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Das goldene Kalb

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Exodus 32

Nicht lange danach stieg Mose

noch einmal auf den Berg.

Vierzig Tage und Nächte

blieb er dort oben.24,28

Da wurde dem Volk die Zeit zu lang.

Und sie fragten sich bang:

Wer weiß, vielleicht ist dieser Mann

dort oben verunglückt?

Wer wird uns dann

in das Gelobte Land führen?

Und sie rotteten sich zusammen

und bestürmten Aaron:

„Auf, mach uns einen Gott,

der vor uns hergeht

und uns den Weg führt.“32,1

Sie setzten Aaron so lange zu,

bis dieser nachgab.

„Gut“, meinte Aaron.

„Dann bringt euren Schmuck her,

auch die goldenen Ohrringe

eurer Frauen, Söhne und Töchter!“32,2

Da waren alle sofort mit Eifer dabei.

Sie rissen die Ohrringe von ihren Ohren

und häuften ihren goldenen Schmuck

vor Aaron auf.

Der schmolz ihn im Feuer

und goss daraus ein goldenes Kalb,

den Stierbildern gleich,

die andere Völker göttlich verehrten.

„Ja“, riefen die Leute begeistert,

„das ist dein Gott, Israel,

der dich aus Ägypten geführt hat!“32,4

Als aber Aaron ihre Begeisterung sah,

stellte er davor noch einen Altar

und verkündete allen:

„Morgen feiern wir

ein Fest für den Herrn.“32,5

Am nächsten Morgen kamen sie alle an,

Männer, Frauen und Kinder.

Ausgelassen feierten sie

das Fest ihres Gottes,

brachten ihm Opfer dar,

aßen und tranken sich voll,

tanzten wie toll

um das goldene Kalb32,19

und lebten ungehemmt ihre Lust aus.

Mose aber weilte nichts ahnend

immer noch auf dem Berg.

Da sprach Gott zu Mose:

„Auf, steig hinab und sieh,

wie schändlich dein Volk handelt.

Sie haben ein goldenes Kalb gemacht,

ihm Opfer gebracht und dazu gerufen:

Sieh, das ist dein Gott,

der dich aus Ägypten geführt hat.32,7f

Es ist ein widerspenstiges Volk,

das sich sträubt,

seinen Nacken zu beugen,

und sich meinem Gebot widersetzt.

Darum wird es ausgelöscht werden.

Aber dich, Mose, will ich

zu einem großen Volk machen.“

„Ach Herr!“, flehte Mose, „tu es nicht!

Warum willst du dieses Volk auslöschen,

das du doch mit großer Kraft

aus Ägypten geführt hast?32,11

Und warum sollen die Ägypter spotten

und sagen: ‚Seht, er hat sein Volk

nur in die Berge gelockt,

damit er es dort vernichtet.‘32,12

Herr, vergiss nicht, was du Abraham,

Isaak und Jakob zugesagt hast:

Ich will eure Nachkommen

so zahlreich machen

wie die Sterne am Himmel

und will ihnen das Land geben,

das ich ihnen verheißen habe.“

Da reute es Gott

und er ließ das drohende Unheil

nicht über sein Volk kommen.32,14

Als aber Mose vom Berg herabkam

und das tanzende Volk sah,

packte ihn heiliger Zorn.

In seinen Händen hielt er

zwei Tafeln aus Stein.

Auf ihnen standen

Gottes Gebote geschrieben.

Mose nahm die Tafeln,

zerschmetterte sie unten am Berg

und zornig stieß er das Kalb um,

und warf es ins Feuer.32,15ff

„Was hast du getan?“,

stellte er Aaron zur Rede.

„Und was haben dir die Leute getan,

dass du so schwere Schuld auf sie lädst?“

„Ach mein Herr!“, wand sich Aaron.

„Sei nicht zornig auf mich!

Die Leute wollten es so.

Du weißt ja, wie das Volk ist.

Sie haben mich dazu gedrängt.

Da nahm ich ihren Schmuck

und warf ihn ins Feuer.

So ist das Kalb entstanden.“32,21f

Da wandte sich Mose zum Volk

und rief laut in die Menge:

„Her zu mir, wer sich

zum Herrn unserem Gott hält!“

Aber nur wenige traten hervor.

Nur der Stamm Levi

stellte sich auf seine Seite.

Die anderen standen da wie erstarrt.

Mit Schrecken erkannten sie,

was sie Gott angetan hatten.

Mutwillig hatten sie den Bund

mit ihrem Gott gebrochen,

kaum war er geschlossen.

Alle Freude war plötzlich dahin.

Ängstlich verkrochen sie sich

in ihre Zelte und warteten bang

auf den kommenden Morgen.32,26ff

An jenem Tag starben 3000 Menschen,

alle an einem Tag.32,28

Was für ein Drama spielt sich hier ab!

Gerade erst 40 Tage sind vergangen, seitdem das Volk Israel feierlich in den Bund mit seinem Gott eingetreten ist – und schon hat es ihn gebrochen! Es ist die Angst vor der ungewissen Zukunft und das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit, das die Menschen dazu verführt hat, Gottes Gebot zu überschreiten, kaum, dass es verkündet wurde. Diese Menschen verlangen nach einem sichtbaren Gott, der ihren Vorstellungen entspricht, über den sie nach Wunsch verfügen können. So wollen sie sich ein Stierbild nach dem Vorbild heidnischer Götterbilder machen – sichtbarer Ausdruck männlicher Kraft und Potenz. Aber was dabei herauskommt, ist nichts als ein lächerliches Kalb. Diesem Machwerk von Menschenhänden erweisen sie nun göttliche Ehre. Aber in Wahrheit feiern sie nur sich selbst und ertränken ihre eigene Angst durch exzessives Ausleben ihrer Lust nach Art heidnischer Fruchtbarkeitsriten.

Mit subtiler Ironie zeichnet die Erzählung den Weg nach, der das Volk Gottes immer weiter von Gott wegführt und alle, auch Aaron, mit ins Verderben zieht (32,2ff). Er beginnt damit, dass sich das Volk unmerklich von Mose distanziert („dieser Mann Mose“; 32,1) und sich mit makabrem Eifer in das heilig-unheilige Vorhaben stürzt. Wie ein Hohn wirkt das Bemühen Aarons, der Gottheit eine ansehnliche Gestalt zu geben. Aaron steht darin den heidnischen Götzenmachern nicht nach (für die auch der Prophet Jesaja nur beißenden Spott übrig hat; vgl. Jes 44,9ff u.ö.). Aber zum definitiven Bruch kommt es erst bei der Festfeier. Als Fest „für den Herrn“, d.h. als Fest Jahwes, ruft Aaron es aus. Aber in Wahrheit vollzieht sich hier der Bruch des Volkes mit seinem Gott. Doch auch jetzt erkennt es noch nicht seine Schuld. Sogar Aaron windet sich aus seiner Verantwortung heraus (32,21ff). Nur die zerbrochenen Tafeln machen offenbar, dass der Bund mit Gott definitiv zerbrochen ist.

Diese Erzählung zeigt auffällige Parallelen zu der Erzählung vom „Sündenfall“ (Gen 3). Und in der Tat: Es ist der Sündenfall des Volkes Gottes, den diese Geschichte so drastisch beschreibt und damit Israels künftige Geschichte schon vorwegnimmt (vgl. 1. Kön 12,25ff). Er wiegt umso schwerer, als Gott dieses Volk zu seinem Bundespartner erwählt hat! Menschlich betrachtet, kann es nach diesem tiefen Fall für das Volk keine Hoffnung mehr geben. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Aber – das ist die unerhörte Botschaft dieser Geschichte – Gott hält das Unheil auf. Es „reut“ ihn, heißt es hier ausdrücklich von Gott. In seiner Fürbitte wagt sich Mose weit vor. Er ringt geradezu mit Gott. Und Gott geht auf sein Gebet ein. Nicht, dass Gott wankelmütig sei. Sondern es reut ihn um der Menschen willen. Gott kann nicht zusehen, wie das Volk in sein selbst verschuldetes Unheil schlittert. Darum hält er – entgegen seiner Ankündigung – dennoch an seinem Volk fest (32,14). Das ist das eigentliche Drama dieser Geschichte. Es findet in Gott selbst statt. Es ist das Drama göttlicher Liebe, der nicht „ewig an seinem Zorn festhält, denn er ist barmherzig“. So bekennt es an späterer Stelle der Prophet Micha. Und er fügt staunend hinzu: „Wo ist solch ein Gott, so wie du?“ (Mi 7,18).

Gottes Reue zum Heil seiner Menschen – nur an wenigen herausragenden Stellen wagt sich das Alte Testament in seinen Aussagen so weit vor (z.B. Jona 3,10; 4,11ff, vgl. auch Hos 11,8ff). Aber wo immer sie anklingt, zeigt sie den unbegreiflichen Durchbruch der Liebe Gottes an – allen Gerichtsandrohungen zum Trotz.

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