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5 - Das Leben geht weiter

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Seit dem Gespräch mit Juno waren bereits zwei Wochen vergangen und Mirabella war fast bereit, ihren Tanz auf dem Vulkan als Normalität hinzunehmen. Zweimal die Woche berichtete sie an Juno, auch wenn es derzeit wenig zu berichten gab. Das Kampftraining mit dem Kriegsgott Mars fand wie gewohnt statt, wenngleich Nikolaos natürlich fehlte. Offiziell war er beurlaubt. Mirabella vermisste ihn gefühlt jede Minute ihres Lebens, dennoch gewöhnte sie sich auch langsam an den Zustand des Vermissens, an die Leere, die er ausgefüllt hatte. Sie ertrug es besser, als sie gedacht hatte, weil sie sich immer sagte, dieser Zustand wäre nur vorübergehend. Sie schwankte, ob sie sich beeilen sollte, die Statue zu finden, um ihn aus dem Zustand des reinen Menschseins zu erlösen und ihn wiedersehen zu können, oder ob sie das Auffinden hinauszögern sollte, um sich Zeit für einen Plan für danach zu verschaffen und Nikolaos länger in Sicherheit zu wissen.

Bisher war sie zweimal in Asgard gewesen und hatte Ragnar und Hannah getroffen. Die Theaterproben würden morgen nach dem Halbgötter-Stammtisch beginnen. Dort würde sie auch Lorenzo das erste Mal seit der Trennung wiedersehen und sie zitterte schon leicht davor. Zum Kampftraining war er seither nicht erschienen. Ragnar hatte ihr berichtet, dass Lorenzo „ganz schön leiden“ würde und sie hatte sich miserabel gefühlt. Ihre irdische Zeit war auch nicht unproblematisch, nachdem sich Lukas und Antonia nach der missglückten Silvesternacht bewusst aus dem Weg gingen. Sie verbrachten selten Zeit zu dritt, beide buhlten um Mirabellas Aufmerksamkeit, die sowieso schon zu wenig Zeit hatte. Nächste Woche wollte sie offiziell mit Baldur Schwarzalbenheim besuchen und sich danach heimlich etwas genauer umsehen.

„Sehr gut, Mirabella, ich spüre endlich echten Kampfgeist bei dir!“ Mars sah seine Schülerin wohlwollend an, woraufhin sie fast erschrak. Ein Lob vom sadistischen Mars war das letzte, worauf sie scharf war. Sie hatte ihren simulierten Aikido-Gegner nicht nur kampfunfähig gemacht, sie hatte ihm unnötige Verletzungen zugefügt, da sie vorher gedanklich bei Loki war und nun ihre Wut an ihrem Gegner ausgelassen hatte. Entsetzt sah das Mädchen auf die Simulation, die am Boden lag und sich nun vor ihren Augen in Luft auflöste. Der Kriegsgott lächelte leicht. „Frustriert? Liebeskummer?“

Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. Seltsamerweise konnte sie ihm heute aber nicht wirklich böse sein, ihr Blick verlor an Härte. Seine Tat, die zum Tode führende Folterung von Wingni, Thors Sohn, hatte die Auslöschung der Titanen zur Folge. Es war zum Krieg gekommen, der fast in der Vernichtung der Götter geendet hätte. Seither hatte Mars enorm an Einfluss verloren, nachdem er unter den Römern fast so wichtig wie Jupiter gewesen war, und musste Schüler ausbilden. Auch Götter büßten für ihre Fehler und manchmal ewig, dachte Mirabella fast amüsiert. Sie war weit davon entfernt, Mitleid für Mars zu empfinden, aber er hatte ein wenig von seinem Schrecken für sie verloren, seit sie seine Geschichte besser kannte. Dass Wingni ein Bruder in irgendeiner Weise zu ihr war, berührte sie emotional nicht stark, die Bedeutung von Verwandtschaft hatte sich für sie relativiert. Man konnte sich seine Verwandten nicht aussuchen und musste damit leben, woher man kam. Wen sie als Eltern und Bruder geliebt hatte, hatte sich als Adoptiveltern und Sohn des offiziellen Feindes entpuppt. Verwandtschaft bedeutete Mirabella im Moment gar nichts mehr, wichtig waren für sie einzig ihre Freunde.

Mars erwiderte ihren Blick leicht erstaunt. „Kein Hass mehr gegen mich?“

Sie musste wider Willen lachen. „Oh, selbstverständlich. Vielleicht ein bisschen weniger als früher.“

„Gut, ich wäre traurig, meine Lieblingsfeindin zu verlieren!“

Terra räusperte sich. „Vater, könntest du aufhören, mit meiner Freundin zu flirten.“

Der Geliebte der Liebesgöttin Venus schnaubte lachend. „Aber, Terra, ich bemühe mich nur um ein besseres Verhältnis zu deiner Freundin, ich weiß doch, dass sie mit dem schönen Lorenzo geht.“

Mirabella sah auf und errötete stark.

„Was denn? Das weiß doch jeder!“, verteidigte sich Mars.

„Ähm, wir haben uns getrennt“, ihre Stimme war kaum zu hören.

Nun sahen sie alle fragend an, was ihre Verlegenheit nicht verbesserte. „Wir fanden, dass es einfach nicht gepasst hat.“

„Du hast Schluss gemacht?“, fragte Terra neugierig, ohne Mirabellas Aussage zu beachten.

„Er fand auch, dass wir fast keine Gemeinsamkeiten haben.“

„Ist es wegen Nick? Sind deshalb beide nicht da?“, fragte nun Delphine zielstrebig, während Leon als einziger Junge versuchte, nicht neugierig zu schauen.

Mirabella sah unglücklich von einem zum anderen. „Nick setzt auf unbestimmte Zeit aus, er hat sich in große Gefahr gebracht. Lorenzo hat, glaube ich, zu tun.“ Letzteres wusste sie nicht, es wäre schon möglich, dass er fehlte, um ihr zu entgehen, sie hatte seit der Trennung keinen direkten Kontakt mehr zu ihm gehabt.

Mars klatschte nun in die Hände. „Genug geschnattert, wir machen jetzt weiter!“

Mirabella war ausgesprochen dankbar für diesen Appell. Nach der Übung kamen Delphine und Terra erwartungsgemäß zu ihr. „Willst du nicht darüber reden?“, fragte Terra schon fast beleidigt, Lorenzo hatte mit ihr nach den Sommerferien Schluss gemacht, da er sich in Mirabella verliebt hatte.

„Eigentlich nicht“, sagte sie seufzend, musste dann aber lächeln. „Na, schön, seid bitte lieb zu Enzo! Er ist wirklich ein sensibler, lieber Mensch, wenn man ihn besser kennt, und er tut mir echt leid.“ Delphine rümpfte leicht ihre Nase.

„Man kann sogar über seine Sprüche hinwegsehen“, ergänzte Mirabella und grinste leicht. Delphine hatte immer allergisch auf seine Komplimente oder anzüglichen Witze reagiert.

„Und weiter?“, drängte Terra ungeduldig.

„Ich bin einfach nicht richtig verliebt, das kann man eben nicht beeinflussen. Ich hab‘ mir selbst etwas vorgemacht.“

„Und wann ist dir das aufgefallen? Hat er bisschen gedrängt?“, hakte Delphine nach.

„Nein, überhaupt nicht.“ Sie errötete erneut. „Es ist wegen… Nick. Er wäre fast gestorben, ich kann nicht darüber reden, ist alles mega-geheim. Aber da habe ich einfach gemerkt, dass… er derjenige ist, mit dem ich zusammen sein möchte.“

„Das habe ich doch immer gesagt!“, meinte Delphine nun triumphierend.

„Und seid ihr jetzt zusammen?“, fragte die eher praktisch veranlagte Terra.

Mirabella schüttelte den Kopf. „Ich darf keinen Kontakt zu ihm haben, niemand vom Olymp, zu seiner eigenen Sicherheit.“

„Und wie lange?“ Delphine schaute ganz entsetzt.

„Auf unbestimmte Zeit.“

Die beiden Freundinnen bedauerten Mirabella noch eine Weile, dann flogen sie alle in ihre irdischen Heime.

Zuhause setzte sich Mirabella an ihren Schreibtisch und begann einen Brief an Nikolaos. Ihr war auf dem Rückflug aufgefallen, dass vieles für den Fall noch ungesagt war, falls ihr etwas passieren würde. Sie wollte, dass Nikolaos wusste, dass sie schon sehr lange in ihn verliebt war, dies jedoch erst nicht verstanden und später nicht wahrhaben wollte. Sie hoffte, dass er ihr verzeihen würde, dass sie dafür verantwortlich war, dass er tatsächlich inaktiv war. Es wäre zu seinem Schutz gewesen, so wie er sie immer hatte beschützen wollen. Ihren Ärger über die Bevormundung und auch die Zweifel aufgrund der Verheimlichung wichtiger Informationen ließ sie unter den Tisch fallen, es war ein Abschiedsbrief. Für alle Fälle.

Dies war bereits der zweite Abschiedsbrief in ihrem Leben, den ersten hatte sie mit vierzehn Jahren an ihre Adoptiveltern vor der Aufnahmeprüfung geschrieben und Greta übergeben. Die Götter hatten sie bis zum Schluss in dem Glauben gelassen, die Prüfung könnte tödlich enden, was jedoch nur der Einschüchterung diente. Niemand sollte bei der Prüfung zu Schaden kommen, wenngleich Mirabella aufgrund des Anführers der Riesen in Lebensgefahr schwebte. Er hatte, wie so oft, einfach die Grenzen innerhalb der Zwischenwelt überschritten und zufällig das Gelände betreten, wo sie ihre Prüfung ablegen sollte. Mit Mut, List und Glück hatte sie sich und Palatina gerettet, die sich in den Klauen des Riesen befunden hatte. Als sie ohne ihr Amulett, das im Kampf kurzfristig verloren gegangen war, den Olymp nicht hatte betreten können, waren ihr das erste Mal Zweifel an ihrer Herkunft gekommen.

Ein halbes Jahr später nun schrieb sie drei Abschiedsbriefe und sie wusste, dass es dieses Mal nicht unwahrscheinlich war, dass Greta diese Briefe würde aushändigen müssen. Ihren Adoptiveltern dankte sie für alles, erklärte die Pflichten einer Halbgöttin und bat sie, ihr zu verzeihen, dass sie ihnen Kummer zufügen würde. Sie kam sich sehr heroisch vor. Als letztes wollte sie an Jupiter einen Brief verfassen, starrte jedoch ratlos das weiße Papier an. Sie dachte an ihre erste Begegnung mit ihm und musste schmunzeln. Er war gerade als Elvis Double unterwegs und erzählte Mirabella von ihrer Halbgöttlichkeit und ihrer Mutter Helena, es war unfassbar gewesen. Später hatte er ihr dann Minerva und Nikolaos vorgestellt. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, wie lange dies alles her zu sein schien. Schließlich überwand sie sich, setzte den Stift an und versuchte ihrem Wunschvater zu erklären, wer sie war, warum sie tun musste, was sie tat, und bat ihn um Verzeihung.

Mehrfach las sie sich die Briefe durch, packte sie in beschriftete Umschläge, klebte sie zu und übergab sie am nächsten Tag Greta in einem günstigen Moment, als Yasmin und Marcus nicht zuhause waren. „Falls mir mal irgendetwas zustoßen sollte, gibt es drei Briefe, die du aushändigen musst.“

Ihr früheres Kindermädchen sah sie alarmiert an. „Gibt es Schwierigkeiten?“

„Gibt es die nicht immer als Halbgott?“, erwiderte Mirabella leichtfertig.

Greta maß sie eingehend. „Du willst wahrscheinlich nicht reden?“

Mirabella lächelte leicht und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Oh, ich habe gar keinen an Dich verfasst!“, fiel ihr auf. „Aber du weißt, dass ich dich liebe, das muss ich nicht extra sagen, oder?“

Greta lächelte sie zärtlich an und nickte. „Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst?“

Das junge Mädchen zögerte mit der Antwort.

„Ich fühle mich dir mehr verpflichtet als den Göttern, cara mia, ich bin eine Nymphe. Eine lokale sterbliche Gottheit.“

Die Halbgöttin sah auf, ahnte Greta etwas? Was wollte sie ihr sagen? Die Flussnymphe sprach weiter und sah sie eindringlich an. „Komm zu mir, falls du Schutz brauchst. Vor wem auch immer, ich habe viele Verbindungen, zu allen Seiten, auch zu den Kelten.“

Mirabella überlegte einen Moment, dann nickte sie. „Die Kelten… Vielleicht brauche ich tatsächlich irgendwann Asyl.“

Greta nahm wortlos die Briefe an sich.

„Wo wirst du sie aufbewahren?“

„Das werde ich dir nicht sagen.“ Im gleichen Moment verschwanden sie aus ihren Händen und Mirabella staunte erneut über die vielseitigen Fähigkeiten ihres Kindermädchens.

„Sicher, dass du nicht Mary Poppins bist?“

„Nicht auszuschließen!“, entgegnete sie lachend und Mirabella ging in ihr Zimmer, um sich für den Halbgötter-Stammtisch umzuziehen.

Mirabella und die Götterdämmerung

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