Читать книгу Tod im Schilcherland - Isabella Trummer - Страница 28

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Hat er geschlafen? Er ist sich nicht einmal sicher, ob er in diesem Augenblick wach ist. In der schwarzen Stille ist nichts gewiss. Zeit und Raum dehnen sich in watteartiger Unendlichkeit. Er spürt nichts mehr. Beine und Rücken sind taub. Schwebt er?

Wieder bleibt nur das Riechen. Ein ekelhafter Gestank. Vielleicht befindet er sich in einer Raumkapsel, schwebt im All, vom Mutterschiff ausgeschissen …

Die Hände. Die muss er doch spüren. Die Finger zur Faust ballen. Das Gehirn zwingen, den Befehl auszuführen. Er weiß erst, dass er es geschafft hat, als sich die Fingernägel in das weiche Fleisch seiner Handflächen bohren.

In der nächsten Sekunde spürt er den Schmerz überall. Im aufgedehnten Unterkiefer, in Hals, Schultern, den festgezurrten Hand- und Fußgelenken, und wieder die Krämpfe, in beiden Unterschenkeln diesmal. Automatisch will er sich bewegen, der Körper zuckt, die einschneidenden Fesseln verdoppeln den Schmerz.

Jetzt ist er hellwach. Nicht bewegen, dann ist der Schmerz erträglich. Wahrscheinlich hat die Wirkung eines Betäubungsmittels aufgehört. Bestimmt ist es so. Er darf sich nicht auf die Schmerzen konzentrieren, sonst verliert er den Verstand.

Verliert sich selbst.

Sein Name ist Roman Klapfer. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt. Seine Mutter ist Maria Klapfer. Sie ist gestorben, als er zwölf war. An Krebs. Danach hat er beim Vater gelebt. Der Name seines Vaters ist Ferdinand Wolfshuber.

Sein Name ist Roman Klapfer …

Das Schlimmste ist der Durst. Er stellt sich vor, wie er ein Glas Wasser zum Mund führt, spürt die Flüssigkeit auf der Zunge, sie sammelt sich in seinem Rachen … Als er schluckt, reibt in seiner Kehle eine Drahtbürste. Die ausgetrockneten Schleimhäute knacken wie trockenes Holz.

Plötzlich ist sie da, die Wut. So heftig, dass sie ihn die Schmerzen vergessen lässt. Wenn er da wieder herauskommt, wird er fürchterliche Rache nehmen. Wer immer ihm das antut, er wird ihn foltern, mit Messern, mit Zangen, mit Strom, wird ihm die Haut abziehen, und bevor er schließlich abkratzt, wird Roman auf ihn einschlagen, einschlagen, wird ihn tottreten und selbst dann noch weitermachen, wenn er den letzten Lebenshauch aus ihm rausgeprügelt hat. Bis nur mehr ein Brei aus Fleisch und Knochen übrig ist. Seine Rachephantasie beschert ihm eine Erektion. Nicht gut. Falscher Zeitpunkt. Er muss den Atem wieder ruhiger werden lassen, sonst erstickt er. Obwohl – gibt es einen besseren Abgang als mit einem Steifen? Aber dafür ist es zu früh, er kann doch jetzt nicht sterben, er ist noch so jung. Himmelherrgott, unmöglich, das gibt es doch einfach nicht, was da mit ihm passiert.

Sein Name ist Roman Klapfer. Es ist siebenundzwanzig Jahre alt. Seine Mutter ist Maria Klapfer. Sie ist gestorben, als er …

Da ist doch was? Oder hat ihm seine Phantasie etwas vorgegaukelt?

Doch.

Geräusche. Leises Quietschen. Und Klackern.

Wird da ein Schloss entriegelt?

Und jetzt ein dünner, heller Streifen. Licht! Er dreht den Kopf, soweit es die Fessel zulässt, und reißt die Augen auf. Wieder ein Klackern, lauter diesmal. Jetzt ist er sich sicher. Jemand schließt eine Tür auf. Sein Herz trommelt.

Die Tür schwingt auf. Er erkennt den Umriss einer Person vor einem hellen Viereck. Im nächsten Moment fluten Neonröhren den Raum mit gleißender Helligkeit. Das Licht brennt sich durch seine geweiteten Pupillen auf die Netzhaut, ein stechender Schmerz rast in sein Gehirn. Gepeinigt schließt er die Augen.

Schritte, die näher kommen. Er öffnet die Lider einen Spalt, muss den Augen Zeit lassen, sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Blinzelnd bemerkt er eine Gestalt, die neben ihm aufragt. Sie ist in einen weißen Plastikoverall gehüllt, die Hände stecken in blauen Einweghandschuhen. Über den Kopf ist eine schwarze Haube gezogen. Die Augen in den ausgeschnittenen Öffnungen starren ihn ausdruckslos an. Eine Minute vergeht. Die Gestalt neben ihm schweigt.

Dann nimmt der Unbekannte ihm die Halsfessel ab. Er knotet den Lappen um den Mund auf. Finger bohren sich in Klapfers Mund und ziehen mit einem Ruck einen Hartgummiball heraus. Der ausgerenkte Unterkiefer klappt nur langsam nach oben.

»Du weißt, warum du hier bist?«, fragt der Mann leise.

Klapfer schüttelt den Kopf. Er liegt in einer Nirostawanne, etwa eineinhalb Meter über dem Boden, erkennt er. Arme und Beine sind vom Körper abgespreizt und an seitlichen Metallstäben fixiert. Mit Kabelbindern.

»Du sagst Nein. Nun, dann werden wir deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen müssen.«

»…ser … Wasser …«, krächzt Klapfer.

»Zuerst müssen wir deinen Dreck wegmachen.«

Der Mann hat jetzt einen Gartenschlauch in der Hand und lässt eiskaltes Wasser über Klapfers Körper laufen. Gurgelnde Geräusche verraten, dass es einen Ablauf gibt.

»Jetzt schau dir einmal an, wie du dich eingesaut hast. Das macht man doch nicht.«

Klapfer fällt ein, dass er sich bepinkelt hat.

»Wass…ser …«

Er folgt dem Wasserstrahl mit den Augen. Die Hand des Mannes lenkt den Schlauch um Klapfers Gesicht herum. Er verrenkt, so weit er kann, seinen Kopf zur Seite, um das ablaufende Wasser aufzulecken. Der Wasserstrahl versiegt.

»Du willst trinken? Das musst du dir erst verdienen.«

Der Unbekannte hält den Schlauch über Klapfers Gesicht und lässt ihm die letzten Tropfen in den aufgerissenen Mund träufeln. Dann dreht er sich weg und gibt den Blick auf den Raum frei. Klapfers Augen huschen herum. Geflieste Wände, Decke und Boden, kein Fenster. Regale, Werkzeuge und Haken an der rechten Wand, vor ihm neben der Tür ein Druckluftreiniger. Auf der linken Seite eine Abschlagvorrichtung und ein zu drei Vierteln voller Plastikkanister mit dem Aufdruck »Wasserstoffperoxid«. Darüber geschnitzte Brettchen an der Wand, wie sie Jäger benutzen, die ihre Trophäen daran befestigen.

Der Mann ist jetzt hinter ihm und hantiert mit etwas Metallischem. Er kann nicht sehen, was er macht. Klapfers Augen suchen wieder die Brettchen an der Wand. Auf einem erkennt er verschwommen eine Trophäe, aber er sieht kein Gehörn. Er versucht, die Trophäe zu fokussieren. Eine Wildsau ist das nicht, das ist … ist … Heilige Jungfrau …

Sein Blick saugt sich fest am vorderen Teil eines menschlichen Schädels, der Unterkiefer baumelt daneben an einer Schnur. Die aufgepinselte Jahreszahl am unteren Rand des Brettchens sieht er nur undeutlich.

Der Unbekannte tritt wieder in sein Gesichtsfeld.

»Also, Roman, hast du über meine Frage nachgedacht? Warum bist du hier?«

»Ich weiß nicht, was … Wollen Sie Geld? Mein Vater …«

»Du bist nicht sehr kooperativ. Aber das macht nichts. Wenn wir hier fertig sind, ist dir bestimmt alles wieder eingefallen. Glaub mir.«

Plötzlich tritt eine zweite Person neben die Wanne. Er hat sie nicht kommen gehört. Auch sie trägt einen Overall und Handschuhe und hält … hält eine Zange …

»Ich tippe auf einen Finger, nicht mehr. Oder was meinst du?«, fragt die erste Gestalt. »Beginnen wir mit dem kleinen Finger. Da hält sich der Schmerz noch in Grenzen.«

Als sich die zweite Person über ihn beugt, weiß Klapfer, dass er verloren ist.

Er erkennt die hasserfüllten Augen wieder, die ihn aus den Löchern der Haube anstarren.

Tod im Schilcherland

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