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Lautes Stimmengewirr erfüllt den Raum. Man hat seiner Christenpflicht Genüge getan und die heilige Messe absolviert. Auch die Opferbüchse, vom Mesner mit wachsamen Augen und strenger Miene herumgereicht, hat man zum Klingeln gebracht. Selbstzufrieden widmet man sich nun den angenehmen Stunden des Tages.

Nach dem sonntäglichen Kirchgang ist die Gaststube gut gefüllt. Alt und Jung lassen sich nach so viel geistlichem Beistand Gulasch und Bier schmecken. Ein paar junge Leute drücken kichernd und mit fliegenden Fingern auf ihren Smartphones herum, die ältere Generation unterhält sich über Gott und die Welt, wie es halt Brauch ist an einem Sonntag auf dem Land. An einem Ecktisch ist man mit dem Essen fertig, ein Schachbrett wird aufgestellt, die Partie kann beginnen. Am Tisch daneben klacken bereits die Kugeln des Kartenzählers, der auf Anfang gestellt wird. Dem Kartengeber fällt beim Mischen eine Karte herunter.

»Mischen impossible«, sagt einer der Spieler, und alle lachen.

Der Stammtisch ist gut besetzt, selbst der Landtagsabgeordnete Wolfshuber hat es sich angelegen sein lassen, anwesend zu sein.

»Noch eine Runde, die Herren?« Der Wirt steht hemdsärmelig hinter dem Zapfhahn und wirft einen auffordernden Blick zum Stammtisch hin.

»Ja, freilich!« Ambrosius Gößler hebt die Hand. »Die Runde geht auf mich!«

»Sauber!«

»Jawoll!«

»Trifft ja keinen Armen, was, Ambrosius?«

Der Angesprochene streicht sich grinsend über seine angeschwollene Leibesmitte. »Ja meint ihr, vom Hungern und Dürsten wär ich so stattlich geworden?«

Die weiteren Kommentare werden von der Kellnerin unterbrochen, die schnaufend das schwere Tablett mit den Biergläsern abstellt.

»Wohl bekomm’s!«

Während sie die Gläser verteilt, gönnt sie jedem einen tiefen Einblick in den Ausschnitt ihres Dirndls. So ein erfreulicher Anblick hebt die Stimmung und den Umsatz, wie der Wirt nicht müde wird, seinem weiblichen Bedienungspersonal einzuschärfen. Männliches stellt er gar nicht erst ein. Die anzüglichen Bemerkungen lassen nicht lange auf sich warten.

Mit einem anerkennenden Klopfer auf den Hintern entlässt Ambrosius die Kellnerin.

»Hör auf zu sabbern, Kilian«, sagt er und zwinkert dem Angesprochenen zu. »Sonst muss dir unser Doktor noch Blutdrucktabletten verschreiben.«

»Ja, aber die blauen!«

»Genau!«

»Ihr habt’s nötig!«, bemerkt Kilian Brandstätter, der als Bürgermeister hier an keinem Sonntag fehlt. »Wenn der Silvester so aus dem medizinischen Nähkästchen plaudern würde, möcht net wissen, was da alles zum Vorschein käm …«

Der alte Arzt winkt augenzwinkernd ab. »Arztgeheimnis. Meine Lippen sind versiegelt.«

Seine rote Gesichtsfarbe und die blau geäderte Nase weisen ihn als jahrelangen ernsthaften Trinker aus. Keine halben Sachen.

»Alsdann«, der Bürgermeister läutet ein anderes Thema ein. »Haben wir für die Radveranstaltung am nächsten Sonntag alles beieinander? Unser Herr Landtagsabgeordneter hier hat bei der Vergabe des Veranstaltungsortes ein gewichtiges Wort mitgesprochen. Da dürfen wir uns keine Blöße geben!«

»Hört, hört!«

»Bravo, Wolfshuber!«

»Tja, manchmal tun die Politiker halt doch was für ihr Geld, was, Ferdl?«

Wolfshuber grinst. »Du sagst es, Ambrosius. Ich hab ein ziemliches Stück Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wir können ja nicht immer den Städten den Vortritt lassen. Besonders, wenn man an die Wertschöpfung denkt, die so eine Veranstaltung mit sich bringt.«

»In erster Linie einmal für unseren Wirt hier.«

»Deswegen gibt’s auch eine Extrarunde!«, sagt der Angesprochene.

Vom Stammtisch ertönt zustimmendes Klopfen.

Kilian Brandstätter hebt dozierend den Zeigefinger.

»Und vergessts nicht die Stände mit den Bauernmarktprodukten und Handarbeiten und was weiß ich noch alles. Und die Medien, die kommen. Das ist bestimmt eine gute Werbung für den sanften Tourismus bei uns.«

»Da ist meine Mithilfe ja wohl auch gut angekommen, nehm ich einmal an«, wirft Ambrosius Gößler ein.

»Ja, das hätt ich fast vergessen. Danke für deine großzügige Spende.«

»Tue Gutes und rede darüber«, kommt es von einem Nachbartisch.

»Sonst wär’s ja für nix«, kontert Ambrosius, nicht im Mindesten verlegen.

»Die Organisation haben der Klapfer Roman und ich übernommen.« Gemeindesekretär Huber, der Jüngste am Tisch, bringt sich nun auch beflissen ein. »Wir haben nur noch ein paar Kleinigkeiten zu klären, ansonsten steht die Sache.«

Er wendet sich Wolfshuber zu.

»Wo ist eigentlich der Roman? Ich hab gedacht, ich treff ihn heut am Stammtisch.«

»Wird jeden Moment kommen. Er fährt eine Trainingsrunde, weil er am Sonntag am Rennen teilnehmen will.«

Die Tür geht auf und entlässt einen Schwall Wirtshausluft ins Freie.

»Herr Pfarrer!«, ruft der Ambrosius sogleich. »Wird ja Zeit. Deine Heiligen kannst auch morgen noch abstauben. Setz dich her zu uns.«

Er blickt auf die Schilchermischung vor ihm und hört ihnen zu.

Die markigen Ansagen und ihre Selbstgefälligkeit rinnen wie altes Schmalz von den Wänden. Es fällt ihm schwer zu atmen. Der selbstverständliche Anspruch dieser Leute auf Vorherrschaft, Besserstellung und Unangreifbarkeit, befeuert von Bier und Schnaps, presst die Atmosphäre um ihn zu einer zähen Masse. Er schluckt trocken.

Wann hat das alles begonnen? Mit dem Tod von Kajetan Reinprecht vor zehn Jahren? Nein, viel früher, denn die Strukturen von Macht und Ohnmacht sind so alt wie die Welt. Egal, ob in der Stadt oder auf dem Dorf. Sie werden vererbt von einer Generation auf die nächste, bis eines der Opfer, einer der Hilflosen, dagegen aufsteht. Bis der Hass übermächtig wird.

Soll er versuchen, es zu stoppen? Will er es überhaupt? Nein, nicht wirklich. Die Vorstellung, dass alles so bleibt wie bisher, ist inakzeptabel. Die Frage ist, ob er das Kommende aushalten wird, ob er damit leben kann. Nun, man wird sehen. Vielleicht halten sich am Ende ja doch die Waagschalen mit den guten und bösen Taten im Gleichgewicht.

Die Vergeltung wird kommen. Der Tod Kajetans hat den Samen dafür gelegt. Dessen Schädel an der nackten Wand ist der Beweis.

Er wird den Dingen ihren Lauf lassen. Das ist die einzige Chance auf Änderung.

Er weiß, es hat schon begonnen.

Tod im Schilcherland

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