Читать книгу Wenn es dunkel wird ... - J. M. Roberts - Страница 10

7.

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Es dämmerte bereits, als Rebecca Deville einige Tage später Clovelly, ein Fischerdorf, erreichte, das malerisch zwischen den Klippen lag. An seinen steilen Straßen standen uralte, kleine Häuser mit bemalten Türen und Balkonen, auf denen Blumen blühten. Ein leichter Geruch nach Tang und Fisch lag in der Luft. Die junge Frau machte hier kurz Station, um noch etwas einzukaufen, dann fuhr sie in Richtung Newquay weiter.

Schon bald tauchte vor Rebecca die Abzweigung zu der kleinen Feriensiedlung auf, in der ihr Haus stand. Die Siedlung lag am Fuß einer steilen Klippe, auf der sich Drago Castle erhob. In der Abenddämmerung wirkte das dunkle Gemäuer noch unheimlicher als am Tag. Unwillkürlich rann ein Frösteln über den Rücken der jungen Frau.

Rebecca hatte kaum vor der Tür ihres Hauses gehalten, als auch schon Mrs. White erschien, eine Dame mittleren Alters, die sich während der Abwesenheit der Besitzer um die Häuser kümmerte, manchmal auch putzte und andere Arbeiten erledigte. Die Malerin hatte ihr am Vortag ihre Ankunft mitgeteilt.

"Es ist alles für Sie bereit, Miss Deville", sagte sie, nachdem sie einander begrüßt hatten. "Ich habe über Ihren Erfolg in London gehört. Darf ich Ihnen gratulieren?" Sie schüttelte die Hand der jungen Frau. "Werden Sie auch hier arbeiten? Die Gegend bietet sich förmlich dazu an."

"In erster Linie werde ich hier Ferien machen, Mistreß White", unterbrach Rebecca den Redeschwall der Wirtschafterin. "Es wird Zeit, dass ich mich etwas ausspanne." Sie blickte nach Drago Castle hinauf. Es überraschte sie, plötzlich Licht in einem der Türme zu sehen. "Ist Lord Forbes zurückgekehrt?", fragte sie. Sie hatte den Besitzer von Drago Castle noch nicht kennengelernt. Er lebte mit seiner kleinen Tochter schon seit Jahren in Frankreich.

Emily White nickte. "Ja, Seine Lordschaft ist vor drei Wochen zurückgekehrt", gab sie eifrig Auskunft. "Tagelang wurde in unserer Gegend von nichts anderem gesprochen. Meiner Lucy ist angeboten worden, auf Drago Castle zu arbeiten. An und für sich wäre es ein Segen für uns, wenn sie endlich eine Arbeit finden würde, aber ich habe ihr abgeraten. Immerhin soll es auf dem Besitz spuken. Ich persönlich glaube, dass man dem alten Lord ein schreckliches Unrecht angetan hat."

"Sie meinen, dass Lady Forbes nicht von ihrem Schwiegervater, sondern von einem Geist ermordet worden ist?" Rebecca bemühte sich, ernst zu bleiben. Während sie mit Mrs. White das Gepäck ins Haus trug, überlegte sie, was sie über den Mord an Janet Forbes gehört hatte.

In einem Anfall geistiger Umnachtung sollte Stewart Lord Forbes vor drei Jahren seine Schwiegertochter niedergestochen haben. Er hatte die Tat stets bestritten, obwohl man ihn noch mit dem Messer in der Hand bei der Toten gestellt hatte, und behauptet, der alte Dagobert, das Schlossgespenst, hätte Janet ermordet.

"Ich kannte den alten Lord Forbes, er war kein gewalttätiger Mann", erwiderte Mrs. White. "Gut, während der letzten zehn Jahre seines Lebens mag er nicht mehr völlig richtig im Kopf gewesen sein, aber das muss noch lange nicht bedeuten, dass jemand zum Mörder wird." Sie blickte auf die Lebensmittel, die Rebecca in Clovelly gekauft hatte. "Das wäre nicht nötig gewesen, ich habe auch für einiges gesorgt, Miss Deville." Sie öffnete die Tür des Kühlschranks.

"Fein, dann werde ich wenigstens nicht verhungern", meinte Rebecca. Sie gab Mrs. White ein gerahmtes Bild. "Ich dachte, dass es Ihnen etwas Freude macht."

"Danke, tausend Dank." Emily White strahlte. "Deshalb sollte ich Ihnen also ein Foto meiner Enkelkinder schicken." Sie drückte das Bild an sich. "Es wird einen Ehrenplatz in meinem Haus erhalten", versprach sie, dann sah sie die junge Frau neugierig an. "Wird Mister Hale nachkommen, Miss Deville?"

"Mister Hale hat sehr viel zu tun", erklärte Rebecca und bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, was sie fühlte.

"Das glaube ich gerne", erwiderte die Wirtschafterin. "Nun, dann werde ich jetzt gehen. Wenn Sie etwas brauchen, ein Anruf genügt und ich stehe Ihnen zur Verfügung." Sie wandte sich der Tür zu. "Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee von Lord Forbes gewesen ist, nach Drago Castle zurückzukehren. Der Besitz ist unheimlich genug, aber wenn man bedenkt, was dort schon alles geschehen ist ..." Sie seufzte auf. "Die kleine Miss Carol tut mir leid. In Frankreich hat es ihr bestimmt besser gefallen."

"Haben Sie die Kleine schon gesehen?"

"Am Sonntag in der Kirche, und gestern war sie mit ihrer Gouvernante im Dorf." Missbilligend schüttelte Mrs. White den Kopf. "Wie man hört, erhält Miss Carol, bis sie ins Internat kommt, Privatunterricht. Ich finde es nicht für richtig, ein Kind so isoliert aufwachsen zu lassen. Irgend jemand sollte Seiner Lordschaft einmal gründlich die Meinung sagen."

Rebecca lachte leise auf. "Warum schauen Sie mich dabei so erwartungsvoll an, Mistreß White?", fragte sie. "Also, ich werde es auf keinen Fall tun, abgesehen davon, dass ich Lord Forbes überhaupt nicht kenne."

"Es war auch nur so ein Gedanke", meinte die Wirtschafterin. "Sie sind immerhin eine berühmte Malerin, jemand, der etwas darstellt. Wenn unsereiner Seiner Lordschaft mit so etwas kommen würde, er hätte nicht einmal die Chance, angehört zu werden."

"Ganz so schlimm wird es sicher nicht sein", bemerkte Rebecca.

"Sie kennen Seine Lordschaft nicht", antwortete Mrs. White. "Schon vor dem Mord an seiner Frau konnte man ihn nicht gerade einen umgänglichen Menschen nennen. Er hat es stets verstanden, Abstand zu uns zu halten. Sein Vater ist da ganz anders gewesen. Wenn es ihm danach war, ist er mit den Fischern hinausgefahren oder hat sie zu einem Umtrunk eingeladen." Sie seufzte auf. "Man sollte nicht glauben, dass ein Mann wie er es versteht, so einfühlsame Bücher zu schreiben. Ich habe es bestimmt nicht mit dem Lesen, aber wenn von Seiner Lordschaft ein neues Buch erschienen ist, kaufe ich es mir."

Mrs. White wünschte Rebecca eine gute Nacht, stieg auf ihr Fahrrad und kehrte zu dem Häuschen zurück, dass sie unweit der Siedlung mit ihrer Familie bewohnte.

Die junge Frau packte in Ruhe ihre Koffer aus, dann ging sie in die Küche hinunter und bereitete das Abendessen. Als sie es auf einem Tablett in den Wohnraum trug, fiel ihr Blick auf das Klavier, das am Fenster stand. Es schien regelrecht auf Robert zu warten. Nachdenklich schlug sie mehrere Takte eines Stückes an, das er komponiert hatte.

Nach dem Abendessen beschloss Rebecca, noch ein Stückchen spazieren zu gehen. In der Großstadt vermied sie es, bei Dunkelheit unterwegs zu sein, hier machte es ihr nichts aus. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass ihr auf dem Land genauso viel passieren konnte wie in der Stadt.

Auf einem schmalen Pfad kletterte sie zwischen den Klippen zum Meer hinunter. Sie zog sich die Schuhe aus und rannte durch den weichen, feinen Sand auf das Wasser zu. Kühl umspielte es ihre bloßen Füße. Als sie die Augen schloss, glaubte sie Robert und sich zu dem Felsen schwimmen zu sehen, der einige Meter vom Ufer entfernt im Wasser lag. Vergeblich versuchte sie, gegen die Sehnsucht anzukämpfen, die sie erfüllte.

Vergiss ihn, befahl sie sich und blickte zu den Sternen am nachtdunklen Himmel hinauf. Sie wünschte sich heftig, eine Sternschnuppe zu sehen, dann hätte sie einen Wunsch freigehabt. Vielleicht wäre er in Erfüllung gegangen.

Plötzlich fühlte die junge Frau, dass sie beobachtet wurde. Sie wandte sich um. Hinter ihr, hoch oben auf den Klippen, stand eine dunkle, hagere Gestalt. Langsam drehte sie sich um und ging davon.

Du wirst doch nicht das Gespenst von Drago Castle gesehen haben, dachte Rebecca amüsiert. Sie musste Mrs. White fragen, ob der alte Dagobert hin und wieder auch außerhalb der ehrwürdigen Mauern spukte.

Die junge Frau schüttelte das Wasser von ihren Füßen und bückte sich nach den Schuhen. Als sie zu ihrem Haus zurückkehrte, musste sie daran denken, dass Mrs. White nicht glaubte, dass der Vater des jetzigen Lords seine Schwiegertochter umgebracht hatte. Aber das Gericht hatte Stewart Forbes für schuldig befunden und in eine psychiatrische Anstalt einliefern lassen. Vor zwei Jahren hatte der alte Lord dort Selbstmord begangen.

Zu Hause angekommen zog Rebecca eines der Bücher, die Vincent Lord Forbes geschrieben hatte, aus dem Bücherschrank. Er gehörte zu ihren Lieblingsautoren. Sie bewunderte die Empfindsamkeit, mit der er sich in die einzelnen Personen der Handlung einzufühlen vermochte. Zudem war jedes seiner Bücher anders. Er hatte sich nicht auf einen bestimmten Stil festgestellt, sondern überraschte seine Leser stets von Neuem.

Sie schlug das Buch auf. Es handelte sich um einen Roman, der im alten Orient spielte. "Gewidmet meiner lieben Frau Janet, die allzu früh von mir gegangen ist", stand auf der ersten Seite.

Tiefes Mitgefühl mit diesem Mann, der innerhalb weniger Minuten nicht nur seine Frau, sondern auch seinen Vater verloren hatte, ergriff sie. Es musste ein schwerer Schock für ihn gewesen sein, dass Vater Janet erstochen hatte. Kein Wunder, dass er sich in sich selbst zurückgezogen hatte.

Die junge Frau gähnte. Mit dem Buch in der Hand stieg sie die Treppe hinauf. Sie wollte vor dem Schlafen noch etwas lesen, obwohl sie ahnte, dass sie nicht allzu weit kommen würde. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Nun ja, jetzt lag erst einmal ein langer, erholsamer Urlaub vor ihr. Höchste Zeit, dass sie etwas ausspannte.

Wenn es dunkel wird ...

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