Читать книгу Liebe in den Augen des Wolfs - Iris W. Maron - Страница 8

Kapitel 3

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An den neuen Tagesrhythmus mit Hund habe ich mich noch nicht ganz gewöhnt, aber Sputnik und ich sind auf dem besten Weg uns einzuspielen. Sputnik macht es mir auch denkbar einfach. Zum Beispiel gehört er nicht zu den Hunden, die ihre Menschen zu nachtschlafender Zeit wecken, weil sie meinen, jetzt ganz, ganz dringend einen Spaziergang machen zu müssen. Im Gegenteil: Sputnik schläft einfach weiter, wenn ich aufstehe. Er linst nur mit einem Auge aus seinem Körbchen, dann wälzt er sich auf die andere Seite und pennt weiter. Ich muss zwar früher aufstehen als damals, bevor ich einen Hund hatte, aber ich kann in Ruhe frühstücken und mich fertig machen. Und das ist auch gut so. In den ersten Tagen habe ich versucht, ohne Kaffee intus mit Sputnik seine Morgenrunde zu unternehmen. Das hat nicht funktioniert. Für uns beide nicht. Wir brauchen anscheinend beide meinen Morgenkaffee, um in die Gänge zu kommen. Vielleicht haben wir ja eine so enge symbiotische Beziehung, dass wir uns einen Koffeinkreislauf teilen.

Auch heute funktioniert diese gemeinsame Routine. Tatsächlich finde ich Sputnik, als ich in mein Schlafzimmer gehe, um meine Klamotten zu holen, in meinem Bett vor. Er hat es sich mitten darauf gemütlich gemacht, streckt alle viere von sich und schläft selig. Ich beneide ihn glühend.

Sobald ich mich fertig gemacht habe, beginnt aber auch für Sputnik der Ernst des Tages. Ich wecke ihn, worauf er im ersten Moment ein wenig indigniert reagiert. Als er jedoch bemerkt, dass ich Leine und Geschirr dabeihabe, hüpft er sofort fröhlich auf meinem Bett herum und flitzt dann, so schnell ihn seine dürren Beinchen tragen, zur Wohnungstür.

Wir machen eine kleine Runde und ich finde es lustig, dass ich dabei Menschen treffe, die ich früher nie gesehen habe, die mir jetzt aber ständig begegnen. Zum Beispiel die Besitzerin eines altmodischen Blumenladens, der ein Stück die Straße runter liegt und den ich bisher immer ignoriert habe. Sie ist Sputniks Hässlichkeit schon am ersten Tag erlegen und inzwischen hat sie immer Kekse für ihn parat, die er sich natürlich freudig abholt. Oder die anderen Hundemenschen, die einen ähnlichen Spazierrhythmus haben wie ich. Der Typ, der aussieht wie seine Bulldogge. Die Frau mit dem hysterischen Yorkshire Terrier. Der hübsche, aber viel zu junge Kerl mit dem Golden Retriever. Man grüßt sich und geht weiter.

Echter Sozialkontakt ist das noch nicht, aber gerade nach gestern habe ich das Gefühl, dass ich, was das angeht, auf einem guten Weg bin. Nicht nur, dass der Hundekurs Spaß gemacht hat, auch das anschließende Plaudern mit Hanno und Jana hat mir gefallen. Sie sind beide wirklich nett und witzig, es ist leicht, sich mit ihnen zu unterhalten. Und wer weiß, vielleicht hat das mit Hanno ja sogar Potenzial, mehr zu werden. Dann hätte ich auf dieser dämlichen Lichtung doch noch irgendwie Nähe gefunden. Das wäre schon eine gute Geschichte.

Zum wiederholten Male ermahne ich mich, mich nicht zu rasch in etwas hineinzusteigern. Gott, nach allem, was ich weiß, steht Hanno auf schnellen, unverbindlichen Sex (und auf meinen Bäcker). Nicht, dass ich etwas gegen Sex habe, aber das allein reicht mir einfach nicht.

Nachdem wir unsere kleine Runde gedreht haben und Sputnik sich davon überzeugen konnte, dass in seinem Revier alles in Ordnung ist, gehen wir noch einmal heim. Sputnik bekommt sein Frühstück, das er hastig verschlingt. Dann packe ich uns beide ins Auto und es geht ab in die Arbeit.

In der Redaktion hat Sputnik längst alle um seine Pfote gewickelt. Kaum sind wir da und kaum habe ich ihn abgeleint, beginnt er seine übliche Begrüßungsrunde. Allen muss er Hallo sagen, von allen seine Streicheleinheiten einheimsen, von manchen auch einen Keks. Zum Glück haben wirklich ausnahmslos alle meine Kollegen – viele sind es ja ohnehin nicht – positiv auf den kleinen Kerl reagiert. Das liegt wahrscheinlich zu einem großen Teil an seiner tiefenentspannten Art. Ich habe ihm neben meinem Schreibtisch eine kleine Höhle gebaut, dorthin zieht er sich zurück, sobald er alle begrüßt hat, und verschläft den Großteil meiner Bürozeit.

Sputnik lässt sich auch nicht aufschrecken, wenn wir mal hektischer umherlaufen oder wenn es etwas lauter wird, weil wir Stress haben. Zur morgendlichen Konferenz kommt er aber natürlich mit. Er liegt dann unter dem Konferenztisch und setzt sein Vormittagsnickerchen dort fort. Es ist schon ein paarmal vorgekommen, dass uns sein Schnarchen in einer Diskussion unterbrochen hat. Heute jedoch läuft die Konferenz hundeschnarchfrei.

»Kommst du noch kurz mit in mein Büro?«, bittet meine Chefin mich nach Ende der Konferenz, als ich gerade meine Sachen zusammensammle.

»Klar«, erwidere ich und bedeute Sputnik, der aufgestanden ist und mich erwartungsvoll ansieht, mitzukommen.

In Reginas Büro angekommen, setzt sie sich an den Schreibtisch und ich mich auf den Besucherstuhl ihr gegenüber. Ich fordere Sputnik auf, sich neben mich zu legen, doch darauf hat er offensichtlich keine Lust. Statt auf mich zu hören, umrundet er den Tisch und wuselt zu Regina.

»Hallo du«, zwitschert sie mit einer Stimme, die ausschließlich für Sputnik reserviert sein muss. Ich habe sie zuvor nie so reden gehört. Es passt auch nicht recht zu ihrem strengen Auftreten. Wie immer trägt Regina ihr braunes Haar mit den grauen Strähnen akkurat zurückgebunden und eine Perlenkette zu ihrem grauen Kostüm. Sie hat ein bisschen was von Heidis Fräulein Rottenmeier – zumindest habe ich mir die immer so ähnlich vorgestellt –, aber sie ist eine gute Chefin.

Sputnik scheint die Tonlage jedenfalls zu gefallen. Er wedelt begeistert mit dem Schwanz und stupst Regina mit der Nase an. Das ist seine Art zu verlangen, gekrault zu werden. Regina versteht ihn und kommt brav dieser Aufforderung nach.

Mein Blick schweift derweil über Reginas vollgestopften Schreibtisch und bleibt auf dem Foto hängen, das sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter zeigt. Jedes Mal, wenn ich hier sitze, muss ich das Foto anstarren. Jedes Mal, seit eine Kollegin mir in einer klatschsüchtigen Laune erzählt hat, dass Regina ihre Familie bei einem Autounfall verloren hat. Auf dem Foto sieht sie so glücklich aus. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dieser Verlust sie getroffen haben muss. Es ist bewundernswert, dass sie danach weitermachen konnte.

»Ich wollte mit dir über deine Klimawandel-Artikel sprechen«, meint Regina und reißt mich so aus meinen Gedanken. Multitaskingfähig wie sie ist, krault sie Sputnik weiterhin. »Der Artikel über das Borkenkäfermanagement im Schwarzwald war ein guter Anfang. Er hat ein recht großes Echo gefunden und ist gut angekommen.«

»Fein, das freut mich.«

»Was hast du denn weiterhin geplant?«

»Vor allem möchte ich positive Einzelbeispiele und Projekte bei uns in der Gegend vorstellen, die aktiv etwas für den Klimaschutz tun«, sage ich, auch wenn das nicht ganz meine Ursprungsidee war. Aber ich habe festgestellt, dass sich Regina eher über positive Geschichten ködern lässt und ich habe die Hoffnung, dass sie dann irgendwann auch kritischere Texte absegnet.

»Mein Onkel hat bei uns im Tal eine Bienenschutz-Kampagne gestartet und möchte die Landwirtschaft reformieren. Weg von großen Monokulturen, hin zu kleineren Äckern und vor allem mehr blühende Pflanzen. Das wäre doch auch etwas für dich«, meint Regina. Sie wohnt in einem Dorf, das eine halbe Stunde von unserer Kleinstadt entfernt ist. Im Wesentlichen besteht es aus ein paar Bauernhäusern. Ihre ganze Familie lebt dort und ihr Onkel ist der Ortsvorsteher. Verlassen hat Regina das Dorf nur für ihr Studium, dann ist sie wieder zurückgegangen. Das hat sie mir auf unserer letzten Weihnachtsfeier erzählt, als sie einen oder zwei Punsch zu viel hatte.

Ich nicke. »Ja, das klingt interessant. Stellst du mir den Kontakt her?«

»Mache ich.«

Sputnik scheint sich etwas vernachlässigt zu fühlen, denn er fiept leise. Irgendwann während unseres Gesprächs hat Regina aufgehört, ihn zu streicheln. Das missfällt Sputnik merklich.

Regina lacht leise und krault Sputnik unter dem Kinn. »Denk drüber nach, ob du nicht doch eine Kolumne für ihn machen willst. Hundeleben im Schwarzwald. Wohin mit Hund, was tun? Und nette Alltagsgeschichten. Die Leute lieben so etwas. Er ist so ein niedlicher Kerl.«

»Okay. Ich schaue mal, ob mir etwas Gutes einfällt.«

»Tu das. Schreib ein paar Probetexte, dann sehen wir weiter.«

»Alles klar.«

»Dann machen wir ein professionelles Fotoshooting mit dir, nicht wahr, mein Hübscher? Damit du ein schönes Bild für deine Kolumne hast. Und dann wirst du ein Star!«, säuselt Regina Sputnik ins Ohr. Ihre Tonlage verfehlt die Wirkung nicht und Sputnik wedelt begeistert mit dem Schwanz. Hätte sie ihm auf diese Weise gesagt, dass er gleich zum Tierarzt muss, wäre der Effekt allerdings wahrscheinlich der gleiche gewesen.

»Hoffentlich steigt ihm der Ruhm dann nicht zu Kopfe«, lache ich.

»Ach, ich bin sicher, er bleibt mit allen vier Pfoten auf dem Boden.«

»Mit der Nase wahrscheinlich auch.«

Regina lacht und krault Sputnik noch ein wenig, bevor sie mich wieder an die Arbeit scheucht und sich auch selbst wieder hinter ihrem Bildschirm vergräbt. Sputnik trappelt hinter mir her an meinen Schreibtisch und macht es sich sofort wieder in seiner Höhle bequem.

Den Rest des Vormittags schreibe ich konzentriert an meinem nächsten Artikel. Zu Mittag schnappe ich Sputnik und wir machen eine kleine Runde, die im Wesentlichen daraus besteht, zum Imbiss gegenüber zu gehen, wo ich mir mein Mittagessen besorge, und uns dann im Park ein schattiges Plätzchen zu suchen. Für große Runden ist es viel zu warm, dabei ist es schon September.

Ich setze mich auf eine schattige Bank und Sputnik hockt sich auf die Wiese, um fasziniert einige Spatzen zu beobachten, die sich um die Reste eines Brötchens zanken. Bevor ich mich meinerseits an mein Mittagessen mache, zücke ich mein Handy und sehe nach, ob ich neue Nachrichten bekommen habe. Habe ich tatsächlich. WhatsApp zeigt zwei neue Nachrichten von Hanno an.

Hey, hast du Lust mit Ernst und mir am Wochenende eine gemeinsame Runde zu gehen? Ernst will unbedingt mit Sputnik spielen, hat er mir gesagt, steht in der ersten Nachricht. Die zweite Nachricht ist ein Foto von Ernst, der mit riesigen Mops-Augen in die Kamera schaut. Hanno hat noch eine Sprechblase in das Foto gemalt, in der ganz groß Bitte, bitte! steht. Die Sprechblase ist pink.

Ich lache. »Na, hast du Lust, Ernst zu treffen?«, frage ich Sputnik. Er sieht kurz zu mir, dann wieder zu den Spatzen.

Das ist nun keine wirklich eindeutige Antwort – andererseits sollte ich auch keine erwarten, schließlich ist Sputnik ein Hund. Ich für meinen Teil habe wirklich Lust, mich mit Hanno zu treffen.

Ernst will mit Sputnik spielen, hm?, schreibe ich als Antwort und schicke einen zwinkernden Smiley hinterher.

Ganz genau, antwortet Hanno sofort. Das breite Grinsen des Smileys, den er angehängt hat, spricht Bände. Also, wie sieht es aus? Will Sputnik auch spielen?

Darauf eine Antwort zu schreiben, finde ich schwierig. Unser Geplänkel ist offensichtlich doppeldeutig und auch wenn ich Hanno wirklich gerne sehen möchte, möchte ich doch grundsätzlich mehr als nur zu »spielen«.

»Komfortzone verlassen«, brumme ich mir mein Mantra vor und dann schreibe ich: Lassen wir uns überraschen.

Darf ich das als Zusage verstehen?

Darfst du.

Sehr gut! Samstag, um drei?

Samstag muss ich arbeiten. Was hältst du von Freitag? Gegen vier?

Passt mir auch.

Sehr gut! Wo wollen wir uns denn treffen?

An der Lichtung am Badesee?

Ich pruste, als ich Hannos Antwort lese, was mir einen irritierten Blick von einer älteren Dame einbringt, die gerade an mir vorbeigeht.

Wenn es hell ist, ist dort doch nichts los, antworte ich.

Hahaha. Stimmt. Na dann, am Parkplatz vom Schützenverein? Von dort führt ein schöner Weg in den Wald. Kennst du den?

Nein, noch nicht.

Sehr gut. Dann um vier am Schützenverein.

Ist gut!

Daraufhin bekomme ich wieder ein Foto von Ernst. Diesmal sitzt er mitten in einem Blumenbeet und schaut so dämlich, wie es wohl nur ein Mops kann. Ernst freut sich schon, steht darunter.

Ich mache ein Foto von Sputnik – oder eher von Sputniks Kehrseite, denn er ist immer noch auf seinem Spatzenbeobachtungsposten – und schicke es Hanno mit den Worten Sputnik sich auch!

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass der Großteil meiner Mittagspause schon wieder vorbei ist. Schnell schlinge ich mein Mittagessen hinunter und versuche dann Sputnik dazu zu bringen loszugehen. Nur unwillig verlässt er die Spatzen.

Als ich Feierabend habe, brauchen Sputnik und ich noch dringend Bewegung. Ich fahre also nicht direkt heim, sondern ein Stück in den Schwarzwald hinein zu einem kleinen Parkplatz. Von hier führt ein Wanderweg weg, den ich schon länger erkunden wollte. Mit Hund lernt man ganz neue Ecken in seiner vertrauten Umgebung kennen, das habe ich in den letzten Wochen ausführlich festgestellt.

So warm es heute untertags war: Abends merkt man doch, dass der Herbst kommt. Es hat jetzt schon deutlich abgekühlt, was man im Wald natürlich noch mehr spürt. Also nehme ich eine Jacke mit.

Sputnik leine ich ab und er marschiert fröhlich voran, schnüffelt mal hier, markiert mal dort. Ich genieße diese Spaziergänge mit ihm wirklich. Manchmal gelingt es mir dann, einfach nur im Augenblick zu sein, nur auf meinen fröhlichen Hund zu achten. Normalerweise fällt mir das unheimlich schwer. Ich grüble immer zu viel.

Ich atme den Duft des abendlichen Waldes ein und lausche auf seine Geräusche. Das Knirschen des Bodens unter meinen Füßen. Sputniks hopsende Schritte. Der Gesang eines Vogels – keine Ahnung, welcher das ist. Ein Rascheln im Laub. Ein kleines Tier, das durch das Unterholz flüchtet. Der Wald lebt und man kann es hören. Überall Rascheln und Hopsen.

Bei einer kleinen Weggabelung entscheide ich mich für den schmaleren der beiden Wege. Er führt ein wenig bergan und ist teilweise recht zugewuchert. Ich fühle mich ein bisschen abenteuerlich, zugleich weiß ich, ich bin nicht allein auf meinem Abenteuer. Sputnik ist ja bei mir. Er läuft immer wieder einige Meter vor, erkundet den Wald und kommt dann zu mir zurück, um die nächsten Meter an meiner Seite zurückzulegen. Irgendwann unternimmt er seine nächste Erkundung und immer so weiter.

Das Licht wird zunehmend dämmrig und trüb. Der Wald verliert seine Farbe. Mich überrascht diese frühe Dämmerung. Ich habe mich einfach noch nicht daran gewöhnt, dass es mittlerweile wesentlich früher dunkel wird als noch vor einem Monat. Verstärkt wird die einbrechende Dunkelheit noch durch den zunehmend dichter werdenden Wald, durch den mich der schmale Pfad führt. Anders als bei meinem Irrweg durch den Wald beim Badesee finde ich die Dämmerung und Geräusche heute jedoch nicht unheimlich, sondern angenehm einnehmend.

Manchmal lichtet sich der Wald ein wenig, dann wird es sofort merklich heller. Irgendwann kommen wir an einigen Bäumen vorbei, in denen eine Schar Krähen sitzt. Sie krächzen und machen einen Heidenlärm. Ich bleibe stehen und beobachte sie ein wenig. Schon als Kind hatte ich ein Faible für Krähen. Wenn am Abendhimmel die riesigen Krähenschwärme zu ihren Übernachtungsplätzen flogen, war das das Größte für mich.

Als ich mich umdrehe, ist Sputnik weg.

Eine eiskalte Hand greift nach meinem Herzen. Wo ist er? Eben war er doch noch da. Er kann doch nicht einfach so weg sein!

»Sputnik!«, rufe ich und immer wieder: »Sputnik!!«. Doch mein Hund bleibt verschwunden.

Keine tapsenden Pfoten, kein wild wedelnder Schwanz, keine zerzausten Flatterohren. Nichts.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ihn suchen? Aber wo? Angeblich kommen Hunde, die weglaufen, zumeist an den Ursprungsort zurück. Soll ich also einfach stehen bleiben?

Ich fühle mich so hilflos und nutzlos und doch weiß ich nichts anderes zu tun als stehen zu bleiben, zu warten und immer wieder nach Sputnik zu rufen. Irgendwann probiere ich es sogar mit seinem alten Namen und brülle »Justin!« in der Hoffnung, dass er darauf reagiert. Doch es rührt sich nichts.

Ich weiß nicht, wie lange ich so dastehe und rufe. Gerade versuche ich, mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, heimzufahren, weil es dunkel wird, und Sputnik morgen zu suchen, sobald es hell ist – da höre ich plötzlich ein lautes Rascheln und meine vermissten tapsenden Schritte. Ein ganzes Stück von mir entfernt erscheint Sputnik plötzlich zwischen zwei Bäumen. Erleichterung durchströmt mich.

»Da bist du ja!«, rufe ich und ich gehe lachend in die Hocke, um Sputnik zu begrüßen. Mit wedelndem Schwanz läuft er auf mich zu.

Und dann bricht noch ein Tier aus dem Unterholz hervor. Folgt Sputnik. Verfolgt ihn.

Ein Wolf.

Er ist dunkel und schmal gebaut und oh mein Gott, er ist groß. Riesig neben meinem Hund. Jede seiner Bewegungen kündet von seiner Kraft.

Das Herz bleibt mir halb stehen, dann rast das Adrenalin durch meinen Körper. Was soll ich tun? Wie mich verhalten? Ich hätte nie damit gerechnet, bei einem Spaziergang einem Wolf zu begegnen. Natürlich weiß ich, dass der Schwarzwald eines der Gebiete ist, in die Wölfe zurückkehren, doch hier in der Gegend wurde noch nie einer gesichtet und so habe ich mich noch nicht damit befasst, wie man sich bei einer Wolfsbegegnung idealerweise verhält. Also, was soll ich tun? Ruhig bleiben oder Lärm machen? Und vor allem: Wie kann ich Sputnik vor dem Wolf beschützen?

Plötzlich macht Sputnik eine Vollbremsung. Der Wolf erreicht ihn. Und Sputnik, dieser größenwahnsinnige Idiot von einem Hund, pöbelt ihn an, geht auf die Hinterbeine und auf den Wolf los. Anstatt sich unterwürfig zu zeigen und zu beten, dass der Wolf ihn in Frieden lässt.

Der Wolf schubst Sputnik einfach um und springt geradezu auf ihn drauf. Und dann sind die beiden nur noch ein felliges Gewirr in der Dunkelheit, das japsende und knurrende Geräusche und ab und an ein Fiepen von sich gibt.

Gegen den Wolf hat Sputnik keine Chance, auch wenn er eine ausgeprägte Form des Napoleonkomplexes hat.

Endlich erwache ich aus meiner Starre und renne auf die beiden zu, auch wenn es bestimmt dämlich ist, zu versuchen, den Wolf zu vertreiben. In diesem Moment löst sich das fellige Knäuel wieder in zwei separate Tiere auf. Die beiden verharren, sehen sich an. Dann neigt der Wolf kurz seinen Vorderkörper gen Boden, ehe er abrupt losrennt. Und Sputnik jagt ihm hinterher.

Da wird mir klar, dass die beiden miteinander spielen.

Ich bleibe stehen und lehne mich schwer atmend gegen einen Baum. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern.

Mit der Erleichterung darüber, dass Sputnik nicht in Gefahr ist, kommt mein Verstand wieder zurück. Vielleicht ist das Tier, das sich dort vorne gerade von Sputnik durchs Gehölz jagen lässt, ja doch kein Wolf? Es verhält sich eher wie ein Hund. Und es gibt schließlich Hunderassen, die äußerlich einem Wolf gleichen. Hier in der Gegend gibt es sogar eine Saarlooswolfhund-Zucht, über die ich einmal einen Artikel geschrieben habe. Die Hunde dort sahen wirklich wölfisch aus und als Laie traue ich es mir nicht zu, den Unterschied zwischen Wolf und Hund sicher festzustellen. Schon gar nicht im Halbdunkel.

Wenn das ein Hund ist: Wieso ist er allein unterwegs? Ob er seinem Halter wohl abgehauen ist wie Sputnik mir?

Die beiden Tiere haben inzwischen wieder kehrtgemacht und laufen zu mir zurück.

»Mensch, Sputnik, was machst du nur für Sachen?«, japse ich und gehe in die Knie. Sofort ist mein Hund bei mir und begrüßt mich, als hätten wir uns wochenlang nicht gesehen. Und ein bisschen fühlt es sich auch so an.

Sein neuer Freund bleibt unterdessen ein Stück von uns entfernt stehen. Er sieht aufmerksam zu uns hinüber, die Ohren nach vorne gestellt, und er wirkt kein bisschen aggressiv. Ich weiß nicht, woher ich die Gewissheit nehme, aber ich bin mir sicher, dass mir dieses Tier – sei es nun Wolf oder Hund – nicht gefährlich ist.

»Danke, dass du mir Sputnik zurückgebracht hast«, sage ich leise zu ihm.

Das fremde Tier bedenkt Sputnik und mich noch mit einem langen Blick – dann macht es plötzlich einen Satz zur Seite, zwei schnelle Schritte und schon ist es im Wald verschwunden.

Gerade noch rechtzeitig bin ich geistesgegenwärtig genug, um Sputnik daran zu hindern, seinem neuen Freund zu folgen. Sicherheitshalber leine ich ihn wieder an. Dass er heute noch einmal abhaut, will ich nicht erleben müssen.

Mir bleibt nichts, als dem anderen Tier nachzusehen und mich zu fragen, ob ich versuchen hätte sollen, es einzusammeln und ins Tierheim zu bringen. Wenn es ein Hund ist, sollte er nicht so allein im Wald herumlaufen. Irgendjemand vermisst ihn dann bestimmt. Außer er ist ausgesetzt worden.

Auf alle Fälle sollte ich die Begegnung melden. Erst recht, falls es doch kein Hund war.

Liebe in den Augen des Wolfs

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