Читать книгу Mirabella und die Götterdämmerung - Isabelle Pard - Страница 14
12 - Der Geschwisterrat
ОглавлениеAls sie Walhall verlassen hatte und auf offener Straße spazierte, sah sie, wie Ragnar gerade Folkwang, den ehemaligen Palast von Freya verließ, den nun Loki okkupiert hatte. Ragnar entdeckte seine Schwester und erstarrte kurz in der Bewegung. Als er sah, dass sie ihn ebenfalls entdeckt hatte, ging er auf sie zu.
„Na, du warst aber lange in Walhall!“
Mirabella schüttelte den Kopf. „Ich war bei Thor, eigentlich habe ich dich gesucht.“
„Oh, wieso?“
„Ich wollte wissen, was Thor zum Kampf gesagt hat und wie du dich entschieden hast.“
„Ich werde kämpfen.“
Sie musterte ihren Bruder besorgt. „Weil Odin dich sonst für feige hält?“
Er errötete stark. „Jeder würde das tun!“
„Ich nicht! Ich halte dich für verrückt, wenn du kämpfst.“
„Als wenn du das nicht machen würdest!“
Für einen Moment schwieg sie, wahrscheinlich hatte er recht. „Was für einen Ring wünschst du dir?“
„Einen, mit dem ich mich vor den Gedanken anderer abschirmen kann.“
„Das wäre cool“, misstrauisch musterte sie nun Ragnar. „Warst du eigentlich gerade in Folkwang?“
„Äh“, er errötete erneut, „ja… ich hab‘ Hannah gesucht.“
„In Folkwang? Jetzt, wo Loki da wohnt?“
„Ja, das ist mir dann auch eingefallen“, gab er nicht überzeugend zu.
„Du spionierst aber nicht für Loki?“, feuerte Mirabella auf gut Glück los, es sollte scherzhaft klingen, ihr Blick war jedoch zu ernst dafür.
Ragnar sah überrascht und auch ein wenig verlegen auf. „Wie kommst du denn darauf?“
„Du hast ausgeplaudert, dass der Süden aufrüstet.“
„Wer sagt das?“
„Baldur und Odin.“
„Sie haben es dir gesagt?“
„Ich habe es gehört“, gab sie zu und errötete ihrerseits.
„Du hast sie belauscht?“
„Und wenn schon? Ich muss wissen, was läuft, wer für wen arbeitet und wem man trauen kann. Ich dachte, ich könnte dir trauen.“
Ruckartig blieb er stehen. „Was soll das heißen?“ Sein Blick war stechend, seine Stimme klang leicht bedrohlich.
Mirabella machte eine Handbewegung und versuchte, eine Blase zu kreieren, aber es gelang ihr nicht.
„Verflucht!“
Ragnar musste trotz allem kurz grinsen und erschuf eine Blase um sich und seine Schwester.
„Danke!“, erwiderte sie wütend, vor allem auf sich selbst. „Wir haben einen Geheimbund gegründet, von dem niemand etwas wissen darf. Wenn du denen Dinge erzählst, die wir dort besprechen, weiß ich nicht, was ich davon halten soll.“
„Das mit der Aufrüstung war doch ein offenes Geheimnis. Das Gerücht ging jedenfalls schon länger um, seit diesem Orakelspruch.“
„Das sagte Odin auch“, gab sie zu.
„Was wurde eigentlich genau prophezeit?“
Schweigend sah sie ihn an. Sollte sie ihm davon erzählen? Wäre es schlimm, wenn Odin davon wüsste? Das Orakel war sehr schwammig formuliert.
„Was? Du traust mir also nicht?“
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht…“
„Mira, ich bin dein Bruder!“
„Ja, aber du bist auch Thors Sohn und Odins Enkel, du bist einer aus dem Norden.“
„Du auch, Runa!“
„Ich fühle mich aber nicht so.“
„Dann spionierst du also doch für den Süden?“ Ragnar klang fast aggressiv.
„Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass ich beide Seiten versöhnen möchte, ich fühle mich beiden Seiten verpflichtet.“
„Oder keiner?“, fragte er nun scharfsinnig.
Das Mädchen stutzte überlegend. „Wenn du damit meinst, dass ich möchte, dass die Götter uns Halbgötter nicht ständig benutzen und ausnutzen, dann ja!“
„Ich weiß immer noch nicht, was dein Plan ist?“
„Jedenfalls nicht, alle Informationen, die wir geheim austauschen, brühwarm Odin zu erzählen.“
„Mira, wir haben wohl beide die Verpflichtung, ab und zu Informationen abzuliefern. Ich habe unseren Geheimbund nicht verraten, ich habe nur das Gerücht bestätigt, eine Information, die sowieso bald durchgesickert wäre. Außerdem finde ich, dass beide Seiten gleiche Chancen haben sollten, falls es doch zum Krieg käme.“
Sie war noch nicht überzeugt. „Auf welcher Seite stehst du, wenn es zum Krieg kommt?“
„Was glaubst du?“
Enttäuscht schüttelte sie den Kopf. „Dann haben wir schon verloren. Es ist doch gerade für diesen Fall notwendig, neutral zu bleiben.“
„Ehrlich gesagt, glaube ich, dass deine Idee ein wenig naiv ist. Wie willst du denn die Götter bezwingen?“
„Wir müssen die Statuen finden, alle beide. Und sollten ein paar Götter auf unsere Seite ziehen, die auch Frieden wollen.“
Ragnar zögerte. „Komm, lass uns woanders hingehen.“
Ein paar Minuten später befanden sie sich seinem Zimmer in Thrudheim, er kreierte erneut eine Blase um sie herum und rutschte an der Blasenwand herunter. „So, wie war das jetzt? Wen stellst du dir als Verbündeten vor?“
Mirabella hatte den gesamten Weg über nachgedacht. Nahmen die anderen Halbgötter den Geheimbund ebenfalls nicht ernst? Wenn sie auf sich allein gestellt und Nikolaos inaktiv war, hatten sie keine Chance auf Erfolg. Enttäuscht hatte sie den Kopf hängenlassen.
„Mira?“
Sie schrak aus ihren Gedanken auf. „Verbündete? Ich weiß nicht“, sie klang sehr verunsichert, „Baldur, vielleicht sogar Thor.“
Ragnars Augenbrauen schossen nach oben. „Unser Vater?“
„Wieso nicht? Er ist nicht an einem Krieg interessiert.“
Der Junge schnaubte verächtlich. „Manchmal erscheint er mir wie ein Drückeberger, der seiner Verantwortung aus dem Weg geht.“
„Nur, weil jemand freiwillig verzichtet, ist er kein Drückeberger. Ihm ist es halt nicht so wichtig, auf dem Thron zu hocken, dafür hält er den Laden am Laufen.“
Ragnar lächelte plötzlich erstaunt. „Seit wann verteidigst du ihn denn?“
Mirabella wurde rot. „Jetzt lenk nicht ab. Jedenfalls ist er definitiv ein Loki-Gegner.“
„Ja, statt sich gegen den Feind zu vereinen, zerfleischt man sich lieber gegenseitig.“
Wütend fuhr sie auf. „Der Feind, kannst du auch nur in diesen Schubladen denken? Ich denke an eine Allianz Gut gegen Böse nicht Nord gegen Süd.“
„Und Odin ist böse?“
„Alle, die Krieg oder die Alleinherrschaft wollen, sind böse für mich.“
„Krieg ist Krieg, wenn deine Guten gegen die Bösen kämpfen, ist das auch Krieg.“
„Ich möchte, dass man auf diplomatischem Wege eine Lösung findet. Wenn nur wenige auf beiden Seiten Krieg wollen, wird Krieg nicht funktionieren. Wir müssen überzeugen und eventuell etwas erpressen – dafür brauchen wir die Statuen.“
„Es klingt ja gut“, Ragnar schüttelte den Kopf, „aber so unrealistisch.“ Er atmete tief aus. „Schön, Baldur, Thor, wer noch?“
„Ich weiß nicht, ob Hannah Freya überzeugen könnte? Gegen Loki ist sie sicherlich.“
Er nickte, zuckte dann unschlüssig mit den Schultern.
„Die anderen kenne ich zu schlecht“, gab sie zu.
„Und im Süden?“
„Vesta vielleicht“, wobei sie sich nach dem letzten Gespräch nicht sicher war, ob sich die Göttin auf so einen Pakt einlassen würde. „Ich frage mich, ob Enzo Apoll überzeugen könnte.“
„Das wäre ein mächtiger Gott.“
Sie nickte und überlegte, wie Lorenzo zum Geheimbund in Wahrheit stand.
„Terra?“, fragte ihr Bruder.
„Ja, klar, Terra. Ob sie Venus überzeugen kann, keine Ahnung, Mars sicher nicht…“ Mirabella lächelte kläglich und dachte weiter nach, als ihr Leon und sein Vater einfielen. „Vulcanus vielleicht, er ist der netteste von allen Olympiern.“
„So ein Baldur?“
„Nein, ganz anders. Er ist keine helle Lichtgestalt, das ist eher Apoll, aber Vulcanus ist gütig.“
Ragnar nickte verstehend. „Neptun wohl eher nicht?“
Sie schüttelte den Kopf. „Außer man verklickert ihm, dass Loki für die Vernichtung der Titanen verantwortlich war… Seine Frau war doch Titanin.“
„Es war wohl in der Tat Lokis Idee, aber Odin hat es abgesegnet.“
„Warum wundert mich das jetzt nicht…“ Mirabellas Stimme klang verächtlich. Sie schwiegen einen Moment.
„Kannst du Jupiters Reaktion einschätzen?“, fragte ihr Bruder dann.
Sie schüttelte den Kopf. „Auch, wenn ich mir immer noch einrede, ich könnte irgendwie verhindern, dass er die Wahrheit erfährt, weiß ich ganz genau, dass er es früher oder später erfahren wird. Aber ich habe keine Ahnung, was das für mich bedeuten wird. Ob er mich verstößt oder trotzdem Kontakt wollen würde. Wie sehr ihn der Betrug an sich treffen würde.“
„Und wenn du es ihm sagst, bevor er es auf andere Weise erfährt?“
Sie sah auf, die Möglichkeit hatte sie bisher nicht in Betracht gezogen, sie hatte immer nur daran gedacht, die Wahrheit zu vertuschen.
„Das würde Odin auf jeden Fall den Wind aus den Segeln nehmen…“, überlegte sie laut. „Es ist alles so verquer. Das Orakel kommt mir mittlerweile mehr wie eine selbst-erfüllende Prophezeiung vor. Sie deutet den drohenden Untergang der Götter an und daher rüsten alle auf…“
Er sah sie fragend an und ihr fiel wieder ein, dass er sie nach dem Inhalt des Orakels gefragt hatte. Sie zögerte kurz, beschloss dann aber, dass ihr nichts Anderes übrigblieb, als Ragnar zu vertrauen, wenn sie nicht von Beginn an aufgeben wollte. „Aus Freund wird Feind! Das Ende des Göttergeschlechts naht, nur wer wahrhaft Frieden sucht, kann vereinen, was vereint gehört.“
„Hm. ‘Nur wer wahrhaft Frieden sucht‘, klingt eigentlich nicht nach Krieg.“
„Aber beide Seiten tun gerade alles, um einen Untergang mittels Krieg herbeizuführen!“
„Meinst du, der erste Satz bezieht sich auf dich?“
„Möglich.“
Ragnar musterte sie einen Moment, dann sah er ihr ernst in die Augen. „Ich war übrigens vorhin bei Loki. Er sagte letztens, dass er mich anwerben möchte…“
Mirabella sah erschrocken auf. „Und?“
„Ich denke, es wäre nicht falsch, in seiner Nähe zu sein, herauszufinden, wie er denkt, und ihn mit Informationen zu versorgen. Sie müssen ja nicht immer stimmen...“
„Er kann Gedanken lesen, das ist saugefährlich.“
„Daher wünsche ich mir den Ring“, erwiderte er.
Sie schluckte. „Weiß Thor davon?“
„Nein, ich habe noch nicht endgültig zugesagt, und es wäre mir lieber, wenn mein Vater, unser Vater, nichts davon wüsste. Er würde es mir womöglich verbieten.“
„Zu recht!“
„Du wirst es ihm bitte nicht sagen, wenn ich es mache!“ Die Bitte klang mehr nach Befehl, was Mirabella die Nackenhaare aufstellen ließ, doch musste sie zugeben, dass Ragnars Plan ihrer Sache helfen könnte.
„Dann nimmst du den Geheimbund doch ernst? Wir für den Frieden und gegen Loki?“
Er lächelte. „Mir gefällt die Idee, wir brauchen aber einen konkreten Plan und Unterstützung von Seiten der Götter!“
Sie lächelte erleichtert und nickte. „Wie wäre es, wenn wir die Kelten mit ins Boot holen würden?“