Читать книгу Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto - J. H. Praßl - Страница 18

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Rosengarten

Chara amtete tief in den Bauch und der Gedanke an Lomond verpuffte. Sie hatte bereits die Hand an der Tür zu ihrem Zimmer, da fiel ein Schatten auf ihr Gesicht.

„Hast du dich wieder in der Gewalt?“, vernahm sie eine Stimme in ihrem Nacken. Intuitiv senkte sie den Kopf. „Ich denke schon.“

„Dann folge mir.“

Als sie sich umdrehte, schritt Al’Jebal bereits den Gang entlang und Chara beeilte sich, ihn einzuholen. Einige Gänge später öffnete der Namai eine Tür aus massivem Holz. Er trat zur Seite, wartete darauf, dass sie vorausging.

Chara folgte seiner stummen Aufforderung. Während Al’Jebal hinter ihr die Tür schloss, sah sie sich um. Bäume … Da waren Bäume mitten in einer unterirdischen Grotte. Als hätte der Wald den Berg erobert, strebten sie der Felsendecke entgegen, teilten sich mit Sträuchern, weichem Gras und weißen winzigen Blumen den Boden – ein Pflanzengeschwür im steinernen Leib seines Wirten. Sie befanden sich inmitten eines unterirdischen Parks.

Ein schmaler, von Kieselsteinen ausgestreuter Weg schlängelte sich durch das Unterholz. Al’Jebal nahm ihn ohne Worte in Angriff und Chara setzte sich in Bewegung. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her. Lediglich das Knirschen der Kiesel unter ihren Stiefeln und das Rascheln des Laubs begleiteten sie. Alles hier war in Bewegung – die Grashalme, die Blätter, die Zweige. Als hätte der Wind auf heimlichen Wegen in das Herz des Berges gefunden. Es war weder hell noch dunkel in der Grotte. Es schien, als würde der Mond in seiner vollen runden Pracht irgendwo dort oben in einer Felsnische hängen und ihnen sanft den Weg beleuchten.

„Wie geht es dir?“, fragte Al’Jebal und die Härte seiner Stimme verebbte in den Schwingungen der tiefen Samtigkeit, die Chara schon so vertraut war.

„Gut.“

Ihre Gedanken kreisten um die Rosen, und obgleich es sie drängte, darüber zu reden, hatte sie keine Ahnung, was sie hätte sagen sollen. Was, wenn die Rosen gar nicht von ihm waren? Und falls doch, sie wusste ja nicht einmal, ob er ihr damit ein Geschenk machen oder sie bestrafen wollte. Al’Jebal hatte sie dazu verpflichtet, diese Weltenretter-Mission zu kommandieren und von ihm fortzugehen. Er hatte sie Lomond überlassen. Und der hatte sie von der Seite ihres Namai gerissen. War ihm denn nicht klar, welche Macht der MacDragul hatte?

Ein Kiesel knackte auffallend unter ihrem Stiefel. Der Ärmel einer Robe streifte ihre Hand und Chara zuckte zusammen.

„Die schwarze Rose ist dem Verfall gewachsen und hält dem Tod stand.“

„Was?“, flüsterte sie.

Al’Jebal blieb stehen und zwang sie dazu, ihm in die Augen zu sehen.

„Solange du am Leben bleibst, lebt auch die schwarze Rose. Stirbst du, stirbt sie.“

Die Worte drangen durch ihre Haut und schlugen in ihrem Zentrum Wurzeln.

„Was ist mit der weißen?“, flüsterte sie und strich sich gedankenverloren über die Tätowierung an ihrem linken Unterarm.

„Die weiße Rose gehört dir. Tu mit ihr, was du willst. Aber vergiss nicht, wer du bist. Wer wir sind.“

Danach nahm er den Weg wieder auf und Chara setzte sich zögernd in Bewegung. Verstohlen beobachtete sie ihn, seine bedachten Schritte, die Konturen seines markanten Gesichts … Er war so still, so voller Geheimnisse. Er hatte diese Stille perfektioniert, sie zu einem mystischen Mantel gewoben, in den er sich hüllte wie ein Nachtvogel in sein schwarzes Gefieder. Al’Jebal war wie der tiefe Ozean – voller unerforschter Wahrheiten, voll von Wissen, das nur er zu haben schien. War er ein Mensch? Die Zeitlosigkeit seines Gesichtes erzählte eine andere Geschichte. Chara dachte an Thanatos.

Sie war nie dort gewesen, hatte die vom Rest Amaleas abgeschottete Insel des magischen Volks nie gesehen. Niemand hatte das. Die Thanatanen bewahren sich etwas, das den Menschen verloren ging … War Al’Jebal einer von ihnen? Warum aber war er dann hier und nicht in Thanatos unter seinesgleichen? Wie sahen Thanatanen aus? Konnte man sie von den Menschen unterscheiden? Es hieß, sie sahen aus wie Menschen.

„Chara“, holte Al’Jebal sie in die Wirklichkeit zurück. „Ich werde während deiner Mission mit dir Kontakt halten.“

Chara blieb stehen. „Wie?“

„Über Kerrim Ben Yussef. Er wird ein dafür geeignetes magisches Artefakt dabei haben.“

„Wir hatten Streit … in Isahara. Kerrim und ich.“ Sie spähte an ihm vorbei und entdeckte einen abgebrochenen Ast, der im Fallen an der spröden Rinde des Baumstammes hängen geblieben war … abgestoßen und doch nicht imstande, sich von seinem Ursprung zu lösen. Wie ein Kind, das sich an die starken Beine des Vaters klammerte, um nicht selbstständig gehen zu müssen. „Ich habe mit ihm darüber gesprochen, aber ich weiß nicht, ob er mir verziehen hat. Vielleicht ist er nicht begeistert davon, mich zu begleiten.“

„Als ob das eine Rolle spielen würde.“

Chara sah zu ihm zurück. Es war das erste Mal, dass er einen derart lapidaren und zudem auch noch überflüssigen Satz sagte. Jetzt wirkte er fast wie ein Mensch und sie spürte, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln teilten.

„Kann ich auch Lomond bekommen?“, wurde sie mutig.

Seine Augen wurden schmal. „Weder auf die eine, noch auf die andere Weise.“

Alles klar. Themenwechsel. „Ihr wisst, dass ich denkbar ungeeignet für ein Kommando dieser Größenordnung bin. Zwar hab ich in Erainn einiges mitbekommen, aber mir fehlt die Anlage dafür, jemanden anzuführen.“

Al’Jebal trat vor sie hin und sie tauchte in den Schatten seiner ominösen Gestalt. „Du bist, was du bist. Hör auf deine Intuition, finde und gehe deinen Weg.“

Was du bist … Die Formulierung wirkte fehl am Platz. Wer du bist wäre passender gewesen …

„Ich habe dich auf das hier vorbereitet. Du bist so weit.“

Eine Weile sah er sie nur an und sie spürte, wie sich ihr Herz flatternd in seinen Panzer zurückzuziehen versuchte. Es gelang ihm nicht.

„Werde ich Euch wiedersehen?“, fragte sie gedämpft.

Seine Hand glitt in Richtung ihres Herzens und Chara verspannte sich.

„Du wirst zu mir zurückkehren.“

„Warum sollte ich?“

„Weil du es musst.“

Das leise Wispern der Blätter rückte in die Ferne. Chara sah nur noch ihn … einen Körper unter rotem Stoff, der vielleicht ebenso ihre Leidenschaft hätte zum Leben erwecken können wie der Lomonds … der Körper eines Mannes, nicht der eines Namai, welcher über allen Dingen stand. Doch kaum, dass sie sich in dieser Erkenntnis verlor, wurde es wieder kalt zwischen ihnen. Al’Jebal trat zurück. Der forschende Blick des Mannes wich dem nüchternen Blick des Meisters.

„Lass uns gehen“, sagte er. Dann folgte er dem Weg zurück, den sie gekommen waren. An der Tür zum Gang blieb er stehen.

„Die Zeit drängt, Chara. Der Krieg zwischen Chaos und Ordnung hat begonnen. Die Allianz ist dem Chaos nicht gewachsen. Sie werden uns vernichten.“

Chara fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog.

„Die Zukunft Amaleas liegt in deinen und den Händen der anderen Expeditonskommandanten. Ihr müsst schnell sein. Ihr müsst schnell entscheiden, schnell handeln und so bald wie möglich zurückkehren.“

„Wieviel Zeit haben wir?“

„Nicht viel. Je länger ihr braucht, desto weniger von uns werden noch leben, wenn ihr zurückkehrt.“

Langsam nickte sie. Dann öffnete Al’Jebal die Tür und trat in den Gang.

„Brauchst du noch etwas?“

„Nein“, murmelte sie und schob die Hände in ihre Hosentaschen. Dann gab sie sich einen Ruck. „Was genau seid Ihr?“

Seine linke Braue glitt kaum merklich nach oben. „Ich denke, es ist Zeit, die Höflichkeiten hinter uns zu lassen, Chara.“

Oh nein! Er wollte … wollte er etwa? Sie würde ihn nie beim Namen nennen können.

„Das kann ich nicht.“

„Dann lerne es.“

„Meine Frage …“, kam sie zum Thema zurück.

Die Schatten unter Al’Jebals Augen vertieften sich. „Wer oder was ich bin, wirst du bei deiner Rückkehr erfahren.“

„Wieso nicht jetzt?“

„Weil du dann möglicherweise nicht zurückkehren wirst.“

„Warum? Weil mir die Antworten nicht gefallen werden?“

Er erwiderte nichts.

„Was hilft es, wenn ich zurückkehre? Es reicht doch, wenn die Allianz ihre Verbündeten bekommt.“

„Nicht wegen der Allianz. Meinetwegen sollst du zurückkommen.“

Die Stimmung kippte. Hatte er gerade einen persönlichen Wunsch geäußert? War das ein neuer Trick, ein neuer Versuch der Manipulation?

Chara erschauerte. Ein seltsames, namenloses Gefühl ergriff Besitz von ihr. Irgendetwas hing plötzlich zwischen ihnen. Wie ein feines Geflecht unsichtbarer Fasern sponn es sie ein, band sie unwiderruflich aneinander, hielt sie aber zugleich behutsam auf Distanz. Es war, als wäre das Band zwischen Namai und Hatschmaschin zerrissen, um aus den alten, abgenutzten Fäden ein neues zu weben. Oder war dieses Band immer schon dagewesen?

„Ich muss morgen früh raus“, stammelte sie. „Hab noch viel zu tun.“

„Ja.“

Chara brachte ihren weichgekochten Körper unter Kontrolle und schaffte es in geradezu vorbildhaft aufrechtem Gang durch die Tür nach draußen. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, wandte sich ihr Al’Jebal noch einmal zu. „Gute Nacht, Chara. Ich wünsche dir gute Träume.“

„Ich … dir auch.“ Fast hätte sie sich gleich darauf entschuldigt, so falsch und ungehörig war es, ihn auf diese Weise anzusprechen. Doch Al’Jebal sah sie an. Er sah sie an, als wollte er sie … berühren.

Stattdessen verschwand er, und Chara war wieder allein.

Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto

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