Читать книгу Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto - J. H. Praßl - Страница 21

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Magus Primus Major Ahrsa Kasai

Kerrim sah aus, als hätte sie ihm gerade mitgeteilt, er müsse in Zukunft Schiffsdienst leisten.

„Ich bin nicht gemacht für so etwas“, sträubte er sich wie ein nasser Köter. „Ich arbaite verdeckt, Chara. Für das stellvertretende Flottenkommando bin ich nicht geaignet.“

„Ich find’s auch nicht gerade prickelnd, die Flotte zu kommandieren“, gab Chara ungerührt zurück. „Ich brauche einen Stellvertreter. Und ich vertraue hier niemandem außer dir.“

Kopfschüttelnd schwang sich Kerrim aus seiner Hängematte, schlüpfte in seine Stiefel und vergewisserte sich, dass außer den Assassinen und den Dad Siki Na niemand in den Mannschaftsunterkünften war. Dann pfiff er zwei seiner Kollegen heran, die im hinteren Winkel des ersten Unterdecks förmlich mit den Schatten verschmolzen waren.

„Besser, wir gehen erst ainmal nach dainem Verdacht mit den Verrätern“, brummte er unwillig. „Verdächtige?“

Chara hielt Nok mit einer fahrigen Geste dazu an, zur Seite zu treten und die beiden Kollegen gesellten sich schweigend zu ihr und Kerrim. „Den Befehl zum Auffächern kannten nur … nur das Expeditionskommando, mit anderen Worten ich, Siralen und Lucretia. Dann noch Olschewski, der Vizeadmiral der achten Flotte Hadschif Ibn’Damahr und sämtliche Kapitäne seiner hundert Schiffe, dann noch Schroeder, Tauron Hagegard und sein Kapitänsanwärter Gardwain Arkos. Möglicherweise auch dieser Magus Primus Kasai. Kann sein, dass Lucretia ihn eingeweiht hat. Das muss ich noch prüfen. Also genug Verdächtige, um nicht effizient vorgehen zu können. Zumindest können wir’s vergessen, alle Kandidaten mit Hilfe von Stowokors Informationsmagie zu befragen. Das würde ewig dauern.“

Kerrim nickte und wandte sich den beiden Assassinen zu. „Kħann sain, dass wir müssen überwachen ain paar Kħapitäne und Admiräle“, erklärte er formlos. „Stellt żusammen aine Liste von denen in der Flotte, die dafür kħommen in Frage und legt los.“ Er sah Chara an. „Du willst doch überwachen die Kħommandoschiffe, oder?“

„Ja.“

„Gut.“ Er nickte den beiden zu und sie machten einen Abgang.

„Wir haben diesen Hadschif gestern schon verhört“, erklärte Chara.

„Verhöret?“

„Befragt. Ich, Siralen und L’Incarto. Er hat sich wie ein Oger gegen die Behauptung gestemmt, einer seiner Leute könnte ein Verräter sein. Was ihn selbst betrifft, hat er erwartungsgemäß jeglichen Verdacht von sich gewiesen.“

Die Angelegenheit musste auf jeden Fall geklärt werden. Chara konnte nicht verstehen, warum jemand seinen Stolz und den Ruf seiner Leute über die Sicherheit der Flotte und Mission stellte. Was war schon dabei, wenn ein paar Assassinen schnüffelten? Es würde niemand zu Schaden kommen, abgesehen von denen, die sich etwas zuschulden hatten kommen lassen.

„Wenn wir ħaben wirklich ainen Verräter unter uns, dann muss Al’Jebal erfahren davon“, murmelte Kerrim.

Chara verkrampfte sich. Sie kämpfte so hart damit, nicht an Al’Jebal zu denken, dass sie nicht unbedingt scharf darauf war, schon jetzt Kontakt mit ihm aufzunehmen. „Wenn“, hielt sie dagegen und dachte unvermittelt an Lomond. Warum jetzt?

„Vielleicht, weil du ihn vermisst?“, meldete sich ihre zweite Stimme zu Wort. Sie hatte sich eine ganze Weile ruhig verhalten.

Seit ihrem Aufbruch waren erst sechs Tage vergangen. Admiral Schroeder war es tags zuvor gelungen, vier der elf Chaosschiffe einzuholen und zu versenken. Das Problem war, dass die restlichen sieben Schiffe kurz darauf in einer dichten Nebelbank untertauchten und danach aus dem Sichtbereich der magischen Seekarte verschwunden waren. Nun wusste niemand, wo sich die Chaosschiffe befanden.

Kerrim bückte sich nach seinem Waffengürtel, schlang sich das Leder über sein knielanges Hemd und warf sich seinen schwarzen Umhang über. „Das Ganże kħann werden żiemlich ħaikel, Chara. Ich waiß nicht, ob die Piraten werden kħooperieren. Viele von denen mögen uns Ħatschmaschin nicht besonders.“

Chara marschierte zur Treppe. „Wenn es in der Flotte eine undichte Stelle gibt, müssen wir sie stopfen. Das ist nicht Sache der Piraterie, sondern der Internen Sicherheit.“

Als sie zusammen mit Nok und Og zum Hauptdeck hochgestiegen waren, pfiff ihnen ein schneidender Wind um die Ohren und blies Kerrim seinen schwarzen Schal ins Gesicht. „Ah verdammt!“ Er fischte nach dem Lappen. „Ich kħann nicht laiden es, wenn mir etwas klatschet über die Augen.“

Chara beobachtete, wie er sich umständlich den Stoff vom Gesicht fummelte. Selbst wenn Kerrim gereizt war, hatte er noch etwas Gewinnendes. Und was sie gesagt hatte, hatte sie auch gemeint – Kerrim war der Einzige, dem sie vertraute. Selbst wenn ihr Vertrauen darauf fußte, dass er wie sie ein Hatschmaschin war, war das ein ziemlich großes Zugeständnis. Intuitiv tastete sie nach dem Lederband um ihren Hals. Sie hatte sich die Phiole mit Al’Jebals Blut umgebunden und trug sie nun verborgen unter ihrem Hemd direkt über ihrem Herzen. Fast schon kitschig …

An Deck war es ruhig. Es war Mittag und abgesehen vom zweiten Maat im Krähennest und den Piraten, die im Takelwerk hingen, war wenig los. Ein paar Männer würfelten am Vordeck um die Wette. Ein Hüne von einem Seemann hockte daneben und sah zu. Er hieß Kurn oder Kuhrn … möglicherweise auch Kuurn. Das war schwer zu sagen. Der Mann redete, als könnte er nicht bis drei zählen. Er hatte sich irgendwann in den letzten Tagen bei Chara vorgestellt.

Als sie über das Poopdeck zur Offiziersmesse wollten, trafen sie auf Siralen, die gerade die Tür zur Messe aufstieß.

„Chara. Herr Ben Yussef“, grüßte sie und trat ein. Sie trug wie meistens eine schlichte, naturfarbene Tunika über engen, blassgrünen Beinkleidern und hatte ihre Haare zu einem Zopf geflochten. „Wisst ihr, ob der Admiral an dieser Besprechung teilnehmen wird?“

„Ich habe ihn nicht benachrichtigt“, antwortete Chara. „Ich dachte, es ginge lediglich darum, die Stellvertreter des Kommandos an einen Tisch zu holen.“ Sie ließ sich Siralen gegenüber in den Stuhl fallen, während Nok und Og ihre übliche Position in ihrem Rücken einnahmen, und Kerrim sich den Stuhl neben ihr schnappte. Irgendwo aus den unendlichen Tiefen seiner schwarzen Kleiderschichten tauchte ein Pfeifchen auf, das er großzügig mit Jhu-Ju stopfte.

„Mein Stellvertreter müsste jeden Moment hier sein“, erklärte Siralen.

„Hatte Tauron Einwände gegen das gemeinsame Elfenschiff?“, fragte Chara. Der Anbari erschien ihr noch immer als die beste Wahl für den Posten des Admirals. Jedenfalls für jemanden wie sie, der sich nichts aus langen Reden machte.

„Er brachte keine Einwände zur Sprache.“ Siralen schob ihren silbernen Zopf in den Nacken und richtete sich in ihrem Stuhl ein. „Ich wollte mich noch bei dir bedanken, Chara.“

„Wofür?“

„Dass du mir in dieser Angelegenheit freie Hand gelassen hast.“

„Ach das.“

Schließlich wollte Siralen wissen, wie die Interne Sicherheit im Falle des Verratsverdachts vorzugehen plante, und Chara fragte sich, ob sie sie einweihen oder es unterlassen sollte. Kerrim schien sich an dem Thema nicht zu stoßen. Er paffte entspannt sein Pfeifchen und überließ es ihr, wie sie mit den empfindlichen Informationen verfuhr.

„Wir lassen die Kommandoschiffe überwachen. Eine andere Möglichkeit sehe ich im Moment nicht.“

„Denkst du, die Vizeadmiräle werden das zulassen?“, hakte Siralen nach.

Bevor Chara antworten konnte, ging die Tür auf und ein schlanker Mann in bunten Roben betrat die Messe. Sein nussbraunes, bereits graumeliertes Haar war kinnlang und schnurgerade. Sein Gesicht konnte man ohne weiteres als markant bezeichnen – mit hohen Wangenknochen, einer schmalen, geraden Nase, leicht schräg gestellten Augen und einem glatt rasierten, kantigen Kinn. Alles an ihm war geordnet, gepflegt und sauber. Und trüge er nicht ein so unsäglich impertinentes Mienenspiel zur Schau, wäre er wahrscheinlich ein ansehnlicher Mann.

„Verehrtes Kommando. Herr Ben Yussef“, grüßte Magus Primus Major Ahrsa Kasai mit knarziger Stimme. Sie klang als würde man eine Winde mit nassem Seil zu fest anziehen, sodass das Holz unter der Last … na eben knarzte.

Unter seinem Arm trug er eine dicke Mappe aus dunkelbraunem Leder, in das sein Name eingeprägt war. Er legte das gute Stück in aller Behutsamkeit und wie selbstverständlich am Kopfende des Tisches ab, wobei es rein zufällig exakt mit der Tischkante abschloss. Dann streifte er seine bunte Robe glatt und ließ sich geschäftig in den Stuhl gleiten.

„Ich entschuldige mich im Namen der ehrenwerten Kommandantin Lucretia L’Incarto vielmals für die Abwesenheit derselben“, begann er förmlich. „Sie ist leider unpässlich, was selbst bei einer Kommandantin ihres Ranges gelegentlich vorkommen kann. Darum werde ich heute für sie sprechen.“

Na das kann ja heiter werden. Chara nahm sich ein Beispiel an Kerrim und verhalf sich ebenfalls zu einer Pfeife.

Kasai zog nicht nur seine Aussagen, sondern auch einzelne Worte wie Kautschuk in die Länge. Darüber hinaus sprach er äußerst präzise, aber häufig in verschachtelten Sätzen, was auch jedes Gespräch mit ihm hinzog. Und Chara hatte es meistens eher eilig.

„Was hat Lucretia denn?“, wollte sie wissen, brachte das Rauschkraut zum Glühen und sog die Droge tief in ihre Lungen. Besser.

Die schmale Pfeilnase schwang zu ihr herum und eine duldsame Miene trat auf Kasais Gesicht: „Wie ich bereits sagte“, näselte er. „Frau L’Incarto ist unpässlich und sieht sich außerstande, der Besprechung beizuwohnen.“

„Außerstande weil?“

„Was war an meinen Worten für Euch nicht verständlich, Frau Pasiphae-Opoulos?“

„So ziemlich alles“, gab Chara lakonisch zurück. „Weil darin nichts enthalten war, das man verstehen hätte können. Ist sie krank? Hat sie ihre Tage? Wurde sie … vergiftet?“

Jetzt warf ihr Kerrim einen warnenden Blick zu und Chara verstummte. Das mit dem Gift hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber seit ihrem gemeinsamen Einsatz in Isahara kam sie mit Lucretia nicht mehr so richtig klar, und in den letzten Tagen hatte sich die Magierin weitestgehend aus allem rausgehalten und sich primär mit dem dicklichen Moravi in ihrer Kajüte verbarrikadiert. Das gefiel ihr nicht.

„Vergiftet? Wie darf ich das verstehen? Muss Frau L’Incarto etwa befürchten, vergiftet zu werden?“

„Würde es Euch etwa gefallen, wenn es so wäre?“, unterbrach Chara ihn.

Der Magus Primus zog in aller Ruhe ein Tintenfass aus seiner Gürteltasche, löste eine Feder aus einer Halterung an seinem Gürtel, tunkte sie in das Fass, klappte seine Mappe auf und ließ die Federspitze kratzend über das Pergament gleiten.

„Frau Pasiphae-Opoulos“, bemerkte er ohne aufzusehen, aber dafür mit einer ganz besonders pointierten Betonung ihres Namens. „Ich habe ja bereits in Erfahrung gebracht, dass Ihr Vorbehalte den Magiern gegenüber habt, was bei einer Frau Eurer Profession nicht unbedingt verwunderlich ist, aber man sollte doch annehmen, dass, wenn jemand wie Ihr eine Kommandoposition innehat, er seine Vorurteile hintanstellen kann. Ich habe den Gerüchten über Euch, oder auch der Tatsache, dass Ihr eine Assassinin seid und – verzeiht mir bitte die Erwähnung dieser allgemein vertretenen Ansicht – Assassinen sozusagen per definitionem keine Führungsposition innehaben dürften, bisher keine Beachtung geschenkt, weil ich es für angebracht halte, mir selbst ein Bild zu machen, nicht wahr, Frau Pasiphae-Opoulos? Auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Sprecher der Allianz diesem Kommando, aus welchem Grund auch immer, seine Zustimmung gegeben hat und ich diesem mit äußerstem Respekt gegenüberstehe. Nun, da ich mir mein Bild gemacht habe, scheinen sich sowohl die Gerüchte als auch meine, zugegeben vorgefasste Meinung über Assassinen in Kommandopositionen allerdings zu bestätigen.“

Das Wörtchen Ich schien in seinen Ohren einen besonders schönen Klang zu haben. Und schon bei der Hälfte seines kleinen Vortrags hätte Chara ihm am liebsten seine fein säuberlich geordnete Mappe ins Gesicht geworfen – zumal schon nach dem ersten Satz klar war, worauf er hinauswollte. Zu ihrem und seinem Glück öffnete sich in diesem Moment die Tür, und Siralen stieß auf der anderen Seite des Tisches einen kaum vernehmlichen Seufzer der Erleichterung aus.

Im Türrahmen stand Tauron und schottete den Blick auf einen Mann ab, der allem Anschein nach darauf wartete, an der Besprechung teilnehmen zu dürfen.

„Tag auch. Ein Paket für die Sprecherin der Elfen“, bemerkte der Admiral und schenkte Siralen ein kleines Grinsen. In seinem Rücken erklang eine kühle, herablassende Stimme.

„Darcean Dahoccu Tebfrasu Aminias Aenecra Feurbdahen Tigdanshtair Anenrashu Menilajeren ist mein Name.“

„Sehr gut.“ Siralen erhob sich mit einem befreiten Lächeln. „Lasst den Mann eintreten, Admiral. Er ist mein Stellvertreter.“

„Jep.“ Mit einer etwas tollpatschig wirkenden Verbeugung trat Hagegard zur Seite und machte dem Neuankömmling Platz, der umgehend an ihm vorbei auf Siralen zuhielt … Schwebte wäre fast treffender.

„Tin salu ecra, Siralen“, begrüßte er sie mit einem winzigen Neigen seines Kopfes, was Siralen ihrerseits mit einem Nicken goutierte. „Es freut mich sehr, dass Ihr hier seid, Darcean.“

Sie wirkte tatsächlich erfreut … sehr sogar.

Nachdem Tauron sich davongemacht hatte, unterzog Chara den Elfen mit dem unmöglichen Namen einer eingehenden Untersuchung. Er sah aus wie die meisten Elfen ihrer Meinung nach eben so aussahen – schön und langweilig. Darceans Haar hatte wie das vieler anderer Elfen einen silbrigen Schimmer. Und wie bei allen anderen war es lang, glänzend, ja einfach ausgesprochen wundervoll. Er war eher schlank wie alle Elfen und mehr als andere von besonders würdevoller Schönheit, jedenfalls soweit Chara das beurteilen konnte. Nur hatte er, nach ihrem Dafürhalten, nicht die geringste Ausstrahlung und verblasste förmlich neben Siralen. Das, was dem Charaktermangel seines äußeren Erscheinungsbildes einen Hauch von Würze verpasste, waren seine Augen. Sie waren von unterschiedlicher Farbigkeit – eins grün, das andere blau.

Der Elf trug eine graue Robe mit weißen Ziernähten und hatte einen Stab aus Holz dabei, den er nun vorsichtig an die Tischkante lehnte. Es war zweifelsohne ein magischer Stab, ähnlich wie jener, den Chara einst bei Garon Kostolem gesehen hatte. Und damit war dieses Ding gefährlich. Ein Zauberkundiger konnte einen Teil seiner Magie in einen solchen Gegenstand bannen, um einen Spruch ohne Worte innerhalb eines Lidschlags auszulösen.

Bevor sich Kasai zu neuerlicher Redseligkeit hinreißen ließ, ergriff sie das Wort.

„Ich bin Chara. Und weil Ihr neu hier seid, werde ich Euch in die hier vorherrschenden Bräuche einführen.“

Ein kurzer Blick auf den Stuhl neben sich zeigte ihr, dass Kerrim eingeschlafen war. Sein Kinn war ihm auf die Brust gesunken, seine Pfeife aus dem Mund gerutscht und in den Schoß gefallen, und ein kaum hörbares Schnorcheln ließ seinen Mundwinkel flattern. Bei den Mächten, der Hatschmaschin war womöglich wirklich keine gute Wahl als Stellvertreter.

„Ich habe gehört, Ihr seid ein Druide“, wandte sie sich erneut dem Elfen zu.

Die Lider über den zweifarbigen Augen schlossen sich kurz – eine winzige Geste begleitet von einem noch winzigeren Nicken.

„Dann seid Ihr magisch begabt.“

„Alle unseres Volkes sind magisch begabt“, erklärte Darcean gelassen.

„Aber nicht alle spezialisieren ihre Begabung. Druiden bilden ihre Magie aus. Ihr seid zwar Siralens Stellvertreter, seid aber nichtsdestotrotz dem Expeditionskommando unterstellt. Als magisch begabter Elf zählt Ihr …“ Sie unterbrach sich und sah Siralen an. „… zu den Zauberkundigen?“

„Ein Druide lässt sich nicht eindeutig den Zauberkundigen zuordnen“, blieb Siralen auf der sicheren Seite und spielte damit ihrem Artverwandten in die Hände.

„Er ist doch der Zauberei kundig, oder nicht?“

„Das bin ich“, bestätigte Darcean. „Und ich bin hier. Ihr könnt mich auch direkt ansprechen, wenn es Euch denn gelegen kommt.“

„Kommt es.“ Chara lehnte sich zurück und sog an ihrer Pfeife. „Ihr seid ein Zauberkundiger und untersteht damit Lucretia L’Incarto.“

„Ich bin ein Druide und ein Druide ordnet sich einem Magier nicht unter. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen druidischen Zaubern und Magie.“ Er zog einen Zweig aus einem seiner Beutel und hielt ihn hoch. „Möchtet Ihr, dass ich Euch diesen darlege?“

„Bitte darum.“

Darcean nickte huldvoll. „Magier sind mit der Natur nicht im Einklang. Druiden sehr wohl. Sie respektieren das natürliche Gesetz und ordnen sich diesem unter.“ Der Elf nahm den Zweig zwischen Daumen und Zeigefinger und bog ihn leicht. „Wir lernen, das Gesetz zu biegen, ohne es zu verletzen. Ein Magier, der fern der Natur eine Ausbildung in einer der großen Akademien genießt, lernt dies nicht.“ Mit einem kleinen Zucken der Unterlippe, zerbrach er den Zweig. „Sie biegen das Gesetz der Natur nicht nur, bisweilen brechen sie es. Und damit bringen sie den Weltgeist aus dem Gleichgewicht.“

Der Elf reagierte genauso, wie Chara es befürchtet hatte.

„Ich bin weder geneigt, Befehle zu befolgen, deren Hintergrund ich nicht kenne, noch mich einem Menschen zu unterstellen, auf den dasselbe zutrifft“, setzte er fort. „Ich toleriere, dass Ihr von höherer Stelle in dieses Kommando berufen wurdet. Doch ich selbst zähle mich zum Volk der Elfen und unterstehe damit allein Siralen. Ich fungiere hier ausschließlich als ihr Berater und Stellvertreter, wobei mir meine Ausbildung zum Rechtsgelehrten behilflich sein wird. Was die Kommandantin der Internen Sicherheit, die Befehlshaberin der Flotte, der Gelehrten, der Zauberkundigen … welcher Fraktion auch immer … denkt oder tut, betrifft mich nur in einem von mir frei gewählten Ausmaß.“

Chara zog ihre Pfeife aus dem Mund und beugte sich über den Tisch. „Irrtum, Darcean Dahoccu.“ Es waren die einzigen zwei seiner unzähligen Namen, die sie behalten hatte. „Es betrifft Euch sogar in vollem Umfang. Diese Mission befehligt das Expeditionskommando, mit anderen Worten ich, Lucretia L’Incarto und Siralen. Alle Mitglieder dieser Flotte unterstehen diesem Kommando, auch die Elfen. In aller Klarheit: Wenn ich in meiner Position als Flok einen Befehl erteile, halten sich alle innerhalb dieser Flotte befindlichen Seelen an diesen Befehl. Wenn Siralen in ihrer Position als Kommandantin der Landstreitkräfte einen Befehl an die Truppen ausgibt, halten sich alle den Truppen zu diesem Zeitpunkt zugeordneten Mitglieder an diesen Befehl … Habt Ihr das verstanden?“

Das Gesicht des Elfen versteinerte. „Ja, das habe ich. Und doch halte ich an meiner Entscheidung fest, gleich, wie sehr Euch diese widerstrebt. Ich bin Siralens Stellvertreter und werde meine Vorgesetzte nach bestem Wissen und Gewissen beraten und vertreten. Aber ich werde mich keineswegs den Befehlen eines Menschen unterwerfen, schon gar nicht eines Menschen, dem nachgesagt wird, dass er mit dem Chaos sympathisiert.“

„Darcean!“, griff Siralen ein und legte dem Elfen beruhigend ihre Hand auf den Arm.

Chara lehnte sich zurück. Offenbar hatte Langeladeon ganze Arbeit geleiset und dafür gesorgt, dass ihr ein gewisser Ruf vorauseilt.

„Tut, was Ihr nicht lassen könnt, Darcean Dahoccu. Und dann“, sie atmete langsam aus, „… lebt mit den Konsequenzen.“

Offenbar empfand der Druide Charas Rückzug als verdeckten Offensivschlag. Seine Hand schloss sich drohend um seinen magischen Stab, und Nok und Og stießen ein angriffslustiges „Akah!“ aus. Doch bevor der Elf eine ernstzunehmende Gefahr darstellen konnte, erstarrte er mit einem Mal zur Salzsäule.

Verblüfft fuhr Chara zu Ahrsa Kasai herum. Der Magus stand am Kopfende der Tafel. Seine schmalen Finger wiesen in Darceans Richtung. Seine Lippen, die sich gerade noch bewegt hatten, schlossen sich. Als er den Mund erneut öffnete, war seine sonst so unleidige Stimme schneidend geworden.

„Ich denke, Ihr solltet in Zukunft besser abwägen, was Ihr wem gegenüber in welcher Form zum Ausdruck bringt und was Ihr besser für Euch behaltet, Frau Pasiphae-Opoulos. Es scheint mir hier sehr an den rechten Umgangsformen zu mangeln, und Ihr scheint diesen Mangel für eine Selbstverständlichkeit zu halten.“

Chara verstand nicht. Was hatte sie denn gesagt?

Ahrsas Zeigefinger glitt Richtung Darcean und einige unverständliche Worte gingen über seine Lippen. Ein Ruck und Darcean erwachte abrupt aus seiner Starre.

„Und Ihr“, setzte Kasai schneidend fort, „tätet gut daran, Euch den Zauberkundigen an Bord dieses Schiffes unterzuordnen, Euch auf Euren Auftrag zu konzentrieren und dem Kommando weder zu drohen, noch seine Autorität in Frage zu stellen, auch wenn Euch eines seiner Mitglieder möglicher- und auch nachvollziehbarerweise nicht gefällt. Es herrscht Konsens darüber, dass für die Elfen dieselben Regeln gelten wie für alle anderen Teilnehmer dieser Mission.“

Während Darcean sich hervorragend darin machte, trotz der ohne Frage demütigenden Situation, seine Würde zu bewahren, indem er schwieg und Siralen einen vielsagenden Blick zuwarf, starrte Chara den Magus an. Es war schlicht nicht damit zu rechnen gewesen, dass er so drastisch auf ihre und Darceans Meinungsverschiedenheit reagieren würde. Und auch nicht, dass er derart fähig in der Umsetzung seiner magischen Fähigkeiten war.

„Ich bin nicht sicher, wo Eure Kompetenzen liegen, Frau Pasiphae-Opoulos“, kehrte Kasai zu seinem üblich schleppenden Sprechtempo zurück, setzte sich und nahm seine Dokumentation wieder auf. „Ich hoffe, ich täusche mich, aber ich habe das unangenehme Gefühl, Ihr könntet mit dem Kommandoposten leicht überfordert sein.“

Chara musterte ihn, während sie sich die Pfeife in den Mund steckte. Ahrsa Kahsai könnte damit durchaus recht haben. Doch sie hatte klare Anweisungen und würde diesbezüglich keinen Rückzieher machen. „Wenn Ihr nun so freundlich wärt, Siralen“, wandte sich Darcean seiner Vorgesetzten zu, als wäre nichts von Belang vorgefallen, „und mich in die Fakten einweiht?“

Siralen warf Chara einen forschenden Blick zu, bevor sie ihren Stellvertreter ins Bild setzte. Die Elfe sprach ruhig und klar, und Chara beschloss, den Mund zu halten und zuzuhören. Siralen legte Darcean die Indiziensammlung dar, die Al’Jebal ihnen nahegebracht hatte. Sie sprach vom Krieg gegen das Chaosbündnis und der Notwendigkeit, Verbündete zu finden. Sie berichtete von den Hypothesen einiger verrückter Gelehrter, die dachten, die Welt wäre rund und nicht etwa eine Scheibe, von den uralten Artefakten unbekannten Ursprungs, die in Grialburg bei Lapis Zahira verborgen gehalten wurden – jenem Gebiet, das ein Ring aus Drachen bewachte. Auch erzählte sie von den Vampiren und ihren Vorfahren – den Sieben, die vor fünfzigtausend Jahren zusammen mit Menschen und Gnomen in Amalea aufgetaucht waren, und von denen nur noch einer existierte.

Bei der Erwähnung der MacDragul lenkte Chara ihren Blick zu den heckseitigen Fenstern. Womöglich würde sie Lomond nicht wiedersehen und gerade jetzt machte ihr das etwas aus.

„Wir haben keine Zeit“, sagte sie und alle sahen sie an. „Wir müssen das Land, das irgendwo dort draußen sein soll, schnell finden. Wenn wir zu lange brauchen, ist Amalea dem Untergang geweiht.“

Siralen musterte sie. „Wie viel Zeit haben wir?“, fragte sie, als gäbe es keinerlei Zweifel daran, dass Chara wusste, wovon sie redete.

„Keine Ahnung. Ein, vielleicht zwei Jahre? Je länger es dauert, desto mehr werden sterben, bevor wir mit der Verstärkung zurückkehren.“

Chara erhob sich. Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als Darcean eine Frage nachschob. „Gibt es sonst noch etwas, das Al’Jebal dem Kommando anvertraut hat und das ich wissen sollte?“

Einen Moment vergaß Chara, dass Al’Jebal ihr Namai und sie seine Hatschmaschin war. Und sie vergaß, dass ein Hatschmaschin das Geheimnis seines Meisters zu wahren hatte – überall, jederzeit, ausnahmslos.

„Da wäre noch die Sache mit den Schwarzen Assassinen“, sagte sie und hatte bereits die Hand an der Tür. „Es handelt sich dabei um Menschen mit kohlschwarzer Haut. Angeblich stammen sie von einem Kontinent südlich des Großen Abgrunds.“

Schon wollte sie nach draußen treten, da durchzuckte sie die Erkenntnis wie ein Blitz. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Lauernd drehte sie sich um … und wurde sofort von Kerrims Blick in Beschlag genommen. Ihr Kollege sah aus, als wäre er unvermittelt aus einem schönen Traum gerissen worden. Sein Kiefer mahlte.

Scheiße.

Zu allem Überfluss begann jetzt auch noch Ahrsa Kasais Feder über seine verfluchten Aufzeichnungen zu kratzen, und Siralen sah aus, als wäre sie sich nicht sicher, ob hier gerade eine unerhörte Sache passiert war oder sie sich das nur einbildete.

„Ich werde diesen bedauerlichen Vorfall dem Sprecher der Allianz mitteilen müssen, nicht wahr?“, schnarrte Ahrsa Kasai. „Ich nehme an, Ihr versteht, dass das meine Pflicht ist, Frau Pasiphae-Opoulos.“

„Was?“, zischte Chara und war mit drei Schritten zurück an der Tafel. „Ihr wollt was?“

„Wie ich schon sagte, ich werde den Sprecher der Allianz davon unterrichten müssen, dass Ihr eines seiner wohl gehüteten Geheimnisse …“

Also hatte Al’Jebal Kasai persönlich in dieses Geheimnis eingeweiht. So wie Siralen, Lucretia und sie. Wieso? Wieso ausgerechnet ihn?

„Ich hab Euch schon verstanden, Kasai. Aber Ihr werdet nichts davon tun. Diese Angelegenheit geht Euch einen Scheißdreck an! Ihr seid nicht Al’Jebals Informant. Ihr seid vielleicht der hochrangigste Zauberkundige in dieser Flotte, aber Ihr seid kein Mann Al’Jebals. Ihr seid lediglich ein Mitglied der Allianz, wie es unzählige gibt und als solches seid Ihr L’Incarto unterstellt.“

Das war’s. Mehr hatte sie diesem arroganten Sack nicht zu sagen. Gefolgt von Nok und Og stiefelte Chara aus der Messe. Erst als sie am Hauptdeck war und tief Luft geholt hatte, kehrte eine gewisse Klarheit zurück. Nur war diese Klarheit alles andere als erleichternd. Sie hatte gerade zwei Fehler gemacht. Einer davon war unverzeihlich, der andere war ein winziger Baustein in dem Gebäude aus Fehlern, das ihr irgenwann über dem Kopf zusammenbrechen würde.

Chara blickte zurück. Wie erwartet öffnete sich die Tür zur Messe und Kerrim betrat das Poopdeck. Langsam stiefelte er die Treppe zum Hauptdeck hinunter und kam auf sie zu.

„Das war żiemelich dumm von dir, Chara.“

„Ich weiß.“

„Al’Jebal muss erfahren davon.“

„Ja, ich weiß. “

„Aber das ist gar nicht so das Problem von allem“, lenkte er ein. „Du ħast dich provozieren lassen und Kħasai gemacht deutlich, dass er nichts żu sagen ħat, dass er so żu sagen stehet unter dir.“

Chara stöhnte auf. „Ich kann diesen Kerl nicht ausstehen.“

„Das ist vollkommen egal, oder? Wir wissen doch genau, dass die Żauberkundigen betrachten ihr Gemächt als größer als das von allen anderen und wollen, dass wir erkennen, wie prächtig es ist, richtig?“

„Ich kann keine Rücksicht auf irgendwelcher Leute Schwänze nehmen.“

Kerrim klopfte seine Pfeife am Mast aus, ließ sie in seiner Gürteltasche verschwinden und steckte seine Hände in seine Manteltaschen.

„Verstehe ich, Chara. Das Problem ist, dass wir sind angewiesen auf das, was die Magier kħönnen laisten mit ihrem wundervollen Schnicke-Schnacke. Das bedeutet wiederum, dass wir sie müssen loben dafür, damit sie wollen zaigen ganż oft, was sie ħaben in der Ħose.“

„Ich reiß mich zusammen …“

„Ist daine Sache“, erwiderte er schulterzuckend. „Ich bin nur dain Stellvertreter.“

Er grinste und Chara spürte, wie ihre Braue hochging. „Was ist so witzig?“

„Kħaine Ahnung. Aber ich sehe, wir werden ħaben viel Spaß żusammen.“

Genau. Das war Kerrim. Er wusste einfach, wie man sie bei Laune hielt. Chara konnte sich nicht erinnern, dass es je einen anderen gegeben hatte, der darin erfolgreich gewesen wäre. Doch. Bargh. Auch der Vallander hatte diese seltene Begabung gehabt, und als er starb, starben die heiteren Momente gewissermaßen mit ihm.

Auf dem Weg in die Mannschaftsunterkünfte waren sie so schweigsam, dass sie sogar Nok und Og Konkurrenz machten. Doch als Chara in den Korridor zu den Kajüten abzweigen wollte, unterbrach Kerrim die Stille.

„Eh Chara? Mache dir kħaine Sorgen wegen Al’Jebal. Ich glaube, er wird überleben, dass sich der Kħrais der Aingewaiten ħat vergrößert um ainen Elfen. Jedenfalls wenn dieser Elf verstanden ħat, dass es tödlich kħann sain für ihn, wenn er spricht żuviel. “

Chara spürte, wie ein müdes Lächeln ihren Mundwinkel hob. „Weißt du, Kerrim … ich bin nicht sicher, wie ich Chara, die Kommandantin mit Chara, der Assassinin vereinbaren soll und ob das überhaupt möglich ist. “

„Das kħönnte viellaicht werden schwierig. Aber wenn du es schon mal ansprichst, ain Ħatschmaschin ist und blaibt ain Ħatschmaschin. Egal, womit er sich beschäftigt sonst noch.“

Chara war sich nicht sicher, ob es tatsächlich so einfach war.

Als sie die Tür zu ihrer Kajüte öffnete, spähte sie zu Lucretias Quartier. Es war, wie erwartet, verschlossen. Die Akademiemagierin sah wohl keinen Grund, ihr Schlupfloch zu verlassen und sich den Anforderungen des Kommandos zu stellen. Chara ließ Og und Nok draußen stehen, verschloss die Kajüte hinter sich und warf sich auf ihr Bett. Wenn Lucretia wenigstens ein paar von ihren Plunderteilchen backen würde …

Es war schon dunkel. Lucretia saß auf ihrem Bett, den Kopf an Stowokors Schulter gelehnt, ihre kleine Hand in seiner großen. Durch die Wand zu Siralens Kajüte drang gedämpfte Flötenmusik. Lucretia mochte den Klang von Flöten. Er hatte etwas Zartes, Verspieltes. Doch heute waren die verletzlichen Klänge von Siralens Flöte wie eine vom Schicksal auserwählte Melodie zur Untermalung ihrer akuten Sorgen. Was, wenn sie erneut versagte, wenn das Übel nicht abzuwenden war, das sich vor einigen Tagen ein weiteres Mal vor ihr entrollt hatte?

Ihr könnt alles haben, was Ihr wollt, stand auf dem Pergament, das sich nun in Ahrsa Kasais Besitz befand. Wer auch immer diese Botschaften verfasste, er schien nicht mit dem Gedanken zu spielen, damit aufzuhören. Sie hätte nicht antworten sollen. Es war ein Fehler gewesen.

Seit Beginn der Reise fühlte sich Lucretia seltsam schlapp. Alle ihre guten Vorsätze schienen sich allmählich zu zersetzen, wie alte Schriften in verstaubten Bibliotheken. Bleiern lastete Müdigkeit auf ihr und jedes Mal, wenn sie zur Tat schreiten wollte, plagten sie sonderbare Ängste. Es machte ihr Angst, anderen in die Augen zu sehen, es machte ihr Angst, sich dem Urteil ihrer Kollegen auszusetzen, es machte ihr Angst, Entscheidungen zu treffen. Im Grunde machte ihr alles Angst.

„Du hast doch Al’Jebal über die erste Nachricht in Kenntnis gesetzt, nicht, mein Lieber?“, fragte sie Stowokor.

Stowokor sah aus, als wäre er in Gedanken gerade ganz woanders. „Was meinst du?“

„Die Botschaft, die ich in meinem Haus in Billus gefunden habe. Die, die so mir nichts, dir nichts auf meinem Nachttisch aufgetaucht ist.“

Er nickte, was sein Bäuchlein in ein zaghaftes Wippen versetzte. „Ich hab dir doch Al’Jebals Warnung mitgeteilt.“

„Richtig.“ Das hatte er. Da war es aber schon zu spät gewesen. Da hatte sie längst geantwortet. Und im Augenblick hatte sie gute Lust, gleich eine neue Botschaft zu verfassen. Immerhin bot ihr hier jemand seine Hilfe an. Andererseits … Es war schlicht eine unverschämte Dreistigkeit, ihr irgendwelche Versprechungen zu machen, ohne diese zu konkretisieren oder auch nur die eigene Identität preiszugeben. Was bildete sich dieser Schreiber eigentlich ein?

Lucretia drückte ihr Gesicht in Stowokors Halsbeuge und schmiegte sich an seinen weichen Körper, was er zum Anlass nahm, ihr seinen schweren Arm über die Schulter zu legen.

„Ich mache mir große Sorgen um dich“, brummte er und küsste sie auf die Stirn. „Du bist in letzter Zeit so introvertiert. Dein hohes Maß an Verantwortung setzt dir zu, nicht?“

„Natürlich“, brach es aus ihr heraus und Siralens Flöte in der Nebenkabine stieß ein singendes Seufzen aus.

„Und ich bezweifle mit jedem Funken meines Verstandes, dass Chara dieser Aufgabe besser gewachsen ist als ich. Magus Primus Kasai ist übrigens derselben Meinung. Er sagt, ich solle mir gut überlegen, was genau ich Chara mitteile und was ich lieber für mich behalte. Ich verstehe auch, weshalb er so denkt.“

Stowokor sah sie erwartungsvoll an.

„Nicht nur, dass Chara von der Pike auf gelernt hat, ausschließlich ihrem Meister zu dienen – und Al’Jebal ist nun mal nicht die Allianz – und sich diesem restlos zu unterwerfen, wodurch sie kaum fähig sein dürfte, irgendjemanden anzuführen“, ließ Lucretia ihren Sorgen freien Lauf. „Sie ist auch denkbar ungeeignet für ein Kommando, das auf der Grundlage demokratischer Entscheidungsfindungen handelt. Wenn überhaupt, funktioniert sie nur in klaren hierarchischen Gefügen, wie es im Kriegszustand der Fall ist. Aber wir sind hier nicht in Erainn, sondern auf einer Expedition. Als Flottenoberkommandantin hat sie auf jeden Fall viel zu viel Macht. Einen Großteil der Expeditionsmitglieder machen die Seefahrer aus, um genau zu sein, rund drei Viertel sind Piraten. Und die unterstehen alle Chara. Dazu kommen ihre fünfhundert Assassinen und ebenso viele Gelehrte, die allerdings, den Mächten sei Dank, keinerlei Kampfkraft besitzen. Der Rest der Besatzungen ist im Vergleich verschwindend.“ Sie stieß ein vernehmliches Seufzen aus und die Flötenmelodie schlug in eine zaghafte Melancholie um. „Umso wichtiger ist es, hier ein starkes Gegengewicht zu schaffen“, schmetterte sie Siralens Flöte entgegen. Dieses zaudernde Lied war aber auch eine Beleidigung für die Ernsthaftigkeit der Lage. „Wir Zauberkundigen sind da gewiss die bestmögliche Option. Und auch wenn ich es nur ungern zugebe, auch die Priesterschaft.“

Seufzend zog sie ihren Kopf aus Stowokors Halsbeuge. „Ahrsa sagt, es wäre sehr wichtig, wenn sich die Zauberkundigen mit den Priestern einig würden … sich sozusagen mit ihnen … verbrüdern.“

„Da hat er möglicherweise recht.“ Stowokor sprach mit ihr, als würde er sie einfach nur ruhig stellen wollen. War ihm denn das alles nicht wichtig?

Gut, dass sie einen Berater wie Magus Primus Kasai hatte. Ahrsa war brillant. Nur seinetwegen wusste Lucretia, wie diese Botschaften überhaupt verschickt wurden. Nur seinetwegen hatte sich ihr Verdacht erhärtet, dass der Verfasser ein Chaosanhänger war. Wer war er?

„Das Problem ist Telos Malakin“, kam sie auf die Priester zurück. „Er ist auf Charas Seite. War er schon immer. Leider ist er auch der Sprecher der in der Flotte befindlichen Priesterschaften.“

„Was sagt Magus Primus Kasai dazu?“

Lucretia ließ die Hände in den Schoß fallen. „Er verweist auf den Oberhohepriester Laurin MacArgyll. Er meint, er hätte viel Macht und die Priester würden auf ihn hören – auch die der anderen Priesterschaften. Nur, solange Telos das letzte Wort hat, hat MacArgyll wenig zu sagen.“

Ein schrilles Quietschen ließ Lucretia zusammenzucken. Siralen hatte sich gerade empfindlich im Ton vergriffen. Stowokor schien sich nicht daran zu stören. Er starrte auf den Boden zwischen seinen Schuhen.

Ahrsa hatte bei seinen Untersuchungen des Pergaments ans Licht gebracht, dass die Botschaften von einem Schattenboten übermittelt worden waren. Lucretia hatte keinen Schimmer gehabt, was ein Schattenbote überhaupt war, aber er hatte es ihr in einfachen Worten erklärt. Doch nicht die Erklärung hatte ihr einen kalten Schauer über den Rücken gejagt, sondern das, was er danach gesagt hatte:

„Stowokor Olschewski ist ein Informationsmagier, einer der fähigsten, die mir bekannt sind. Er hätte erkennen müssen, dass ein Schattenbote hinter dem Auftauchen dieser Nachrichten steckt.“

Tatsache war, Stowokor hatte nichts dergleichen gesagt. Und jetzt war da dieser furchtbare Verdacht, es könnte sich bei ihrem so geschätzten Gefährten um einen Mittäter handeln. Oder womöglich um den Schreiber selbst. Aber nein. Das war einfach nicht möglich.

Ein höflich verhaltenes Klopfen erklang.

„Ja?“

„Magus Primus Major Ahrsa Kasai. Ist es mir gestattet, einzutreten, werte Frau L’Incarto?“

Die Flöte in Siralens Kajüte verstummte, als würde sie sich schämen weiterzuspielen – nun, da sie so viele Zuhörer hatte.

Stowokor stemmte sich, zwei handtellergroße und eine fassgroße Delle in der Matratze hinterlassend, hoch, schob den Gürtel unter seinem Bauch zurecht und brummte: „Ich lasse euch beide am besten allein.“

Lucretia nickte und Stowokor öffnete die Tür. Nachdem Ahrsa Kasai eingetreten war und die Kajüte verschlossen hatte, bot Lucretia ihm an, Platz zu nehmen. Zeit, den Magus Primus zu Rate zu ziehen. Ahrsa hatte Fähigkeiten, von denen sie nur träumen konnte.

„Ich wollte Euch darüber informieren, dass die Interne Sicherheit dazu übergeht, die Kommandoschiffe zu überwachen, da es angeblich einen Verräter in der Flotte gibt“, erklärte er gedehnt. „Das zumindest ist Frau Pasiphae-Opoulos’ Meinung. Eine Überwachung wird die Admiralität nicht erfreuen.“

Zugegeben, Ahrsa Kasais Stimme war nicht unbedingt eine Offenbarung. „Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, werter Kollege, aber sollte ich Chara diese ominösen Nachrichten nicht zeigen?“, fragte sie und hoffte zugleich, dass er ihr widersprach. „Immerhin ist sie die Kommandantin der Internen Sicherheit.“

„Völlig korrekt“, gab ihr der Magus recht. „Allerdings habe ich Euch eine Sache noch nicht mitgeteilt, und bevor Ihr diesen Schritt in Erwägung zieht, solltet Ihr alle Details kennen, nicht wahr?“

Er schlug seine schlanken Beine übereinander und faltete seine begnadeten Hände über seinem Knie. „Die Schattenboten, von denen ich Euch berichtet habe, werte Magus Secundus, werden unter anderem auch von dem einen oder anderen Assassinen genutzt, um in dringenden Fällen rasch erforderliche Instruktionen oder Morddrohungen zu übermitteln.“

„Sagtet Ihr nicht, dass für die Nutzung eines Schattenboten-Dämons Magie vonnöten ist und nur ein Zauberkundiger einen solchen Dämon rufen kann, der die Magie der Dämonenbeschwörung zu seinem Spezialgebiet gemacht hat?“

Ahrsa neigte seinen Kopf und der Blick aus seinen schönen Augen zielte von unten in ihr Gesicht. „Auch das ist völlig korrekt, Frau L’Incarto. Aber Assassinen können sich magischer Artefakte bedienen, und es ist nun mal eine Tatsache, dass man eine Beschwörungsformel in ein solches Artefakt integrieren kann, was Euch ja bekannt sein dürfte.“

Es war ihr in der Tat bekannt. Was sollte sie nun mit dieser Information machen? Ungewollt schlichen ihre Gedanken zu Chara.

Nein. Ausgeschlossen. Chara konnte nichts mit diesen Nachrichten zu tun haben. Sie war Al’Jebal blind ergeben. Sie würde nichts tun, was dieser Mission schaden könnte. Andererseits waren Chara und sie vermutlich sehr unterschiedlicher Meinung, was diesem Auftrag schadete und was ihm nutzte. Ihr Magen verkrampfte sich.

Hatte tatsächlich Stowokor etwas damit zu tun? Er hätte also wissen müssen, dass ein Schattenbote im Spiel gewesen war. Warum hatte er es ihr nicht gesagt? Andererseits hatte er in Billus darauf bestanden, Al’Jebal von der Nachricht aus unbekannter Feder zu unterrichten. Wäre er der Verfasser, hätte er dies wohl kaum in Erwägung gezogen. Oder doch? Vielleicht hatte er ja gar nicht mit Al’Jebal gesprochen und die Warnung, die Al’Jebal ihr gegenüber angeblich zum Ausdruck gebracht hatte, war eine Lüge Stowokors, um den Verdacht von sich zu lenken.

Allmählich bildete sich ein Knoten in ihrem Gehirn. Musste sie Stowokor einer Untersuchung unterziehen? War es nicht ihre von den Mächten gegebene Pflicht als Kommandantin dieser Mission?

Magus Primus Major Ahrsa Kasai beugte sich nach vorne und sein von purem Pragmatismus geprägtes Gesicht wurde beschwörend. „Frau L’Incarto, wie ich Euch bereits sagte, kann eine Botschaft von Schattenhand nur über eine Distanz von etwa neunzig VALM geschickt werden. Der Verfasser der Nachrichten befindet sich demnach in diesem Flottenverband.“ Er hob sein Kinn und seine pfeilgerade Nase richtete sich fast anklagend auf Lucretia. „Werte Kollegin, wir müssen davon ausgehen, dass es in unseren Reihen einen Verräter gibt.“

Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto

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