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Der Versöhnungstag

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Levitikus 10 und 16

Aber Nadab und Abihu,

die Söhne Aarons, des Priesters,

brachten ungefragt im Heiligtum

ein Rauchopfer dar.

Da loderte die Flamme hoch auf und

beide Priestersöhne verbrannten

bei lebendigem Leib.

Aaron aber verstummte,

zu Tode erschrocken.

Entsetzt erkannte er,

wie heilig Gott war.

Wie konnte ein Mensch

in seiner Nähe bestehen?10,1–3

Da sprach Gott zu Mose:

„Sag deinem Bruder Aaron:

Er soll nicht jederzeit

in das ‚Allerheiligste‘ gehen.16,1f

Nur ein einziges Mal im Jahr

darf er hinter den Vorhang gehen,

zur Sühne für sich und sein Volk.16,34

Und so soll die Sühne geschehen:

Zuerst soll Aaron sich selbst

mit seiner Familie entsühnen.16,6

Danach soll das Volk

zwei Ziegenböcke zu Aaron bringen.

Den einen Bock soll er schlachten

und sein Blut

in das ‚Allerheiligste‘ bringen

und auf den ‚Gnadenthron‘ sprengen.16,15

Kein Mensch darf dabei sein,

wenn der Priester Sühne schafft

für sich und sein Volk.16,17

Aber den anderen Bock

soll Aaron am Leben lassen.

Er ist der ‚Sündenbock‘,

der eure Schuld trägt.

Aaron soll beide Hände

auf den Bock legen

und ihn danach in die Wüste schicken.

Das soll das Zeichen sein:

So wird Gott eure Schuld wegtragen.“16,20ff

So sprach Gott zu Mose.

Und Mose gab alles an Aaron weiter,

was Gott ihm geboten hatte.

Und als der Herbst kam,

versammelte sich die ganze Gemeinde

vor dem Zelt Gottes

zum großen Versöhnungstag.

Zwei Ziegenböcke standen

am Eingang bereit.

Den einen schlachtete Aaron

vor den Augen des Volkes.

Sein Blut aber trug er

in das ‚Allerheiligste‘ hinein,

als Sündopfer für Gott,

und besprengte die Bundeslade

mit seinem Blut.

Dies war der heiligste Augenblick:

Gott nahm das Opfer an.

Die Schuld war gesühnt.

Der Weg zu Gott stand wieder offen.16,29ff

Danach ging Aaron vor das Zelt

und nahm den anderen Ziegenbock,

legte die Hände auf ihn

und schickte ihn in die Wüste.

Da ahnte das Volk:

Ihre Schuld war gesühnt.

Wie dieser Sündenbock,

so hatte Gott ihre Schuld

auf sich genommen.

So feierte das ganze Volk

den großen Versöhnungstag,

wie Gott Mose geboten hatte.

Es war der größte Feiertag,

den Gott seinem Volk schenkte.

Und bis heute feiert Israel

jedes Jahr im Herbst diesen Tag.

Und auch heute bleibt es

ein unbegreifliches Wunder,

dass der heilige Gott sein Volk

mit sich selbst versöhnt.

Die Bedeutung dieses Kapitels kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Inhaltlich schließt es sich zwar eng an Lev 10,1ff an und liefert mit dem Tod der beiden Priestersöhne Nadab und Abihu den Erzählrahmen für die Einrichtung des Versöhnungstages. Aber seine Botschaft reicht weit über das Buch Levitikus hinaus und findet im Alten wie im Neuen Testament ihren vielfältigen Widerhall.

Ausgangspunkt ist die Frage, die schon die vorangegangenen Texte bestimmt hat: Wie kann das Volk Gottes, das gegen Gott massiv gesündigt hat, in der Gegenwart Gottes leben? Seine Sünde trennt es unwiderruflich von Gott, wobei Sünde mehr bedeutet als menschliche Verfehlung. Sie bezeichnet ein sakrales Vergehen (dt. „Frevel“), einen Verstoß gegen Gottes heilige Ordnung mit heillosen Folgen. Durch sie wird die von Gott gestiftete Gemeinschaft mit seinem Volk zerstört. Nach menschlichem Ermessen kann die Gemeinschaft nur wiederhergestellt werden, wenn der „Sünder“ aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird und dadurch Sühne geschieht. Nun aber tut sich mit der Einrichtung des Versöhnungstages ein neuer Weg auf, der den Teufelskreis von Sünde und Schuld unterbricht und den Sünder zu neuem Leben befreit.

Entscheidend ist dabei:

– Die Versöhnung geht von Gott aus. Der Mensch kann Gott nicht durch Opfer versöhnen, sondern Gott stiftet Versöhnung und gibt selbst den Weg vor, auf dem er Versöhnung gewährt.

– Versöhnung geschieht im „Allerheiligsten“. Sie entzieht sich dem Zugriff des Menschen. Nur einmal im Jahr darf der Priester dort hineingehen, um die Sünde des Volkes zu sühnen. Aber zuerst muss seine Sünde gesühnt werden.

– Sühne geschieht durch das Opferblut. Das Blut wird durch den Priester in das Allerheiligste getragen und dort auf die Deckplatte der Bundeslade gesprengt. Dies ist der „Gnadenthron“ bzw. „Gnadenstuhl“, an dem Gott dem Menschen nahekommt und Versöhnung zusagt. Sie geschieht zeichenhaft durch das vergossene Blut. Denn „des Leibes Leben ist im Blut“ (17,11). Der Mensch darf durch das Blut des Opfers neues Leben empfangen.

– Gott selbst bestimmt den Weg, wie die Altlast der Sünde mitsamt ihren heillosen Folgen „entsorgt“ wird. Im Ritus des „Sündenbocks“ wird zeichenhaft Stellvertretung vollzogen. Indem der Priester seine Hand auf dessen Kopf legt und ihn in die Wüste schickt, bekennt er: Gott ist es, der durch den von ihm bestimmten Sündenbock die Sünde der Welt wegträgt und sie an einen Ort verdammt, wo das Böse keinen Schaden mehr anrichten kann. (Die Wüste gilt nach alter Überlieferung als Ort, wo die Dämonen hausen.)

– Gott legt selbst den Zeitpunkt fest, an dem die Versöhnung vollzogen wird. Es ist der „Jom Kippur“, der nach unserer Zeitrechnung jedes Jahr unmittelbar nach dem jüdischen Neujahrsfest begangen wird. Der Name „Kippur“ leitet sich ab von dem hebräischen kapporät (= „Gnadenthron“), der Deckplatte bzw. dem „Sühnedeckel“ über der Bundeslade, und erinnert an das Wunder, dass Gott die Sünde seines Volkes „bedeckt“ hat (vgl. Ps 32,1f).

Diese rituellen Vorgaben bilden im Neuen Testament, insbesondere bei Paulus und im Hebräerbrief, die Grundlage zur Deutung des Todes Jesu und zur Entfaltung der Botschaft von der Versöhnung durch Jesus Christus. Zugleich aber werden nach dem Hebräerbrief diese Riten durch das Evangelium von Jesus Christus ein für alle Mal aufgehoben. Dies zeigt u.a. folgender Vergleich:

– Der Versöhnungstag muss jährlich wiederholt werden. Jesus Christus aber hat ein für alle Mal Versöhnung geschaffen (Hebr 9,7ff).

– Der Versöhnungstag ist dem Volk Israel gegeben. Aber durch Jesus Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt (2. Kor 5,19). Durch ihn geschieht Versöhnung nicht nur für unsere Sünden, sondern für die der ganzen Welt (1. Joh 2,2).

– Am Versöhnungstag trägt der Hohepriester das Opferblut ins Allerheiligste hinein. Aber Jesus Christus „ist durch sein eigenes Blut ein für alle Mal in das Heilige hineingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben“ (Hebr 9,12).

– Am Versöhnungstag trägt der Sündenbock zeichenhaft die Schuld weg. Aber von Jesus Christus heißt es: „Er hat unsere Sünden selbst hinaufgetragen an seinem Leib auf das Holz … durch dessen Wunden ihr geheilt worden seid“ (1. Petr 2,24; eine Anspielung auf das stellvertretende Leiden des „Gottesknechts“ in Jes 53,4f).

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