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„Ich bin der Herr, dein Gott“

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Exodus 19–24

Zwei Monate waren vergangen,

seitdem das Volk

aus Ägypten gezogen war.

Da erreichte es endlich den Sinai,

ein gewaltiges Bergmassiv

inmitten der Wüste.

Gegenüber dem Berg Gottes

schlug es sein Lager auf.

Mose aber stieg allein den Berg hinauf,

um mit Gott zu reden.19,1ff

Da sprach Gott zu Mose

vom Berg herab:

„So sollst du dem Volk Israel sagen:

Ihr habt gesehen, wie ich euch

auf Adlerflügeln getragen

und euch zu mir gebracht habe.

Wenn ihr auf meine Stimme hört

und meinen Bund haltet,

dann sollt ihr mein Eigentum sein

vor allen Völkern.

Denn die ganze Erde ist mein.

Und ihr sollt mir

ein priesterliches Königreich sein,

ein heiliges Volk, das mir dient.“19,3ff

Da verkündete Mose

allen Ältesten und Stammesführern,

was Gott ihm anvertraut hatte.

Und er fragte sie:

„Wollt ihr zu Gott gehören?“

„Ja“, riefen alle wie aus einem Munde.

„Alles, was Gott gesagt hat,

wollen wir tun.“19,7f

Danach sprach Gott zu Mose:

„Ich komme in einer Wolke zu dir,

damit das Volk es hört,

wenn ich mit dir rede,

und deinem Wort glaubt.

Sag dem Volk: Reinigt euch!

Wascht eure Kleider!

Und macht euch bereit,

eurem Gott zu begegnen!

Denn am dritten Tag wird Gott der Herr

auf den Berg herabkommen.

So zieht einen Zaun um den Berg,

damit ihm niemand zu nahe kommt.“19,9ff

Und so geschah es.

Am dritten Tag war der Berg

in eine dichte Wolke gehüllt.

Es blitzte und donnerte.

Der Berg bebte und rauchte.

Und ein gewaltiges Dröhnen,

wie der Ton eines Widderhorns,

erfüllte Himmel und Erde,

sodass alle erschraken.

Da führte Mose das Volk

seinem Gott entgegen,

bis dicht an den Berg heran.

Er selbst aber ging allein

in das Dunkel hinein.20,21

Indessen wartete das Volk stumm

am Fuß des Berges.

Es hörte das Grollen von ferne.

Aber die Stimme Gottes hörte es nicht.19,15ff

– – –

Endlich kam Mose vom Berg herab.19,25

Feierlich verkündete er dem Volk

alle Gebote und Rechte,

die er von Gott empfangen hatte.

„Hört“, rief Mose,

„wollt ihr auf Gott hören

und seine Gebote halten?“

„Ja“, riefen alle wie aus einem Munde.

„Alles, was Gott uns geboten hat,

das wollen wir tun.“24,3

Da schrieb Mose alle Worte nieder,

die Gott ihm offenbart hatte.

Und als der Morgen anbrach,

errichtete er am Fuß des Berges

einen Altar aus zwölf Steinen,

nach der Zahl der Stämme Israels.

Darauf ließ er Brandopfer

und Dankopfer darbringen.24,4f

Er selbst aber las dem Volk alle Worte

aus dem Buch des Bundes vor,

die Gott ihm anvertraut hatte.

Und erneut gelobte das Volk:

„Ja, alles, was Gott der Herr gesagt hat,

wollen wir tun und darauf hören.“24,7

Da nahm Mose von dem Opferblut,

sprengte es auf das Volk und sprach:

„Seht das Blut des Bundes,

den Gott der Herr heute

mit euch geschlossen hat.“

So trat das Volk an diesem Tag

in den Bund mit seinem Gott ein,

der sich in Liebe

mit ihnen verbunden hatte.24,8

– – –

Dies sind die Zehn Gebote,

die Gott seinem Volk gab,

als ewiges Zeichen des Bundes,

den er mit ihnen am Sinai schloss:

1

Ich bin der Herr, dein Gott.

der dich aus Ägypten, aus der Sklaverei,

geführt hat.

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.20,2f

2

Du sollst dir kein Bild von irgendeinem Gott machen, weder von dem, was im Himmel ist, noch, was auf der Erde oder unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!20,4ff

3

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.20,7

4

Du sollst den Sabbattag heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn. Da sollst du keine Arbeit tun.20,8ff

5

Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebst in dem Land, das dir der Herr dein Gott geben wird.20,12

6

Du sollst nicht töten.

7

Du sollst nicht die Ehe brechen.

8

Du sollst nicht stehlen.

9

Du sollst nicht falsch aussagen gegen deinen Nächsten.20,13ff

10

Du sollst nicht nach dem verlangen, was deinem Nächsten gehört.20,17

– – –

Und dies sind die Gesetze und Rechte,

die das Leben im Volk Gottes regeln,

aufgeschrieben im Buch des Bundes

für alle künftigen Generationen:

Die Fremden

sollst du nicht unterdrücken

und sollst sie nicht bedrängen.

Denn ihr seid selbst

in Ägypten Fremde gewesen.

Auch die Witwen und Waisen

sollst du nicht bedrücken.

Wenn du es dennoch tust

und sie zu mir schreien,

werde ich ihr Schreien erhören.

Wenn du Geld an einen Armen verleihst,

sollst du keinen Wucherzins nehmen.

Wenn du einen Mantel

zum Pfand nimmst,

der deinem Nächsten gehört,

dann gib ihn

noch vor dem Abend zurück.

Denn sein Mantel ist seine einzige Decke.

Und wenn er zu mir schreit,

dann will ich ihn erhören.

Denn ich bin gnädig. 22,20ff

Das Recht der Armen

sollst du nicht beugen.

Halte dich fern, wo Lüge im Spiel ist.

Lass dich nicht von andern bestechen

und nimm keine Geschenke an.

Denn Geschenke machen blind

und verdrehen das Recht.

Die Fremden sollt ihr nicht unterdrücken.

Denn auch ihr wart fremd in Ägypten

und ihr wisst,

wie es einem Fremden ums Herz ist.23,6ff

Sechs Jahre lang

sollst du dein Land bestellen.

Aber im siebten Jahr

lass es brach liegen,

damit auch die Armen aus deinem Volk

sich davon ernähren.

Sechs Tage sollst du arbeiten.

Aber am siebten Tag sollst du ruhen,

damit dein Rind und dein Esel

und alle, die in deinem Haus leben,

neue Kraft schöpfen.23,10ff

Dreimal im Jahr

sollt ihr für mich ein Fest feiern:

das Fest der ungesäuerten Brote

im Frühjahr, denn zu dieser Zeit

seid ihr aus Ägypten gezogen;

das Fest der Ernte und im Herbst

das Fest der Weinlese.

Dreimal im Jahr sollen alle Männer

zum Heiligtum kommen

und von den ersten Früchten

die besten vor Gott bringen.23,17ff

Noch viel mehr Gesetze und Vorschriften

stehen im Buch des Bundes geschrieben.

Am Ende des Buches

mahnt Gott sein Volk

mit eindringlichen Worten:

Siehe, ich sende meinen Engel

vor dir her,

der wird dich auf dem Weg behüten

und dich zu dem Land bringen,

das ich dir zugedacht habe.

Noch wohnen dort andere Völker.

Bete ihre Götter nicht an

und diene ihnen nicht.

Nur dem Herrn eurem Gott

sollt ihr dienen.

So wird er dein Brot und Wasser segnen

und Krankheit von dir abwenden.23,20ff

Diese Texte markieren den Höhepunkt des Exodusbuches und bilden das Herzstück des Glaubens Israels. Gott schließt seinen Bund mit dem Volk, das er zum Eigentum erwählt hat. Das ist in knappen Worten die Botschaft der Kapitel 20–24. Eine ungewöhnliche Feierlichkeit liegt über ihnen. Es ist, als beträte man „heiliges Land“, als würde versucht, das Unsagbare in Worte zu fassen.

In drei Akten wird das unerhörte Geschehen vor unseren Augen entfaltet:

(1) Gott kommt herab (Ex 19):

Der heilige Gott tritt aus seiner Verborgenheit ins Licht („Theophanie“) – und bleibt dennoch der Unnahbare und Ungreifbare, der sich in Freiheit seinem Volk zuwendet und der durch Mose als Bundesmittler zu ihm spricht. Beides, Gottes Heiligkeit und Zuwendung, seine Fremdheit und Nähe liegen hier ganz eng zusammen. Blitz und Donner, Rauch und Erdbeben lassen die Größe und Majestät Gottes erahnen. Sie sind gleichsam das Echo der Natur auf Gottes Offenbarung. Aber zugleich kommt Gott in seinem Wort den Menschen ganz nah. Er verleiht diesem ehemaligen Sklavenvolk, einem Volk ohne Macht und festen Wohnsitz, eine unerhörte neue Würde: Ein „priesterliches Königreich“ soll es unter der Königsherrschaft Gottes werden, ein „heiliges“ Volk, ausgesondert zum priesterlichen Dienst unter den Völkern (19,6). Aber die höchste Auszeichnung liegt in der Zusage Gottes „Ihr sollt mein Eigentum sein“, wobei das hebräische Wort für Eigentum (segulla) in diesem Fall eine lebendige Beziehung voraussetzt. Wie bei einem Ehebund, so erklärt Gott seinen Willen, mit seinem Volk zu leben. Und so führt Mose das Volk seinem Gott entgegen, wie beim Ritual einer Eheschließung, wenn der Brautvater die Braut dem Bräutigam zuführt (19,17; vgl. Gen 2,22b).

(2) Gott offenbart seinen Willen (Ex 20):

Er gibt seinem Volk die Zehn Gebote („Dekalog“) als Zeichen seines Bundes und als „Grundgesetz“ für das Volk Gottes. Die Gebote eröffnen einen Raum der Freiheit, in dem das Volk in der Gemeinschaft mit Gott und seinen Nächsten leben kann. Aber über allen Geboten steht die Zusage Gottes: „Ich bin der Herr (Jahwe), dein Gott, der dich aus Ägypten, aus der Sklaverei, geführt hat.“ Das heißt: Gott macht sich seinem Volk bekannt als „dein Gott“, der sich ihm in Liebe zugewandt hat, noch ehe das Volk ihn erkannt hat. Dass Gott, der Himmel und Erde regiert, zu seinem Volk sagt: „ICH – dein Gott“, und dass der Mensch darauf antworten kann: „Du – mein Gott“, das ist das große Wunder, von dem dieses Volk lebt. Es ist ja nicht irgendein unbekannter Gott, der zu diesem Volk spricht, sondern er hat sich ihnen schon in ihrer Geschichte als „ihr“ Gott bekannt gemacht, der sie in die Freiheit geführt hat.

Und das ist sein Wille: dass sein Volk nicht in neue Unfreiheit verfällt, sondern sein Leben in der Gemeinschaft des Volkes Gottes nach seinem Willen gestaltet und sich dadurch öffentlich zu ihm bekennt. Dies wird zusätzlich durch das „Bundesbuch“ unterstrichen, das hier zu den Zehn Geboten hinzugefügt wird. Es handelt sich dabei um die älteste Gesetzessammlung Israels mit einer Fülle von Rechtsbestimmungen, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder aktualisiert wurden. Aber an dieser Stelle liest es sich wie eine ergänzende Erläuterung und Konkretisierung der Zehn Gebote, wobei es verschiedene Konfliktfälle im Volk Israel benennt und Regeln für das Zusammenleben bestimmt. An erster Stelle sind hier die Rechtsbestimmungen gegenüber den Armen und Fremden im Volk Gottes zu nennen. Sie bilden die Grundlage für die Gesetzgebung im Deuteronomium und für die soziale Botschaft der Propheten.

(3) Gott schließt seinen Bund (Ex 24):

Nach der Proklamation der Gebote steht noch die Antwort des Volkes aus. Wie bei einer Eheschließung soll es öffentlich sein JA-Wort geben. Mit seinem wiederholten Versprechen „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun“, setzt es feierlich seine Unterschrift unter Gottes Bundeszusage und gelobt die Einhaltung seiner Gebote. Darauf folgt die Lesung des Bundesbuches mit erneutem Versprechen des Volkes. Erst danach wird der Bund feierlich durch das Blut des Bundes besiegelt. Ihm gehen ein Brandopfer (d.h. ein Ganzopfer) und ein Dankopfer voraus.

Durch den sakralen Ritus wird deutlich: Der Bundesschluss ist nicht nur ein Rechtsakt, sondern ein heiliger Akt: Gott stiftet Gemeinschaft durch das Blut des Bundes, das symbolisch das Leben ausdrückt, das seinem Volk in der Gemeinschaft mit ihm geschenkt ist. Was hier geschieht, bleibt ein Geheimnis, das das Volk in ehrfürchtige Distanz verweist („Betet an von ferne!“ 24,1b).

Für Israel stellt der Bundesschluss am Sinai und die Offenbarung seiner Gebote das zentrale Heilsereignis dar. Daher werden die Gebote auch nicht primär als Forderungen Gottes verstanden, sondern als Heilsgabe, als Zeichen der Liebe Gottes zu seinem Volk und als Quelle des Trostes und immer neuer Freude (z.B. Ps 119,24.45.47.50.92.143.162). Dabei soll sich jede Generation so verstehen, als stünde sie selbst am Sinai, als sei sie es, zu der Gott spricht: „Ich bin der Herr dein Gott.“

Nach dem Hebräerbrief findet der Bundesschluss am Sinai seine Erfüllung in Jesus Christus, dem Mittler des neuen Bundes, der durch sein eigenes Blut ein für alle Mal den Bund mit Gott besiegelt hat (Hebr 9,11–15).

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