Читать книгу Mirabella und die Götterdämmerung - Isabelle Pard - Страница 10
8 - Die neue Routine
ОглавлениеZwei Tage später trafen sich Mirabella und Lorenzo tatsächlich zum Tanzkurs, Antonia wunderte sich nicht schlecht, dass die beiden Halbgötter trotz der Trennung weiter zusammen tanzen wollten, aber die Stimmung war unerwartet gut. Beide genossen den Unterricht, alberten zusammen herum und erfreuten die Tanzlehrer mit ihren vollkommenen Darbietungen. Sie verabschiedeten sich mit einer herzlichen Umarmung. „Bis morgen, in Stonehenge!“
„Wow, wir ihr das macht!“, rief Antonia kopfschüttelnd. „Man würde nicht glauben, dass ihr euch getrennt habt.“
Mirabella lächelte. „Es fühlt sich schon etwas komisch an und ist für ihn sicher schwieriger als für mich, aber ich denke, uns beiden ist die Freundschaft und das Tanzen wichtiger als das Zusammensein.“
„Du warst sicher nicht verliebt, wenn das so einfach für dich ist. Oder hast du schon was Neues?“
Die Halbgöttin schüttelte mit sichtlich schlechtem Gewissen den Kopf. „Niemand Neues.“
Antonia sah sie prüfend an. „Nick?“
Leicht errötend nickte ihre Freundin. „Immer schon, anscheinend, ich wollte es nur nicht wahrhaben.“
„Dachte ich mir doch! Und?“
„Nichts und. Wir haben keinen Kontakt, da er sich verstecken muss. Ist gerade recht ungemütlich in unserer Welt.“
„Oh, du Arme!“, sagte Antonia theatralisch.
„Was ist mit euch, Toni? Luk kommt offensichtlich nicht mehr zum Tanzen.“
„Philip und ich haben uns gestern geküsst!“, platzte es aus dem Mädchen heraus. „Endlich!“
Philip war der Junge gewesen, für den sie in den letzten Wochen geschwärmt hatte, aber Mirabella konnte einen Blick der Enttäuschung nicht verhindern. „Oh… freut mich für dich. Wie geht es Luk?“
„Keine Ahnung, wir haben uns jetzt etwas gemieden.“ Sie sah fast etwas beleidigt aus.
Mirabella schüttelte den Kopf. „Warum musstest du ihn unbedingt an Silvester küssen?“
„Hej, er hat mich geküsst!“
„Du hättest es verhindern können, wenn du nicht verliebt warst.“
„Willst du mir damit sagen, dass er es war? Er hat auf mich den Eindruck gemacht, als wäre es ihm peinlich. Und als wollte er so schnell wie möglich alles vergessen.“
Mirabella sah ertappt zu ihrer Freundin, sie hatte sich verplappert. „Weil ich ihm gesagt hab, dass du nicht mit ihm zusammen sein willst. Also, ich hab‘ versucht, es netter zu formulieren.“
Antonia sah sie leicht verwirrt an. „Wann hab‘ ich das gesagt?“
„In der Toilette auf dem Ball. Du wolltest nicht mit diesem ‚nerdigen Habenichts‘ zusammen sein.“
„Echt? Oh, Gott. Hast du ihm das gesagt?“
„Nein, spinnst du? Ich hab‘ gesagt, dass du wohl noch Zeit brauchst und du nicht weißt, was du willst. Nachdem du dich jetzt für Philip entschieden hast....“
Antonias Stirn legte sich in Falten, sie sah ihre Freundin leicht unglücklich an. „Ehrlich gesagt, ich weiß es wirklich nicht. Philip sieht gut aus, er ist cool, er ist sportlich, er wohnt in Grünwald, aber…“
„Aber?“
„Ich dachte, es würde sich magisch anfühlen, ihn zu küssen. Es war ganz nett, aber, naja, nicht magisch... so wie mit-“, sie unterbrach sich.
„Luk?“
Nun wurde Antonia tiefrot und nickte leicht. „Aber es war vielleicht nur wegen Silvester…“
„Wäre es so schlimm, wenn du in ihn verliebt wärst?“, fragte Mirabella verständnislos.
„Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen. Und außerdem hab‘ ich mich in letzter Zeit so blöd benommen. Selbst wenn er damals in mich verliebt war, wird er mich jetzt bestimmt hassen.“
Mirabella seufzte und musste dann lächeln, es war erst knapp vier Wochen her. „Das glaube ich nicht.“
„Hat er was gesagt?“
„Es war ihm ziemlich ernst, schien es mir. Ihm war bewusst, dass er eine seiner besten Freundinnen küsste, was er riskierte.“
Antonia sah sie betroffen an, errötete dann jedoch erneut. „Oh je, was soll ich denn jetzt machen, Mira?“
„Mit Luk sprechen?“
Sie schüttelte zitternd den Kopf. „Das kann ich nicht. Er hat uns heute gesehen, Philip und mich. Er wird gar nicht mit mir sprechen wollen.“
„Toni“, Mirabella ergriff die Hände ihrer Freundin, „wenn du mit ihm zusammen sein willst und ihm das sagst, wird er dich nicht abweisen, da bin ich mir sicher. Aber du musst dir sicher sein, was du willst.“
Sie brauchte länger, ihre Freundin zu beruhigen. Sie unterhielten sich dann noch über Antonias anstehenden sechzehnten Geburtstag und gingen jeder nach Hause. Mirabella war versucht, Lukas anzurufen, sagte sich dann aber, dass die beiden es besser untereinander regeln sollten. Ihre bisherige Intervention hatte nicht zum Erfolg geführt.
Später flog sie zum Olymp, um Juno Bericht zu erstatten, sie hatte keinerlei Fortschritte bezüglich der Statue gemacht und hoffte inständig, dass Juno nicht Gedanken lesen konnte. Mirabellas einzige Motivation, die Königin des Olymps zu besuchen, war die Hoffnung, Nikolaos zu sehen. Bei einem der letzten Treffen hatte Juno ihr von einem Spiegel erzählt, mit dessen Hilfe man Ereignisse auf der Erde verfolgen konnte, aus der Vogelperspektive. Mirabellas traurige Miene und das Eingeständnis, dass sie Nikolaos vermisste, hatten Juno dazu bewegt, ihr von ihm zu erzählen. Sie wusste nun, dass er sich zuhause aufhielt, zur Schule ging, in einer neuen Big Band spielte und auf ein Schachturnier trainierte. Juno hatte ihr Gedächtnis modifiziert, Mirabella oder ihre Eltern hätten nicht sagen können, wo Nikolaos lebte, diese Informationen waren gelöscht. Bei allen Halbgöttern waren die Kontaktdaten zu Nikolaos längst aus dem Gedächtnis, von den Telefonen, Computern und Notizbüchern verschwunden, niemand konnte ihn erreichen oder verraten.
Die junge Halbgöttin stand nun in Junos Privatgemächern und betrachtete durch einen schlichten silbernen Spiegel Nikolaos, wie er in seinem Zimmer auf seinem Saxophon spielte. Es klang wunderschön, melodisch, sensibel und doch eindringlich, war es nicht ‚Halleluja‘, wie sie es von Leonard Cohen kannte? Er liebte diesen Musiker. Sie merkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Unbewusst streckte sie ihre Hand nach ihm aus, sie hätte alles gegeben, ihn einmal berühren zu können. Mit geschlossenen Augen hörte sie weiter zu, erinnerte sich zum tausendsten Mal an die ersten Küsse, seine Worte und wandte sich schließlich mit einem Schluchzen ab.
Juno verdunkelte den Spiegel. „Es geht ihm gut und er ist in Sicherheit. Das war es doch, was du wolltest.“
Sie wischte sich flüchtig übers Gesicht und nickte, ihre Tränen hinunterschluckend. „Du hast recht, Juno. Hat man sein Gedächtnis auch modifiziert?“
„Nein, seine Inaktivierung ist nur temporär. Wer dauerhaft ausscheidet, wird sich allerdings nicht an seine Zeit im Olymp erinnern können.“
„An gar nichts?“
„Nein, er würde sich nicht mal an dich erinnern.“
Mirabella schrak leicht zusammen, die Vorstellung erzeugte Übelkeit bei ihr. „Kommt so eine dauerhafte Inaktivierung öfter vor?“
„Sehr selten“, gab Juno zu. „Hast du mir heute etwas zu berichten?“
„Letzte Woche wurde Delphine schwer verletzt. Könnte es sein, dass sie auch nach der Statue sucht?“
Juno sah auf, sie musterte das Mädchen kurz. „Durchaus möglich, dass Neptun auch an der Statue interessiert ist.“
„Wäre es nicht sinnvoll, unsere Kräfte zu bündeln?“
„Sicher, aber mit Neptun zusammenzuarbeiten, würde bedeuten, dass wir die Statue nachher nicht für unsere Zwecke nutzen könnten. Neptun wäre sicher nicht daran interessiert, das Schweigen der Asen zu erkaufen.“
Mirabella nickte. „Nächste Woche werde ich Schwarzalbenheim besuchen, danach werde ich mich dort genauer umsehen. Sowas wie der Mantel von Nikolaos wäre praktisch…“
Juno machte eine Handbewegung und im nächsten Augenblick lag ein federbesetzter Umhang in ihren Händen. „Er braucht ihn derzeit sowieso nicht.“
Sie schluckte erneut und nahm den Mantel an sich. Jetzt hatte sie ihm auch noch das Geschenk Jupiters genommen, aber sie musste pragmatisch sein, er brauchte ihn derzeit wirklich nicht.
Nachdem sie sich verabschiedet hatte, setzte sie ihre Tarnkappe auf und bestieg so schnell wie möglich eine Blase. Hier hielt sie den Mantel an ihre Nase und atmete tief ein. Diesen Mantel hatte Nikolaos getragen, er roch bestimmt noch nach ihm. Enttäuscht nahm sie den Geruch von Leder wahr und musste niesen, als eine Feder sie in der Nase kitzelte. Sie zitterte innerlich immer noch, der Anblick von Nikolaos hatte sie mehr mitgenommen, als sie erwartet hatte.
Das Treffen in Stonehenge am nächsten Tag verlief ohne größere Vorkommnisse. In Kleingruppen übten sie die ersten Szenen und besprachen den Ablauf. Als herauskam, dass Lorenzo und Mirabella weiterhin zusammen tanzten, schlug Delphine vor, sie könnten in der Pause eine Tanzeinlage bringen. Die beiden Tänzer sahen sich an und nickten dann zustimmend. Die Initiatorin des Geheimbundes zog Delphine irgendwann beiseite, versuchte erfolglos, eine Blase zu kreieren, was schließlich Ragnar übernahm, und tastete vorsichtig bezüglich einer Teilnahme vor. Delphine war letztendlich begeistert von der Idee, da sie auch keine Lust mehr hatte, sich für die „blöde“ Statue umbringen zu lassen.
„Wo hast du denn nach ihr gesucht?“, fragte Mirabella neugierig.
„In Niflheim.“
„Echt, da hatte Nick sie auch vermutet. Und?“
„Ich schwamm übers Meer zur Quelle Hvergelmir, die als Urquelle für die nordischen Flüsse und Meere gilt. Von dort gelangte ich in die Höhle des Drachen und fand Blut und Schätze in Massen, aber keine Statue. Als ich die Höhle verlassen wollte, griff mich der Drache aus dem Hinterhalt an. Blutend schleppte ich mich zur Quelle, wo mich die Meermenschen retteten. Sie riefen sofort nach Apoll.“
„Dann ist sie in Niflheim höchstwahrscheinlich nicht“, schlussfolgerte die Vestalin. „Es sei denn“, kam es ihr plötzlich, „sie ist so unsichtbar wie die andere Statue für euch.“
Sie tauschten sich gegenseitig aus, wo sie alle schon nach der Statue gesucht hatten. „Wie aber kommen wir an die Statue im Vesta-Tempel ran?“, fragte nun Hannah.
„Wenn wir die holen wollen, wäre es hilfreich zu wissen, wer die erste gestohlen hat. Ich bin nahe daran, den Diebstahl aufzuklären. Hannah, ich bräuchte ein Rendezvous mit einer Hexe namens Esmeralda.“
„DIE Esmeralda?“, fragte Ragnar alarmiert. Loki hatte von ihr Besitz ergriffen und mit ihrer Hilfe Ragnar und Mirabella nach Utgard entführen können, wo er gedroht hatte, die vermeintliche Jupitertochter zu töten. Nikolaos hatte Thor und Odin zu ihrer Rettung geholt.
„Ja, genau die. Sie hat vielleicht den Vergessenstrank für Aurelia, meine Vorgängerin, gebraut.“
„Geht klar, ich werde meine Mutter fragen, ob ich dich mit nach Wanenheim nehmen kann, sie hatte dir eh einen Besuch dort angeboten.“
Das Jupitertreffen am übernächsten Tag verlief unspektakulär. Jupiter, der seltsam abwesend wirkte, erwähnte die Inaktivierung von Nikolaos kommentarlos, dankte Mirabella ohne weitere Erklärung für dessen Rettung und holte Timo, seinen zweitjüngsten Sohn und römischen Rapper, nach der Besprechung zu sich. Es sollte also alles weiterhin geheim bleiben. Sie vermutete, dass Timo nun die Aufgabe von Nikolaos übernehmen sollte. Einweihen konnte sie Timo zur Zeit nicht.
So langsam gewöhnte sich Mirabella an die Treffen ohne Nikolaos, meist war so viel los, dass wenig Zeit zum Nachdenken blieb. Selbst abends im Bett versuchte sie, an einem Plan zu arbeiten, wie sie an die Vesta-Statue kommen sollten. Nur in ihren Träumen begegnete sie ihm regelmäßig. Einmal wirkte der Traum so plastisch, dass sie sich im Traum selbst fragte, ob es ein Traum wäre, ob sie nicht geistig mit ihm vereint war, bis ihr einfiel, dass er als normaler Mensch seinen Geist nicht vom Körper lösen konnte. Sie befanden sich in einem idyllischen, paradiesischen realitätsfernen Ort einer Zwischenwelt, es musste ihr Traum sein.