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Moses Fürbitte

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Exodus 33–34

Ein neuer Tag brach an.

Wie ausgestorben lag

das Lager der Israeliten da.

Nur zögernd wagten sich die Menschen

aus ihren Zelten hervor.

Scheu blickten sie

zum Berg Gottes hinüber.

Dort lagen noch die Trümmer

der zerbrochenen Tafeln.

Niemand wagte, ein Wort zu sagen.

Aber alle schienen dasselbe zu fragen:

Gab es überhaupt noch Hoffnung für sie?

Würde Gott nach allem,

was geschehen war,

mit ihnen noch einen Neuanfang wagen?

Da kam Mose aus seinem Zelt.

Er winkte die Leute heran.

„Ihr habt“, sprach Mose,

„eine schwere Sünde begangen.

Aber ich will noch einmal

auf den Berg steigen

und dort mit Gott reden.

Vielleicht kann ich ihn bitten,

dass er euch eure Sünde vergibt.“32,30

Wortlos ging er davon.

Danach stieg er noch einmal hinauf.

Dort oben warf er sich nieder,

betete und flehte Gott an:

„Ach Herr, dieses Volk

hat eine schwere Sünde getan.

Es hat sich einen Gott aus Gold gemacht.

Vergib ihnen doch diese Sünde!

Wenn nicht, dann lösche auch mich

aus deinem Lebensbuch aus!“32,31f

„Nicht du sollst sterben“, sprach Gott,

„sondern wer sich an mir vergangen hat.

So geh nun zu deinem Volk

und führe es in das Land,

das ich euren Vorfahren

Abraham, Isaak und Jakob versprach.

Ich sende meinen Engel vor dir her,

der wird euch in das Land bringen.

Ich aber werde nicht mit euch gehen.“33,1ff

„Ach Herr“, betete Mose.

„Wie kannst du sagen:

‚Führe dies Volk!‘,

wenn du nicht vorangehst?

Habe ich Gnade vor dir gefunden,

so lass mich deinen Weg wissen!

Und sieh doch,

dass dieses Volk dein Volk ist!“33,12f

Gott sprach:

„Mein Angesicht soll dir vorangehen.

Ich will dich zur Ruhe leiten.“

„Ja, Herr“, antwortete Mose.

„Wenn du nicht vorangehst,

dann lass uns nicht ziehen.

Denn woran soll man erkennen,

dass du deinem Volk gnädig bist?“

„Ich will es tun“, sprach Gott.

„Denn du hast Gnade

in meinen Augen gefunden.

Und ich kenne dich mit Namen.“33,14ff

Da nahm Mose

all seinen Mut zusammen.

„Ach Herr!“, betete er.

„Nur um dies eine bitte ich dich:

Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“

Gott sprach:

„Ich will an dir vorübergehen

und meinen Namen vor dir ausrufen:

‚Wem ich gnädig bin,

dem bin ich gnädig.

Und wessen ich mich erbarme,

dessen erbarme ich mich.‘

Aber mein Angesicht

kannst du nicht sehen.

Denn kein Mensch bleibt am Leben,

der mich sieht.“

Und Gott fuhr fort:

„Sieh, auf diesem Felsen

sollst du stehen.

Da wird meine Herrlichkeit

an dir vorübergehen.

Dort will ich dich

in die Felskluft stellen

und meine Hand über dir halten,

bis ich vorüber bin.

Dann darfst du hinter mir hersehen.“33,18ff

Danach sprach Gott zu Mose:

„Haue dir zwei steinerne Tafeln,

so, wie die vorigen waren,

und bringe sie vor mich auf den Berg!“34,1

Und siehe da: die Wolke Gottes

senkte sich auf den Berg herab.

„Herr! Herr!“, rief Mose

in das Dunkel hinein.

Da ging Gott der Herr

an ihm vorüber

und rief seinen Namen vor ihm aus:

„Herr, Herr!, Gott,

barmherzig, gnädig und geduldig

und von großer Gnade und Treue,

der seinen Zorn zurückhält,

der Tausenden seine Gnade gewährt,

der Schuld und Sünde vergibt,

der seine Kinder heimsucht,

aber nicht zulässt,

dass seine Heimsuchung ewig währt.“34,6f

Da spürte Mose:

Gott war ihm ganz nah.

Er warf sich auf die Erde

und betete an.

„Ach Herr!“, antwortete er.

„Habe ich Gnade

vor deinen Augen gefunden,

so bleibe in unserer Mitte.

Ja, es ist wahr:

Dieses Volk will sich nicht beugen.

Es versteift seinen Nacken.

Doch vergib uns unsere Schuld.

Und lass uns dein Eigentum sein!“34,8f

Da geschah das Wunder:

Gott vergab seinem Volk.

Er sprach zu Mose:

„Siehe, ich will meinen Bund

mit euch schließen.

Ich will Wunder tun,

wie sie noch nie zuvor waren.34,10

Und alles Volk wird es sehen.

So nimm zwei neue Tafeln

und schreibe darauf

alle Zehn Worte des Lebens.

Sie sind das Zeichen

meines Bundes mit euch.“34,27f

– – –

Vierzig Tage lang war Mose

mit Gott im Gespräch, er ganz allein.34,28

Danach kehrte er zu seinem Volk zurück.

Aber wie erschraken die Menschen,

als sie ihn sahen!

Moses Gesicht glänzte,

als hätte er in das Licht

der Sonne geblickt.

Doch Mose rief alle zu sich:

„Kommt her! Fürchtet euch nicht!

Hört, was Gott zu euch spricht!“34,29f

Da kamen sie näher.

Und Mose legte ihnen alle Worte vor,

die Gott ihm anvertraut hatte.

Andächtig lauschte das Volk.

In dieser Stunde spürten sie alle:

Ihre Schuld war vergeben.

Gott hatte seinen Bund

aufs Neue mit ihnen geschlossen.34,31f

– – –

Barmherzig und gnädig ist der Herr,

geduldig und von großer Güte.

Er handelt nicht mit uns,

wie wir es verdient hätten

und vergilt uns nicht,

wo wir an ihm schuldig geworden sind:

Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt,

so erbarmt sich der Herr über die,

die ihn lieben und ehren.

aus Psalm 103

Wie kann die zerstörte Beziehung, der Riss zwischen Gott und seinem Volk wieder geheilt werden? Das ist die entscheidende Frage, die sich nach dem Bundesbruch stellt. Mose tritt als Mittler vor Gott in die Bresche. Er ringt im Gebet mit Gott und bittet für sein Volk um Vergebung. Er ist sogar bereit, sein eigenes Leben für sein Volk zu opfern. Aber es ist ein langer Weg, bis Mose im Gespräch mit Gott endlich erkennt:

Es ist allein Gnade, dass Gott auch jetzt noch, nach dem „Sündenfall“ seines Volkes, zu ihm spricht, dass er einen „Raum“ schafft (33,21), in dem der heilige Gott ihm begegnet und sich ihm offenbart. Es ist das unbegreifliche Wunder, dass Gott seinem Volk vergibt, dass er den verheerenden Schaden, den die Sünde anrichtet, zeitlich begrenzt (34,7b) und einen Neuanfang schenkt.

Dieses Wunder der Gnade erfährt Mose zuallererst an sich selbst. Ausgerechnet in der dunkelsten Stunde seines Lebens nimmt ihn Gott in das Geheimnis seiner „Herrlichkeit“ hinein (hebr. „kabod“), die ihn, den Ewigen und Unbegreiflichen umgibt, und die der Mensch nur von ferne erahnen kann, wenn der heilige Gott in seine Welt eintritt. Auch in seiner Offenbarung bleibt Gott vor Moses Augen verhüllt. Mose kann Gott nur „hinterher“sehen. Aber er darf wissen: Gott ist „gnädig und barmherzig“, „langmütig“ (d.h. langsam zum Zorn) und „von großer Gnade und Treue“ (d.h. reich an Gnade und Treue) (34,6). In diesen Worten offenbart sich Gott in seiner grundlosen Liebe und Barmherzigkeit.

Man bezeichnet diese Worte als „Gnadenformel“, weil sie sich wie ein roter Faden durch die Schriften des Alten Testaments ziehen (z.B. Num 14,18 / Joel 2,13 / Jona 4,2 u.ö.). Aber in Wahrheit bedeuten sie weit mehr. Sie sind wie Leuchtzeichen, die daran erinnern, wer Gott ist und was er für uns getan hat – von allem Anfang an und für alle Zeit. Sie preisen das Wunder der Gnade Gottes, die in Jesus Christus allen zuteil geworden ist. Es ist das Evangelium, das in Psalm 103, dem großen Lobpreis der Gnade Gottes, schon im Alten Testament anklingt und bis heute fortklingt.

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