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6.

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Die junge Frau hatte gehofft, dass sich Robert Hale wenigstens nach der Ausstellung bei ihr melden würde, aber zwei Tage vergingen und sie hatte noch immer nichts von ihm gehört. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und rief ihn an. Erst nach dem fünften Klingelton hob er den Hörer ab.

"Schön, dass ich dich erreiche, Robert", sagte sie und gab sich Mühe, ihre Stimme gleichmütig klingen zu lassen. "Wie geht es dir? Was machst du so? Wenn du Zeit hast, könnten wir uns sehen."

"Zeit?" Der junge Komponist lachte ironisch auf. "Du weißt, dass Zeit etwas sehr Kostbares ist, Rebecca. Nein, ich habe keine Zeit. Ich stecke mitten in der Arbeit. Übrigens möchte ich dir zu deinem Erfolg gratulieren. Die Vernissage muss ein großes Ereignis gewesen sein, die Kritiker überschlagen sich ja förmlich. Nun, du hast es verdient."

Seine Worte taten ihr weh, zumal sie spürte, dass seine Gratulation ehrlich gemeint war. Wie hatte sie ihm nur jemals vorwerfen können, neidisch auf ihren Erfolg zu sein. "Es tut mir leid, Robert", erwiderte sie. "Ich will nicht abstreiten, dass ich eine Menge Fehler gemacht habe. Wenn ich es irgendwie gutmachen kann ..."

"Oh, bemüh dich nicht, Rebecca", fiel ihr Robert ins Wort. "Während der letzten Wochen hatte ich genügend Gelegenheit, über unsere Beziehung nachzudenken. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du mich immer nur benutzt hast. Wenn es dir genehm war, dann durfte ich zu dir kommen und Händchen halten. Aber wenn es mich nach dir verlangte, hätte ich meine Bitte um ein Zusammensein am besten drei Wochen zuvor in mehrfacher Ausfertigung eingereicht."

"Du bist ungerecht, Robert", brauste Rebecca wider besseres Wissen auf. "Vielleicht hätte ich mich wirklich nicht so von meiner Arbeit beherrschen lassen sollen."

"Rebecca, ich versuche, dich zu verstehen, aber ich kann es nicht", sagte der Komponist. "Ich will ehrlich sein. Ich liebe dich noch immer, doch das wird vorübergehen. Es wäre ein Fehler, noch länger zuzulassen, dass der Gedanke an dich mein Leben beherrscht. Ich werde bei dir stets nur die zweite Geige spielen."

Jedes seiner Worte stach wie Nadeln in ihr Herz. "Lass es uns einmal miteinander versuchen", bat sie, weil sie sich nicht vorstellen konnte, wie ihr Leben ohne Robert aussehen sollte. "Wenn wir uns beide Mühe geben, dann werden wir es schaffen." Sie spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen, und wischte sie flüchtig fort.

"Rebecca, ich habe viel zu tun. Also entschuldige bitte, ich muss an meine Arbeit zurück", unterbrach sie der Komponist und ließ sich nicht anmerken, wie schwer es ihm fiel, diese Worte zu sagen. "Außerdem wirst auch du schon wieder neue Pläne haben."

"Dann will ich dich nicht länger stören, Robert", meinte die junge Frau mutlos. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. Ohne einen Gruß legte sie auf.

Minutenlang stand Rebecca noch neben dem Telefonapparat, weil sie hoffte, ihr Freund würde zurückrufen. Das Telefon blieb stumm. Niedergeschlagen kehrte sie in ihr Atelier zurück, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Es kam nur selten vor, dass ihr die Arbeit keine Freude machte. An diesem Vormittag war es so. Um sich abzulenken, schaltete sie das Radio ein.

Lustlos summte die Malerin die Musik mit, die gerade ausgestrahlt wurde. Sie fragte sich verzweifelt, was sie tun konnte, um Robert zu versöhnen. Auch wenn sie sich noch so oft einzureden versuchte, es sei besser, unter ihre Beziehung einen dicken Schlussstrich zu ziehen, sie konnte nicht daran glauben. Sie liebte Robert und war überzeugt, dass auch er sie liebte. Nur sein Stolz ließ es nicht zu, sich mit ihr zu versöhnen.

Die Musiksendung wurde von den Nachrichten unterbrochen. Rebecca legte Pinsel und Palette beiseite. Sie wischte sich die Hände an einem Baumwolltuch ab, das stets bereitlag. Sie hatte Angst vor den Nachrichten, weil sie erwartete, von einem Zugunglück zu hören. Am liebsten hätte sie das Radio ausgeschaltet.

Das Bild der einstürzenden Brücke stand noch immer deutlich vor ihren Augen.

Die junge Frau wollte schon erleichtert aufatmen, als der Nachrichtensprecher mit einer Meldung über die Regierungskrise in einem ostafrikanischen Staat schließen wollte. Dann bekam er eine weitere Mitteilung. In Kanada waren am Morgen beim Einsturz einer Eisenbahnbrücke über zweihundert Menschen ums Leben gekommen.

Rebecca schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Ihr wurde schwindlig. Die Musik, die gleich nach den Nachrichten wieder einsetzte, dröhnte in ihren Ohren. Mit einer impulsiven Bewegung fegte sie das kleine Radio von dem Tischchen, auf dem es gestanden hatte. Krachend schlug es auf dem Boden auf. Die Musik erstarb.

Die junge Malerin stieß heftig den Atem aus. Sie bückte sich und hob das Radio auf. Einige Teile waren von ihm abgebrochen. Schuldbewusst legte sie den kaputten Apparat auf den Tisch zurück. Sie glaubte nicht, dass er noch repariert werden konnte. Leise schluchzte sie auf. Ihre Tränen galten nicht dem Radio, sondern den Menschen, die bei dem Zugunglück ums Leben gekommen waren und ihrem Entsetzen darüber, dass es ihr wirklich möglich war, in die Zukunft zu blicken.

Mit einer Tasse Tee zog sich Rebecca eine Weile später ins Wohnzimmer zurück. Sie setzte sich in einen Sessel, lehnte sich zurück und schloss die Augen, um in Ruhe über alles nachzudenken.

Bis zu ihrem Unfall hatte sie niemals diesen inneren Zwang gespürt, Dinge zu skizzieren, die sie gar nicht zu Papier bringen wollte. Es musste also mit ihrer schweren Gehirnerschütterung zusammenhängen. Während ihres Deliriums hatte sie furchtbare Dinge gesehen, aber sie konnte sich nach wie nicht daran erinnern, was es gewesen war.

Ich will nicht in die Zukunft sehen können, dachte Rebecca und richtete sich auf. Mit einer müden Bewegung strich sie sich die Haare zurück. Sie überlegte, ob sie einen Psychiater aufsuchen sollte. Vielleicht konnte er ihr helfen. Andererseits scheute sie den Weg zu ihm. Sie wollte nicht mit einem Fremden über ihre Probleme sprechen.

Die junge Frau dachte an ihr Sommerhäuschen in Cornwall. Vielleicht würde es schon nützen, einige Wochen völlig abzuschalten. Sie hatte ja ohnehin vorgehabt, Urlaub zu machen, allerdings hatte sie damals noch von einem Urlaub mit Robert geträumt.

Eine tiefe Sehnsucht nach ihrem Freund ergriff sie. Es kostete sie Mühe, Robert nicht noch einmal anzurufen. Sie hatte ihm nichts von der Skizze des Brückeneinsturzes erzählt. Die Versuchung es jetzt zu tun, war groß. Rebecca widerstand. Sie wollte nicht das Unglück anderer Menschen benutzen, um Robert zurückzugewinnen. Er sollte sich aus freien Stücken entschließen, ihr zu verzeihen und nicht, weil er ihr nur in ihrer Angst beistehen wollte.

Wenn es dunkel wird ...

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