos Grinsen noch breiter.
»Dann fahren wir rüber und treffen uns dort am Parkplatz wieder?«, erkundigt sich Jana.
»Ja, machen wir das so«, erwidert Hanno.
»Okay«, sage ich.
Wir packen also alle unsere Hunde in die Autos und fahren das kleine Stück zu dem Gasthaus. So auf der Straße ist das natürlich ein ganz anderes Fahrgefühl als beim Hinweg. Aber der mystische, verwunschene Waldweg hatte auch etwas.
Es dauert keine fünf Minuten, dann kommen wir auch schon an unserem Ziel an. Hanno hat nicht übertrieben. Es ist wirklich schön hier. Wie die Hundeschule liegt auch das Gasthaus leicht am Hang und vom Garten aus hat man eine tolle Aussicht. Wir haben Glück und finden einen schönen Tisch am Rand, der groß genug ist für drei Menschen und drei Hunde. Das, was Ernst nicht an Platz benötigt, braucht Hanno schließlich umso mehr.
Es dauert eine Weile, bis wir uns halbwegs eingerichtet, die Karte sondiert und unsere Bestellungen aufgegeben haben. Die Hunde vertreiben sich unterdessen die Zeit auf ihre Weise. Ernst wuselt unter dem Tisch herum, so weit die Leine ihn lässt. Smilla sitzt hechelnd neben Jana. Nur Sputnik hat sich unter meinem Stuhl zusammengerollt und schläft.
»Erzählt mal, was macht ihr so?«, will Jana schließlich wissen.
»Ich arbeite ganz langweilig in einer Bank«, meint Hanno.
»Fieser Banker, hm?«, trieze ich ihn.
»Furchtbar fies«, bestätigt Hanno lachend. »Nee, im Ernst, ich bin ein winziges Rädchen in der Kreissparkasse. Aber ich habe schon ab und zu über einen Kreditantrag entschieden.«
»Uhhh«, macht Jana, wird aber unterbrochen, da unsere Getränke serviert werden.
»Was machst du?«, will ich von Jana wissen, sobald die Kellnerin wieder gegangen ist.
»Ich habe einen kleinen Laden für Wollwaren mit angeschlossenem Café.«
»Oh, die Frau Wolle?«, erkundigt sich Hanno.
»Ja, genau.«
»Meine Schwester liebt den Laden.«
»Wie schön, das freut mich!« Lächelnd trinkt Jana einen Schluck von ihrer Rhabarberschorle, ehe sie sich mir zuwendet. »Und du?«
»Ich arbeite bei der Schwarzwald-Presse, in der Lokalredaktion.«
»Oh, ein Journalist!«, ruft Hanno.
»Genau.«
»Habe ich dann schon einmal was von dir gelesen?«
»Wenn du die Schwarzwald-Presse liest: Anzunehmen.«
»Was hast du denn in letzter Zeit so geschrieben?«
»Ähm, in der heutigen Ausgabe den Artikel über Borkenkäfer. Gestern war da etwas Größeres über die Kastration von Katzen.«
»Brrr, scheußliches Thema«, befindet Hanno.
»Aber wichtig.«
»Sicher, sicher«, meint er und nimmt einen großen Schluck von seinem Radler. Dann sieht er wieder zu mir und wir müssen beide lachen.
»Bist du eigentlich neu in der Gegend?«, will Hanno wissen. »Ich hab dich hier noch nie gesehen.«
Das »hier« betont Hanno so stark, dass ich genau weiß, dass er auf eine gewisse Waldlichtung anspielt.
»Ich bin vor drei Jahren hergezogen.«
»Ach, doch schon so lange?«
Ich merke, dass ihm ein paar Fragen zu dem Thema auf der Zunge liegen, und bin heilfroh, dass er sie vor Jana zurückhält. Offenbar gibt es dennoch gewisse Schwingungen zwischen uns.
»Oh!«, ruft Jana nämlich plötzlich und wird knallrot im Gesicht. »Ist das etwa ein Date? Habe ich euer Date gecrasht?!«
»Nein, alles gut«, beruhige ich sie.
»Nun, was nicht ist, kann ja noch werden«, befindet Hanno und zwinkert mir zu.
»Vielleicht«, entgegne ich und schenke Hanno ein Lächeln. Denn inzwischen habe ich das Gefühl, dass ein Date mit Hanno gar keine schlechte Idee wäre.