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Roman Klapfer tritt in die Pedale. Er hat schon einen Großteil der Strecke hinter sich, die er sich zweimal pro Woche auferlegt hat. Von Sankt Martin am Wöllmißberg über Edelschrott nach Köflach hinunter, dann nach Piber und Bärnbach, über Södingberg und Stallhofen nach Gaisfeld, und von da aus durch den Teigitschgraben zurück hinauf nach Sankt Martin. Das kann sich sehen lassen, findet er. So vorbereitet will er in einer Woche am Lipizzaner-Benefizrennen teilnehmen. Oder auf gut Steirisch: »Lipizzaner Bike Challenge«. Der Tourismusverband hat die deutsche Bezeichnung nicht »stylish« genug gefunden, es hat was Englisches hermüssen. Die Tourismusleute müssen es ja schließlich wissen.

Soeben hat er den Kreisverkehr in Gaisfeld verlassen und biegt in die Gößnitzstraße ein, die ihn nach einigen Kilometern zur Abzweigung nach Sankt Martin führen wird. Er lässt es jetzt ruhiger angehen, greift nach hinten und holt aus der Gürteltasche die Plastikflasche mit dem Elektolytgetränk. Im Fahren gönnt er sich ein paar Schlucke. Bloß nicht anhalten, sonst drängen sich die schmerzenden Beinmuskeln in sein Bewusstsein. Er hat den Ehrgeiz, unter die zehn Besten zu kommen. Der Reinerlös kommt den sozial Schwachen des Bezirks zugute. In diesem Jahr wird die Jugendwohlfahrt mit dem größten Stück des Kuchens bedacht.

Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. Allein das Paradoxe an dieser Sache macht die Anstrengung wert. Er könnte sich bepinkeln vor Lachen, wenn er darüber nachdenkt.

Sein Umfeld will keine Schwierigkeiten und Probleme, eine bequeme Aufrechterhaltung des Status quo ist gefragt. Unangenehme Wahrheiten sind der Karriere nicht förderlich. Besonders nicht der Karriere von Entscheidungsträgern. Ein Skandal ist immer äußerst unangenehm. Da könnte sich die Frage nach den Verantwortlichen stellen oder – Gott bewahre! – gar die Notwendigkeit, für etwas geradezustehen. Da gehört er hin. In diesem Biotop fühlt er sich wohl.

Er schaut auf die Uhr. Wenn er sich beeilt, schafft er es vielleicht noch, bis Mittag beim »Lärchenwirt« anzukommen. Dann wird er sich an den Stammtisch setzen und ein großes Bier zischen. Oder zwei.

Die Straße verläuft ohne größere Steigungen durch den Teigitschgraben. Er erhöht das Tempo und beugt den Oberkörper vor, um den Luftwiderstand zu verringern. Die letzten Häuser hat er hinter sich gelassen, jetzt gehört die Straße ihm. Sie ist auf der linken Seite von Wiesen und der rechten von Büschen und Mischwald flankiert. Aus dem Augenwinkel nimmt er rechts im Gebüsch eine Bewegung wahr, dann ist er auch schon vorbei. Bei einem kurzen Blick zurück erkennt er eine Gestalt, die ein Holzgestell aus dem Gebüsch zerrt. Egal. Er kann bereits das Kraftwerk Arnstein zwischen den Büschen durchschimmern sehen. Jetzt noch die Gerade bis zur kleinen Erhöhung, wo sich die Straße verengt. Vielleicht kann er das Tempo noch steigern, sodass er mit einem kleinen Sprung auf der abschüssigen Seite ankommt. Der Gedanke an ein entgegenkommendes Auto schießt ihm durch den Kopf. So what. No risk, no fun, wie der Weststeirer sagt.

Es gelingt ihm tatsächlich ein kleiner Sprung über die Kuppe, und sein Hochgefühl beim Aufsetzen paart sich mit dem Unverständnis über den Schlag, den er auf Oberarmen und Brust verspürt. Die Hände werden ihm vom Lenker gerissen, das straff gespannte Seil siegt über die Fliehkraft und hebt Roman Klapfer aus dem Sattel. Das Rad rollt noch ein paar Meter, bevor es schlingernd zur Seite fällt. Er kracht so heftig mit dem Kopf auf die Fahrbahn, dass sich der Radhelm löst und in den Graben rollt. In der rechten Schulter flammt ein höllischer Schmerz auf, der ihm für Sekunden den Atem nimmt. Seine Beine spürt er nicht mehr. Stöhnend versucht er, sich auf den Rücken zu drehen, als er einen Wagen näher kommen hört. Gleichzeitig nimmt er Schritte wahr, von vorne. Gott sei Dank. Jemand wird ihm helfen.

Eine verschwommene Gestalt nähert sich ihm. Er hat keine Zeit mehr, sich zu wundern, woher sie so plötzlich gekommen ist. Die Gestalt beugt sich über ihn und rammt ihm ein Knie auf die Brust. Wieder bleibt ihm die Luft weg, er reißt die Augen auf. Über ihm eine schwarze Mütze mit kreisrund geschnittenen Löchern, durch die ihn hasserfüllte Augen versengen. Er will sich wehren, aber das andere Knie presst seinen linken Unterarm auf den Asphalt. Er spürt den Einstich, will schreien … die Wolken drehen sich zu Spiralen …

Er merkt noch, wie er an Armen und Beinen aufgehoben und in den Laderaum eines Wagens geworfen wird. Dass sein Fahrrad und sein Helm kurze Zeit später auf ihn draufgeworfen werden, spürt er nicht mehr.

Tod im Schilcherland

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