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Harald Kammerlander sitzt in seinem Büro und sinniert.

Mit dem Fuß angelt er Ebners Drehstuhl zu sich heran und legt die Beine auf die Sitzfläche. Der Stuhl ist vorläufig für Hansbauer reserviert, solange die Landespolizeidirektion keinen Ersatz schickt. Was bis jetzt nicht der Fall ist. Er verschränkt die Arme über dem Bauch und betrachtet den verwaisten Schreibtisch seines Freundes.

Gott sei Dank haben sich die Schurken des Bezirks in letzter Zeit etwas zurückgehalten. Darum hat sich die Personalknappheit noch nicht wirklich schlimm ausgewirkt. Und Witt ist von seinem Italienurlaub auch wieder zurück.

Wo bleibt eigentlich der Franz? Der müsste seine Aussage vor Gericht doch schon gemacht haben. Damit Voitsberg wieder für ein paar Monate vor dem Fleischhacker Manfred sicher ist. Und das Mobiliar der Gaststätten seines Vertrauens.

Auf alle Fälle fehlt ihm jetzt ein Mann. Das hat er bei Starkl schon mehrmals angemahnt, bis dieser ihn entnervt aus seinem Büro gewedelt hat. Er könne auch nicht zaubern. Wenn die vom Land ihm keinen Ersatz schicken, sei das eben so.

Das könnten ab nächstem Jahr meine Aufgaben sein, denkt Kammerlander. Dienstpläne erstellen, sich mit der Landespolizeidirektion herumschlagen, Teams zusammenstellen, mit dem Frust enttäuschter oder verärgerter Kollegen klarkommen. Will ich das? Mich auf einen Verwaltungsposten zurückziehen?

Andererseits: Er muss auch seine körperliche Verfassung bedenken. Es gibt keine Garantie, dass er auf ewig gesund und fit hinter Dieben, Betrügern und Mördern herjagen kann. Da braucht er nur an die gestrige Untersuchung zu denken. Sie hat – Gott sei’s gepfiffen und getrommelt – keinen Befund erbracht. Die Diagnose »lokal begrenztes Prostatakarzinom« hat ihn vor ein paar Jahren ziemlich aus der Bahn geworfen. Aber die Operation damals ist gut verlaufen, und da das umliegende Gewebe noch nicht betroffen war, hat man ihm eine Chemotherapie ersparen können. Ein paar Bestrahlungen im Anschluss und gut war’s. Trotzdem blickt er jeder Kontrolluntersuchung mit Angst entgegen. Wenn man einmal eine Krebsdiagnose bekommen hat, ist es vorbei mit der Leichtigkeit des Seins. Man ist danach nicht mehr derselbe.

Er hört im Nebenzimmer das leise Klappern einer Tastatur. Witt sitzt wohl gerade an der Anzeige vom Landtagsabgeordneten Wolfshuber. Sein Sohn wird vermisst. Oder auch nicht.

Kammerlander ist auf dem Weg zur Toilette, als er Ratzinger um die Ecke kommen sieht. Der bleibt vor der offenen Tür zur Kantine stehen und starrt hinein.

»Franz?«

Ratzinger starrt noch immer.

Was hat er denn?

Als er bei Kammerlander angekommen ist, fragt Ratzinger leise: »Was ist das?«, und zeigt verstohlen in die Kantine. Kammerlander dreht den Kopf und zuckt zusammen. Er sieht eine Gestalt in Jeans und T-Shirt, die in ihr Tablet vertieft ist. Dass diese Person eine junge Frau ist, wird ihm erst auf den zweiten Blick klar. Jedes Stück Haut, das die Kleidung nicht bedeckt, schimmert blau und schwarz. Eine Vollkörpertätowierung? Von den Ohren zieht sich ein Spiralmotiv zu den Wangen, selbst die Stirn schimmert dunkelblau. Das Kinn ziert etwas Violettes, Kammerlander kann nicht erkennen, was es ist. Daneben fällt das gulaschrote Haargestrüpp kaum noch auf. In jedem Ohrläppchen ist ein Kanal aufgedehnt, die Ohrlöcher werden von kreisförmigen Ringen am Zusammenwachsen gehindert.

»Was ist das?«, flüstert Ratzinger noch einmal.

Da hebt die Frau den Kopf und blickt in ihre verdutzten Gesichter.

Kammerlander fühlt sich ertappt und nickt ihr zu. Dann macht er sich eilig auf den Weg zur Toilette.

Ratzinger muss allein klarkommen.

Als er wieder zu seinem Dienstzimmer geht, ist die Frau aus der Kantine verschwunden. Er findet Ratzinger am Fenster stehend vor.

»Hast du so was schon einmal gesehen?«, fragt der Kollege.

Kammerlander schüttelt den Kopf. »Nicht in der Ausprägung.«

Ratzinger starrt schweigend hinaus.

»Ja, da weiß man echt nicht, was man sagen soll.«

»Meinst du, es spricht?«

Kammerlander zuckt mit den Schultern. »Zumindest ist sie in der Lage, ein Tablet zu bedienen.«

»Eine Sie? Wie kannst du da sicher sein?«

In diesem Moment wird die Tür schwungvoll geöffnet, und Kommandant Starkl betritt das Büro. Mit der Tätowierten im Schlepptau.

Jetzt nimmt Kammerlander sie genauer in Augenschein. Etwa eins fünfundsechzig, überschlank, die Haare asymmetrisch geschnitten. Über dem linken Ohr fast kahl rasiert, auf dem Oberkopf werden die rot-schwarzen Igelstacheln länger, bis sie über dem rechten Ohr in Fransen herunterhängen und das eine Auge fast verdecken. Zwischen dem kurzen T-Shirt und dem Bund der Jeans liefern sich blaue Drachen und Schlangen einen erbitterten Kampf.

»Leute, euer Leiden hat ein Ende«, beginnt Starkl betont munter. »Ihr habt ja immer gejammert, dass ihr unterbesetzt seid. Nun, darf ich vorstellen: Inspektor Doris Dollinger. Sie will bei uns Erfahrungen sammeln und wird für den Kollegen Ebner einspringen. Zumindest so lange, bis er wieder in den heimatlichen Stall zurückfindet. Die Kollegin hat exzellente Computerkenntnisse.«

Er wendet sich jovial der Frau zu.

»Und das sind Ihre Kollegen Kammerlander und Ratzinger. Ich bin überzeugt, dass Sie viel von ihnen lernen werden. Also: Herzlich willkommen und frohes Schaffen!«

Starkl nickt den Beamten grinsend zu und macht einen Abgang.

Kammerlander blickt hilfesuchend zu Ratzinger. Der steht mit hängenden Armen da und schaut.

Fast katatonisch.

»Wo ist mein Schreibtisch?«, fragt der Neuzugang.

Ratzinger schaut immer noch.

Surreal, denkt Kammerlander. Einfach nur surreal.

Dieser Tag wird unvergessen bleiben.

Genau wie das schadenfrohe Grinsen Starkls.

Tod im Schilcherland

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