Читать книгу Mirabella und die Götterdämmerung - Isabelle Pard - Страница 5
3 - Konsequenzen
Оглавление„Hi“, Mirabella sah in Lorenzos lächelndes Gesicht und überlegte einen Augenblick, ob sie die gesamte Nacht, die Rettung von Nikolaos, seine Küsse und das Gespräch mit Odin alles nur geträumt hatte.
„Hi“, antwortete sie verschlafen. Ragnar und Lorenzo standen beide in Skianzügen vor ihr und sahen sie erwartungsvoll an. Sie richtete sich langsam auf, war sie tatsächlich eingeschlafen?
Lorenzo hob sie vom Stockbett hinunter und umarmte sie fest. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist!“
„Was ist mit Nick?“, fragte nun Ragnar neugierig.
Ihre Miene wurde ernst und sie wandte sich aus der Umarmung.
„Ihr wisst von nichts, bitte. Speziell du, Ragnar, darfst niemandem sagen, wo ich heute Nacht war. Es ist für dich und für Nick besser. Loki hat es auf ihn abgesehen, er muss jetzt wohl eine Weile untertauchen, ich darf keinen Kontakt zu ihm haben, niemand.“
„Aber wieso, was hatte Nick in Asgard zu suchen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich darf darüber nichts sagen, bitte.“
Ragnars Augenbrauen gingen nach oben. „Geht es um die blöden Statuen?“
Mirabella lächelte kurz. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass sie nicht blöd sind! Und…ja.“
Der rothaarige Halbgott verdrehte die Augen. „Na, toll, wir versuchen hier einen auf Freundschaft zwischen Nord und Süd und dein Bruder will im Auftrag des Südens die Statue klauen! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir meinen Ring nicht geliehen.“
Mirabella zog seinen Ring vom Finger und gab ihn zurück. „Er handelt im Auftrag von Jupiter, sie gehören schließlich dem Süden. Loki hat die Statue geklaut.“
„Loki?“
Sie nickte. „Odin hat sie auch nicht.“
Ragnars Gesicht erhellte sich plötzlich, aber Lorenzo formulierte es schneller. „Daher der Deal zwischen Loki und Odin?“
„Schaut so aus“, stimmte sie zu.
„Und was machen wir jetzt?“
„So weiter wie bevor“, sagte das Mädchen bestimmt, „sollen die Alten doch rumspinnen, wir bleiben Freunde, oder?“
Sie blickte Ragnar an und sah ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Er war ihr Zwillingsbruder, nicht halb, sondern ganz und gar. Ragnar zögerte kurz, dann nickte er gutmütig und reichte ihr die Hand. Sie schlug ein. „Mein nordischer Bruder!“
Er lachte. „Na gut, ich habe übrigens einen Bärenhunger, kochen wir etwas zusammen?“
Als sie mit den beiden Jungs zusammen Essen vorbereitete, fiel ihr plötzlich auf, dass sie Lorenzo heute Nacht betrogen hatte. Es tat ihr so leid, dass ihr kurzzeitig etwas übel wurde, sie wollte ihm nicht wehtun, sie hatte ihn wirklich gern, aber sie würde mit ihm reden müssen. Mit ihm zusammen zu sein, ihn wieder zu küssen, konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr vorstellen, es würde sich anfühlen, als ob sie Nikolaos betrügen würde, auch wenn sie nichts Verbindliches vereinbart hatten. Wie auch? Sie wusste nicht einmal, ob sie ihn je wiedersehen würde…
In Konsequenz musste sie aber die Beziehung mit Lorenzo beenden. Oh Gott, wie machte man auf nette Weise Schluss? Mirabella sah immer wieder leicht nervös zu ihrem Noch-Freund, während sie den Salat zupfte und die Tomaten schnitt. Dieser alberte gerade mit Ragnar herum und schien sich ihrer Aufmerksamkeit gar nicht bewusst zu sein.
„Autsch“, jetzt hatte sie sich auch noch in den Finger geschnitten. Schnell steckte sie ihn in den Mund, nuschelte zu den fragend schauenden Jungs, „nicht schlimm“, und hechtete ins Bad. Dort wusch sie den Finger ab, band etwas Toilettenpapier herum, als ihr die Salbe von Lorenzo in den Sinn kam. Rasch lief sie zu ihrem Rucksack im Schlafzimmer, kramte nach dem Döschen und schmierte die Salbe auf den Finger. Fasziniert konnte sie zusehen, wie sich die Wunde schloss und nach wenigen Augenblicken die Haut unversehrt aussah. „Wow!“, sagte sie zu sich selbst, als sie Lorenzo in der Tür stehen sah. Er lächelte sie an. „Ist super, oder?“
„Ja, wirklich. Eigentlich Verschwendung, sie für so eine kleine Wunde zu verwenden, aber ich hatte sie bisher noch nicht ausprobieren können.“
„Zum Glück!“ Er sah sich um, aber Ragnar klapperte in der Küche.
„Kannst du mir erzählen, was passiert ist?“
Nach kurzem Zögern nickte sie. Leise erzählte sie, wie sie Nikolaos in Lokis Bann gefunden hatte. Sie war mit ihrer Tarnkappe unsichtbar herangeschlichen und hatte Loki mit Blitzen attackiert, einen Schutzschild aufgebaut, Nikolaos, seinen Mantel und seine Tarnkappe geschnappt und war durch ein Portal entschlüpft. Der Festsaal in Freyas ehemaligem Palast, den nun Loki bewohnte, bot nämlich mehrere Portale in die nordischen Zwischenwelten. „Eigentlich hatte ich auf Lichtalbenheim gehofft, aber es war Schwarzalbenheim und irgendein unterirdischer Gang. Mit dem Ring von Ragnar konnten wir aber nach Asgard zurück, direkt ans Tor. Von dort sind wir zur Bifröst, der Regenbogenbrücke in die Zwischenwelt des Nordens, gelaufen. Auf der Brücke habe ich uns dann in Vestas Tempel teleportiert.“
„Cool“, sagte Lorenzo beeindruckt. „Gehört die Tarnkappe eigentlich zur Jupiterkinder-Ausstattung?“, fragte er scherzhaft.
Mirabella musste lachen. „Nein, ich weiß nur von den beiden existierenden.“ Dass jene von Nikolaos die aus dem Norden geklaute war, durfte sie ihm nicht mitteilen, das war geheimes Wissen.
„Und dann?“, fragte Lorenzo interessiert.
„Äh“, sie errötete leicht. „Was dann?“
„Naja, die Aktion wird ja nicht den Rest der Nacht gedauert haben. Wo seid ihr dann hin?“
„Wir sind im Vesta-Tempel geblieben, weil wir da sicher waren, das ist einer der sichersten Orte, würde ich meinen.“
„Dann hättest du dich mal melden können, dass du in Sicherheit bist“, monierte Lorenzo nun. „Wir waren lange auf und haben auf ein Zeichen von dir gewartet.“
„Entschuldige.“ Sie traute sich nicht zuzugeben, dass sie erst am Morgen wieder an ihn gedacht hatte.
Lorenzo nickte unzufrieden. „Hat Loki dich erkannt?“
„Ich glaube nicht, wobei er Gedanken lesen kann, aber er war, glaube ich, zu sehr damit beschäftigt, Nick zu brechen…“
„Zu brechen?“
„Seinen Widerstand, um ihn auszuhorchen. Im Verdacht hat er mich sicherlich.“
„Warum?“
„Er weiß, denke ich, wie Nick Ragnar und mich vor ihm gerettet hat. Die Dissoziation.“
„Du sagtest, du dürftest keinen Kontakt mehr zu Nick haben. Auch nicht via Dissoziation?“
Mirabella schüttelte traurig den Kopf. „Ich darf nicht wissen, wo er sich versteckt, sonst findet ihn Loki vielleicht, wenn ich in Asgard bin.“
Nun ging er auf sie zu. „Kommst du damit klar?“
„Ich weiß es nicht“, als sie aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen, schließlich schluchzte sie laut auf und Lorenzo nahm sie in seine Arme. Sie weinte eine Weile in seine Schulter, dann wischte sie mit ihren Händen die Tränen weg. „Entschuldige mich kurz“, mit diesen Worten wandte sie sich aus seiner Umarmung und lief ins Bad. Geräuschvoll schnäuzte sie sich, warf sich Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr rote verquollene Augen und ein schlechtes Gewissen, das sie mahnend ansah und sie direkt ins Herz traf. Schließlich atmete sie einmal tief durch und trat aus der Tür. Lorenzo saß auf seinem Bett im Schlafzimmer und starrte vor sich hin, als sie das Zimmer betrat: leise und mit leiser Stimme. „Wir müssen reden, Enzo.“